Review zur Wochenmitte

Arrested Denial “Frei.Tal”

freitalArrested Denial
“Frei.Tal”
Mad Butcher Records

Ich schreibe jetzt also eine Besprechung. Oder, wie man auch sagt, eine “Review”. “Reviews” in Fanzines oder Blogs sind eine heikle Angelegenheit. Hier lassen sich alternde, häufig alleinstehende Männer mit Plattensammlung und Geheimratsecken nach Feierabend in zwischen Hilf- und Geschmacklosigkeit oszillierender Ausdrucksweise (‚Fanzine-Deutsch‘; Beispiel: „XY räumen mit ihrer turbulenten Mischung aus Streetpunk und Rockabilly gehörig den Untergrund auf“) über ihre Lieblingsmusik aus (ich gehe hier nicht weiter ins Detail).

von Martin Seeliger

Wenn ich sage, dass ich eine irrationale Vorliebe für Bands aus Hamburg hege, meine ich damit nicht Tocotronic oder diese schrecklichen Sachen von Jens Rachwohl oder wie der heißt. Ich meine damit, dass mich Musikgruppen aus dieser Stadt immer wieder faszinieren, ohne dass ich den Grund dafür genau benennen kann. Das hat sicher etwas mit mir zu tun. Aber es liegt auch daran, dass das Hamburger Umfeld immer wieder Musik hervorbringt, die für mich etwas Besonderes an sich hat. Worin dieses Besondere besteht, dieser Frage möchte ich im Folgenden etwas genauer nachgehen, indem ich etwas zum Album “Frei.Tal” der Band Arrested Denial sage.

Da es in Punkreviews zu einem wesentlichen Teil darum geht, dass dem alternden Mann Aufmerksamkeit zuteil wird, welche ihm sonst (weil seine eigene Band leider nicht so bekannt und/oder er eigentlich soziophob ist und/oder irgendwo auf der Bayrischen Alm wohnt) versagt bleibt, darf er im Text explizit-persönliche Bezüge herstellen. Von diesem Recht möchte ich im Folgenden Gebrauch machen.

Ich kenne die Band Arrested Denial über meinen Freund Atze Ben, dessen ehemaliger Mitbewohner Torben dort mal “den Bass bedient” (genrebedingt streue ich immer mal wieder Ausdrücke aus dem Duktus ein, den ich oben als “Online-Fanzine-Deutsch” bezeichnet habe; diese Passagen werden mit Anführungsstrichen gekennzeichnet). Weil allerdings das Lied, das Ben mit gezeigt hatte (ich glaube es war “Church on Friday”), in englischer Sprache gesungen war, hatte ich die Gruppe schnell wieder vergessen (deutsche Bands, die auf Englisch singen, sind in der Regel scheiße). Ich habe die Band, glaube ich, dann irgendwie über True Rebel Records wiederentdeckt und dann haben wir, also die Shitlers, die gefragt, ob sie mit uns auf Tour gehen.

Das spielt eigentlich aber alles keine Rolle jetzt. Man sieht schon wieder, wie schrecklich diese Fanzine-Reviews sind. Wenn das hier jetzt Bierschinken oder sowas wäre, würde ich vermutlich erzählen, wie Sascha – der “Gitarrero” von Arrested Denial – mich nach unserem zweiten gemeinsamen Konzert auf der besagten Tour in Göttingen mal verprügeln wollte und Timo Joos ihn davon abgehalten hat. Er (Sascha, nicht Timo) leugnet das heute. Ob er sich schämt oder es wirklich nicht mehr weiß, kann ich nicht sagen. Mache ich aber nicht. Und es gibt auch keine Fotos.

