Record of the week

Zugezogen Maskulin “Alles brennt”

Ein einziges Album und ein ganzes Panorama an Einschätzungen. Gehuldigt sei dem zänkischen Irren mit Namen: Meinungspluralismus.
Kaput geht mit ihm zusammen hinter die Büsche – und lässt jede Woche eine Platte von mehreren Autoren besprechen. Diesmal Thomas Venker, Martin Riemann, Jens Friebe und Linus Volkmann über: “Alles brennt” von Zugezogen Maskulin.

 

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Zugezogen Maskulin
„Alles brennt“
Buback

Der rechtschaffene deutsche HipHop ist zurück. Zum Glück? Zum Glück. Nach seiner frühen Blüte gegen Ende des kalten Krieges wurde er vom Spaßrap gefressen, den seinerseits der Gangsta-Rap vernichtete. Dieser herrscht seit Beginn unseres jungen dunklen Jahrtausends gewaltsam und uneingeschränkt. Doch seine Allmacht bröckelt. Caspers kleinbürgerlichen Indie-Rap und die versifizierten Jungle-World-Artikel der Antilopen Gang konnte man vielleicht noch als genrefremde Sonderfälle abtun, mit „Alles Brennt“ steht aber nun unbestreitbar die Möglichkeit einer medienwirksamen Widervereinigung von Humanismus und HipHop im Raum. Natürlich sind Zugezogen Maskulin ihren alten Ahnen kaum vergleichbar. So unschuldig und ernsthaft wie Cora E und Advanced Chemistry kann man es heute nicht mehr bringen. Der Revolutionär im Haifischbecken HipHop muss wehrhaft sein, sonst geht es ihm wie im echten Leben Salvator Allende. So haben ZM von den Gangstern neben überbietungslogisch verbesserten Skills und Beats auch Drastik und Härte gelernt. Nur geht die Härte hier eben nicht gegen Schwache, Schwule und Frauen, sondern zur Abwechslung mal wieder gegen das Schweinesystem. Und das bei Gott (oder Gramsci) nicht ununterfüttert. Aktivistenwissen scheint auf, wenn von der „Operation Kondor“ die Rede ist, und auch Kenntnis der Klassiker wird unauffällig gedropped: „Die Kritik des Hipsters kann den Hipster der Kritik nicht ersetzen“ (bei Marx: „Die Waffe der Kritik kann …“ u.s.w.). Dass das alles nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht ist, steht schon überall – denn die Platte ist ja journalistisch gesehen bereits „alt“. Ich möchte daher den allgemeinen Teil abschließen und nur noch gesondert auf zwei Songs eingehen, die mich  zu konstruktiven Einwänden angestiftet haben.
„Agenturensohn“… das Obligatorische Lied zur Gentrifizierung portraitiert die Haltung ihrer titelgebende Agenten unter anderem wie folgt:  „Wir tanzen durch deinen Kiez / wie deine Eltern durch den Zoo / Guck mal, wie der Penner kotzt / Instagram-Foto“ … „Völlige Extase, alle spritzen ab / Als beim Bumfight der Blähbauch eines Obdachlosen platzt / hey!“ Dass ZM hier sehr scharf schießen, ist natürlich Teil des Spiels. Das Problem ist: sie verfehlen das Ziel. Was die behüteten Söhne (von den Töchtern ist in dem Zusammenhang seltsamer Weise immer erst die Rede, wenn sie Mütter sind) in die schlechten Gegenden treibt, ist natürlich nicht sadistische Schaulust, sondern der Hass auf die Welt, aus der sie kommen. Sie wollen raus aus der leisen Strenge ihrer weißen Elternhäuser und phantasieren sich als Teil eines fetzigen Tumults – als Tagediebe, auf Du und Du mit leichten Mädchen und Landstreichern, umspült von orientalisch-mediterraner Lebensart. Dass dieser Versuch scheitern muss, weil ja seinesgleichen ihm überallhin folgen oder schon vorher da sind. Außerdem sind sie selbst natürlich Kraft ihres kulturellen Erbguts – ihrer Spießigkeitsentelechie sozusagen – bald die, die sie nie werden wollten – und werden jeden Ort, an den sie kommen, in die Hölle verwandeln, aus der sie flohen. Das ist die andere schreckliche Wahrheit.
Dann noch „Guccibauch“… In diesem Lied schildern ZM phantastisch zugespitzt ihre Dekadenz nach dem plötzlichen Ruhm und deren Clash mit ihrer linken Überzeugung. All das verdichtet sich in der Hookline: „Beamer, Benz und Bentley / Lenin, Marx und Engels.“ Dazwischen schneiden ZM immer wieder leicht großspurige O-Töne aus Interviews mit ihrem eigenen Boss, dem Malerfürsten und Buback-Betreiber Daniel Richter. Das ist natürlich lustig und frech. Es ist aber auch deshalb bemerkenswert, weil eine andere Buback-Band, die Goldenen Zitronen, die Technik des offen verhandelten Selbstwiderspruchs schon vor Jahren mit dem Lied „Der Bürgermeister“ auf die Spitze getrieben haben, in dem Schorsch Kamerun sich selbst sinngemäß als Nutte des elitären Theaterbetriebs anschrie. Worauf ich hinaus will, ist: Mit einigem Abstand bin ich von dieser Technik nicht mehr so überzeugt. Hat nicht das, was so mutig und ehrlich scheint, in Wahrheit die Funktion einer strafbefreienden Selbstanzeige? Wäre es nicht viel nobler, sich selbst weiter als moralische Instanz aufzuspielen und die Demontage den Feinden zu überlassen? Oder – noch ein Zacken schärfer – den herausposaunten Anspruch als Ansporn zu nehmen, und ihm in der Schlüssigkeit des Lebensentwurfs nachzueifern? Wie? Was höre ich? Ich hätte in meinem Lied  „Hölle oder Hölle“ doch genau das gleiche gemacht? Und das wäre ja wohl auch wieder ein Widerspruch? Ja, gut, aber ich habe ihn, in dieser Sekunde grade, ja selbst in meinen Text mit reingenommen. Ätsch.
Jens Friebe

