Kraak 

„Genres kümmern uns nicht!”

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Kraakfest

Belgien ist nicht sonderlich groß und die geschichtsträchtigen Schauplätze für elektronische und experimentelle Musik verortet man nicht unbedingt zwischen Flandern, Brüssel-Hauptstadt und der Wallonie. Aber nicht zuletzt die jungen belgischen Fußballer zeigten in Brasilien 2014, was es heißt, seine Rolle als Geheimfavorit überzeugend auszuspielen. Seit Jahrzehnten floriert im Königreich eine umtriebige Labelszene im verästelten, nicht so ganz genau vermessenen Areal zwischen DIY-Elektronik, Avantgarde-Komposition und wunderlichen Pop-Ansätzen. Neben Sub Rosa, Ultra Eczema oder Meakusma seit 18 Jahren dabei mittendrin: Kraak.
Friedemann Dupelius hat sich für Kaput mit Labelmanager Pauwel de Buck unterhalten. 

1997 gründeten Dave Driesmans und Johan Loones im flämischen Gent (K-RAA-K)³ als Nachfolger des Tapelabels Toothpick. Mittlerweile hat sich nicht nur die Orthografie geändert, auch die Labelmacher sind seit grob zwei Jahren andere: Die beiden Gründer haben sich zurückgezogen und nun führen Niels Latomme und Pauwel de Buck die Geschicke einer Organisation, die schon lange mehr als bloß ein Label ist: Kraak releast nicht nur Platten und Tapes, sondern auch im Printmagazin-Format; es veranstaltet Konzerte sowie das jährliche Kraak-Festival – vergangenen März zum 17. Mal –, war zwischenzeitlich auch mal ein Vertrieb und bemüht sich darum, Artists zusammenzuführen.

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Antti Tolvi

„Genres kümmern uns nicht, wir supporten den gesamten Underground“, umreißt Pauwel die musikalische Ausrichtung von Kraak. „Keiner soll denken können: ‘Ach ja, Kraak, die mit dem avantgardistischen Drone-Zeug.’ Klar, das releasen wir auch, aber genauso Punk, sogar Pop, und dann wieder Musik von richtigen Komponisten wie Lieven Martens und Floris Vanhoof. Unsere Artists sind alle miteinander verbunden, sie teilen eine bestimmte Einstellung, auch wenn die schwer zu erklären ist.“

Vielleicht helfen zwei Buzzwords weiter: „Off-stream left field avantgarde“ und „deconstructed pop music“ haben die Kraaks in ihre Facebook-„Seiteninfo“ getippt. Das trifft es ganz gut, Bewährtes auf links drehen, das tun ihre Artists gern, fallen aber auch in etwaigen Szenekreisen damit oft unter den Radar. Kraak kümmert sich um Outsider, ob mit Pop-Roots oder Background in Improv oder Komposition, verschafft ihnen Gigs und veröffentlicht ihre Musik. Die klingt in der Tat höchst unterschiedlich: Es gibt den New Age von Dolphins Into The Future, deren Mitglied Lievens Martens Moana wiederum Kompositionen aus Fieldrecordings formt, den LoFi-Rock der Sleaford Mods, Bear Bones, Lay Lows analoge Psychedelia, Cold Wave von Maan, Ignatz und seinen kratzigen Blues, die Drones aus den akustischen Instrumenten von Razen, Floris Vanhoof und seine Synthie-Experimente, und so weiter.

Lievens Martens beim Fieldrecording: 

Einige Artists sind fast seit den ersten Tagen dabei, wie Köhn oder Ignatz, andere – und das ist den Machern wichtig – treten beim Genter Label zum ersten Mal in Erscheinung. Ob bei Releases oder Shows: Newcomer-Förderung ist Kraak seit jeher ein Anliegen, gerade für solche, die sonst nirgendwo unterkommen. So manche Laufbahn geht hier los. Im Backkatalog findet sich denn auch eine frühe Lali-Puna-EP. Eine Band, die damals, 1998, noch wirklich kaum jemand kannte.
Bei allem DIY-Approach – eines unterscheidet Kraak von ähnlichen Mitstreitern seit nun schon acht Jahren: Die Organisation bekommt öffentliche Fördergelder aus dem flämischen „Department Cultuur, Jeugd, Sport & Media“. Die Labelgründer Johan und Dave hatten einst den ersten Antrag gestellt, als die staatliche Kulturförderung ihre Töpfe auch für Akteure jenseits der subventionierten Museen oder Musikinstitutionen öffnete. Vor kurzem hat Pauwel den Antrag für die nächste vierjährige Förderperiode ab 2017 gestellt und hofft natürlich, dass auch dieser durchgeht.