Also zum Album jetzt. Die vier “Streetpunk-Boys” von Arrested Denial legen mit ihrer “Scheibe” “Frei.Tal” ihren zweiten “Longplayer” vor. Im Allgemeinen fällt die Resonanz für ihre Musik, so mein Gefühl, sehr gut aus. Ich habe zumindest eine ganze Reihe positiver Besprechungen in Erinnerung. Und auch auf Konzerten sind mir die positiven Reaktionen der Zuschauer oft aufgefallen. Mit “Frei.Tal”, das sage ich gleich vorweg, ist der Band ein schönes und interessantes Album gelungen, welches so gar nicht in das ausgelutschte und durchgenudelte Genre passen möchte, dem es entstammt – Street Punk. Denn wo überbewertete Bands wie die “Radio Dead Ones” oder zu Unrecht gehypte Kulturindustrieprodukte wie die ‚ “Distillers” einem Sound und einem Swagger nacheifern, der seit Rancids “…and out come the Wolves” nahezu unerreicht geblieben ist, beschreiten Arrested Denial neue Wege, ohne diese Wurzeln zu vergessen. Aber alles der Reihe nach.

Der Titel des Albums verweist auf den politischen Rechtsruck der letzten Jahre und so taucht das Thema auch im Laufe der zwölf Songs immer mal wieder auf. Es werden dort aber auch andere Themen behandelt, von denen ich mir mal mehr und mal weniger sicher bin, welche es sind. Auf die hörbaren Einflüsse und Stile möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Das ist nämlich so eine weitere Unart von Blog-und-Fanzine-Reviews. Wenn auf einer CD irgendwo ein Ska-Lied ist, tippt der untersetzte Mit-Vierziger am Schreibtisch seiner Junggesellenwohnung nämlich meistens sowas wie “eine flotte Off-Beat-Nummer lädt den geneigten Hörer zum Skanken ein” in seinen Computer. Dies, liebe Leserinnern und Leser, soll Euch heute ausnahmsweise erspart bleiben. Weil ich die Platte wirklich gut finde, nehme ich mir mal ein bisschen Zeit und gehe im Folgenden mal im Einzelnen auf die Lieder ein.

Im “Opener” mit dem Titel “Ich hab beschlossen, euch zu hassen” habe ich das erste Mal gehört, wie Arrested Denial (ich verwende ab jetzt immer mal wieder die Abkürzung “AD”) ein schnelles Lied mit der NoFX-typischen Bassdrumfigur spielen. Spielerisch merkt man zwar, dass dieser Stil der Band eher nicht so liegt – die Bassdrumschläge klingen nicht prägnant genug, um den typischen Skatepunk-Sound zu erzeugen. Durch das hohe Tempo, das kurz nach dem Intro sehr mitreißend auf mich wirkt, ist der Band ein echt guter Einstieg ins Album gelungen, finde ich. Textlich geht es im Song um Homophobie. Dafür, dass das so ein gutes und für aus dem Punkumfeld eigentlich dankbares Thema sein sollte, gibt es – zumindest meinem Empfinden nach – nur wenige Lieder zu dem Thema (auf Anhieb fallen mir nur “Less Talk, More Rock” und “Homophobes are just pissed, cause they can’t get laid” von Propagandhi, “Island of Shame” von Lagwagon, und “Transvest-Lite” von NoFX ein, aber ich interessiere mich ja auch vorwiegend für Deutsch- und Skatepunk). Die Arrangements sind, was die Akkorde angeht, recht schlicht (das gilt für fast alle Songs und wird weiter unten noch Thema sein). Der Bass klingt aber geil. Über die Aussage am Ende des Liedes, Sänger Valentin müsse bei seiner Kritik mit Blick auf die die Ursachen von Homophobie „nicht differenzieren“ sollte man reden. Möchte ich aber jetzt nicht weiter.

