Der Ringer auf Softkill-Tour

Die Angst vor der Zukunft ist eine temporäre Erfahrung

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Der Ringer: “Kill Soft Kill”


Tammo Kasper ist Bassist der Band Trümmer und Teil des Euphorie-Labels aus Hamburg, das Künstlern wie Der Ringer und Leoniden ein Zuhause bietet. Im Februar war er mit der Band Der Ringer auf ihrer Tour zum Debütalbum “Soft Kill” (Staatsakt) unterwegs. Um nicht an seinem gerade entstehenden ersten Roman arbeiten zu müssen, hat er ein Tagebuch über die Tour verfasst, dessen gekürzte Version wir sehr gerne auf kaput veröffentlichen. 

 

Der-Ringer_07Mainz
Donnerstag, 16. Februar 2017. Es ist 16:12. Die Zeiten für avantgardistischen Cypberpunk waren nie besser als heute. Noch 250 km bis Mainz. Die LKWs quälen sich in langen Schlangen durch die Kasseler Berge. Wir werden zu spät kommen. Der Himmel ist durchgehend staubgrau und der leichte Nieselregen zieht feine Schlieren auf der Frontscheibe. Das Quietschen der Scheibenwischer unterbricht in regelmäßigen Abständen die Stille im Bus. Ihren klapprigen Fiat-Van nennen Der Ringer „Weißbrot“. Traumwandlerisch bewegt David Schachtschneider, Bassist der Band, die rostige Ansammlung weiß lackierten Metalls über die A7. Auf dem Seitenstreifen brennt ein Kleinwagen. Der glatzköpfige Eigentümer steht ein paar Meter entfernt und starrt andächtig in die Flammen. Die Rauchsäule hebt sich kaum vom Grau des Himmels ab. Mein Smartphone sagt, Andrej Holm wird Berater der Linkspartei und darf seinen Job behalten. Ringer-Sänger und Ian Curtis-Lookalike Jannik hat heute schon fünf Mal gesagt, dass wir alle bei einem Unfall sterben werden. Dann haben jedes Mal alle gelacht. Außer Benito. Der Schlagzeuger sitzt auf dem Beifahrersitz und fantasiert im grippal bedingten Fieberwahn, wenn er nicht damit beschäftigt ist, Schüttelfrost zu haben. Unser Tontechniker Max sitzt hinten auf der Rückbank und spielt Nintendo. Er tut einfach so, als würde er nichts mitbekommen. Wir passieren den Limes. Die römischen Grenzsoldaten schauen uns mit traurigem Blick hinterher. Bei Frankfurt überholt uns ein Erlkönig und am Rand der Autobahn steht ein riesiger behaarter Berg. Ich spiele Schach gegen mich selbst und gewinne nicht. Jannik stellt sein Auto-Tune-Gerät ein. Gestern klang seine Stimme beim Konzert im Hamburger Hafenklang zu sehr nach ihm selbst. Wir fahren von der Autobahn ab und über die Landstraße durch Massenheim nach Mainz. Wir passieren das Ortsschild. „Massenheimvernichtungswaffen“, sagt David. „Ab jetzt geht es bergab“ergänzt Jakob. „Mit Deutschland“ kommt trocken von hinten, wo Multiinstrumentalist und Fernostexperte Jonas sitzt und seit geschlagenen drei Stunden keinen Ton gesagt hat. „Wir sind weiß, relativ heterosexuell und traurig“, sagt Jannik, lacht und trinkt einen Schluck von dem neongrünen Smoothie in seiner Hand.

Das Gebäude, in dem sich das Schon Schön befindet, wünscht sich nichts sehnlicher, als von Mies van der Rohe gebaut worden zu sein. Wurde es aber natürlich nicht. Rund um den Club haben sie Container aufgestellt, in denen Flüchtlinge wohnen. Mainz ist die Hauptstadt von irgendeinem Bundesland. Das steht auf den Autos der Polizisten. Nach dem Konzert umstellen sie den Laden und fordern uns auf, rauszukommen. Sie übergeben uns feierlich ein Strafmandat fürs Befahren des Innenstadtbereichs ohne Umweltplakette. Von dem Geld werden im Mainzer Zoo zwei Robbenbabys gekauft, die dann auf der nächsten Weihnachtsfeier des ZDFs am Spieß gebraten werden. David spricht im Schlaf. Er redet von Merch-Kisten und davon, dass er das ja sowieso alles träumt. Er hat wohl recht. Bald geht die Sonne auf. Dann werden wir alle zu Staub zerfallen.

