Barnt

Magazine13

Barnt „Magazine 13“ (Magazine / Kompakt)

Barnt

Die schönsten, die wichtigsten, die tollsten Platten, das waren schon seit jeher jene, die man nicht sofort zu verstehen vermochte. Nicht dass man sich an ihnen reiben müsste, man konnte sie durchaus von der ersten Sekunde an in sich aufnehmen, ja geradezu herunterschlucken. Es ist nur so, dass die Wellen, die sie in uns auslösen, das Gefühlschaos, nicht mit unserem gewöhnlichen analytischen Raster zu fassen ist. Entgegen aller Regeln der Soundgravitation bewegen sich auf diesen Platten die Soundpartikel zugleich auf einander zu und von einander weg, geben sich einem unverständlichen Tanz hin und erschaffen so einen magischen Zustand von Glückstiftender Vollkommenheit.

Ich denke bei solchen Worten an Alben wie „Andromeda Heights“ von Prefab Sprout, „Ruth is Stranger than Richard“ von Robert Wyatt oder „Mark Hollis“ von Mark Hollis. Allesamt Künstler und Werke aus einer musikalischen Welt, die für den oberflächlichen Verfolger von Daniel Ansorge´s musikalischen Katalog nicht viel mit ihm, dem Techno Produzenten und Dj zu tun haben. Weit gefehlt, die Art und Weise, wie Ansorge seine Barnt-Musik anlegt, ob sie nun auf Matias Aguayso Cómeme Imprint (wo sein größer Hit „Geffen“ erschien) , Mule Musiq oder in Remix-Auftragsform auf John Talabot’s Hivern Discs Label herauskommt, verwebt sie mehr als viele denken mit eben diesen Welten: seine Stücke negieren die klassische Narration von Dance-Music, erlauben sich kürzere und längere Motivausflüge, vereinen in diesem Prozess oft gleich mehrere an sich schon tragende zu einem Übermotiv und entwickeln so eine rhythmische Wärme, die kaum zu ertragen ist, weiß man doch irgendwann gar nicht mehr wem und was man sich hingeben soll. Die verführerischen Flächen tun in dieser Karussellfahrt der Gefühle ihr übriges. Ehe man sich versieht, ist man bereit, die Hand von Ansorge zu ergreifen und ihm zu folgen, egal wohin es geht und egal wie lange die Reise dauern wird.

Ansorges Debütalbum „Magazine 13“ erscheint nun auf seinem eigenen, gemeinsam mit Crato und Jens-Uwe Beyer betriebenen Label Magazine, dem Kölner Gravitationszentrum für Krautrock, Synthesizersinfonien und freie Elektronik. Es beginnt sofort mit dem besten Stück, jetzt mal in den Kategorien von Signifikanz und Breitenwirkung gesprochen: ,„Wiggett: So we know that hexog****“” ist es betitelt und bäumt sich mit einem eigenartigen, von Dampfgeräuschen angetriebenen Hi-Hat-Tanz auf, in dem jedoch schnell die Bassdrum die Führung übernimmt – und sie umgehend wieder an eine süßliche Glockenmelodie verliert, oder ist es eine Synthesizerflöte? Ich bin nicht der Musikwissenschaftlicher, als der ich mich vielleicht in dieser Besprechung aufspiele, aber eins weiß ich: auch nach hundert mal hören elektrifiziert mich dieser Song noch, ja immer mehr, und ich kriege ihn nicht zu fassen. Ich wünsche mir nur bei jedem hören, inmitten von ihm zu stehen, nur noch von ihm umgeben zu sein. Kann Musik mehr erreichen?

Und das ist nur der Anfang der Verwirrungen: „22:25“ ballert wie eine arabische Version von früher LFO-Hysterie um sich, „Blame a Hill“ und „0221 51025XX“ schockgefrieren Jean-Michel Jarres liebliche Synthesizerfantasien so lange bis sie zu bröckeln beginnen. Sympathischerweise gibt Ansorge selbst mit „How do i know what solutions x form?“ zu, auch nicht alles zu verstehen, was er hier an Türen aufmacht. Warum auch, als Musiker ist man letztlich ein Medium, das sich den anderen Gesetzen von Raum und Zeit mit allen Konsequenzen öffnen muss, wenn es etwas herausragendes erschaffen will. Und so lässt er das Album mit dem 15-Minuten-Stück „All the Alts I´mm holding are hurting“ enden, einer Soundreise wie man sie am eigenen durchgekochten Körper gerne morgens um 9 Uhr nach einer durchgetanzten Nacht erfährt: Die Klänge kommen von überall, stimulierend und verwirrend, zerrend und umarmend: es ist Musik für Angekommene, die so endlos weitergehen könnte.

Nein, es wäre gelogen, dass ich „Magazine 13“ auch nur annährend verstanden habe. Aber wenn man akzeptiert, dass man dies auch nicht muss, dann ist es genau so gut.

 

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