Saturday Night Biber

“Meine größte Ernüchterung waren Alpakas” – Expedition ins Tierreich mit Anja Rützel

Die TV-Nation hatte Anfang des neuen Jahrtausends ein echt schlechtes Gewissen: Daniel Küblböck wurde in der ersten Staffel “Ich bin ein Star, holt mich hier raus” mit 80.000 Kakerlaken geflutet. Ziemlich interessant, doch wer da hinguckte, galt als verroht – an der Schwelle zu geistesschwach. Erst Visionäre wie Anja Rützel mit ihrer Spiegel-Online-Kolumne übers Dschungelcamp machten die Mehrbödigkeit, ja, die dioramenartige Welthaltigkeit des Thema Trash-TV sichtbar. 2017 ist sie schon wieder einen Schritt weiter – und beleuchtet das Geschehen nun gleich aus Sicht der Schaben – und anderen Tieren. Ihr Buch “Saturday Night Biber” (Fischer) bietet unglaublich unterhaltsame “egomane Reportagen” auf. Linus Volkmann führte eins der raren Interviews mit der legendären crazy dog lady. (Alle Fotos: Archiv Rützel)

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Gaby von TKKG wird “Die Pfote” genannt. Da ist gleich schon einiges klar. Rührt deine Verbundenheit zu Tieren auch aus der Kindheit?
ANJA RÜTZEL Ja, auf jeden Fall. Ich war ein eher schrulliges, sehr schüchternes Kind, das sich vor vielem fürchtete, aber komischerweise keine Angst vor bösen schwarzen Hunden, Kühen und Zirkusdromedaren hatte und immer sofort alle Tiere streicheln wollte. Woher diese Tierbesessenheit rührte, konnte sich keiner in meiner Familie so richtig erklären, weil der Rest Tieren gegenüber eher verhalten ist.

Wie hieß dein erstes Haustier, was war es, was konnte es Besonderes?
Es war ein Nymphensittich, natürlich wollte ich viel lieber einen Hund, aber mehr war bei meinen Eltern nicht auszuhandeln. Das war ungefähr 1981. Ich nannte ihn Rummy, zu Ehren Karl-Heinz-Rummenigges, denn außer Tieren liebte ich damals schon den FC Bayern München – ich malte im Kindergarten auch Wachsmalkreideporträts von Paul Breitner. Rummy konnte nichts, außer irre laut zu kreischen, wenn man ihn in der Wohnung frei fliegen ließ.

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Klein-Anja und ihre “Nymphensittiche”

Speziell die Simpsons haben die Figur der “crazy cat lady” gefestigt. Warum gibt es das eigentlich nicht mit Hunden? Und wenn doch wäre das was für dich?
Die Etablierung der Hunde-Version steht – außer lila getönten Haaren – fest auf meiner Bucketlist fürs Greisenalter. Ich glaube, die Beschränkung auf Katzen kommt daher, dass Katzenbesitzer – no offense – ja oft dazu neigen, ihre Tiere als besonders eigensinnig und kapriziös darzustellen, und damit indirekt sich selbst auch so sehen, also reichlich kauzige Angriffsfläche bieten und sich in dieser Rolle auch sehr gefallen. Ich selbst bin ja völlig klar Team Hund, allerdings habe ich einen Podenco-Mix, und da der extrem individualistische Podenco ja bekanntlich die Katze unter den Hunden ist, vereint er quasi das Beste aus beiden Tieren.

Ich war mal auf einer Eselwanderung und war am Schluss enttäuscht. Die Tiere zeigten null Interesse und wirkten eher leer statt weise. Welche Tiere findest du denn unangenehm oder allgemein overrated?
Meine größte Ernüchterung waren Alpakas. Mit ihren ulkigen Frisuren und den dauerlächelnden Gesichtern sehen sie einfach so extrem knuddelable aus, dass man ganz automatisch davon ausgeht, dass sie auch gerne gestreichelt werden möchten. Leider ist das extreme Gegenteil der Fall. Ich habe auf einer Alpakafarm in den Cotswolds einen Alpakaflüstererkurs gemacht, und es ist wirklich wahr: Alpakas hassen Menschen. Am glücklichsten sind sie, wenn man sie in Ruhe lässt. Sie haben sogar eine eigene Lautäußerung, um ihr Unbehagen auszudrücken, wenn man ihnen zu nahe kommt: Ein summendes, halb nörgelig, halb verzweifelt klingendes Hmmmmmhhhhhhnnneeeehhhnnn.

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Dein Schabenorakel zur WM war ja legendär auf deinem Social Media Account. Hier konnte man die Proatgonisten auch in Aktion sehen. Warum hast du im Buch dagegen auf Bilder verzichtet?
Das war tatsächlich eine Verlagsentscheidung. Ich habe reichlich niedliches bis verstörendes Bildmaterial von meinen Tierausflügen, das ich aber bei meinen Lesungen zeige.

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Was war die gefährlichste Situation, in die du bei der Recherche gekommen bist?
Es war mir und vermutlich auch den Pflegern des Zoos Amazon World auf der britischen Isle of Wight nicht ganz klar, aber es ist keine sehr gute Idee, zu einem erwachsenen Ameisenbären ins Gehege zu gehen, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. Die Tiere haben zwar keine Zähne, aber messerscharfe, lange Krallen, mit denen sie im Notfall auch einer Raubkatze den Bauch aufschlitzen können. Der von mir besuchte Ameisenbär Ernst-Einar scheuchte mich dann auch tatsächlich durchs Gehege, als er genug von mir hatte, und schlitze mir ein Jeanshosenbein auf.

Isst du eigentlich Tiere?
Nicht mehr. Ich hatte es schon lange als unangenehm heuchlerisch empfunden, einerseits so große Tierliebe zu spüren und ja auch zu propagieren, andererseits aber durchaus noch selten, aber gelegentlich Fleisch zu essen. Seit ich für mein Buch beim Kuhkuscheln war, esse ich kein Fleisch mehr. Das ist jetzt ein gutes Jahr her. Weil das alleine Milchkühen wie meiner Kuschelbekanntschaft nicht hilft, verzichte ich auch auf Milchprodukte, so gut ich kann. Nur Käse ist manchmal noch schwierig.

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Kuhkuscheln classic

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Kuhkuscheln heute

Welche Tiere willst du unbedingt noch mal kennenlernen?
Nasenaffen. Für mich die absurdest aussehenden Tiere, wenn sie lächeln, sehen sie wirklich aus wie Michel Houellebecq in seiner aktuellen Verfassung. Wegen ihrer komplzierten Ernährung kann man sie nicht im Zoo halten, wenn man sie treffen will, muss man auf die Insel Borneo.

Bei der im Buch befindlichen Textsorte hast du dich da eher orientiert an dem Format Reportage oder doch eher an der assoziativen Kolumne, die man zum Beispiel von Max Goldt kennt?
Über das Format oder Genre habe ich mir beim Schreiben gar nicht so viele Gedanken gemacht. ich beschreibe die Form immer als „egomane Reportage“.

Über deine TV-Texte kennen dich die meisten. Das mit den Tieren war eher eine Überraschung. Was für geheime Leidenschaften treiben dich noch um und was für Projekte stehen demnächst bei dir an?
Ich schreibe gerade mein nächstes Buch, über das ich natürlich geheimniskrämerisch noch nicht viel sagen kann, nur: Es wird gefühlig. Ansonsten besuche ich demnächst einen Jodelkurs.

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“Saturday Night Biber”, Anja Rützel, Fischer Verlag, 2017, 9,99 EUR

 

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