 

Der-Ringer_11Stuttgart
Bevor wir zu Staub zerfallen sind, kommt ein Bautrupp und schreit sich militärisch Befehle zu: Wand einreißen, Durchbruch schaffen, alles neu, alles anders. Wir liegen mittendrin und ziehen die Köpfe ein. Deutschland im Frühling 2017. Wurde sowieso Zeit aufzustehen. Der Kaffee schiebt an. Die Autobahn ist frei. Stammheim, wir kommen. Julian von den Nerven schreibt. Er spielt heute mit seiner neuen Band vor den Sternen, danach will er „ein paar Drinks mit uns nehmen“. Ich denke, dass das zivilisierter klingt, als es werden wird. Als wir nach Stuttgart reinfahren, sitzen unten am Fluss Angler unter Regenschirmen. Am Ufer gegenüber zieht weißer Rauch aus riesigen Schornsteinen in den Himmel.

Wir beschließen, erst mal ins Hotel einzuchecken und dann zum Club zu fahren. Unser Hotel ist ein menschenleerer Komplex, der eingekesselt zwischen einem Autobahnkreuz und einem Güterbahnhof liegt. Der Portier ist über 80 und geht an einem Gehstock. An den Wänden hängen die deutschlandweit üblichen Kunstdrucke von Monet.
Im Hotelzimmerfernseher läuft die Pressekonferenz, die Trump am Vortag gegeben hat. Diese goldenen Vorhänge verändern alles. Sie sind radikales Symbol einer neuen Macht. Obszön, billig, kitschig und brutal. Sie zeigen klar und deutlich: Eine neue Zeit hat begonnen. Die Selbstzerstörung der Demokratie. Der letzte Akt. Ich suche die Fernbedienung und dann einen anderen Kanal.

Heute Abend kommen ein paar Journalisten, die viel zu schlaue Dinge über Musik schreiben, dabei wahnsinnig viele Fremdwörter verwenden und es am Ende schaffen überhaupt gar nichts zu sagen. Ich finde sie zum Kotzen, weil sie schlecht über ein Trümmer-Album geschrieben haben. Bevor ich mich in Gewaltphantasien reinsteigern kann, verlieren wir auf dem Weg vom Hotel in den Club die Orientierung und alle schreien wild durcheinander. Stuttgart liegt in einem Talkessel. Deswegen sammelt sich der ganze Dreck unten in der Stadt. Das ist auch der Grund, warum sie jetzt in der Mitte der Stadt ein riesiges Loch graben: Damit der ganze Dreck abfließen kann.

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München

Am nächsten Nachmittag gewinnt Werder auswärts in Mainz. Der Wirt in der Bayern-Sportsbar, in der wir (Max, Jannik, Benito, Ich) sitzen, grunzt in breitestem bayrisch „Bochum, die Fotzen, einmal im Leben setzt man auf die und dann verlieren die in der 91. Minute. Hurensöhne!“ und schaut uns dabei mit schlecht versteckter Verachtung im Blick an. Wir nicken stumm. Sein Bauch ist fürchterlich dick und er sieht so aus, als hätte der VFL gerade seine Kneipe verspielt. Er schwitzt und sein Bauch springt auf und ab, während er durch den Laden läuft.
Der-Ringer_09Die Bayern-Fans leiden künstlich, weil sie gegen die Hertha mit 0 zu 1 hinten liegen. In der siebten Minute der Nachspielzeit schießen die Bayern doch noch den Ausgleich. Da sitzen wir schon längst wieder im Bus und fahren durch die Innenstadt zur Venue. In München ist Sicherheitskonferenz. Überall in der Stadt stehen Polizisten mit Sturmhauben und Maschinengewehren. Schwarze Limousinen rasen eskortiert von Motorrädern durch die Stadt. Ringer-Gitarrist Jakob Hersch arbeitet bei einer UNO-Stelle zur Eingrenzung der Verbreitung von chemischen Waffen und wird bestimmt auch mal an solchen Konferenzen teilnehmen. David hat Angst, dass später einer von uns angetrunken Angela Merkel überfährt. Die Weißbiere am Nachmittag haben gut geknallt, die Sonne scheint, es riecht nach wie vor nach Frühling.

