Frank Spilker - Insolvenz & Pop

„Man kann als Band nicht immer nur dem Geld nachlaufen.“

Spilker und Sonnenschirm.

“Spilker und Sonnenschirm.”

Während die Regierungskoalition sich über die Kalte Progression streitet und der liberal-konservativen Presse die Inflationsrate in Deutschland nicht hoch genug ist, plagen sich die meisten Bürger mit stagnierenden wenn nicht gar sinkenden Einkommen herum. An der Speerspitze des Prekaritäts befinden sich die Künstler mit einem statistischen Einkommen von knapp 1000 im Monat (laut des Jahresberichts 2013 der Künstlersozialkasse). Schwere Zeiten. Doch sprechen will kaum jemand über die problematischen Zustände.

Frank, danke, dass du dich zu dem Gespräch bereit erklärt hast. Die meisten werden sich wundern, warum ich gerade mit dir über das Thema spreche, da sie sich gar nicht bewusst sind, dass selbst bei einer Band wie den Sternen sich die Situation schon schwierig gestaltet.
Das wird bei uns gerne anders eingeschätzt. Aus der urbanen Perspektive in Berlin und Hamburg sieht man nur die vollen Häuser, die wir dort mit 600 und 1500 Besuchern erzielen. Wenn man mit diesen Zahlen rechnet, ist ein ziemlicher Gewinn drin. Aber die Leute denken, das sei überall so, und vergessen dabei, dass es nur drei, vier Städte in Deutschland gibt, wo es auf diesem Niveau funktioniert. In Gelsenkirchen oder anderen kleineren Orten sieht die Rechnung aber ganz anders aus. Das Problem bei einer Indieband sind die prozentuell irre hohen Produktionskosten. Je kleiner der Konzertort, desto schneller wird der Gewinn komplett verschlungen. Wobei ein Konzert mit 100 Leuten, mit dem wir das Hotel zahlen können, immer noch besser als ein Offday ist, den man sich nicht leisten will.

Wie kommen denn die Produktionskosten zusammen? Das sind die Kosten für Bus und Unterkunft sowie Fahrer, Mischer, Merchendiser und Tourmanager?
Ja, genau. Früher hatte man das zumindest so. Wir sind bemüht, die Produktionskosten zu reduzieren und kürzen deshalb auch den Stab auf das Minimum. Man entscheidet also, ob man einen Hands & Merchandiser mitnimmt, oder eben einen Tourmanager. Das bedeutet aber eben auch, dass wir alle mehr mit anpacken müssen. Ich bin nicht nur der Sänger, sondern mache auch die Abrechnungen mit dem Veranstalter. Trotzdem bleiben noch etliche Unkosten auf unserer Seite und dasselbe beim Veranstalter – das entspricht dann 100-200 Leuten, die man für den Break Even braucht.

Von der gerade zu Ende gegangenen Sterne Tournee dürftest du dir mehr an Einnahmen erwartet haben, als die 8000, die du gestern Abend im Pudel genannt hast. Wie geht man damit um? So wie ich das sehe, speisen sich eure Einnahmen ja aus drei Komponenten: Der Tour mit dem anhängigen Merchandise, den Albumverkäufen sowie den Einnahmen durch die Verlagsrechte.
Wir sind ja keine Newcomer mehr, sondern eine Band, die vielleicht ihren Zenit überschritten hat. Insofern ist es auch normal, dass wir etwas weniger Publikum haben, dass es nicht mehr so viele junge Leute sind. Aber es ist auch gar nicht so, dass unsere Toureinnahmen das Problem sind, die sind in den letzten zehn Jahren relativ konstant geblieben.

Ist das eine Inflationsbereinigte Aussage? Bei einem Zeitraum von zehn Jahren ist das ja nicht unwesentlich.
Nein, natürlich nicht. Trotzdem ist das alles okay im Rahmen des normalen Lebenszyklus einer Band und unter Berücksichtigung der üblichen Höhen und Tiefen im Lauf einer 20jährigen Geschichte. Es ist ja auch grundsätzlich so, dass die Leute mehr für Konzerte ausgeben. Was aber mittlerweile fast komplett fehlt, sind die Einnahmen der Albumverkäufe, die du ja auch angesprochen hast. Da sieht die Rechnung noch viel verheerender aus. Wir spielen derzeit unsere Produktionskosten für ein Album ungefähr bei 5000 verkauften Cds ein.

