Pop Rocky 1997

Coco Jambo, Kiffen, Kelly Family – Wir haben uns eine Popzeitschrift von vor 20 Jahren angesehen

Die Neunziger sind wieder da. Ja, ja, das sagt sich so leicht dahin. Aber stimmt es überhaupt? Linus Volkmann hat sich in seinen ganz persönlichen DeLorean gesetzt und nachgeschaut. Was soviel heißt, als dass er in das Archiv der pubertären Fachzeitschrift PopRocky abgetaucht ist. Die am meisten funkelnden beziehungsweise die abstrusesten Perlen seien hier nun vorgestellt. Wie sah das Jahr 1997 wirklich aus und wie können wir ein Comeback dieser ganzen Epoche verhindern?

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Egal, was man gegen die Fantastischen Vier hat, es scheint nicht zu wirken. Sie halten sich zumindest gefühlt seit Kriegsende in der deutschsprachigen Popkulturpubertät – und fehlen so auch nicht Ende der Neunziger in dem zu betrachtenden Fachblatt. Thomas D. trug damals noch den dämlichen Titel „Hausmeister“. Obwohl man fairerweise sagen muss: Sein bis heute genutztes Pseudonym „Reflektor Falke“ stellt nun auch nicht gerade den Gipfel der Zurechnungsfähigkeit dar. Viel spannender ohnehin die Bildbeschreibung: „Selbstgebastelte Palmenblatt-Kopfbedeckung“? Da es sich sichtbar um eine Dornenkrone aus Marihuana handelt, stellt sich die Frage, ob bei PopRocky 1997 entweder die letzten Ahnungslosen oder die dreistesten Lügner in der Redaktion saßen. Falls jemand jemand kennt, der damals in charge war: Bitte verpfeifen!

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Eine betont knackfrische Eigenwerbung für den damals noch im sichtbaren Bereich operierenden Sender MTV… Faszinierend daran aus dem Blick von heute, also 20 Jahren später, dass es auf den ersten Blick aussieht wie das Billing eines x-beliebigen aktuellen Festivals. Willkommen auf der Hauptbühne bei Rock Am Ring.

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Das Sexleben von Scooters H.P. Baxxter erinnert einen immer irgendwie an das seiner Eltern. Erklärung: Man möchte auf keinen Fall irgendwas darüber wissen. Die Redakteure der PopRocky 1997 scheinen dagegen ziemlich schmerzfrei und konfrontieren die Sauf-Elektro-Pioniere mit der kinky Frage danach, was der ungewöhnlichste Ort gewesen sein, an dem sie jemals Sex gehabt haben. Ehrensache, dass sich H.P. auch für diese Nummer nicht zu fein war. Seine Antwort ist dabei gar nicht mal so kinky, allerdings gewinnt sie sehr, wenn man sie sich im Kopf im gebrüllten Duktus eines Scooter-Songs durchliest: „HEY, DAS IST ABER EINE HEISSE FRAGE… ICH LIEBE UNGEWÖHNLICHE PLÄTZE, IMMER NUR IM BETT IST AUF DAUER ZIEMLICH LANGWEILIG!“

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Tja, ein unkaputtbares Thema für die Ewigkeit: Wie kann ich mit dem grottigen, verpickelten Stallburschen, der Frei.Wild (beziehungsweise damals vermutlich Onkelz) hört, rummachen, ohne dass mein Fame darunter leidet?

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Zwei Bemerkungen hierzu: Damals schrieb man noch Dämliches wie „angesagte D.J. Dame“, wenn halt auch mal eine Frau auflegte. Zudem wirkt das Zitat von ihr nicht wie protokolliert, sondern wie halb lustig im Schlusslayout drunter fabuliert – weil man irgendein eingekauftes Agentur-Foto schnell noch betexten musste. Fazit: Der Job des Musikjournalisten hat sich in den letzten 20 Jahren also kaum verändert.

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Wer tatsächlich glaubt, mit Joris, Helene Fischer, Mike Singer oder ähnlichem Quark wäre in der Jetztzeit der absolute Tiefpunkt der Charts-Kultur erreicht, der hat wohl 1997 schon wieder vergessen. Die Bestenlisten stellen eine wirklich hirnvereisende Eselei aus. Oder erinnert sich wirklich wer, ohne sich ein bisschen in den Mund zu kotzen, an „Coco Jambo“ von Mr. President, an „Lemon Tree“ von Fool’s Garden (Das waren damals die Revolverheld in uncool – muss man sich mal vorstellen!), an „Macarena“ von Los Del Rio, an „Drill Instructor“ von Captain Jack, an „Maffay 96“ oder natürlich auch an den debilen Deppen-Hit schlechthin: „Hier kommt die Maus“ von Stefan Raab? Also kann man beruhigt sagen, wenn man sich wieder vor dem aktuellen Status Quo ekelt: Die deutschen Charts sind einfach schon immer eine Geisterbahn.