Das beliebte Opfer im Deutsch-Rap ist gleichzeitig sein bester Kunde: Der kleine deutsche Teenie. Er ist nicht hart, trägt Pickel statt Schusswunden, er ist nicht ghetto, hat keine krasse Gang, er ist eben das Opfer in der Nahrungskette der rasselnden Säbeln und Knarren. Bushido verhöhnt ihn, obwohl der und seinesgleichen ihm die Garage vollmachen. Halt eben mit Autos und nicht mit hässlichen Tags. Wer von den deutschen Kiddies stumpf genug ist, kommt da schnell als Hero auf … Fler. Der hat sich die Kartoffel zur Zielgruppe erkoren. Kartoffel? So lautet das diffamierende Äquivalent zu Kanake oder Schwarzkopf oder Spaghetti – nur eben für alle hier ohne Migrationshintergrund. Bei Fler driftet das schnell ab. Aus dem Opfer wird der typisch deutsche Opfermythos. Fremd im eigenen Land. Man kann nicht mehr man selbst sein. Die Grenzen zu sowas wie PEGIDA sind an der Stelle fließend. Fler für die Rettung des Abendlandes zu halten, dafür sind aber all jene Gymnasiasten-Jüngelchen, die nur bisschen Ehre haben, nicht doof genug. Für sie gibt es dann natürlich – wenn es nicht so empfindlich wie Casper sein soll – noch K.I.Z. Schlau, extrem und witzig. Aber vielleicht ein bisschen zu ironisch. Man will sich doch auch wiederfinden in den Texten, man will nicht ständig, dass alles dann gar nicht so gemeint ist. Zwischen diesen beiden Seiten des Regenbogens (K.I.Z. und Fler) parken der Kombi von Prinz Pi und noch so einige andere ärgerliche Hindernisse. Schön daher, dass Zugezogen Maskulin mit ihrem Album „Alles brennt“ sehr trennscharf ihre Mischung aus politisch belecktem Reihenhaus-Nerd-Rap und amtlicher Fick-dich-Attitüde in den Markt ballern. Gute Geschichten und großes Maul – darin sind die beiden Typen gut und die Skills scheißen sich auch nix. Dennoch, ich kann mir nicht helfen, nervt dieser wahnsinnig clevere Gestus. Zugezogen Maskulin kennen Ernst Jünger, inszenieren sich als fatalistische Konsumkids, als Melancholiker, als battle-proof und sind einfach hart damit beschäftigt, auf jedem Terrain unangreifbar rüberzukommen. Vielleicht macht gerade das diese Platte so wahnsinnig anstrengend. Klar, im Game geht es darum, „etwas zu beweisen“. Aber eben deshalb wirkt die Platte auch so, als hätte sich der Simpsons-Streber Martin Prince die zerrissene Jeansjacke von dem Oberbully Nelson Muntz übergezogen. Ein passendes Bild aber nicht unbedingt ein angenehmes. Zugezogen Maskulin mögen den Hype, ja, den Konsens des Quartals darstellen, ich bescheide ihnen allerdings noch keinen Platz in der ersten Liga. Selbst wenn das dieser Tage anders aussehen mag.
Linus Volkmann