Eine amtliche Menge im Jahr 2014.
Da bleibt letztlich nicht mehr viel hängen. Das Label kommt zwar bei uns locker auf plus/minus-null beziehungsweise macht ein bisschen Gewinn – aber dieser fällt sehr viel kleiner aus, als es sich die Leute vorstellen.

"... in Xi’An/ China mit Sonnenbrand und Fotoapparat."

“… in Xi’An/ China mit Sonnenbrand und Fotoapparat.”

Wie geht man damit um? Es gibt ja sicherlich so etwas wie einen Break Even für Die Sterne, also einen Punkt bis zu dem alle von der Band leben können. Schafft ihr den noch, oder habt ihr euch, beziehungsweise einzelne von euch (der Komponist bekommt ja mehr von den Einnahmen als das normale Bandmitglied) von der Vorstellung bereits verabschieden müssen?
Genau so ist es. Aber durch Diskussionen ist das nicht erledigt. Wir müssen uns Strategien ausdenken, wie wir damit klar kommen. Eine wäre die des Haushaltens. Die andere zielt darauf hin, den Gewinn zu maximieren, in dem man mehr macht oder sich gar kommerziell weiter öffnet. Bei uns war so etwas wie der Jägermeister Deal das Maximale, was möglich ist. Da haben wir gesagt, „okay, wenn die so blöd sind und Unsummen in so einen Quatsch wie die Rockliga reinstecken, dann nehmen wir das mit und haben erstmal zwei Jahre Ruhe.“
Die Situation bei den Sternen ist aktuell so, dass es läuft, solange wir aktiv sind, also eine Platte und eine Tour im Jahr machen. Aber es reicht nicht mehr, um ein Jahr Pause zu machen. Es geht aber auch nicht, jedes Jahr eine Platte zu produzieren, allein schon logistisch, weil alle noch mindestens einer weiteren Tätigkeit nachgehen. Auch ich muss mir jeweils etwas anderes überlegen.

Was für Jobs haben denn die beiden anderen?
Thomas Wenzel macht sehr viel Theater und Hörspiele. Christoph Leich hat einen regulären 40-Stunden-Job in der Musikbranche.

War das ein einschneidender Moment für dich mit dem ersten regulären Job im Bandgefüge?
Dazu muss ich sagen, dass das mit meinen Soloalbum anfing. Das bedeutete für die damals noch anderen drei (Richard von der Schulenburg verließ mittlerweile die Band), dass sie während dieser Phase keine Einnahmen mit den Sternen zu erwarten hatten. Aber es war trotzdem ein nötiger Schritt. Nicht nur ich, auch die Band brauchte das Soloalbum zum Luftholen. Da haben wir die künstlerische und planerische Idee über das Einkommen gestellt. Man kann als Band nicht immer nur dem Geld nachlaufen. Das wäre ein Falle. Seitdem jobbt Christoph halt – und dann wird daraus schnell die Notwendigkeit, den Job behalten zu müssen, man muss sich also plötzlich mit Urlaubszeiten arrangieren, was die Sache nicht leichter macht.

Du hast vorhin davon gesprochen, Strategien entwickeln zu müssen. Was für Sachen kommen da so auf die Agenda? Die naheliegende, die mir käme, wäre dass der Verlag in die Pflicht genommen wird, auch mal eine Lizenz fürs Fernsehen oder Werbung hinzubekommen und so via Synchronisationsrechte Einnahmen zu generieren.
Einen Verlag muss man sich eher als Bank für Musiker vorstellen. Jedenfalls in der Popmusik. Er zahlt einen Vorschuss, vermittelt aber eigentlich keine Aufträge. Das habe ich jedenfalls in zwanzig Jahren nicht erlebt. Aber immerhin: Versuch mal als Musiker bei einer normalen Bank Geld zu leihen.
Die Strategie ist es eher, an die öffentlichen Gelder zu kommen. Also da hin zu gehen, wo noch Geld zu verdienen ist, beziehungswiese wo Töpfe existieren, die nicht vom Markt abhängig sind. Ans Theater zum Beispiel.

