Linus Volkmann

Was ist das für 1 Sparkasse? Der Spaß ist vorbei

9. September 2016,

Das Leben eines Gags beruht auf einem Paradox. Seine Grundvoraussetzung stellt einzig seine Verbreitung dar, er kann nur (weiter)leben, wenn er (weiter)erzählt wird. Doch gelingt es ihm dann, sich dermaßen auszudehnen, dass keine Gefahr mehr besteht, einfach so wieder zu verschwinden, dann verliert er seinen Witz. 1 Jammer. Mit der neuen digitalen Kampagne für die Sparkasse hat es nun die “1”, “Gönn Dir”, “vong” und andere Humor-Shooting-Stars. Gut informierte Dämonen ohne Ehre von Agenturen haben das anarchische Ottografie-Phänomen jetzt werblich gemacht. Linus Volkmann wirft 1 paar Worte in den offenen Sarg.

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Die Algorithmen der großen Social-Media-Seiten haben das Internet Stück für Stück zu einer Art Speakers Corner für Comedians (Profis wie Amateure) werden lassen. Nichts verbreitet sich nachhaltiger und schneller als ein lustiges Meme oder eine mediengerecht aufbereitete Pointe. Da diese Humorproduktion eine derartige Kraft besitzt, besitzt sie mittlerweile die Möglichkeit, selbst spleenige Insiderwitze auf die nächsten Level der Wahrnehmung zu bringen. So zog auch die vor einem Jahr noch als fehlerhaftes Unbill bestaunte Praxis, in Fließtexten statt des Worts „ein“ eine 1 zu schreiben, zuletzt immer weitere Kreise. Was einst durch Money Boys Twitter-Account bekannt wurde, nahm Fahrt auf, erweitert und befeuert durch angedockte Slogans wie zum Beispiel „Was ist das für 1 Life?“.

Für die Checker der ersten Tage dürfte damit durchaus neben Genugtuung auch ein gewisser Identitätsverlust einhergehen. Denn wenn alle falsch schreiben, schreiben ja quasi alle wieder richtig. Distinktion im Verwenden eines völlig in die Breit gegangenen Gag-Prinzips zu finden? Das ist in dem Fall bald nicht mehr möglich. Nun, das mag per se ja auch gar nicht schlimm sein. Denn das Humor eine Halbwertszeit besitzt, stand schon immer außer Frage. Und Manta-Witze waren definitiv nicht mehr lustig – so sie es je gewesen sein sollten –, nachdem zeitgleich zwei (!) deutsche Filme (!!) dazu in die Kinos (!!!) kamen.

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Die virale Realität dient nun allerdings als hyperaktiver Katalysator für solche Prozesse. Die lustvoll verstörende Kommentierungs-Praxis in demolierter Rechtschreibung und die 1 schwirren seit letztem Jahr durch die sozialen Netzwerke. Angelehnt sahen sie sich an (unabsichtliche) Falschschreibung vornehmlich bei den Profilen der hiesigem Rap-Größen. Einige von jenen besitzen dabei einfach bloß keinen bildungsbürgerlichen oder muttersprachlichen Hintergrund – und produzieren deshalb Fehler. Ein Umstand, der dieser spaßigen Übernahme so zu schreiben, immer auch den Vorwurf einbrachte, hier handle es sich doch möglicherweise um elitären Klassismus. Also die ganzen Abi-Deutschen ahmen migrantisches Rechtschreibung nach, die halt nicht auf Deutsch-Leistungskurs basiert. Andererseits kann man die Fehler-Orgie aber auch als Selbstermächtigung gegen Korrektheits-Wahn verstehen, als spielerischen Umgang mit Sprache, als Möglichkeit, einen eigenen Code zu entwickeln. Und – wenn man es so will – auch als Punk.

Doch wie bereits eingangs erwähnt, nun ist der Code geknackt. Die Sache gehört nicht mehr seinen Erfindern und seinen Weiterspinnern. Sie gehört jetzt Werbern und Agenturen, die den Ruch des Coolen nutzen, um so die Marken ihrer Auftraggeber oder irgendwelche Produkte positiv beziehungsweise “frech” aufzuladen.

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Wer hat an der Uhr gedreht? Am effektivsten sicherlich die erfolgreichen Patienten vong der Sparkassen-PR. Die Halbwertszeit der ganzen Story tickt zumindest noch einmal deutlich schneller runter als ohnehin schon. Aber warum eigentlich nicht? Ist die Kampagne nicht „mutig“. Immerhin mit #dicksout für eine Bank zu werben, hat das nicht auch was Gutes? Der Macher hinter der Facebook-Seite „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“ besitzt dazu eine sehr eindeutige Meinung. Zum ersten Mal äußert er sich (abseits seiner üblichen Poesie-Slogans in defekter Rollenprosa).

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Abgrenzung muss Programm bleiben. Es wird immer wieder so kommen, dass unterhaltsam nerdige Ideen zweckentfremdet werden. Das ist der Kreislauf des (kapitalistischen) Lebens. Was man sich allerdings sparen sollte, ist, die feindlichen Übernahmen auch noch zu beklatschen. Sparkassentrottel, ihr könnt die 1 haben, aber uns kriegt ihr nicht (#ehkeingeld, #commerzbank).

Die Zukunft fürs genannte Phänomen scheint jetzt einigermaßen düster: Die Übergangsphase bis der Orthographiesalat und die 1 nun wirklich out sind, wird zumindest noch mal einige Zeit lang quälend. Ständig die Frage auch an sich selbst: Kann man das jetzt noch bringen vong Fun her, oder nicht mehr? Danke Merkel!

Man würde sich fast folgendes Schreckensszenario wünschen: Die AfD verwendet die 1 auf einem Wahlplakat. Das zumindest würde circa ein Jahr Agonie sparen.

„Was ist das für 1 Flüchtlingschaos vong Deutschland GmbH her? Wehlt ADf!“

Denn ab dann müsste man keine Lesart der Nummer mehr aushandeln, ab dann wäre klar: Es ist vorbei. So allerdings kann man nur dem Zerfallsprozess zuschauen – und vielleicht macht es ja trotzdem noch bisschen Spaß, bis es zersetzt ist.

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