A Tribe Called Knarf

Aliens, Politik, Anti-authentische Liebeskonzepte und Diskurs

Knarf_SchiebtAbEs ist tatsächlich schon neun Jahre her, als das letzte gemeinsame Album von Knarf Rellöm, DJ Patex und Viktor Marek erschien. Damals nannten sie sich Knarf Rellöm Trinity, davor u.a. Knarf Rellöm With The Shi Sha Shellöm, Knarf Rellöm ISM und noch tausendmal anders. In 2015 firmieren die Drei als A Tribe Called Knarf, Verbeugung vor A Tribe Called Quest, klar. Dem Knarf-Tribe geht es weniger um Hiphop als Genre, mehr um den Hang zum Rumspielen, zur Veränderung, zum großen und kleinen Experiment in Sound und Style, wofür auch ATCQ standen. „Es ist die Wahrheit, obwohl es nie passierte“ (Staatsakt) bringt alles unter, was Knarf, Patex und Marek seit jeher umtreibt: Aliens, Politik, Anti-authentische Liebeskonzepte, Zitate, Zwischenfragen, Stör- und Hörspielelemente, Space-Funk, dicker Bass, Groove, Disco und Diskurs. Superplatte, falls mich jemand fragt.

Knarf Rellöm habe ich 2006 schon mal interviewt, als „Move Your Ass & Your Mind Will Follow“ rausgekommen war. Getroffen hatten wir uns in einem Frankfurter Kino, wo er und seine alte Band Huah! im Rahmenprogramm eines Filmfestivals aufgetreten waren. Auch damals ging es unter vielem anderen um Aliens und Authentizität. Wir können also quasi an alte Zeiten anknüpfen, diesmal ist es allerdings ein bewegtes Gespräch: Während wir telefonieren, schiebt Knarf sein Fahrrad durch Altona, um die kleine Tochter vom Kindergarten abzuholen. Die erschwerten Bedingungen haben keinerlei Einfluss auf seine Auskunftsfreude.

 

Fun Fact: A Tribe Called Knarf bezeichnen ihren Stil als Kapitalistischen Realismus in direktem Bezug auf den von Sighard Neckel geprägten Begriff. Ich erzähle Knarf, dass das entsprechende Buch zufälligerweise in dem Verlag erschienen ist, in dem ich lohnarbeite. Er verspricht, das Buch zu lesen.
Sag mir bitte was zum Albumtitel.
Es geht um die Freiheit der Kunst: Als 1901 Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“ erschienen war, beklagten sich einige Bremer Kaufmannsfamilien, dass sie von Mann verunglimpft worden wären – sie nahmen die Handlung des Romans völlig ernst, begriffen sie als Realität. Der Roman wurde zu einer Wahrheit, obwohl das Buch klar erkennbar ein fiktives Werk ist. Und so arbeiten ja alle Künstler: Sie stellen eine Realität her, die es eigentlich nicht gibt.
Apropos Thomas Mann: Ich bin jetzt 53, aber ich will kein „Altersschriftsteller“ sein. Ich habe immer den Wunsch, dass was passieren muss – alles andere wäre Stagnation. Kennst du den Song „I’m Dead but I don’t know it“ von Randy Newman?
Nein, leider nicht.
Der Song handelt von Mick Jagger, haha!

Knarf_CoverDas Cover ist sehr schick.
Das ist ein Werk von Jörg Zboralski, ein Zitat auf Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat. Zboralski ist einstiger Meisterschüler von Gerhard Richter, Bildender Künstler, Theaterregisseur, Kneipenbesitzer in Duisburg – ich wollte schon immer mal ein Bild von ihm verwenden. Leider hat er es nicht mehr mitbekommen, Jörg ist im letzten Jahr an Krebs gestorben. Ich bedaure sehr, das mit dem Cover nicht schon früher gemacht zu haben.

Auf dem neuen Albums ist auch wieder ein Song mit Aliens („Mein Nachbar ist ein Alien“) – warum tauchen die immer bei dir auf?
Die gehören zu meiner Handschrift, die Zwischenrufe der Aliens sind sozusagen meine Arbeitsmethode. Die Aliens bringen die Perspektive von Außen – für mich eine wunderbare Möglichkeit, etwas zu sagen, was sonst nicht geht. Mich fasziniert, dass in den USA Aliens die Nicht-Einwohner sind, Aliens ist das Wort für Ausländer beziehungsweise Fremde! Wenn man statt Aliens Migranten sagen würde, sind wir mittendrin in der aktuellen Diskussion: PEGIDA oder die NPD sagen – aus lauter Angst vor Überfremdung – , „geht doch wieder zurück“ – daraus haben wir gemacht: „Geh doch heym auf dein’ Planeten“. Und ein Plakat: Aliens welcome!


