Record of the Week

Bernd Begemann & Die Befreiung “Eine kurze Liste mit Forderungen”

Bernd-Begemann-&-Die-Befreiung_Eine-kurze-Liste-mit-ForderungenBernd Begemann & Die Befreiung
“Eine kurze Liste mit Forderungen”
(Popup Records)

Dieses Album ist der Beweis dafür, dass es richtig ist, als Musiker/Künstler immer weiter zu machen. Bei andauernder Produktivität kann nicht jede Veröffentlichung ein Meisterwerk sein, aber alle paar Jahre bündelt sich die Kreativität eben doch zu einer Distinktion, die sich klar abhebt von vielem Anderen.

Bernd Begemann veröffentlichte sein erstes Album 1987, damals noch als Kopf der Band Die Antwort. In der Spex erschien im Juli besagten Jahres ein hitziger, schöner Artikel (verfasst vom 1993 verstorbenen Olaf Dante Marx), im Rahmen dessen sich Begemann als omnipotenter Romantiker mit überbordendem Sendungsbewusstsein präsentierte. Diese Haltung hat ihn über die Jahre hinweg begleitet, in denen er als Troubadour und musikalischer Handlungsreisender unentwegt durch das Land getourt ist. Das vorliegende Album erweckt nun den Anschein, dass der Nimbus des unangreifbaren Entertainers im weißen Kampfanzug (naja) Risse bekommen hat, was Begemann für mich gleichzeitig interessanter und sympathischer erscheinen lässt.

„Eine kurze Liste mit Forderungen“ umfasst 24 Songs (!), die bezüglich ihrer Texte verschiedene Ansätze durchspielen. Mal ist der Sprecher distanzierter, vielleicht dezent empathischer Beobachter seines Gegenstands (etwa in „Die besoffene Fahrerin“ oder „Neulich auf der Orgie“), dann wiederum scheint es sich um Momente der Selbstreflexion zu handeln, die auf unemphatische Weise soulful angelegt sind. Zu dieser Kategorie zählen „Brauch‘ dich so“ und vor allem das wirklich berührende „Am Ende des Tages“ mit den tollen Zeilen „Am Ende des Tages / geht es nicht anders / du musst klar kommen / mit jemandem / oder mit dir selbst / und das ist beides schwer“. Man fühlt sich erinnert an die Ungeschütztheit von Morrisseys „Wide To Receive“; einer seiner besten Songs.

Überhaupt gibt es hier einige Anspielungen oder Entlehnungen, die aber eher subtil eingepflegt als ausgestellt werden. Die Zeile „Charlton Heston zieht die Weste an“ verweist so auf „Charton Heston put his vest on“ aus dem Stück „Charton Heston“ von der heute ziemlich vergessenen wortspielverliebten Band Stump (Sänger Mick Lynch verstarb übrigens diesen Monat). Begemanns Adaption stammt aus dem Stück „Rialto“, einer der vielen Höhepunkte der Platte, in dem es darum zu gehen scheint, dass Wirklichkeit nur noch erträglich ist, wenn sie durch Medien gefiltert wird (dabei ist diese Lesart extrem simplifizierend, das Stück ist sehr viel doppelbödiger, allerdings ohne je prätentiös zu werden – eine Meisterleistung).

Die Ablehnung von dem, was sich als Wirklichkeit ausgibt, bestimmt konsequenterweise einen Großteil der Texte hier. Begemann läuft zu wahrer Größe auf, wenn er Makro- und Mikrokosmos miteinander in Beziehung setzt, etwa in „Das klappt grad‘ nicht mit dem Fahrrad“, wo die Rezession den Alltag einer Familie erfasst (ist dies die „politischste“ Begemann-Platte seit „Rezession, Baby“? Muss man es wissen?).

