Record of the week

Dirty Projectors “Dirty Projectors”

DirtyDirty Projectors
„Dirty Projectors“
Domino Records / VÖ 24.02.2017

Unlängst debattierten mit Robin Pecknold, Frontmann der Fleet Foxes, und Dave Longstreth, Mastermind hinter den Dirty Projectors, zwei der prägenden Figuren der jüngeren Musikgeschichte über den Status des Indie Rock anno 2017 – und wählten als Diskussionsort die sehr öffentliche Plattform Instagram. Jeder soll teilhaben, schließlich gehört die Musik ja irgendwie uns allen. In seinem Argument äußert Longstreth Sorge um das Genre – es sei „unterwürfig gegenüber abgelaufenen Vorbildern“ geworden, der aktuelle Indie klinge gleichermaßen „veredelt“, aber irgendwo auch „verbraucht“. Pecknold schaltet sich ein und meint, dass Indie zum letzten Mal im Jahr 2009 progressiv gewesen sei – mit Alben wie Animal Collectives „Merriweather Post Pavilion“, Grizzly Bears „Veckatimest“ und – natürlich – „Bitte Orca“ der Dirty Projectors.

Doch wie viel Wahrheit steckt in diesen Aussagen? Welchen Stellenwert hat Indie heutzutage noch? Wie sehr ist das Genre, das für sich selbst so viele elitär-erscheinende Tabus hochzieht noch wandlungsfähig, in einer Zeit, in der der Ton vermeintlich in anderen Genres vorgegeben wird, beispielsweise in Rap und RnB – Genres, die früher in „Indie-Kreisen“ außen vor waren, aber inzwischen sich hoher Akzeptanz erfreuen.

Eine Richtung gibt Longstreth direkt selbst an – und zwar mit dem neuen, selbstbetitelten Album seiner Dirty Projectors: Das Album ist das Gegenteil von „unterwürfig“ – es will state of the art sein, den Schritt voraus. Longstreth ist – nach den Bandaustritten von Angel Deradoorian im Jahr 2012 und nun auch Amber Coffman kurz vor Produktion der neuen LP – auf „Dirty Projectors“ zum ersten Mal seit dem 2005er Album „The Getty Address“ wieder als alleiniges Bandmitglied am Werk – und das merkt man: Die Instrumentierung ist eigenwillig, beherrscht von Glitch-Beat und vielen Referenzen auf die Produktionen von Timbaland aus den frühen 00ern Jahren – es klingt dringlich, treibend, digital. Gewissermaßen ein Bruch mit der oft hippie-esquen Musik vom Vorgängeralbum „Swing Lo Magellan“ (2012).

Der Opener „Keep Your Name“ lässt den Hörer direkt spüren, dass man es hier mit etwas ganz Besonderem zu tun hat. Der Song eröffnet mit den Zeilen “I don’t know why you abandoned me / You were my soul and my parter” – sicherlich ein Hint auf Amber Coffman, Ex-Bandmitglied aber vor allem Ex-Freundin von Frontmann Longstreth. Die Trennung dürfte sicherlich Inspiration für die geradezu vor Herzschmerz triefenden Texte gewesen sein. Longstreths Gesang findet sich dabei via Vocoder verfremdet, er klingt tiefer – etwas an ANOHNI erinnernd – gleichsam nah, berührend, verletzlich. Ehe man sich daran gewöhnt hat kommt ein unerwarteter Rap-Part, der den Song wieder unterbricht – es ist einer dieser Momente, wie man ihn von Longstreth kennt: Bei ihm halten die schönen Momente nur so lange an, wie nötig – so lange, wie es der Zeremonienmeister eben zulässt. Der Bruch, ja die gewollte Dekonstruktion, als Mittel zum Zweck, um die kurzweilige Schönheit mehr zu schätzen. Das Album ist stark im Internetzeitalter verwurzelt – „Dirty Projectors“ zelebriert musikalisch die Generation „Glitch“, ist Pastiche aus verschiedensten Genres der Moderne – die Einflüsse rangieren von Panda Bear über Missy Elliott zu Justin TImberlake. Gleichsam wird in den Texten die gesellschaftliche Entfremdung und die Unmöglichkeit von Liebe im Cloud-Zeitalter kritisiert. So singt Longstreth im der Electroballade „Little Bubbles“ von Isolation, vom alleine Aufwachen und vom Leben in der eigenen, „kleinen Blase“: „We had our own little bubble / for a while“, heißt es im Refrain. Selbst im digitalen Zeitalter, kann man sich eine Blase teilen – aber, so Longstreth, ist es oft eher auf Zeit. Am besten verdeutlicht wird die digitale Entfremdung, die Longstreth thematisiert im fast sieben minütigen Track „Ascent Through Clouds“: „Solitude becomes alienation“ sagt der US-Amerikaner hier an einer Stelle – eine Aussage wie gemeiselt für das Information Age, an dem sich jeder Loner vor seinem PC zum Alien entwickeln kann, sich die Informationen rauspicken kann die er für die bereits erwähnte „Little Bubble“ in der er lebt, haben möchte. Doch auch für die Unverbindlichkeit der Beziehungen im Netz, mit „digitalen Freunden“ liefert „Ascent Through clouds“ eine treffende Aussage: „Strangers become friends and then strangers again“.

Abseits von textlicher Tiefe liegt der Fokus auf dem Schritt hin zu mehr Beats und Samples: Das Song-Highlight findet man gewissermaßen in „Cool Your Heart“, einem Feature mit der RnB-Sängerin DAWN, das gar mit leichtem Chart-Appeal daherkommt. Fakt ist, dass „Dirty Projectors“ eine der besten Platten der letzten Jahre ist – und zeigt, dass Indie auch nach 2009 noch zu großem fähig ist. Waren zwar die guten Alben in den letzten Jahren eher dünn gesät, stellt das neueste Werk David Longstreths unter Beweis, dass gerade Indie besonders fähig ist, Strömungen unserer Zeit wundersam einzufangen – und sich selbst auch auf Einflüsse von außen einzulassen. Indie will never die, but you will. „Dirty Projectors“ hat jetzt schon einen, wenn nicht gar den Top-Spot in den persönlichen Jahrescharts sicher – wie soll das nur getoppt werden? Ach ja, Arcade Fire liefert ja noch was ab dieses Jahr. Wir bleiben dran.
Florian Kölsch

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