Während des Konzerts stehe ich neben Max hinten beim Mischpult. Als Der Ringer das galaktisch gute „Kanada“ spielen, bricht ein blinder Junge, der das ganze Konzert über ganz hinten im Raum an einem Tisch stand und eine Rose in einer Vase befühlte, während er der Band zuhörte, in Tränen der Rührung aus und umarmt seinen Vater, der neben ihm steht. Max und ich kommen uns vor, als wären wir im besten Musikvideo aller Zeiten gelandet. Vor ziemlich genau zehn Jahren haben Der Ringer zusammen mit Tonbandgerät in der Pooca Bar vor vier zahlenden Gästen gespielt. Tonbandgerät gaben Der Ringer – damals noch mit den namensstiftenden Wrestlermaskierungen auf der Bühne – einen Tip: „Egal, was ihr macht: Kauft euch ein Megaphon. Das funktioniert immer.“ Gestern haben Tonbandgerät in der Elbphilharmonie gespielt. Es ist unklar, ob sie ein Megaphon dabei hatten. Trotzdem will hier niemand etwas mit einem Megaphon zu tun haben.


Wien
Die Welt ist grell heute. Viel zu grell. Wien ist dann wie immer: dreckig, lebendig und es gibt sich keine besonders große Mühe, einem zu gefallen. Wir verziehen und schnellstmöglich ins Hotel, trinken Konterbier und schauen Snooker auf Eurosport. Das Bier schmeckt wie Medizin. Ab Morgen sind Der Ringer Artist of the Week bei FM4, dem lokalen Monopolisten was gutes Radio angeht. Wir langweilen uns. Das Konzert beginnt erst sehr spät, aber in Wien sind ja sowieso alle damit beschäftigt, die Nächte auch an Sonntagen niemals enden zu lassen und ganz nebenbei den lässigsten und gewieftesten Kulturwahnsinn von morgen zu erschaffen. Wenn sie das geschafft haben, werden die Wiener sesshaft und ein bisschen spießig und verhöhnen sich selbst dafür, dass ihre alte, angeborene Todessehnsucht verschwunden ist und sie jetzt am Leben mit all seinen Höhen hängen. Dann werden sie langweilig oder saufen sich zu Tode. Das erzählt man sich zumindest in Hamburg. Gestern wäre Falko 60 geworden. Heute klatschen die Besucher nur sehr verhalten und rufen ihren Nachbarn nach jedem Song kluge Kommentare ins Ohr, die im ganzen Raum hörbar sind und in denen es um musikalische Referenzen, Janniks Hose von Comme des Garçons oder die unteren Mitten im Frequenzbereich des Bassverstärkers geht. Ich trinke dunklen Rum aus einem großen Glas und hoffe, dass der Kater irgendwann wieder verschwindet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubt, dass wir – also die Menschheit – sehr bald eine lernfähige künstliche Intelligenz entwickeln werden, die uns als Menschen obsolet machen wird. Stand jetzt sitzen wir in einem Wiener Gürtellokal und trinken Sekt aus Plastikbechern.

 

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In Düsseldorf ist Karneval. Gegenüber vom Theater, der heutigen Location, ist eine Altbierkneipe. Wir fragen uns, ob der Individualismus in der Gesellschaft das Problem ist oder die Anonymität und was das für ein sozialer Raum ist, der da im Internet entstanden ist und der gar nicht mehr wirklich sozial ist. Wir werden uns nicht einig und ertränken den Konflikt am Ende dann doch in einer Menge Altbier. Es geht um Politik. Martin Schulz hat die SPD zum Patt mit der CDU geführt. Wechselstimmung. Komisches Wort. 1998 habe ich unfreiwillig eine Wahlveranstaltung für Helmut Kohl gesehen, auf der ihm ein grüner Kohlkopf überreicht wurde, der in eine schwarz-rot-goldene Banderole gehüllt war. Als er sie in den Händen hielt, schaute er sie entgeistert an und schwieg für einen Moment. Ich bin mir bis heute sicher, dass das der Moment war, in dem er wusste, dass er die Wahl verlieren würde. Die Angst vor der Zukunft ist eine temporäre Erfahrung. Wenn sie erst mal da ist, hat man dann doch wieder Angst vor etwas anderem und alles ist gar nicht so schlimm, wie man eigentlich dachte.

