Bitcoin-Mania – Interview mit Prof. Dr. Dirk Baecker

“Jede Währung ist eine Wette darauf, dass diese Währung auch von anderen benutzt wird.”

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Die Bitcoin-Kursentwicklung der letzten sechs Monate (Quelle: www.finanzen.net)

Und plötzlich wollen alle Spekulieren. Oder nein, wollen sie nicht. Plötzlich wollen alle die sichere Rendite. Mit einem Bitcoin-Kurs, der sich gleichmäßig in immer höhere Regionen bewegt, scheinen nach Jahren des Dauerzinstiefs endlich wieder leicht und sicher große Zugewinne möglich?
Doch ist dem so? Und was sagt der aktuelle Hype um die Kryptowährung über unsere Gesellschaft und uns aus?

Thomas Venker hat mit Prof. Dr. Dirk Baecker über den Zusammenhang von Geld, Moral, Individuum und Gesellschaft gesprochen.

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Prof. Dr. Dirk Baecker, Private Universität Witten/Herdecke

Herr Baecker, wie bewerten Sie persönlich die derzeitige Bitcoin-Mania?
Wie mir scheint, eine Spekulationsblase, wie sie im Buche steht. Alles gehorcht dem last-fool-theorem: Nur wer zuletzt aussteigt, hat Verluste; alle anderen wetten darauf, ihre Käufe zu höheren Preisen wieder verkaufen zu können.

Und wie sehen Sie das Phänomen als Wissenschaftler?
Offenbar braucht die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation das evolutionäre Spiel mit Währungsalternativen. Die Notenbanken entwerten ihr eigenes Geld durch die Politik des leichten Geldes und wer immer innerhalb der Wirtschaft langfristig investieren will, sucht händeringend nach einer Währung, in der sich das rechnen lässt. Bitcoin ist diese Währung nicht. Aber Bitcoin zeigt, dass die zwei-, dreihundert Jahre, in denen nationales Geld die Wirtschaft dominieren konnte, möglicherweise vorbei sind.

Womit ich ein bisschen in meinem Verständnis der Prozesse hadere, ist die Tatsache, dass es sich bei Bitcoin doch um eine reale Währung handelt. Nun nehmen diese aber die meisten ja lediglich als Investitionschance war, wo schnell sehr viel Rendite auf scheinbar sicherem Wege zu machen ist. Wie wirkt sich dies denn auf die reale Preispolitik im Netz mit der Währung aus? Analog zu der steigenden Nachfrage und dem steigenden Wert müsste doch auch der Markpreis der Waren permanent steigen? Oder anders ausgedrückt: steht der Zustand der Spekulationswährung nicht im Kontrast zu einer funktionierenden Währung? Und was bedeutet dies weitreichend für den gesellschaftlichen Vertrauensbildungsprozess in digitale Währungen?
Ja, die Situation ist hochinteressant. Man wettet auf eine Währung, die man außerhalb klandestiner Kreise des Internet- oder Darknet-Handels noch gar nicht braucht. Aber warum nicht? Wir heiraten ja auch, ohne zu wissen, ob wir der Aufgabe gewachsen sein werden, Kinder zu erziehen. Wir lassen uns an Universitäten ausbilden, ohne zu wissen, ob das Wissen, das wir dort erwerben, berufstauglich ist. Wir lernen Sprachen, ohne bereits zu wissen, was wir sagen wollen.

Und daran anschließend die Frage: Wie reagieren denn die Leute, die Bitcoin als echte Währung nutzen?
Ich nehme an, irritiert. Aber es gibt ja auch Leute, die kaufen sich Gemälde, um sie an die Wand zu hängen und sich anzuschauen, während andere sie kaufen, um sie als Wertanlage in einem Safe wegzusperren.

Wer und wie legt eigentlich den Kurswert fest?
Der Kurs wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Das ist auch irritierend, wenn Sie so wollen: Angebot und Nachfrage kann man manipulieren, den Kurs jedoch nicht.

