Record of the week

Róisín Murphy „Hairless Toys“

Cover-RosinMurphy

Roisin Murphy
“Hairless Toys“
(Pias)

Es müsste schon etwas sehr, sehr Merkwürdiges passieren, das dazu führen könnte, dass ich Róisín Marie Murphy anders als mit uneingeschränkter Bewunderung begegne. Etwas vom Kaliber der „Green Pornos“ von Isabella Rossellini vielleicht – andererseits konnten auch diese grotesken Tier-Sexfilmchen meiner generellen Wertschätzung für Rossellini wenig anhaben. Aber Róisín Murphy macht ja sowieso nicht so einen Quatsch, sondern endlich wieder ein neues Album, wobei das Wörtchen „endlich“ die falsche Schublade öffnet. Murphy-Fans drängeln und quengeln nicht rum wie Babies. Man wartet geduldig ab und weiß, dass die Gebieterin schon von sich hören lassen wird, wenn die Zeit gekommen ist.

The Time is now: Zwanzig Jahre nach der ersten Moloko-Platte und acht nach ihrem zweiten Soloalbum „Overpowered“, mit dem sie die heisere Königin aller Dancefloors des Universums hätte werden können, dann aber doch nicht wurde, was auch gut so ist. Denn mit ihrem Status als Künstlerin, die eine Spur zu klug, stilbewusst und sophisticated für DAS GANZ GROSSE DING ist, kann sie alles machen.

Zum Beispiel ein Album wie „Hairless Toys“, das kein direktes Follow-up zu „Overpowered“ geworden ist. Überhaupt nicht. Es gibt zum Beispiel nur zwei „echte“ Dance-Tracks („Exploitation“ und „Evil Eyes“), und auch die sind wegen starker Textlastigkeit und gewagten Beat-Experimenten (okay, bei „Evil Eyes“ geht es recht geradlinig zu) nicht für jeden Club geeignet.

Apropos Club: Mit dem vorab veröffentlichten Song „Gone Fishing“ huldigt Murphy einer untergegangenen Epoche: 1990 drehte Jennie Livingston „Paris Is Burning“, eine Doku über die New Yorker Ballroom-Szene, Murphy wiederum setzt TänzerInnen, FilmemacherInnen und einer längst vergangenen Zeit ein Denkmal. Die anderen Stücke – insgesamt sind es nur acht, diese allerdings alle ziemlich lang – zeugen von Murphys sehr libertären künstlerischen Selbstverständnis, das manche Exzentrik nennen: Sie nimmt sich die Freiheit, mitten im als Pianoballade eingeführten Stück, Tempo und Richtung zu wechseln („House of Glass“), oder ein paar Minütchen selbstvergessen vor sich hin zu sinnieren („Exile“, „Hairless Toys (Gotta Hurt)“). „Hairless Toys“ kommt fast vollständig ohne Hooks und Refrains aus, es ist ein Album der Abschweifung, musikalisch und inhaltlich – man kommt auf die seltsamsten Gedanken und ist dann doch sehr froh darüber, mit der eleganten Róisín Murphy im selben Raum zu sein und nicht mit Isabella Rossellini, die sich als Garnele verkleidet hat.
Christina Mohr

Brian Eno meinte vor einigen Jahren in einem Interview (ich glaube mit der Intro, kriege es aber leider nicht mehr gegoogelt), dass TripHop ein Genre war, das auf seinem Höhepunkt begann und dann rasch verblühte. Über die Gründe dafür sagte er nichts. War es die Fliehkraft des eigenen dekonstruktivistischen Ansatzes, der die Sache sprengte, oder eher die verharmlosende Vereinnahmung durch die poppige Nachbarschaft? Oder beides? Vielleicht bezeichnet bereits das grauenhafte „Under Water Love“ von Smoke City den Punkt, an dem die verstörende Düsterkeit, die Portishead und Tricky in die elektronische Tanzmusik gebracht hatten, vollkommen auf den Hund einer schummrigen Loungegemütlichkeit gekommen war. Zudem ist das Problem einer derart auf Soundinnovation aufbauenden Musik, dass sich ihre Macherinnen gerne verfrickeln und verzetteln. Die letzten bemerkenswertesten Versuche aus dem Kreis der Pioniere, die eigenen Klangexzesse auf der Höhe der ewig rasenden Zeit zu wiederholen – „Third“ von Portishead und „Heligoland“ von Massive Attack – entstanden nach vielsagend epischen Schaffenspausen.

Auch Roisin Murphys neues Album folgt einer achtjährigen Funkstille. In der hat sie aber wohl nicht verzweifelt um Ausdruck gerungen, sondern Kinder gekriegt und nebenher etwas rumgedaddelt. Mit der resultierenden Tiefenentspannung meldet sie sich nun fulminant zurück mit der besten TripHop-Platte nach TripHop. Ich will mich übrigens nicht um die Genrebezeichnung streiten, vielleicht ist es streng genommen gar kein TripHop. Es ist jedenfalls das erste Ihrer Soloalben, das an den Geist der Strömung, dessen Teil sie – als die eine Hälfte von Moloko – war, anschließt. Und es ist die seit langem schönste Umsetzung einer Idee von Tanzmusik, die zu interessant ist, um dazu nur zu tanzen beiehungsweise von Kunstmusik, die zu funky ist, um zu nerven. Alles klingt extrem warm und toll und groß. Murphy und ihr Produzent sind, wie man hört, verliebt. Wohl auch ineinander, in jedem Fall aber in die Details ihrer Produktion: Kleine Gitarrensoli, überlaute Synth-Hits, irrlichternde elektronische Klavierläufe, sie alle sind die eigentlichen Stars auf „Hairless Toys“. Dazwischen gibt es minimalelektronische Passagen und natürlich die dezent einprägsamen Melodien Murphys. Diese formen sich selten zu „richtigen“ sprich lagerfeuerfähigen Songs. Stattdessen fasern sie aus oder brechen ab, in manchen Liedern gibt es so etwas wie Binnenlieder – in „Unputdownable“ werden zwei ganz disparate, unterschiedlich schnelle Formteile miteinander abgewechselt (in milder Form bekannt von „We can work it out“ von den Beatles, in krasser von „Plastic Palace People“ von Scott Walker). Nichts ist stabil in den Liedern, zum Glück auch nicht die Atmosphäre, denn nichts ist ja ärgerlicher bei Musik wie dieser, als wenn sie einen mit Gewalt in eine zu geschlossene Welt, am besten in eine sphärische Dauerverstrahltheit reinparfümieren will. Auf „Hairless Toys“ paradieren die Attraktionen an einem vorbei, nehmen einen gefangen, lassen einen aber auch wieder frei. Und auch die wildesten Wendungen wirken nie aufgesetzt verrückt. Man fragt so wenig „was soll das denn jetzt“ wie bei Windstößen oder Wellen. Man lauscht den Tönen wie Vögeln in einem fremden Land. Wer sich Zeit nimmt für diese Album, dem bleibt sie zum Dank stehen.
Jens Friebe

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