Was in diesem Song noch eher in einem erzählerischen Gestus organisiert wird, entlädt sich in anderen Songs als direktere Attacke auf die Verhältnisse. Das gilt exemplarisch für die herrlich aufwiegelnden, unversöhnlichen, eindeutige Oppositionsverhältnisse herstellenden „Ich habe meinen Frieden gemacht“ und „Die Reichen haben gewonnen“, die musikalisch entsprechend angriffslustig agieren. Prinzipiell ist die Musik zu allerlei Mannigfaltigkeit aufgelegt: halbelektrischer Singer/Songwriterpoprock wird konfrontiert mit Eskapaden in karge rapmäßig vorgetragene Rhythmus-Tracks („Mein eigenes Leben entführte mich“) oder Cole-Porter-Artiges („Nazi Tattoo Papa“).

Bernd Begemanns Position bewegt sich auf diesem Album zwischen Romantik, also dem, was idealerweise sein könnte, und einem Realismus, der die als tatsächlich wahrgenommenen Umstände in ihrer Negativität abbildet. Dabei wird hier in vielen Momenten klar, dass es immer schwieriger wird, sich mit diesen Verhältnissen zu arrangieren. Eine der Platten des Jahres, die einen wahrscheinlich auch nächstes Jahr noch beschäftigt, weil sie so dedicated und auf verdichtete Weise mit der Gegenwart verzahnt ist.
Mario Lasar

Als ich letztens das Elvis Costello-Interview im Spiegel las, in dem er über seinen Anti-Punk-Song „I don’t want to go to Chelsea“ sagte: “Ich war grundsätzlich wütend und misstrauisch, deshalb hielt ich so gut wie alles für oberflächlich und eine Mode“, musste ich mir seltsamerweise vorstellen, wie Bernd Begemann das Lied auf deutsch singt, und es machte sofort Sinn.

Kurz darauf schaute ich auf I-Tunes, ob die neue Begemann-Platte schon angekündigt war. War sie, und man konnte sogar schon zwei Stücke davon kaufen. Eines hieß „Unoptimiert“. Ich lud es runter und hörte – zu den Klängen eines beschwingt schrägen Jams – Begemann in einer selbst für seine Verhältnisse extrem expressiven somehow dylanesken Sprechgesangsperformance – folgendes vermelden:

„Seit vierzig Jahren knall ich meinen Kopf gegen die Wand, weil ich das Geräusch mag – verklag mich doch! Du hast kein Recht mich zu beurteilen. Du darfst aber reagieren auf mich, wenn du möchtest.“

Dann kam der Titelgebende Ein-Wort-Refrain im Frauenchor – und dann brach das Lied ab, offensichtlich aufgrund eines bis dato noch nie aufgetreten Bugs beim Download.
Es war, als hätte sich die Widerborstigkeit des Selbstportraits noch auf seine Datengestalt übertragen. Als hätte I-Tunes sich an Begemann verschluckt. Und irgendwie machte das Lied auch besonders Sinn in der Snippetlänge, als Vignette oder Einlaufjingle für den Mann, der gekommen ist, um zu nerven, den Kotzbrocken zum Anbeißen, das schöne Biest, das ihr lieben müsst. Aber wie kann jemand sich heute überhaupt noch als Enfant Terrible gerieren, es sind doch alle Regeln des Anstands und des Wohlklangs längst gebrochen, und noch die verbotenste Musik ist doch heute erlaubt.