„Ihr seid keine Fans / wir sind deine Gang!“ Wow, so fix gehörte man selten dazu. Meinen die mich? Das Album hat gerade erst angefangen und schon wird man mit charmanter Schnappatmung in Geiselhaft genommen. Oder gilt das in Kreuzberg als freundliche Einladung? Egal, Zugezogen Maskulin suchen Mittäter, keine Gefolgsleute. „Alles brennt“ der Opener und Titelsong stellt das klar, umreißt Stil und Haltung deiner potenziellen neuen Posse und bereitet einen auf ein Schaumbad aus Gebrüll, klappernden Trap-Beats, fernöstlichen Hooklines und pointierten Beleidigungen vor. Danach hagelt es Arschtritte. ZM nehmen Rache wie der Graf von Monte Christo nach 15 Jahren Kerkerhaft. Doch statt wie viele ihrer Kollegen dabei mit jammernden Ressentiments zu nerven oder das Übel bei den „Bösen“ zu suchen, hänseln Testo und Grim104 lieber die ganze Zeit ihre potentielle Kundschaft, wie HipHop-Traditionalisten, pseudo-ironische Berufstätowierte, Berghainbesucher, Fahnenschwenker oder die bürgerlichen Adepten des Chic Pauvre. Die beiden Rapper operieren dabei wie zwei tollwütige Gehirnhälften, die eine Seite klopft dich mit juveniler Respektlosigkeit weich, die andere lässt dich mit halsbrecherischen Volten wie ein Idiot dastehen. Das macht Spaß und tut dem ein oder anderen vielleicht sogar weh. Sicher ist es einfach, sie wegen dieser Mischung aus erlesenen Unverschämtheiten und Traditionsverweigerung irgendwo zwischen K.I.Z. und Deichkind einzuordnen (gerade Refrains wie der zu „Endlich wieder Krieg“ legen das nahe). Doch warum da aufhören? „Alles brennt“ hat zwar ein paar verzeihliche Ausbrüche in Richtung Schwammigkeit, doch platzieren ZM in seinem Verlauf genug zuverlässig rauschhaft pumpende Anker, die neben dem ganzen unterhaltsamen Content auch noch dein Stammhirn abholen. Genau, man kann gut dazu tanzen! Mit ihren potentesten Tracks brauchen sich die beiden japsenden Rapper insofern auch nicht hinter ähnlich wahnwitzigen Acts aus Übersee, wie zum Beispiel Run The Jewels zu verstecken. Ich rede noch kurz mit meinem Anwalt, dann bin ich dabei.
Martin Riemann

Was man an Busta Rhymes immer so liebte, war diese stolpernde Zunge, mit der er über seine düster rollenden Beats rappte. Der Mann hatte ein Tempo, das ihm selbst manchmal nicht ganz geheuer zu sein schien – und genau dieser Moment der Selbstüberraschung hatte Charme. Nun rappen Zugezogen Maskulin keineswegs so rasant wie Busta, und auch ihr Sound brodelt nicht so tief und böse. Aber die Art, wie sie gleich im titelstiftenden Stück „Alles brennt“ Sounds und Raps so vehement gegeneinander krachen lassen, dass sie selbst stutzen müssen, das erinnert mich an dessen euphorisierenden Eigenbluttrick. Da lässt man sich gerne mitreißen. Zumal Testo und Grim104 auch textlich eine vielversprechend selbstbewusste und doch nicht arrogante Ansprache gelingt: „Warum seid ihr so angespannt? Wir haben doch gerade erst angefangen?“ Oder auch: „Ihr wollt HipHop so wie er früher war? Das ist nicht euer Ernst?“ Damit man auf letzteren Gedanken gar nicht erst kommt, kontrastieren sie die wilde Überladung mit angenehm minimalistischen Momenten, in denen die Beats dekonstruiert werden, bis nur noch ein nacktes Gerüst vorhanden ist, um das minimal-asiatische Electronica-Klänge, die an Fatima Al Quadiri erinnern, tänzeln. Überhaupt steht es Zugezogen Maskulin gut, wenn sie bei der Produktion mal weniger mehr sein lassen und etwas trockener und luftiger agieren – es kommt ihrem an Kindergarten Productions erinnerenden Humor und der textlichen Schärfe zugute. Weniger schön hingen ein Stück wie “Plattenbau O.S.T.”, das so honigsüß auf Zeitgeist produziert und geglättet wurde, dass man es sich auch sofort in einer dieser auf individualistisch machenden Werbungen vorstellen könnte, gegen die Zugezogen Maskulin doch sonst ihren Sarkasmus platzieren. Dann klingen sie auch wieder nur nach für die nächste Großraumdisco an der Autobahnabfahrt produzierten Trap. Dass sie da nicht hingehören, davon zeugen der Großteil der Tracks und Texte auf “Alles brennt”, in denen sie Zielgruppendenke, Hipstertum und Marketingmania genauso eine mitgeben wie der neuen deutschen Hegemonialdenke und der wieder angeworfenen Kriegsmaschinerie.
„Ihr seid keine Fans / wir sind deine Gang“, verkünden Zugezogen Maskulin auf “Alles brennt” – im Großen und Ganzen kein schlechter Gedanke.
Thomas Venker

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