Knarf_SWSeid ihr eine politische Band?
Ja, würde ich schon sagen. Politisch ohne Pathos. Würden wir in unseren Texten tatsächlich das Wort Aliens durch Migranten oder Asylbewerber ersetzen, entstünde ein linkes, rührseliges Pathos, das ich unbedingt vermeiden will.
Der Song „Geschichte der Menschheit, Teil 17: Krieg“ ist übrigens ein gutes Beispiel für uns als politische Band: Das ist noch ein Stück von meiner früheren Band Huah!, das ich während des ersten Irakkriegs geschrieben habe – die Goldenen Zitronen haben es mal gecovert, und jetzt habe ich nur die Musik verändert.

Ich mag „The Praxis of Love“ sehr, mit den ganzen Zwischenrufen und –bemerkungen, „Moment mal!“ und sowas…
Wir wollten hinterfragen, ob es im Pop denn immer so sein muss, dass „Love the Greatest Thing“ ist. Und das machen wir mit den eingebauten Brüchen – Pop verschleiert ja sonst alles, oder will uns glauben machen, dass die Liebe uns alle erlöst. Ursprünglich sollte das Stück ja einen durchgehenden Flow haben, aber das wollten wir dann doch nicht. Letztens bei einem Konzert in Berlin ist der Song sehr gut angekommen: Bei der Textzeile „Vergesellschaftet die Liebe“ hat das Publikum ganz kundig gejohlt. Das Stück ist im Wesentlichen von drei Vorbildern beeinflusst…
PIL, „This Is Not A Love Song“?
Ah richtig, das gibt es ja auch noch. Hatte ich ganz vergessen – also sind es mindestens vier Vorbilder. Ich vergesse manchmal meine Einflüsse, das ist wie Osmose. Und dann fällt mir schlagartig wieder ein, „ach, da hab ich geklaut!“
Auf jeden Fall standen die Beginner mit „Liebes Lied“ Pate, außerdem das Gesamtwerk von Christiane Rösinger und Moodymann aus Detroit – von dem gibt es einen Song namens „Freeki Mutha F cker“, eine ganz explizite Sexgeschichte. Glaube ich jedenfalls, denn der Text ist ziemlich unverständlich. Bei mir ist das so: Wenn ich einen (englischen) Text nicht verstehe, schalte ich quasi ab und höre das Ganze als Sound.
Apropos Zwischenfragen, die bei dir ja ein durchgehendes Stilmittel sind: Was ist mit Fragen und Zwischenrufen aus dem Publikum? Stört dich das?
Ich bin schon auf Diskussionen mit dem Publikum vorbereitet – und ich beschimpfe die Leute auch gern. Letztens bin allerdings wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen: Bei „Move Your Ass“ hat jemand für meinen Geschmack beim Begriff „APO“ etwas zu laut und zu offensichtlich geseufzt. Den habe ich dann einen Trottel genannt, was ihm natürlich total peinlich war, wenn man so vor allen Leuten bloßgestellt wird. Da wünsche ich mir dann schon etwas mehr Lässigkeit.
Aber im Grunde will ich es so, mein Hauptvorwurf an den deutschsprachigen Pop ist diese Eindimensionalität, diese Ödnis! Atemlos durch die Nacht, das ist alles so glatt, egal ob Helene Fischer oder Sportfreunde Stiller…diese sogenannte Normalität, dieser Banalrealismus. Das ist reinste Fließbandmusik ohne Überraschungen, da wird nur das Publikum „bedient“. Letztens habe ich ein Konzert von Helene Fischer im Fernsehen gesehen: Sie springt von einem Johnny Cash-Song zu Queen und „We Will Rock You“ – Fischer kennt überhaupt keine Grenzen!
Aber du zitierst doch auch viel, eignest dir Material anderer KünstlerInnen an. Wo ist denn der Unterschied zwischen dir und Helene Fischer?
Helene Fischer ist wahllos, die Zeichen bleiben völlig leer. Bei mir gibt es immer eine Idee, die Zeichen sind gefüllt. Ich will ja die Geheimnisse der Welt aufdecken, Mechanismen erklären…
Wie in „Bassline That Was so Fine“: „Wie ich morgens aufstand, wie ich mir Kaffee kochte…“
Genau: Wir legen alles offen. Im Pop muss man vom Material reden. Also so: Während man singt, soll man davon singen, dass man singt.

Knarf_Rockt

A Tribe Called Knarf bringen ihre Politik zu euch:

18.11.15 Leipzig – Ilses Erika
20.11.15 Berlin – Monarch
24.11.15 Frankfurt am Main – Mousonturm
25.11.15 Bremen – Schwankhalle
26.11.15 Hamburg – Molotow
02.12.15 Köln – King Georg
03.12.15 Oberhausen – Druckluft
13.01.16 München – Unter Deck
14.01.16 Linz (A) – KAPU
16.01.16 Wien (A) – brut
21.01.16 Schaffhausen (CH) – Cardinal
22.01.16 Zürich (CH) – Helsinki
23.01.16 Bern (CH) – Café Kairo
24.01.16 Stuttgart – Merlin
17.02.16 Düsseldorf – zakk

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