Das Lied “Heimathafen” handelt vom Besuch eines Menschen mit geistiger Einschränkung. Musikalisch entspricht das Lied wieder dem typischen AD-Stil inklusive poppigem Wolfgang Petry-Gitarren-Riff. Ob es dabei inhaltlich um Valentins Heimatstadt Freiburg geht, und in welchem Verhältnis er zu dieser Person stand oder steht, wollte er mir nicht sagen, weil das – so meinte er – eindeutig sei. Finde ich aber nicht. Zumindest kann ich mir eine ganze Reihe von Situationen vorstellen, um die es da gehen könnte. Aber nachdem ich über die folgenden Wochen hinweg beim Hören des Liedes immer mal wieder über diese Sache hatte nachdenken müssen, ist mir etwas anderes klar geworden: Was die Text von AD so interessant macht, ist – glaube ich – eben genau diese Uneindeutigkeit. Das Gefühl, dass Valentin da beschreibt, kennt auf die eine oder die andere Weise vermutlich jeder. Wenn er die Situation jetzt aber konkreter darstellen würde, ginge eben diese Identifikationsfläche verloren. Von daher ist das schon gut so.

Genau dieselbe Dynamik kommt im nächsten Song “Zeit zu gehen” zum Tragen, dessen Text allerdings von Timo stammt. Timo hat keinen Bock mehr und hält irgendeine Situation und/oder Umgebung nicht mehr (nüchtern) aus. Kann man verstehen, denke ich. Trotzdem wüsste man natürlich gern genauer, um welche Umgebung es sich hierbei handelt. Eine Karnevalsveranstaltung? Uni? Ein Shitlers-Konzert? Obwohl wir es so gern wüssten, erfahren wir es nicht.

Mit “Nationalisten alle Länder” widmet sich erstmalig ein ganzer Song dem Hauptthema des Albums – der gesellschaftlichen Situation in Deutschland und vielen Teilen Europas unter Bedingungen von Rechtsruck und Flüchtlingskrise. Bei dem Lied handelt es sich um eine flotte Off-Beat-Nummer, die den geneigten Hörer zum Skanken einlädt. Dafür, dass ich Ska eigentlich nicht gut aushalten kann, geht mir der Song überraschend gut rein. Das liegt aber vermutlich auch an Valentins Gesang, der im Song variiert und auf Grund seiner markanten, rauhen Stimme weit weg von dem debilen Gestammel ist, welches sich auf Ska-Lieder sonst wiederfindet. Auch das Trompeten-Solo im Mittelteil verdient Anerkennung. Und ganz allgemein hört man hier mal wieder gut heraus, was für ein tolles Gespür für Melodien diese Band hat.
Aber nun zum Text: Also wirklich noch ein Punksong über Nationalismus, ja? Der Einfachheit halber schenken wir uns aber die Auseinandersetzung mit der Frage, wen man damit eigentlich erreichen will und erkundigen uns auch nicht, ob der Song vielleicht eher der identitären Selbstvergewisserung einer Szene dient, die den Kampf gegen Rechts als subkulturellen Bezugsrahmen gewählt hat, innerhalb dessen man sich immer mal wieder irgendwie begegnet (oder zumindest darüber redet). Gegen Nazis und Nationalisten sind wir ja irgendwie alle und hier fühlen wir uns zu Hause. Weitere Nachfragen sind nicht verboten, aber auch nicht unbedingt erwünscht. So geht Punk und so geht im Prinzip auch der Text. Nur, dass es eben ein paar schöne Punchlines hat wie den Hinweis, dass das imaginäre nationalistische Gegenüber stolz sei auf „Tugenden, die du ganz gern als Erster vergisst“. Das sitzt und ich muss tatsächlich ein bisschen lachen, wenn ich unwillkürlich an die Neo-Feministen vom Schützenfest denke, die die abendländischen Frauen vor islamistischen Sextätern beschützen wollen und dabei ihre eigene Misogynie vollkommen vergessen (oder doch zumindest unter den Teppich kehren). Aber gleichzeitig stimme ich auch mit bestimmten Stellen nicht überein. „Wenn man nichts hat, das im eigenen Leben zählt“ ist m.E. eine irreführende Analyse. Ich denke nämlich nicht, dass Stolz auf die Herkunftsnation mit innerer Leere oder Grundfrustration gleichzusetzen ist (auch wenn es natürlich gut damit zusammen passt). Ich werde auf dieses Thema weiter unten nochmal eingehen.