Und ganz naiv gefragt: Wie hat man sich denn generell den Prozess der Definition von Währungskursen vorzustellen?
Eben genau so, nicht als „Definition“, sondern als Ergebnis der Wirkung von Marktkräften. Deswegen läuft die moderne Volkswirtschaftslehre auch unter dem Namen der „Katallaktik“, der Lehre von der Wirkung von Interaktionen auf Märkten – vor allem dann, wenn Kapitalmarktinteressen im Spiel sind (Wikipedia), das heißt, wenn mit jeder Interaktion, einem Kauf oder Verkauf, eine Vermögensspekulation auf die Zukunft verbunden ist. Das ist so, als gäbe es zu jeder Wette auf bestimmte Bedürfnisse zugleich eine Wette auf eine Wirtschaftsform, innerhalb derer diese Bedürfnisse geäußert und befriedigt werden können.

Uncle-Scrooge–Money-Swimming

Uncle Scrooge “Money Swimming” (Quelle: Youtube)

Wie sehen Sie denn die Entwicklung der nächsten Zeit?
Ich habe keine Ahnung. Vieles hängt davon ab, wie offen und verlässlich sich die nationalen Währungen und transnationalen Wirtschaftsräume entwickeln werden.

Wird die Bitcoin-Mania zu einer Etablierung weiterer sogenannter Kryptowährungen führen? Währungen wie Ethereum? Monero? Ripple? Litecoin?
Ja, unbedingt. Denn zum einen ist die Technologie eines nicht-staatlichen Registers der Vertrauenssicherung schon als solche attraktiv. Und zum anderen lockt die doppelte Attraktivität der Spekulation auf eine Währung im Verein mit der Möglichkeit spezifischer Geschäfte mit Waren und Dienstleistungen. Wir steuern ja nicht nur auf eine Netzwerkgesellschaft, sondern auch auf eine Netzwerkwirtschaft zu, in der die modernen Regeln der Zugänglichkeit (Inklusion) für alle nicht mehr unbedingt gelten. Dann muss man sich die Währungen besorgen, mit denen bestimmte Netzwerke handeln, wenn man dort mithandeln möchte.

Haben Sie sich mit diesen bereits auseinandergesetzt und könnten Sie die Unterscheide / Ähnlichkeiten und die substantielle eigene Basis (so denn sie existent ist) für unsere Leser kurz kennzeichnen und erläutern?
Das bin ich überfragt. Ich würde immer darauf achten, wer den Prozess der Geldschöpfung kontrolliert und in welchen Kreisen die Währung zirkuliert – ganz abgesehen von technologischen Unterschieden, die eine blockchain-Währung auch für andere, zum Beispiel rechtliche Mechanismen der Sicherung von Eigentums- und anderen Titeln attraktiv machen.

Woran liegt es, ob eine diesr Kryptowährungen eine Chancen hat, sich als Währung zu bewähren im wahrsten Sinne? Sind es technische Aspekte? Oder geht es den Nutzern um andere Aspekte?
Jede Währung ist eine Wette darauf, dass diese Währung auch von anderen benutzt wird. Insofern ist dies die entscheidende Frage: Wer macht mit und wer nicht?

Und wie schützen diese Währungen sich davor, nicht auch zu einer Spekulationsblase analog zu Bitcoin-Blasé zu werden? Oder aber anders gefragt: Ist es für die Entwickler der Währung nicht sogar eher reizvoll, dass es dazu kommt?
Man kann sich davor nicht schützen. Sogar Tulpenzwiebeln können zu Spekulationsobjekten werden, wie wir aus den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wissen. Manchmal ist es schwer, eine entstehende Blase von wachsender Liquidität und damit Markttiefe zu unterscheiden. Das ist die eigentliche Herausforderung. Und das Problem besteht darin, dass es keinen objektiven Standpunkt außerhalb der Blase gibt, um diese von etwas anderem, etwa einem Wirtschaftswachstum, zu unterscheiden. Hinterher ist man dann schlauer, vielfach aber auch ärmer.

Was uns zur nächsten großen Frage bringt: Wer steckt denn hinter diesen Kryptowährungen? Und was motiviert diese Akteure?
Ich würde sagen, eben dies: die Hoffnung darauf, entweder an dem ganz großen Ding beteiligt zu sein oder aber zumindest nicht so blöd zu sein wie alle anderen, das heißt rechtzeitig wieder aussteigen zu können.