Wo aber all die anderen Bands ja auch schon anstehen.
Ja, natürlich, nicht nur dort. Seitdem die Einnahmen in den Keller gehen, der Markt schrumpft, hat man verschiedene Phasen erlebt. Die erste war die Überfrachtung des Livemarkts. Weil alle sich überlegt haben, dass in Zeiten, in denen keine Cds mehr verkauft werden und mit Streams und Itunes-Verkäufen nichts verdient wird, sie on the road müssen. Das haben Bands und Veranstalter eine Zeit lang durchgehalten, bis das Publikum nicht mehr mitmachte, da in jeden Kaff jeden Tag eine Veranstaltung anstand.

Das Publikum besitzt ja die gleichen Probleme. Es speist sich ja größtenteils auch aus jenem Milieu, das keinen Zugriff auf automatisch geregelte Gehaltsprogression besitzt, sondern dem im Gegenteil stetig etwas wegbricht.
Ja. Das ist sowieso das schlimme an der Debatte. Es wird zu wenig an die Leute gedacht, an ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten. Man verliert sich in Diskussionen, ob nun Cds oder Vinyl besser sei und welches Medium den Markt mehr kaputt macht, statt zu erkennen, dass das letztlich egal ist: denn ob legal oder illegal, die wollen halt ihren Stoff. Ich finde es völlig legitim, wenn sich der Konsument die Platte runterlädt – dafür aber zum Konzert geht.

Für dich ist ja das Wesentliche, dass da jemand eine Bindung zu dir besitzt und einen gewissen Betrag ausgeben will. So schaut er euch während der Tour eben zweimal live an und kauft sich ein T-Shirt.
Genau. Wobei ich mit meinem geplanten Satire Projekt, das explizit Musik für reiche Leute macht, auf die Bedürfnisse jener Leute einzugehen plane, die so richtig Kohle haben. Also Probleme mit ihrer Yacht und dem Golf-Handicap. Das ist das Klientel für 800-Gramm-Vinyl. Das ist böse gesagt das, was in der Diskussion drinsteckt: die Leute sollen doch bitte mehr zahlen. Wovon denn? Wen will man denn erreichen, der freiwillig 40€ für super dickes Vinyl ausgibt?

Ein großes Problem ist die Gagenentwicklung. Gerade während der Festivalsaison zeigt sich immer mehr die absurde Schere zwischen den Headlinern und den einfachen Bands.
Die Festivals sind ein besonders Thema, da sie sich dem Bieterwettbewerb um den heißesten Headliner völlig ergeben haben. Dieser wird dann besonders gut bezahlt und der Markt damit endgültig kaputt gemacht und die Preise in die Höhe getrieben.

Dabei ist es ja erstaunlich, wie wenig Solidarität es gibt. Ich habe ja viel mit elektronischen Musikern zu tun. Auch da ist die Diskrepanz mittlerweile abartig aus den Verhältnissen geraten. Während die einen fünfstellige Gagen oder mehr bekommen, dürfen die anderen froh sein, wenn sie es ins vierstellige schaffen beziehungsweise überhaupt genug Bookings bekommen weil die sogenannte A-Liga ja mittlerweile nicht mehr nur zweimal am Wochenende auflegt, sondern bis zu sechs mal, mit dem Ergebnis der Marktverengung und dem sich auftuenden Abgrund für die B- und C-Liga.
Das ist diese Freie Marktwirtschaft aus Angebot und Nachfrage. Gewisse Djs und Bands sind eben around und in den Medien. Das System ist eben durch nichts abgesichert und keiner kontert. Psychologisch kann man das nachvollziehen. Wenn du zehn oder zwanzig Jahre umsonst oder für wenig Geld gearbeitet hast, dann nimmst du es eben mit, wenn sich die Verhältnisse umdrehen und dir jemand viel Geld bietet. Mir fällt es schwer, da an Solidarität zu glauben und ich weiß auch nicht, ob es was bringt.

Christoph Leich, Frank Spilker und Thomas Wenzel. In anderen Worten: Die Sterne

Christoph Leich, Frank Spilker und Thomas Wenzel. In anderen Worten: Die Sterne

Sprecht ihr da mit anderen Bands und Künstlern drüber?
Diejenigen, bei denen es richtig gut läuft, sprechen da nicht drüber. Um dem Neid vorzubeugen. Auf jeden Fall redet man nicht darüber, wenn es abwärts geht, denn die Tendenz ist ja wichtiger als der Status Quo. Man darf es nie bestätigen. Aber ich finde es grauenhaft, wie sehr man dann das Spiel mitspielt. Man kann diese Denke doch nicht mitmachen und so den eigenen Marktwert durch Beschönigungen erhöhen. Aber so sieht das Spiel von Anfang an aus. Es hat alles mit Selbstermächtigung und Selbstinszenierung zu tun, mit dem richtigen Rankespiel innerhalb der Hackordnung der Kulturszene.