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Nils Bokelberg lebt bis heute auch irgendwie von seinem VIVA-Moderatoren-Ruhm. Doch bereits damals wusste er die Zitronen zu quetschen, so brachte er seine mit Verlaub leicht honkige und komplett unfertige Band Fritten & Bier immer wieder ins Gespräch – und bei VIVA deren Videos auch in die Rotation. Trotzdem nicht wirklich von Erfolg gekrönt, beweist der Titel ihres Albums allerdings, dass die Bokelband einen frühen Vorläufer der Orthographie-Fail-Webseite „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder” darstellte. Der lautete nämlich: “Eine Kasse Taffee und Bein Rötchen in Full Plusquameffekt”. Mir persönlich ist besonders ein debiler Ohrwurm komplett schreibgeschützt auf die Festplatte gebrannt: “Meine Eltern sind in Afrika”

 

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So nah liegen Freud und Leid beieinander. Es gab einen Kelly-Family-Starschnitt in Lebensgröße! Doch dann mit der Hose auf halb acht bemerkte der entzündete Fan, in diesem Heft findet er nur die Knie und Gewänder von … – ich muss raten – Genoveva und Rasputin Kelly ganz rechts außen. Also wer darauf masturbieren konnte, der war wirklich Fan!

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Die Kelly Family aus Fimo oder ähnlicher Hippie-Heilerde nachbasteln. Ist das jetzt eher #Fanliebe oder doch mehr die Richtung #Serienkiller? Entscheidet selbst!

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Apropos Kelly Family… Und vor allem auch Apropos Deutschland das Land der Dichter und Denker. Auf den PopRocky-Mitmachseiten (warum wurde Social Media eigentlich nicht noch früher erfunden?) schreiben Anhänger unter anderem Gedichte für die haarigen Folk-Ferkelchen. „So unerforscht und rein / ich möchte ständig bei dir sein“. Schade, dass keine Adressen bei dieser Lyrik dabei stehen. Man würde den oder die Verfasserin ja zu gern heute erpressen (oder aufreißen – je nach dem, wie man selbst halt so drauf ist).

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Die PopRocky besaß wirklich Visionen – zumindest hinsichtlich von Trash. Hier sieht man ganz links bereits einen Dämonen mit vollem Haar, der erst fünf Jahre später zu medialer Bekanntheit gelangen sollte: Thomas Stein. Mitglied der ersten Jury von „Deutschland sucht den Superstar“. Er war zu seiner TV-Zeit so eine Art Hellmuth Karasek für Schulabbrecher und bewies eindrucksvoll, dass man auch ohne Charme oder eine angenehme Persönlichkeit im Unterhaltungsfernsehen Karriere machen kann.

 

 

 

 

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„Über Nacht zum Megastar“ Tja, wer erinnert sich nicht gern an ihn? Entschuldigung, wer bitte war das noch mal? Der Sänger des Stücks „Spaceman“! Sorry, es klingelt immer noch nichts… Der Titel “Megastar” war in den 90er Jahren auch nicht mehr wert als ein feuchter Händedruck von Thomas Stein.

 

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Kniet nieder vor GTA und dem neuen Zelda-Teil. Denn so duster sah die Games-Welt vor 20 Jahren noch aus. Die Spielebesprechungs-Spalte der PopRocky bringt es an den Tag. Man musste in klotzigster Pixelgraphik zudem etwas spielen, das nach dem SPD-Senator und Werder-Bremen-Manager Willi Lemke benannt war? Diese Zeitmaschine kann der Weltgeist behalten.

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Nicht als Werbung gekennzeichnete Anzeigen verstoßen gegen das Pressegesetz. Auf der Vermischtes-Seite nahm man es damit bei der PopRocky 1997 allerdings nicht so genau. Als News gekennzeichnet findet sich hier Werbung für einen LBS-Bausparvertrag. Okay, das ist schon nieder genug, aber warum musste der arme Junge den Versicherungs-Heini denn auch gleich noch heiraten?

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Ach ja. Popkultur vergangener Zeiten ist natürlich auch Kinokultur. Wer von uns denkt nicht gern zurück, als er sich damals den Super-Streifen „Ein Schwein“ reingezogen hat? War das nicht auch ein Film, in dem Til Schweiger die Hauptrolle besaß? Meine, mich zu erinnern…

 

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Eine Modestrecke mit realexistierende Looks und Klamotten der 90er. Die haarige Karo-Hemden-Apokalypse im Sparkassen-Azubi-Style scheint nie näher gewesen zu sein. Ein Wunder, dass das Millenium trotz dieser Street Wear überhaupt erreicht werden konnte. Selbstentzündung statt 90er-Revival!

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