Record of the Week

Xiu Xiu “Forget”

Cover_XiuXiuXiu Xiu
“Forget”
(Altin Village & Mine)

F is for Flaunt
O is for Or Not!
R is for Ribaldry
G is for Ghoul Grease
E is for Extra Long Lashes!
T is for Tick Tock you lazy fuck!
(Xiu Xiu buchstabieren FORGET)

Da dachte man, dass das Schwierigste überstanden wäre (Winter, Februar, Karnevalszeit), da kommt Jamie Stewart vorbei und legt wie beiläufig ein zart hellblau-rosa verpacktes Album auf den Tisch. „Wir vergessen“ bedeutet die schön geschwungene Kalligraphie auf dem Cover, „Forget“ heißt die neue Platte von Xiu Xiu, die mal wieder klarmacht, dass es wenig Gründe für unbeschwerte Freude auf den Frühling gibt.

„Clap, bitches!“, fordert eine raue Stimme unerbittlich in „The Call“: „denounce yourself / and walk the street / A private and boring dream / don’t ask yourself if it isn’t true / And wet your everything with cream / Kill the hippies, kill yourself / How you would but, never why“ – schon erstaunlich, wie Stewart in ein paar Zeilen das ganze Elend des Daseins umreißen kann.
Erstaunlich auch, dass er und seine Xiu Xiu-Kollaborateurinnen Shayna Dunkelman, Tanisha Hall, Angela Seo und die anderen in den vergangenen Monaten überhaupt noch Zeit gefunden haben, ein so starkes Album aufzunehmen: In 2016 führten Xiu Xiu mehrfach “The Music of Twin Peaks” auf, waren mit Merzbow im Studio und und und.

„Forget“ ist Xiu Xiu in Reinkultur, also depressiv, destruktiv, selbst-denunziatorisch – aber auch: eingängig und im Fall von „Wondering“ sogar clubmäßig tanzbar. Wobei das Album in zwei Hälften zerfällt: Die ersten fünf Tracks sind geradezu poppig, schwelgen in Pathos und Erlösungsphantasien („Get Up“), Jamie Stewarts Stimme birst beinah in vibrierendem Tremolo.


Ab „Jenny Gogo“ werden die Strukturen brüchig, Monster und Wahnsinn blitzen durch die Risse. „At Last, At Last“ ist so ein fragiles Schauerstück: „Oh sorry you had to see it / Born dead / It has to be this way…“, auch der pompöse Titelsong kratzt genüsslich in alten und neuen Wunden. „Petite“ gibt vor, eine zarte Akustikballade zu sein, mit Streichern und Gitarren, ist aber so düster wie ein Bergwerkstunnel. Der letzte Track mit Gastvocals von Jamie Stewarts Lieblingskünstlerin Vaginal Davis ist ein monologischer Abgesang auf alles:

„It doesn’t matter what you think / Do anything you like / Because I was born dead / And I was born to die“.

„Forget“ ist ein schwarzes Loch, in das Xiu Xiu die abgefallenen Splitter einer Discokugel geworfen haben – und den tröstlichen Gedanken, dass über uns alle bald der Schleier des Vergessens fällt.
Christina Mohr

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