“Bis hier, bis heute” ist dann wieder ein etwas persönlicherer Song, der – wenn ich das richtig verstehe – von Rastlosigkeit, Entwicklung und Ankommen in einem Lebensweg handelt, die in einem vorgestellten Gespräch mit einer verstorbenen Person thematisiert werden. Eine weiterer Besonderheit an diesen Texten liegt für mich darin, dass Valentin ohne Probleme Reime und Zeilen raushauen kann, bei denen ich bei jeder anderen Band mindestens die Augen verdrehen würde („wohin es geht“ auf „der Wind hat sich gedreht“; allgemein wird da übrigens oft irgendwelche „Wege gegangen“, das ist eine Metapher, die mir sonst eher aus dem Kosmos einer von Valentin und mir geschätzten Frankfurter Band geläufig ist). Aber AD dürfen das.
Bemerkenswert erscheint mir hier auch wieder das Arrangement des Songs und der Spannungsbogen, den die Band in der Bridge, die übrigens aus einem unverzerrt wiederholten Gitarren-Lick besteht, das – obwohl es sowas im Punk eigentlich fast nie gibt – überhaupt nicht auffällt. Keine Ahnung, wie die das Ding da untergebracht haben. An genau sowas erkennt man aber, dass jemand sich auf das Liederschreiben versteht!

In “Zurück auf Start” äußert Valentin irgendeine Gesellschafts- oder Kulturkritik, die ich nicht begreife. Wer mal wissenschaftlich gearbeitet hat, ist vielleicht mit dem Problem vertraut, dass Fachkollegen einen immer wieder anhalten, mal zu präzisieren, was man eigentlich genau meint und wie man darauf kommt. An die Autoren von Punktexten lassen sich entsprechende Forderungen zwar sinnvoller Weise nicht richten. Aber irgendwie wünscht man es sich ja doch manchmal. Was auf dem Album aber durchgehend geil ist, ist der Beckensound. Daniels Schlagzeugspiel war bei AD immer dasjenige Element, welches ich am wenigsten gut verstanden habe. Auf dem ersten Album und den danach veröffentlichten Songs kam es mir immer wieder mal sehr ausgefeilt, dann aber auch ein bisschen seichter (im Sinne von “nicht so reingehauen”) vor als man das von den üblichen Bands aus den anverwandten Genres gewohnt ist. Auf “Frei.Tal” spielt Daniel zwar immer noch mit vergleichsweise wenig Druck, aber ich glaube mittlerweile verstanden zu haben, dass genau dieses Element zu dem einzigartigen Sound beiträgt, der die Band auszeichnet. Die perfekt abgestimmten Gitarren, deren Zusammenspiel schon seit dem ersten Album einen ganz typischen Stil begründet, werden so zum Hauptmerkmal des Bandsounds, welcher dadurch – anders als bei normalen Streetpunkbands – nicht langweilig wird, weil das Schlagzeug eben nicht nach Streetpunk klingt (keine Ahnung, ob mir noch jemand folgen kann, aber so funktioniert es bei mir zumindest). Allgemein ist der Schlagzeug-Sound auch sehr differenziert, das heißt, man hört die einzelnen Trommeln und Becken gut raus und so wird auch deutlich, wie abwechslungsreich Daniel spielt und wie schön die Fills und Breaks mit den anderen Instrumenten abgestimmt sind. Guter Beckensound (wiederhole ich mich?). Aber nochmal zurück zum Text „Allzu selten machen wir uns noch bewusst / Wessen Hand da draußen wirklich was bewegt“. Was soll das denn heißen? Und wann haben wir uns das denn mal bewusster gemacht als wir das heute tun? Und wer sind wir eigentlich? Ich finde das kryptisch und wüsste gern mehr, was dahintersteckt. Leider geht es für mich aus dem Rest des Songs aber nicht hervor. Aber geiler Beckensound!