In den letzten Jahren haben all diese Subprozesse dazu geführt, dass sich die Verhältnisse verdichtet haben. Plötzlich ist fast jede Indieband aus Deutschland auf Staatsakt gelandet.
Man sollte Tapete nicht vergessen, auch wenn man sich mit deren Roster nicht so identifizieren kann, weil es sehr in die Breite geht. Trotzdem sollte man sie als kommerziell funktionierendes Beispiel für ein Indielabel 2015 erwähnen.

Tapete hat ja mit Krautrock- und Elektronik-Reissues eine gute Strategie gewählt.
Man muss alles versuchen. Soweit ich weiß, sind bei Audiolith die indirekten Einnahmen, also T-Shirts und Merch ein wichtiger Faktor. Bei Buback das Booking. Alle Labelmacher sind tapfere KerlInnen, die das Risiko nicht scheuen und ihren Weg gefunden haben. Bei Staatsakt und Maurice (Summen) spielt sicherlich das Backing durch den Warner-Verlag eine Rolle – eine Art Deal, für den L´age d´or, die das in den 90ern mit Universal gemacht haben, noch kritisiert wurden. Mittlerweile ist klar: Es geht gar nicht anders, man würde ohne irgendeine derartige Absicherung durch einen Verlag oder Zuschüsse ein viel zu großes Risiko eingehen.

Hat man Angst davor, dass den KerlInnen die Kraft ausgeht?
Man hofft, dass dann der oder die nächste kommt. Das ist ja auch die Erfahrung, die man über die Jahre gemacht hat. Irgendeiner muss es machen. Und irgendeiner macht es auch. Wobei ich mich frage, in wie weit es unsere Generation ist, die noch an diesem speziellen Modell der Kulturszene hängt, an diesem alternativen Kulturbetrieb. Die Frage ist: Wie tickt die Generation meiner Kinder, die das alles schon nicht mehr kennen, da sie mit Youtubeforen und Spezialistenwissen im Internet groß geworden sind. Die vermissen die Szene, den Club nicht so. Für die ist das nicht so wichtig.

“Die Sterne in Wuhan/ China im Juni 2014”

Da sprichst du natürlich etwas zutreffendes an. Sie haben einen neuen sozialen Raum für sich definiert. Einen, der uns zunächst einmal kühler vorkommt im Kontrast zu etwas so warm aufgeladenen wie dem Golden Pudel Club oder ähnlichen Lebensraumentwürfen. Aber das ist wohl in der Tat unsere Perspektive. Unser direktes Sprechen in Persona hat eben dem Multitasking-Kommunizieren über die Anwendungen hinweg Platz gemacht.
Ich will mich da gar nicht so wertend zu äußern. Die positive Seite ist, dass man im Netz die unglaublichsten Spezialisten zusammen bekommt, wenn man Dinge diskutiert. Die findest du in einem lokalen Raum nicht. Aber ja, es hat eine andere Form von Sinnlichkeit – deswegen sollte man es auch nicht miteinander vergleichen. Es greift aber ja auch ineinander. Leute, die über die modernen Medien kommunizieren und soziale Räume dort aufmachen, manifestieren diese auch in der normalen Welt, in dem sich zum Beispiel der Hacker Club einmal im Jahr auf einer Messe trifft.

Wobei das natürlich eine andere Form von Manifestation ist, wie das Jugendhaus, das in den 90er Jahren ein prägender sozialer Rahmen war, in dem viele an Subkultur herangeführt wurden. Damals spielten dort ja fast jeden Tag Bands die man teilweise nicht kannte, die man aber wegen des Ortes anschaute -, fanden Filmclubs statt. Das war eine prägende soziale Dynamik, die sich auch auf die Bedingungen für die Künstler ausgewirkt hat. Heute sind Clubs mit diesem Flair, so Clubs wie das Gebäude 9 in Köln oder eben der Pudels in Hamburg eher die Ausnahme.
Das ist ein Faktor. Die Veränderungen der sozialen Verhältnisse gehen aber noch sehr viel weiter. Du musst es dir als junger Erwachsener heute erst mal leisten können, soviel Zeit in die Kultur zu stecken, wie wir das damals getan haben, wenn du deinen Bachelor in zwei Jahren machen musst.