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Kraakfest

Wofür verwendet ihr die Fördergelder?
Pauwel de Buck: Wir stecken sie in unsere Veranstaltungen. Das Plattenlabel finanziert sich unabhängig von den Fördergeldern. Also finanzieren wir mit dem Geld das Kraak-Festival und machen Konzerte, die mit einem einfachen Tür-Deal nicht möglich wären. Einerseits können wir Künstler mit höheren Gagen oder längeren Anreisen finanzieren. Wir laden aber auch gerne mal Künstler für eine ganze Woche ein, damit sie Leute kennen lernen, neue Projekte anstoßen oder sich einfach Zeit nehmen können, etwas auszuprobieren. Außerdem zahlen sich Niels und ich einen monatlichen Lohn von den Geldern aus.

Heißt das, ihr könnt ihr von Kraak leben?
Ja, wir zwei leben davon. Das ist selten für eine Underground-Organisation wie uns. Wenn man so will, sind wir somit selber nicht Underground, supporten aber Underground- und Avantgarde-Musik.

Hat euch der plötzliche „Reichtum“ auch Neider in DIY-Kreisen eingebracht?
Das weiß ich nicht. Es mag Leute geben, die das kritisch beäugen, aber wir stehen mit den meisten belgischen Labels in gutem Kontakt. Kraak hat ja eine lange Geschichte, aufgrund der uns die Leute vertrauen und respektieren. Außerdem stecken wir das Geld in unsere Festivals und Konzerte, zu denen wir neben ausländischen Artists auch immer belgische Acts einladen. Ein großer Teil der Fördergelder fließt also an die anderen Künstler zurück.

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Olimpia Splendid

Die Gelder speisen also eine ganze Szene. Ziemlich solidarisch…
… so würde ich es nicht nennen. Wir sind nur ein kleiner Teil dieser Szene. Sie würde auch so existieren. Und wenn unser Antrag für 2017 abgelehnt werden sollte, würde es mit Kraak trotzdem weitergehen. Mit weniger Konzerten und Projekten, aber wir würden immer noch Platten herausbringen.

Momentan aber ist das Geld da, also schleust Kraak fleißig etablierte Weirdos wie Newcomer durch ansonsten schwer gehende Türen – rein in subventionierte Kunstzentren, rein in den Clubraum der großen Brüsseler Konzertlocation „Ancienne Belgique“. DIY-Spots und künstlerbetriebene Locations bespielt man natürlich weiterhin. Kraak erinnert sich nicht bloß seiner Wurzeln, sie stecken weiter tief im fertilen Untergrund.

Den als Label, Veranstalter und „Möglichmacher“ gleichzeitig zu beackern, kostet nicht nur Geld sondern auch Zeit. Besonders wenig davon war nach dem Führungswechsel vorhanden und so blieb es zunächst ruhig um das Label Kraak – 2014 erschien nur eine Platte, nach der Razen-Platte zum Jahresende werden es 2015 „immerhin“ doppelt so viele sein. Auch bei den Gentern macht sich der Vinyl-Hype mit seinen unliebsamen Nebenwirkungen bemerkbar: „Finde erstmal ein gutes Presswerk, das auch in einem vernünftigen Zeitraum liefern kann!“ Nächstes Jahr will Kraak aber selbst wieder liefern – gleich sechs Releases stehen an, von Label-Debüts wie Camargue bis zu einer neuen Platte von Stammartist Köhn.

Zudem produziert Kraak seit zwei Jahren die Radioshow „De Neus van God“ auf dem Brüsseler Lokalsender Radio Panik. Und mit dem „Avant Guardian“ wurde die Lücke, die das 2012 eingestampfte Kraak-Printmag „Ruis“ gerissen hatte, zumindest wieder teilweise gefüllt. Das neue Heft erscheint zu besonderen Anlässen wie dem Kraak-Festival und bietet Künstler-Interviews und Artworks.
Ganz schön viel Treiben auf dem Off-Stream…

E-Paper vom „Avant Guardian“:

 

Radioshow „De Neus van God“ zum Kraak-Festival 2015

 

 

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