Da ja potentiell jeder eine solche Kryptowährung entwickeln kann, frage ich mich als Laie, wo denn letztlich der Unterschied zu den in den 80er Jahren grassierenden Kettenbriefen liegt? Letztlich läuft es doch auf das gleiche System raus, oder?
Die Kettenbriefe oder auch sogenannte Ponzi-Systeme sind betrügerisch. Jedes Gewinnversprechen wird so lange es geht, aus den Einlagen bezahlt, die man neu hinzugewinnt. Hier ist der Zusammenbruch vorprogrammiert, während neue Währungen durch nichts daran gehindert werden können, sich dadurch zu bewähren, dass sie eine eigene Markt- und Wirtschaftsentwicklung hinter sich her ziehen. Dann sind die finanzwirtschaftlichen Entwicklungen zumindest im Nachhinein durch realwirtschaftliche gedeckt.

Bis dato gehören Währungen ja zur Definitionsmacht von Nationalstaaten. In gewisser Weise entleiht sich hier ja aktuell ein Konsortium das Recht eine Währung zu gestalten – steht das nicht im Widerspruch zu den Interessen diverser Staatsführungen? Wieso tolerieren diese diese Entwicklung?
Wie gesagt, die Epoche der nationalen Währungen ist noch jung. Nichts spricht dagegen, dass große Banken, Konzerne, Versicherungen oder auch andere Korporationen wie etwa Kirchen, Armeen oder Universitäten ihr eigenes Geld ausgeben. Sie brauchen dafür ja nichts mehr als Leute, die bereit sind, dieses Geld als Gegenleistung in Empfang zu nehmen, weil sie davon ausgehen, dass sie es ihrerseits wieder ausgeben können. Die Zigarettenwährungen der Nachkriegszeit sind dafür ein gutes Beispiel.

Wie erklären Sie sich denn, dass die Bitcoins plötzlich viel mehr Leute für etwas interessieren und begeistern können, was letztlich nichts anders als Währungsspekulation ist? Liegt es nur an der hohen Rendite, die hier medial transportiert wird (wobei diese ja nur für die Früheinsteiger in der Form existent ist)?
Die Begeisterung stammt vermutlich daraus, dass man einen weiteren Schritt der Auflösung des Nationalstaats und überhaupt der politischen Regulierung der Wirtschaft feiert. Ob man sich dabei möglicherweise zu früh freut, ist wiederum eine andere Frage. Immerhin brauchen wir beides, offene Märkte und geschützte politische Räume inklusive sozialer Sicherheitsnetze.

Liefert uns die Bitcoin-Mania insofern auch einen Spiegel der wahren Realitäten als dass im Angesicht der scheinbar sicheren Bedingungen plötzlich auch Skeptiker gierig werden und dem Reiz des Börsenspiel erliegen?
Das weiß ich nicht, das müssen Sie Psychologen fragen. Ich beobachte aus einer soziologischen Perspektive, in der es die Gelegenheiten sind, die die Motive schaffen, nicht umgekehrt.

Muss man eigentlich die Gewinne der Bitcoin Spekulation versteuern? Oder gilt auch hier eine Steuerfreiregelung wenn ein gewisser Zeitrahmen zwischen Kauf und Verlauf liegt?
Eine Frage an den Finanzminister und Ihren Steuerberater…

Ich möchte mal eine praktische Frage einstreuen. Das Bankensystem gilt ja, bei aller Skepsis durch die Krisen der letzten Jahren, dank Einlagensicherungsgarantien und Kontrollmechanismen als mehr oder weniger vertrauenswürdig. Wie aber verhält es sich mit den Akteuren hinter den Bitcoins und anderen Kryptowährungen?
Die Bitcoin-Kurse sind pures Risiko. Niemand schützt Sie hier vor Ihren Verlusten. Kluge Leute werden daher immer nur im Rahmen einer Portfoliostrategie in Bitcoin investieren, das heißt sie werden ihr Vermögen, wenn sie eines haben (oder sich leihen), immer nur in Spekulationsobjekte unterschiedlicher Risikoklassen investieren. In diesem Zusammenhang sind staatliche versicherte Einlagen oder auch staatliche Wertpapiere nicht etwa Investitionen mit einem Risiko in der Höhe Null, sondern Investitionen mit geringem Risiko, das jederzeit steigen kann, wenn der jeweilige Staat in Insolvenz- und/oder Steuerrefinanzierungsschwierigkeiten gerät. Staatliche Vermögenstitel haben ja nur deswegen ein relativ geringes Risiko, weil Staaten über Steuern die Macht haben, Zwangszahlungen einzutreiben und sich so zu refinanzieren. Aber auch das ist ein Privileg, das nicht in Stein gemeißelt ist, sondern zur Not mit Waffengewalt durchgesetzt werden muss. Es ist ein Privileg, das seine eigene historische Zeit hat.