Wobei ich gestern im Pudel um halb drei morgens nicht den Eindruck hatte, dass es nicht mehr drin ist.
Das stimmt. Ich habe keine Ahnung, wie die Leute das machen. Ja, es gibt das noch, aber die Dimension ist doch eine gänzlich andere. Es schrumpft.

Was die Frage aufwirft, warum so viele Jüngere heute so angepasst agieren. Man versteht nicht, was sie sich davon versprechen. Was ist der Anreiz? Für uns früher war es die absolute Freiheit des Kulturbetriebs so hätten wir ihn natürlich nie benannt. Es ging um Musik, Freunde und Verschwendung. Selbst wenn man zu arbeiten anfing, änderte sich das nicht. Man kam in den 90ern und frühen Nullerjahren ja nie vormittags in die Plattenfirma oder Redaktion. Heute hingegen ist alles überdiszipliniert. Die Praktikanten müssen um 9.30 Uhr antreten, um Datenbanken zu füllen und die Effizienz eines Systems zu untermauern, das kaum mehr Mauern stehen hat. Da wären wir früher viel zu bockig zu gewesen ohne uns jetzt verklären zu wollen, denn wir waren derer viele. Wie geht man als Band, die schon immer für ein gewisses Milieu existiert hat, damit um, dass der Nachwuchs da größtenteils doch eine ganz andere Agenda hat. Versucht man sich da reinzufühlen?
Wir experimentieren damit herum. Inhaltlich denke ich weniger über die Folgen nach, sondern frage mich, wo das herkommt. Warum hat sich das so geändert? Das sehe ich als die interessante Geschichte zum erforschen und erzählen. Wie haben sich die Machtverhältnisse in den letzten 20 Jahren geändert und warum muss das so sein? Nicht nur jene der kulturellen Produktion sondern der Produktion ganz allgemein. Meine Aufgabe ist es nicht, darüber ein Sachbuch zu schreiben, sondern es in Popmusik zu verarbeiten. Was eine Herausforderung darstellt. Man muss umdenken. Für mich persönlich heißt das im Moment, nicht zu wissen, ob die Sterne tatsächlich das Medium sind, das dies kann. Die Sterne sind ja auch ein bisschen ihr eigenes Museum. Es ist wirklich schwierig, aus dem Erwartungshorizont der Leute auszubrechen, die man über die Jahre bedient hat, das haben wir bei unserer „24/7“ Platte bemerkt. Wir hatten mehr junges Publikum als jetzt, aber weniger von den Alten.

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“Auf Tour mit „Der Bürgermeister der Nacht“ – Prag”

Das klingt natürlich einleuchtend. Der Song, der explizit für den 20jährigen entsteht, der bindet nicht zwingend auch die Über-40jährigen.
Genau. Es geht da um unterschiedliche Bedürfnisse: das Publikum möchte eine Marke und Kontinuität, der Künstler sucht die Herausforderung. Vielleicht sollte man auch als beinahe 50jähriger gar nicht mehr versuchen, die 20jährigen zu erreichen. Denn ob sie sich von diesem über ihre Zustände und Lebensrealitäten belehren lassen wollen, bezweifele ich. Aber das muss man auch gar nicht.

Nach all dem bislang gesagten: Was denkst du, warum die meisten Künstler nicht gerne über ökonomische Probleme des Künstlerdaseins reden?
Man könnte es so sagen: Das ist das verinnerlichte Verständnis der Funktionsweisen des Kapitalismus. Man sieht sich selbst als Ware und den Marktwert als Wette auf die Zukunft. Das, was ein Verlag und Label bereit sind zu zahlen, ist die Wette auf die Zukunft des Künstlers. Die Aufgabe des Künstlers ist es folgerichtig, diese Zukunft möglichst rosig darzustellen. Deswegen redet man eben nicht darüber, wenn es abwärts geht, über all das, was nicht gelungen ist und dass die Verhältnisse tendenziell schlechter werden. Man möchte bewundert und nicht bemitleidet werden. Es ist vielmehr Aufgabe etwas darzustellen, was die Leute haben wollen, also außerhalb des kommerziellen Drucks zu stehen und souverän das Bild zu vermitteln, damit nichts zu tun zu haben. Das ist ja wirklich ein Teil des Produkts, das man am Ende abliefert.

