Record of the week

Jochen Distelmeyer “Songs from the Bottom Vol. 1”

Cover_DistelmeyerJochen Distelmeyer
“Songs from the Bottom Vol. 1”
(Four Music / Sony Music)

Dass es nicht so einfach ist, gute Coverversionen zu machen, zeigte sich letztens schmerzhaft bis grauenvoll auf der Kompilation „Für Hilde“: Lieb-, gedanken-, verständnis- und stillos vergriffen sich TypInnen wie Mark Forster (!), Mieze, Johannes Oerding oder Nisse am Werk der großen Hildegard Knef. Auch noch anlässlich ihres 90. Geburtstags, ein „Geschenk“ also – schlimm.

Interessanterweise auf demselben Label, auf Fanta Viers Four Music nämlich, erscheint Jochen Distelmeyers Coveralbum „Songs from the Bottom“ und natürlich ist das was ganz anderes: Der große JD spielt seine Lieblingslieder, beziehungsweise Lieder, die andere Leute geschrieben haben. Einige davon hat er schon live ausprobiert, im Rahmen seiner Lesetour zu „Otis“ zum Beispiel, und „immer haben die Leute gesagt, komm Jochen, spiel noch eins!“ Ganz reduziert, intim und lo-fi, nur Jochen und seine Gitarre. Und klar, das hat was: Jochen Distelmeyer singt Britney Spears‘ „Toxic“ zur Akustikgitarre – hier findet das (vermeintliche) Paradox, der größtmögliche denkbare Kontrast zur ästhetischen Vollendung. Dass dieses Vorgehen so wohlfeil wie unwiderstehlich ist, hat Kristof Schreuf sehr schön und offensichtlich mit sich ringend in der Spex beschrieben.

Ich mag „Toxic“ auch – in beiden Versionen. Eins der großen Missverständnisse in punkto Coverversionen ist ja, dass man verderbt überproduzierte Tracks nur mal ordentlich runterbrechen müsse auf Waschbrett und Ukulele – und schon offenbare sich die „eigentliche“ Schönheit des Songs, die vorher unter dicken Synthieschichten „verschüttet“ gewesen war. Ihr wisst, wie ich‘s meine.
Auf „Songs from the Bottom“ ist natürlich nicht nur „Toxic“ drauf, Distelmeyer nimmt sich Stücke aus den verschiedensten Epochen und Stilrichtungen vor: Radioheads „Pyramid Song“, „I Read a Lot“ von Nick Lowe (ha!), Al Greens „Let’s Stay Together“, „Video Games“, „Bittersweet Symphony“, „Turn Turn Turn“… und jedes Mal klingt es gleich. Was immer die Besonderheit des jeweiligen Songs gewesen sein mag, JD lullt sie mit seiner Samtstimme ein, Gitarre und ein minibisschen Klavierplingplang dazu – war da was? Um sofort einzulenken: Doch, doch, das sind schöne Interpretationen/Aneignungen. Warm, zärtlich und tröstend. Aber auch: ohne Überraschungen, ohne Wagnisse. No friction, nirgends. Muss ja auch nicht immer sein – und war es nicht Jochen Distelmeyer, der uns gezeigt hat, wie edgy es sein kann, die softe Seite auszuspielen? Trotzdem: Gerade abgenudelte Folk-Klassiker wie „Just Like this Train“ (Joni Mitchell) oder eben „Turn Turn Turn“ rufen doch geradezu nach Experiment, nach De- und Rekonstruktion!

Aber who am I to judge, ich kann ja noch nicht mal „Alle meine Entchen“ auf der Blockflöte pusten. „Songs from the Bottom“ ist ein in sich geschlossenes System, in dem man gemütlich hin- und herdümpeln kann, ein bisschen mitsummen vielleicht, oder sanft wegdämmern, während Jochen an Kris Kristoffersons „This Old Road“ entlangschlendert.
Der Albumtitelzusatz „Vol. 1“ weist überdeutlich darauf hin, dass Jochen noch mehr Songs zur Wandergitarre parat hat – weckt mich dann bitte. Und darf ich mir was wünschen? „Just Like a Pill“ von Pink würde ich gern von Jochen hören, oder „Hey tonight“ von CCR.
Christina Mohr

„In den Liedern, die du spielst, ist immer weniger von dir selber drin. Stimmt genau, sag‘ ich, die sind so wie ich selber bin“
(Blumfeld: „Superstarfighter“, 1994)