Und doch gibt es immer noch ungeschriebene Gesetze. Das ehernste hat Diedrich Diederichsen dankenswerter Weise für uns verschriftlicht: „Die Pop-Musik lebt davon, dass junge Spinner, die eigentlich doch noch gar nichts wissen können, auftreten, als wüssten sie alles — und damit durchkommen.“
Bernd Begemann dagegen trat schon als er jung war als jemand an, der alles besser weiß. Was ein scheinbar kleiner, in Wirklichkeit aber entscheidender Unterschied zur angetäuschten Allwissenheit des jugendlichen Popcharismatikers ist: dieser streut mit großer Geste markante aber vieldeutige Parolen oder assoziative Bildgewitter, aus denen sich jeder seins zusammenreimen soll, und entblößt kokett ein paar besonders aufreizende Partien seiner Seele und kreiert so ein Phantasma vom Rest.
Begemann dagegen erklärt uns die Welt von a bis z, zeigt uns mehr von sich, als wir ursprünglich sehen wollten. Das heißt nicht, dass die Sache nicht mysteriös bleibt: Ein komplizierter Charakter, der sich expliziert, gibt immer noch interessantere Rätsel auf, als ein simpler, der sich enigmatisch umwölkt. Gerade die penetrante Präsenz seiner Persönlichkeit erlaubt Begemann aus der Mode gekommene altruzentrische Techniken des Textens (wie die Erzählung in dritter Person, die bei blasseren Erzählern ja leicht etwas pfäffisch-didaktisches oder verholen- voyeurustisches kriegen kann).
Bei ihm funktionieren sie, weil die Figuren nicht einfach prototypische Exempel sind, sondern die unberechenbare Eigenlebendigkeit ihres Erfinders erben. „Die Stählernen Stufen herab“ ist aus der Sicht einer Frau geschrieben, die gerade zum ersten Mal pornographische Fotos von sich hat machen lassen. Die ersten Zeilen lauten: „Und draußen das Gewerbegebiet / Verblüffender Weise ist es immer noch Tag“. Wie unheimlich gut das ist, und wie völlig außergewöhnlich für einen Poptext, dass er einen so ganz anschaulisch und empathisch in die Gefühlswelt eines Protagonisten reinzieht, hier in die mulmige Unordentlichkeit der gefühlten Zeitverschiebung nach einer noch unverarbeiteten Grenzüberschreitung. Die Frau ist im weiteren Verlauf hin- und hergerissen, zwischen sorgenvollen Zweifel („ob er die Bilder wohl ins Netz stellt, und wer sie dann sehen wird“) und einem trotzigen Stolz, vorgetragen im klassichen Begemann-Ton: „Die Trottel um mich rum haben ja noch nicht mal wen gefunden, der sie ausnutzt“. Das starke zentrale Bild des stahlharten Abstiegs will den Übermut zwar Lügen strafen, es behält aber nicht unbedingt recht. Die innere Stimme des Pornomodels und die metaphorische Architektur sind gleich stark und bleiben als Widerspruch bestehen. Nachdem zum letzten Mal die Titelzeile erklingt und man denkt , das Lied ist zuende, kommt noch der Nachklapp: „Da ist noch Tabak im Anorak“. Den muss man nicht, kann man aber deuten als: „manchmal sind stählerne Stufen auch nur stählerne Stufen. Das düster vorahnungsvolle Bild hat nicht das Letzte Wort. Unser Schicksal ist nicht besiegelt.“
In jedem Fall zeigt das Lied, wie gut und aufregend eine vom konkreten individuellen Schicksal ausgehende Ästhetik ein Thema wie den ökonomischen Zwang behandeln kann. Es zeigt, dass politisch zu texten weder heißen muss, Theorieversatzstücke und (halbironisch) Arbeiterkampfpathos einzustreuen, noch Zeitungsartikel zu verifizieren (Antilopen-Gang).

Ich könnte nun noch lange weiterschreiben über das Thema und die anderen 26 ½ Songs der kurzen Liste mit Forderungen, und über die Musik. Allein die allerallerletzte Deadline war vor einer halben Stunde und ich denke ich habe hier, nach Art Begemanns das Allgemeine am Besonderen erläutert.

Nur ein kleiner Hinweis noch. Es ist unbedingt ratsam die ganze Platte zu hören. Einzelne Lieder, aus dem Zusammenhang gerissen, könnten in die Irre führen. So wird der (gar nicht mal so gentle) Gentleman-Sexismus von „deine Schwulen Freunde“ erläuternd konterkariert von Liedern wie „Brauch dich so“, „Jeden Abend sagst du so was“ und „Weil du suchst“, die die allem Mackertum zugrundeliegenden Zerstörtheit, Panik und unsouveräne Bedürftigkeit in einer wirklich schonungslosen und selbstverletzenden Intensität schildert, wie man sie bei politisch korrekten Dichtern wie etwa mir kaum finden wird.
Jens Friebe

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