Wobei diese Card Blanche des Lebensstils den Künstler in den letzten Jahren ja weggenommen wurde. Heute erwartet doch jeder – vom Labelbetreuer bis Fan – vom Künstler, dass er seine Social-Media-Arbeit machen und fleißig seine eigene kleine Welt via Twitter, Facebook und Instagram mit allen teilt.
Weil alle an diesem Leben teilhaben wollen. Mein Lieblingsbeispiel sind Deichkind. Wenn die Leute die Anarchie der Band auf der Bühne erleben, dann haben die Tränen in den Augen vor Glück, weil es ganz anders als ihre eigen Lebenswirklichkeit ist. Das funktioniert wie Schlager. Man kann bei deren Shows machen, was man will: rumspacken, in Gummiboten über den Köpfen der Leute rumfahren. Das ist, was Schlager schon immer geboten hat: die Entlastung vom Alltag. Und genau deswegen darf der Alltag nicht in die künstlerische Welt hinein. Keiner soll hören, wie lange man geprobt hat und wie schwer das zu inszenieren war, was letztlich so leicht aussieht. (Wobei Deichkind natürlich mit der Übertreibung auch die Kritik liefern.)

Wo wir gerade schon bei der Generationskluft waren. Man könnte sagen, dass das alles von uns so vehement wahrgenommen wird, da der Zeithorizont für uns enger wird, während er für 20jährige, also für Bands wie Messer, Trümmer und wie sie alle heißen, unendlich anmutet und sie leicht auf alles scheißen können.
Das ist wie bei der Wetterprognose. Dieser kleine Schatten, je weiter in der Zukunft er liegt, desto weniger kümmert er einen. Man hofft immer auf das Bessere, das ist, was den Geist der Jugend ausmacht.

Gestern hat Gudrun Gut, die Betreiberin des Labels Monika Enterprises und frühere Musikerin bei Malaria, ihren Rentenbescheid gepostet. Mit dem kümmerlichen Betrag von 261.
Dass sie uns den jährlich zuschicken, das dient doch nur dem Verkauf von Riesterrenten – und die werden dann später auf die Sozialhilfe angerechnet. Das sagen sie einem aber vorher nicht. Die Grundabsicherung ist in Deutschland durch Hartz 4 so karg geworden, dass die soziale Härte bei uns existenzielle Ausmaße angenommen hat. Es ist eine soziale Ausgrenzung, die hier stattfindet. Wenn du nur noch diesen Satz bekommst, dann kannst du an nichts mehr teilhaben, ja du kannst dich kaum richtig ernähren.

Der genannte Rentenbetrag ist so absurd niedrig, dass jedes weitergehende persönliche Engagement sowieso nutzlos erscheint, da man es nie über den Sozialhilfesatz bringen wird.
Genau. Arm bleibt arm.

Hast du früh begonnen, privat vorzusorgen?
Überhaupt nicht. Außer den Rechten an meinen Songs natürlich, die ich über die Jahre geschrieben habe. Mein vorrangiges Interesse müsste es sein, für eine Wertschöpfung dieser Songs vor allem im Internet zu kämpfen, das könnte dann helfen. Meine Erwerbsrente ist auf jeden Fall ähnlich gering, einfach da ich nie viel verdient habe.

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“Auf Tour mit „Der Bürgermeister der Nacht“ – Prag”

Aus den USA kennt man wenigstens noch die Geschichten von Bands, die im Rahmen irgendwelcher Hypes wie Grunge einmal den großen Plattendeal an Land gezogen haben, von dem sie sich alle ein Häuschen kaufen konnten. Langte es hier wenigstens für eine Wohnung?
Von wem sollen wir da sprechen? Bei diesen Vergleichen von auf den deutschen Sprachraum operierenden Künstlern mit internationalen, darf man eines nicht vergessen: der potentielle Markt ist ungleich kleiner. In Deutschland fallen mir da nur Wir Sind Helden, die Ärzte, die Toten Hosen und Rammstein ein, die es in solche Dimensionen geschafft haben. Da muss man schon seine Platten jahrelang in den Top 10 platziert haben. Das sind nicht viele in der Liga. Und ehrlich gesagt, künstlerisch gesehen wollte ich da nie hin.