Ein Coverversionen-Album. Statt eigener Songs gibt es hier dafür zum ersten Mal Liner Notes, die das Album und die ausgewählten Stücke kontextualisieren. Das erinnert an Dylans „World Gone Wrong“, eine Platte, die konzeptuell (nicht inhaltlich) ähnlich verfuhr, selbst in Hinblick darauf, dass die Musik größtenteils akustisch / einfach organisiert war und vom Protagonisten idealerweise allein bestritten werden konnte. Auch wenn Tom Liwa meint, Distelmeyer entspreche eher Bowie als Dylan, war letzterer auf allen Blumfeld-Platten immer irgendwo im Hintergrund anwesend, nicht zuletzt in Bezug auf die große surrealistische Wortgewandtheit, die mittels Sprache eine eigene Welt erschaffen konnte, von der man unbedingt Teil sein wollte. Je undurchdringlicher und codierter die künstlerische Praxis sich gestaltete, desto mehr Raum wurde für eigene Projektionen eröffnet. Umso enttäuschter ist man als Fan dann, wenn das Außen anfängt, die Künstlerwelt zu bedrängen und der Künstler darauf mit Entzug reagiert.

Ich erinnere mich daran, wie Thomas Venker und ich an einem der heißesten Tage des Jahres 2009 ein Interview mit Jochen Distelmeyer führten. Distelmeyer war in meiner Erinnerung bis zum äußersten defensiv, ließ alle Fragen und zaghaften Deutungsversuche an sich abprallen, um sich jeder Eindeutigkeit und Fassbarkeit zu entziehen. „You can’t catch me“, wie es bei Chuck Berry heißt.

Den covert Distelmeyer hier zwar nicht, aber allein der Umstand, dass dieses Album ausschließlich aus Fremdkompositionen besteht, weist eine gewisse Signifikanz auf, weil man zu anderer Leute Lieder möglicherweise leichter eine Form von Distanz aufbauen kann als zu eigenen. Der Umstand, dass die Lieder in einer anderen Sprache verfasst sind, verstärkt dabei noch den Eindruck, der Sänger strebe nach Nicht-Identität. Dann wiederum muss man darauf hinweisen, dass es schon bei Blumfeld eine Tendenz zum Zitat und zur Ich-Maskierung gab, die Subjektivität durch eine füllhornartige Aufschichtung von Text-Material filterte. Zudem schlichen sich in Konzerten immer wieder unvermittelt Zeilen aus anderen Songs (gern von Dylan übrigens!) in die eigenen Stücke. Der Schritt zur Coverversion hat in dieser Hinsicht eine Vorgeschichte, die nicht mehr so überraschend erscheint.

Bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung der Stücke meint man eine Nähe zum Alleinesein attestieren zu können, was aber als These nicht ganz haltbar ist. Natürlich gilt dies für Nick Lowes „I Read A Lot“, aber Britney Spears „Toxic“ eignet sich nicht so sehr als Lonerhymne, auch wenn die hier allgegenwärtige reduzierte Formensprache diesen Schluss nahelegt. Der Künstler selbst stellt das Album in einen offenen, diffus krisenhaft konnotierten Kontext, der um den auch im Titel vorkommenden Begriff „bottom“ kreist: „Gesänge aus Basements, Backyards und tieferen Schichten. From the bottom of the heart. Lieder von unten. Rock bottom.“ „bottom“ markiert hier gleichzeitig das Abseitige, Marginalisierte wie auch eine Vorstellung von Ursprünglichkeit ohne festen Ort.

Das heißt auch, dass die Songs als entwurzelte Entwürfe der Uneigentlichkeit behandelt werden, in die Distelmeyer sich einklinkt, um sie mit seiner „eigenen Geschichte“ kurzzuschließen.

Generell scheint es hier darum zu gehen, sich zu dem in Relation zu setzen, was einem von außen zugetragen wird. In den Liner Notes erwähnt Jochen Distelmeyer, die Idee zu diesem Album sei ihm gekommen, nachdem er von Fans gefragt worden sei, ob die von ihm während der Lesereise zum Roman Otis gespielten Coverversionen in irgendeiner Form veröffentlicht worden seien. So ist das Album das Dokument eines Dialogs, zum einen aufgrund der Entstehungsgeschichte, zum anderen aber eben auch deshalb, weil das Ausgangsmaterial Distelmeyer mit seiner künstlerischen Subjektivität als suspendierter Songwriter konfrontiert. Das Album entbindet ihn der Autorschaft und ermöglicht so eine partielle Präsenz. Er ist hier nur Sänger und Interpret, und dadurch wird der Fokus auf die Performanz gelegt. Dabei fällt auf, dass die zurückgenommene Instrumentierung einen sehr intimen Darstellungsmodus hervorbringt, der das, was ich über die Maskierung des Ichs qua Fremdmaterial gesagt habe, wieder stark relativiert. Es ist genau diesem Prinzip der Gegenläufigkeit von Nähe und Distanz geschuldet, dass Jochen Distelmeyer auch heute noch nicht zu fassen ist.
Mario Lasar

 

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