In welchem Verhältnis steht denn eine Kryptowährung wie Bitcoin zur aktuell heiß diskutierten Blockchain-Technologie? Letztlich bedeuten Krytowährungen und Blockchain doch einen weiteren Schritt hin zur kompletten digitalen Alltagskontrolle, oder sehe ich das zu negativ? Wieso sind die Menschen hier plötzlich bereit diesen Schritt zu gehen, wo das Thema sonst doch, zumindest in Deutschland sehr sensibel diskutiert wird – bei der Bitcoin et al Diskussion kommt dieser Aspekt aber quasi nicht vor. Geblendet vom Renditephänomen?
Bitcoins sind eine besondere Ausprägung der Blockchain-Technologie, die auch andere Ausprägungen erleben wird, etwa in Systemen der Sicherung von Rechtstiteln oder auch in Verwaltungssystemen der elektronischen Aktenführung. Der weitere Erfolg wird sicherlich sehr davon abhängen, ob es gelingen wird, die Technik der Sicherung von Titeln durch die Nennung von Adressen und Inhalten zugleich hinreichend zu anonymisieren. Das Tolle am traditionellen Geld ist ja, dass es sicher ist, ohne dass Sie wissen müssten, wo es herkommt und wo es hingeht. Das Kontrollproblem stellt sich demnach innerhalb der Blockchain-Technologie umso mehr, als die Technologie als solche Vertrauen schafft, weil sie es ermöglicht, jede Transaktion zu überwachen. Ich habe keine Ahnung, welche Lösungen wir hier noch erleben werden. Möglicherweise legen wir uns alle monetäre Pseudonyme zu. Aber wo und wie wird deren Identität überwacht?

Das Manager-Magazin kommentierte diese Tage: “Es fehlt nicht mehr viel, dann verbraucht die Bitcoin-Welt für die Produktion ihrer virtuellen Währung so viel Strom wie die gesamte dänische Volkswirtschaft.” Wie schätzen Sie denn diesen negativen Umweltaspekt ein, kann der etwas am Image der Bitcoins substantiell verändern?
Ich denke, diesen Aspekt kann man gar nicht deutlich genug herausstellen. Währungen haben ihre Kosten. Man kann auch Flüsse dadurch vergiften, dass man bei der Silberförderung Blei zum Auswaschen des Silbers verwendet. Wie immer ist die entscheidende Frage, ob es gelingt, die auftretenden Kosten zu internalisieren, also diejenigen tragen zu lassen, die auch den Nutzen haben. Andernfalls trägt die Gesellschaft die Kosten und dann bleibt nur, politisch zu intervenieren und bestimmte Dinge zu verbieten.

Ich möchte zum Abschluss nochmals wissen, was Sie denken, wie langfristig die Weltbank und die Staaten mit dem Bitcoin umgehen? Ist ein Verbot denkbar?
Ja, ein Verbot ist denkbar. In China wird es bereits praktiziert. Aber Verbote haben ihre Schattenseite. Sie drängen entsprechende Entwicklungen in den Untergrund, wo entsprechende Gewinnchancen und damit Entwicklungschancen steigen, weil Kriminelle sich ihr Risiko bezahlen lassen.

Herr Prof. Dr. Baecker, vielen Dank für das Interview.

 

Dirk Baecker, Lehrstuhl für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke.
Siehe zum Thema auch Dirk Baecker, “Zur Nullzinspolitik der Notenbanken: An der Schwelle zur nächsten Gesellschaft”, in: Merkur Heft 01/2015, S. 18–29

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