Denkst du in diesem blöden Moment, in dem der Rentenbescheid reinkommt, dass du doch etwas anderes hättest machen sollen?
Das ist eine Frage, die an die Grundfeste von künstlerischer Arbeit heran geht. Es gibt unterschiedliche Typen und Herangehensweisen an die Kunst. Für jene, die ich am meisten schätze, ist es keine Frage der Kalkulation oder der Wette auf die künstlerische berufliche Zukunft – sprich, ich halte mich selbst für so gut, dass ich schon irgendwann mein Auskommen haben werden -, sondern eine innere Notwendigkeit, die einem keine andere Möglichkeit lässt, als Kunst zu produzieren. Für jene ist es eine psychosoziale Sache, aus der man nicht rauskommt, eine Überlebensgeschichte. Da stellt sich die Frage der Alternative nicht. Es geht um das Überleben, nicht um irgendeine Form des Auskommens.

Man kann ja auch sagen: die Belohnung ist größer als die Entbehrung.
Genau. Würde ich mich glücklicher fühlen, wenn ich jetzt einen hohen, einen stattlichen Rentenbescheid bekommen würde, aber ich hätte 30 Jahre ein fremdbestimmtes Leben geführt, das ich nicht wollte. Das kann einen mehr fertig machen als eine magere Rente.

Die Frage ist ja auch: Was wäre der Gegenentwurf?
Ich glaube schon, dass ich in anderen Berufen glücklich geworden wäre. Meine Talente liegen ja im sprachlichen und kreativen Bereich. Aber was kann man damit heute noch werden?
Lehre wäre auch eine Möglichkeit. Man kann in meinem Alter ja Wissen sehr gut weitergeben. Ich habe ja im Unterschied zu vielen Theoretikern den Markt von der praktischen Seite kennengelernt. Die meisten Institute sind aber leider kommerziell und weniger künstlerisch orientiert.

Hast du denn mal in einem anderen Beruf gearbeitet?
Ich habe Kulturwissenschaften studiert mit der Absicht, etwas wie ein Label zu machen, oder was man noch so damit hätte machen können. Aber ich habe mich dann für die künstlerische Seite entschieden, weil ich mir sicher war, das man das was man macht konsequent machen muss, um eine Chance zu haben. Aber die Managementfähigkeiten, die ich über die Jahre mit der Band entwickelt habe, die ließen sich auf andere Bereiche übertragen, denke ich.

Frank, seit wann kannst du nur von der Musik leben?
Seit 1995. Davor habe ich immer noch gejobbt, unter anderem im Pudel gekellnert. Ich hatte ein paar Jahre lang einen sehr geilen Nebenjob, wo ich einmal die Woche Videokassetten durchgucken musste – das reichte damals für die Miete. Damit habe ich die Zeit von 92 bis 94 überbrückt.

Hast du deinen persönlichen Betrag im Kopf, den du jeden Monat einspielen musst? Deinen Break Even?
Ich bin es tatsächlich gewohnt, wie ein Unternehmer zu denken. Die Kosten des privaten Haushalts sind dann die eingesetzten Mittel, die einem Umsatz oder Gewinn gegenüberstehen, den man mit der künstlerischen Arbeit erwirtschaftet. Seitdem die Kinder zur Schule gehen, trägt aber auch meine Frau dazu bei, diese Kosten zu dämpfen. Was ist das für ein Betrag für eine Familie? Ich denke man braucht in einer teuren Großstadt wie Hamburg mindestens 3000,-€

Das ist durchaus ein anderer Betrag als bei dem 20jährigen Musiker, der im WG Zimmer lebt.
Ja, da sind es aktuell vielleicht 1000€.

Wie viel Druck bringt das mit sich?
Je nachdem, wie gut es läuft. Manchmal viel, manchmal wenig.

Und verstärkt die Familie den Druck oder hilft sie bei den Zweifeln?
Puh, das kannst du jetzt aber wirklich jeden fragen, der eine Familie hat und nicht nur den Musiker oder die Musikerin. Ich würde sagen, sie vergrößert die Aufgabe, weil es ja nicht nur um das persönliche Wohlergehen geht, verstärkt aber auch die Motivation.