In “Stillstand” geht es um irgendeine nicht näher definierte Unrast, welche sich aber – auf Grund verschiedener Ablenkungen – nicht in ein konkretes Handeln überführen lässt. Fairerweise muss man sagen, dass das hier weniger kryptisch ist als, sagen wir mal, Tocotronic oder Nirvana.

Mit “Frei.Tal” sind wir als nächstes beim Titeltrack des Albums angelangt. Dieser Song hat irgendwie so einen krummen Takt am Anfang der Strophe. Klingt total geil, passt auch zum Gesang und weckt bei mir mal wieder Bewunderung für die Sorgfalt und Liebe zum Detail, die AD in ihre Musik stecken. Wenn man bedenkt, dass es die Band mittlerweile um die zehn Jahre geben dürfte, erklärt sich so vielleicht auch teilweise, warum es erst zwei Alben der Gruppe gibt. Der Text ist dann ein Versuch, diejenigen sozialen Pathologien darzustellen, die dem Zulauf rechter politischer Bewegungen den Boden bereiten. Während man in Frei.Tal „stets […] auf Kosten anderer gelebt“ (Kolonialismus und Wirtschaftsimperalismus) und sich mit den Flüchtlingen ein „Feindbild“ um sich „selbst zu erhöhen“ gesucht hat, habe man dort tatsächlich „so wenig zu sagen und brüllt doch lauter denn je“. Soweit, so gut. Folgende Zeile „Der Wohlstand steigt euch zu Kopf, hat eure Sinne geblendet“, verstehe ich allerdings wiederum nicht. Welcher Wohlstand soll das denn sein? Wo die betreffenden Rechtsradikalen (oder auch “Besorgte Bürger”) Angst „Vor allem, was ihr nicht kennt, vor denen, die ihr so hasst, Vor eurem eigenen Versagen, dem Verlust eurer Macht“ haben sollen, mag sich mir ebenfalls nicht so recht erschließen. Wo fürchten sich denn die ausländerfeindlichen Ossis, die da die Busse aufhalten, vor ihrem Versagen? Oder, falls das denn doch so sein sollte, inwiefern kann das ein Motiv für Ausländerfeindlichkeit sein? Auch die Idee, dass da irgendjemandem der Wohlstand zu Kopf gestiegen ist, erscheint mir schwer nachvollziehbar. Die blühenden Landschaften, die da versprochen worden sind, lassen ja nun bis heute auf sich warten. Mir ist bewusst, dass das jetzt vielleicht als Über-Interpretation oder Krittelei rüberkommt, aber immerhin ist das hier nicht so eine Parolen-Scheiße wie zum Beispiel bei Fahnenflucht, und daher verdient der Text auch eine sorgfältige Auseinandersetzung (finde ich zumindest).

“Um nichts in der Welt” ist ein wunderschön gesungenes Lied. Teilweise klingen die Songs der Band, besonders vom Gesang her, sehr sanft. Und bisweilen haben die Lieder (wohl auf Grund von Tempo, Harmonien und auch dem songdienlichen Schlagzeugspiel) etwas von Kettcar (allerdings, ohne dabei so scheiße zu sein). Inhaltlich geht es da um Reiche und Arme und wie sich deren Weltbild unterscheidet. Aber der Reiche ist halt nicht wirklich reich, weil er ist ja so verkniffen und der arme nicht arm, weil der hat ja Gefühle. Und, dass das Ganze eben wieder aus dieser kryptischen Ich-Form kommt. Ja, meine Güte, ich kann es auch nicht ändern.

In “Alles bleibt gleich” geht es dann mal wieder um Nazis. Die mögen Arrested Denial nicht. Besonders hervorzuheben ist das schöne Pantera-Riff und das komische Instrument, dass ich bisher nur aus dem Intro zu “It’s fun to be a Vampire” von Good Clean Fun kenne. Wenn AD immer über Nazis singen, sage ich eben immer, dass ich die Backings total geil finde. Wenn ich nochmal eine CD aufnehme, werde ich Timo bitten, den Hintergrund Gesang aufzunehmen.