Im Hotel sitzt Jannik am Fenster und raucht eine letzte Zigarette. Im Fernseher singt Matthias Schweighöfer ein fürchterliches Lied. Danach unterhält er sich mit einem Moderator, der ganz aufgeregt ist und zu schnell spricht. Matthias ist es wichtig zu sagen, dass sich die Leute heute einfach nichts mehr trauen, dass sie keine Risiken mehr eingehen. Sie sind nicht wie er. Er liebt das Risiko. Als Beweis führt er an, wie er seine erste Eigentumswohnung gekauft hätte – gegen den Rat seiner Eltern. Und inzwischen wäre sie schon das doppelte vom Kaufpreis wert, nämlich 4 Millionen Euro. Ich möchte Matthias Schweighöfer ein Paar auf die Fresse hauen.

 

Leipzig
Langsam nähert sich die Tour ihrem Ende. Wir fahren nach Osten. Leipzig ist die Stadt, von der seit fünf Jahren alle sagen, sie wäre das neue Berlin. Ein bisschen stimmt das. Das Berghain heißt hier Institut für Zukunft, die Mieten sind günstig, die Straßen heißen Karl-Liebknecht oder Heinrich-Heine und sind fast so breit wie die Karl-Marx-Allee in Berlin. An ihren Rändern stehen riesige Altbauhäuser mit graubraunen Fassaden. Der Himmel ist grau und die Luft neblig und man hat das Gefühl, sie würde nach brennendem Holz und Zweitakterabgasen schmecken. Der Sound ist heute bombastisch, der Laden gut gefüllt. Alle scheinen glücklich und zufrieden. Dabei gibt es hier nicht mal das große Geld, dass sie verdienen könnten, sondern nur den Ruhm und die Ehre auf Schlachtfeld der Kultur, des Nachtlebens und der Bars, in denen die richtigen Drinks gemixt werden und in denen zu später Stunde die Gestalten am Tresen sitzen, die an der Kunstakademie meinungsführend sind und sich mit denjenigen unterhalten, die auflegen im Institut für Zukunft oder im Westwerk oder wie auch immer die angesagten Läden gerade heißen. In Leipzig hat Matthias Schweighöfer sicher keine Wohnung.

 

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Groningen
Auf der Autobahn begegnen wir einer endlosen Kolonne orangener Mühlwagen, die mit uns zusammen in Richtung Norden fahren. Jetzt könnte es ewig so weiter gehen. Die Körper sind gebrochen, die Köpfe haben sich ergeben. Wir sind ein Zeit- und Raumloses Kollektiv ohne besondere Bedürfnisse, eine eingespielte Einheit, bei der jedes Zahnrad ins andere greift.

Das De Gym, in dem Der Ringer heute spielen, ist ein Ort, wie man ihn sich nicht schöner ausdenken könnte: Bunte Neonröhren treffen zerstörte Toiletten. Einen Raum weiter ist die Konferenz junger Start-Up-Unternehmer. Sie nehmen uns sehr herzlich auf und fragen aufgeregt, was wir denn für Musik machen würden.
Der-Ringer_01Nach dem Konzert findet Jannik einen Snackautomaten und ist der glücklichste Mensch der Welt. Morgen fahren wir nach Berlin. Dort ist das Konzert schon ausverkauft und alles wird ganz wunderbar. Die wichtigen Leute mit den verschränkten Armen werden da sein und fast unmerklich mit dem Kopf nicken und dann doch schon vor der Zugabe raus auf den Hof gehen, um zu rauchen und sich gegenseitig zu bestätigen, dass früher ja doch alles besser und aufregender gewesen wäre und sie so eine Band ja nun auch schon zum vierten Mal gesehen hätten. Und überhaupt, Joy Division, das sei wirklich total last season. Das season werden sie mit deutschem Akzent aussprechen und ein bisschen zu spitz. Dabei werden sie weiter nicken und noch einen Schluck von dem Bier in der großen braunen Flasche trinken, das sie in der Hand halten. Wir werden mitten unter ihnen stehen und wissen, dass wir tun, was wir lieben. Dass wir leben, wovon wir früher geträumt haben, als wir ganz jung waren und das erste Mal Musik hörten, die uns berührte. Später werden wir dann alle nach Hause gehen und warten, bis die Decke wieder aufhört, uns auf die Köpfe zu fallen.

 

 

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