Stellen die Kinder denn viele Fragen?
Wir besprechen alles ganz offen. Mein Sohn interessiert sich aus der Beobachterposition sehr stark dafür. Er hat keine Ängste, da es in der Vergangenheit ja immer funktioniert hat – warum sollte es also jetzt nicht mehr gut gehen. So denken Kinder, die Ängste sind bei den Eltern.

Dein Buch Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen war ja auch so eine Idee für einen neuen Weg. War das etwas, was als Möglichkeitsraum von außen an dich herangetragen wurde, oder kam das von deiner Seite aus auf?
Das Buch wurde mir vorgeschlagen. Schreiben musste ich es aber selbst aus mir heraus. Mein Agent hat mich ungefähr 2005 zum ersten mal angeschrieben. Ich habe dann erst mal nicht reagiert, da ich es mir nicht vorstellen konnte und es auch nicht zu den Sterne Plänen passte. Erst 2009 nahm ich dann mit ihm mal ein Exposee in Angriff, weil ich eine Idee hatte. Aber so etwas braucht aber Zeit.

Wenn man ein Buch veröffentlicht, merkt man schnell, dass es auch wieder aufs Unterwegssein und Auftritte hinausläuft, wenn man etwas verdienen will. Stört dich das?
Absolut nicht. Ich begreife den deutschsprachigen Raum inklusive der ausländischen Goetheinstitute als mein Arbeitsgebiet. Ich freue mich jedes mal, wenn ich von meinem Schreibtisch wegkomme und Leute in Zürich und Graz, die ich nur einmal im Jahre treffen kann, sehe. Außerdem ist man ja nach vier Wochen spätestens wieder Zuhause.

Einchecken - Hotel.

“Einchecken – Hotel.”

Nochmal kurz zu der nachwachsenden Generation an Bands wie Trümmer und Die Nerven. Siehst du da denn einen geteilten Wertekosmos?
Davon gehe ich aus. Es ist nicht ohne Grund so, dass sich alle immer im Pudel treffen. Auch diese jungen Bands. Ich finde sofort einen Draht zu ihnen. Ob man die gleichen Ziele teilt, das wage ich zu bezweifeln. Wobei ich auch gar nicht weiß, was ob die Ziele der einzelnen Protagonisten der Hamburger Schule die gleichen waren – aber man hat vorübergehend an einem Strang gezogen, um etwas zu erreichen.

Was war dein Ziel?
Was wir ziemlich klar vor Augen hatten, als wir Fast Weltweit gründeten in Bad Salzuflen, das war die Überwindung der Nichtkommunikation in der Popmusik. Ganz alte Geschichte: wir empfanden diese Diskrepanz beim Hören der Lieder auf BFBS – das Jugendprogramm, bei dem John Peel eine von vielen Programmfarben darstellte – zwischen dem, was da textlich verhandelt wurde und dem, was im deutschen Radio lief. Hier wurde ein Song wie „Bobby Brown“ von Frank Zappa zwar rauf und runter gespielt, doch keiner hat bemerkt, worum es darin geht. Dieses Nichthinhören bei Texten nervte. Niemand kümmert sich um die englischen Texte im deutschen Radio. Unser Ziel war es also, die Kommunikation möglich zu machen, anzufangen zu sprechen – und nicht nur in Form von Witzen und Kalauern, wie es die Ärzte beispielsweise taten. Wir reden über was – und dann haben wir Diskurs bestenfalls. Wobei Diskursrock natürlich ein elitärer Begriff ist.

Wobei wir heute in der Welt der sozialen Medien ja wieder bei der grauenhaften Witzdauerbeschallung angekommen sind.
Klar, Humor ist nun mal am erfolgreichsten. Die Leute haben eben dieses Bedürfnis nach Anerkennung. Wobei es auch die politischen Poster gibt: Jemand wie Christian Y. Schmidt, der früher für die TAZ geschrieben hat, und jetzt in China lebt, bringt viel zur asiatischen Politik. Oder Torsun von Egotronic, Daniel Kulla und andere Blog Aktivisten sind immer am Ball und überblicken die politische Lage. Da profitiere ich auch sehr, es erspart mir viel Recherche. Dann sind Postings im besten Sinne aufklärerisch.

 

 

 

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