Mit “Solidarität” kommen wir jetzt zu meinem Lieblingstitel auf dem Album. Die Trompetenmelodie ist cool und irgendwie stellt bei mir nicht dieser debile Eindruck ein, den Ska-Musik (außer Rantanplan) mir normalerweise vermittelt. Was mir hier besonders gefällt ist aber eigentlich weniger die Musik, auch wenn ich die ganz gut finde, sondern der Text, der sich mit den politischen Lippenbekenntnissen einer Szene auseinandersetzt, die sich bei allen großspurigen Bekundungen zumeist doch vor allen Dingen selbst genügt. „Ihr schreit nur dort, wo man im Einklang steht und sich in trauter Runde inszeniert. Nichts als Image-Humanismus, der den Stillstand kaschiert. Wenn nur ein Bruchteil von euch so viel täte wie geredet wird“ – das ist zugespitzt und hart, trifft die Situation aber für viele Fälle ziemlich genau.

“Alles wird gut” handelt dann schließlich…. Äh, ja, wovon eigentlich? Unzufriedenheit und dem Umstand, sich mit Dingen im Leben arrangieren zu müssen. Kann ich nichts mit anfangen. Aber die Musik ist geil und die Gesangslinie in der Strophe auch. Man muss echt viel Musik gehört und verarbeitet haben, um auf solche Melodien zu kommen.

Jetzt, wo wir also mit den zwölf Liedern durch sind, ist dann vermutlich der Zeitpunkt gekommen, um etwas abschließendes, resümierendes zu sagen. Also: “Frei.Tal” ist tatsächlich ein Album, das man in Zeiten von Spotify und YouTube noch gut von Anfang bis Ende durchhören kann (und das sage ich als jemand, dessen Aufmerksamkeitsspanne durch das Internet und verschiedene andere Einflüsse mittlerweile fast vollständig ruiniert ist). Außerdem singt Timo geile Backings. Eine weitere Besonderheit, die mich irgendwie erreicht, liegt in dem immer wiederkehrenden Motiv von Bewegung und Stillstand. Was hier einerseits immer wieder als Allgemeinplatz rüberkommt, entwickelt aber eine Tiefe, weil sich irgendwie jeder drauf beziehen kann. Dass da irgend so ein Gefühl, eine Stimmung rüberkommt, hat auch mit Valentins Stimme zu tun. Für mich klingt das alles sehr emotional und ehrlich und das gefällt mir ziemlich gut.

Die Behandlung des Nazi-Themas passt natürlich gut in die Zeit und ich finde es lobenswert, dass sich AD damit auseinandersetzen. Was ich allerdings nicht verstehe, – und mit der Kritik richte ich mich nicht nur an Arrested Denial, sondern eigentlich an alle Punkbands, von denen ich weiß, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen – ist die große Leerstelle an dem Platz, wo man beim Thema Ausländerfeindlichkeit eigentlich über den Kapitalismus reden müsste. Klar, Nazis sind scheiße und intolerant und kleingeistig, diesdas. Das ist aber wirklich nur ein Teil des Problems, denn tatsächlich ist es ja so, dass z.B. die Aufnahme der Geflüchteten auf Kosten der Beschäftigten im Niedriglohnsektor finanziert wird (dort steigt ja die Unterbietungskonkurrenz). Auch von Hartz IV und den Zumutungen an die deutsche Unterschicht, die ja den Unmut vieler Ausländerfeinde mit verursacht haben, hört man in Punksongs eigentlich wenig (na gut, es geht hier und da gegen Bonzen). Wenn jemand jetzt hingeht und sein Album “Frei.Tal” nennt, würde ich erwarten, dass sich zumindest irgendwann einmal auf dieser CD auch mit diesem Aspekt beschäftigt wird. Aber so ist das eben bei Punk. Am Ende ist er eben doch viel eher liberal als sozialistisch. Und das Album ist sehr gut.

Martin Seeliger

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