M.I.A.

Happy Birthday

Liebe Mathangi,

heute ist dein 40igster Geburtstag, und ich hoffe du findest die Zeit ihn angemessen zu begehen: mit wilden Tieren, farbenfrohen Tänzern und jeder Menge politischer Wut im Bauch statt Kuchen.

Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich das erste Mal von dir gelesen habe – oder besser gesagt über M.I.A., deinen Kampfnamen. Das war im Frühjahr 2005 und ich war fünfzehn oder sechzehn Jahre alt und wollte unbedingt schon erwachsen sein. Ich kaufte damals dieses Musikmagazin, aber ich kannte weder die Bands, die darin vorkamen, noch verstand ich die Artikel. Aber plötzlich warst du da vor mir: du hattest gerade dein erstes Album »Arular« veröffentlicht und ich erfuhr, dass es nach dem Code-Namen deines Vaters benannt war, eines Tamil-Freiheitskämpfers, der damals verschollen war. Nun ja, Diplo, mit dem du ja lange zusammen warst und auch musikalisch viel zusammengearbeitet hast, meinte einige Jahre später, das sei alles erfunden gewesen…. Aber spielt es eine Rolle? Und überhaupt: wer hört schon noch hin, wenn Diplo dieser Tage etwas erzählt. Ich erinnere mich jedenfalls noch sehr intensiv, wie fasziniert ich von den heftigen Farben des Plattencovers war. Ein Eindruck, der vom Video zu «Bucky Done Gun», das ich einige Tage später auf MTV gesehen habe, nochmals übertroffen wurde. Es sollte mein Leben verändern. Oh ja! Denn erstmals erblickte ich eine Frau, die wie ich aussah, und die so wütend wie ich war, und heiß, aber eben nicht gefolgsam – stattdessen schrie sie lustvoll und einnehmend mit allen, was ihre Lungen hergaben. Sie war so kühn, so bunt, ästhetisch so ganz anders als alles andere um mich herum, ja so anders als alles andere, was ich je gesehen hatte.

Man darf nicht vergessen, das war vor zehn Jahren, also noch bevor ich meinen ersten Myspace-Account hatte, von Facebook mal ganz zu schweigen, oder von Modetrends, die in der tumblr-Sphäre entstanden – es waren jene Tage, als wir noch Leute in Chatrooms verarschten, als es noch Chatrooms gab. Und so sah ich also erstmal ein dunkelhäutiges Mädchen wie mich, das Musik produzierte und nichts mit Bollywood und R’n’B zu tun hatte, sondern das zu der Welt gehörte, in der ich auch mich verortet sehen wollte.

Was ich bis zu diesem Jahr nicht wusste, sondern erst anlässlich des zehnjährigen Jubiläums deines Debüts erfuhr: du bist damals im gleichen Jahr noch 30 geworden. Du hattest also in dem Moment, als deine Musikkarriere die dich berühmt machen sollte, begann, und die die Form eines Märchen/Albtraums annehmen sollte, schon bereits ein ziemlich aufregendes anderes Leben geführt. Du bist im Bürgerkrieg aufgewachsen, kanntest deinen politisch aktiven Vater nur als «Onkel», und hast als Kind bereits eine Schussverletzung überlebt. Als du gerade mal neun Jahre alt warst, wurde deine Grundschule während eines Angriffs der Armee zerstört – damals beschloss deine Mutter mit dir und deinen Geschwistern das Land zu verlassen und nach England zu ziehen.

Dort hast du es mit viel Energie und Ehrgeiz in das Central St. Martins geschafft, wo du mit Elastica und Damon Albarn abgehangen bist, und dir erste Fans für deine Kunst erarbeitet hast. Dein Leben wurde dann völlig auf den Kopf gestellt, als du mit deinen Freundinnen von Elastica auf Tour gegangen bist, um einen Dokumentarfilm über sie zu drehen: Peaches, ja, genau jene Peaches mit «Fuck the Pain Away»-fame, erklärte dir damals, wie man mit der legendären Roland MC-505 Musik produziert – und plötzlich warst du keine Filmemacherin mehr sondern Musikerin.

Du warst eine der ersten Musikerinnen, der es gelang auf der Basis von Social Media eine Anhängerschaft zu kultivieren, «Galang» und «Sunshowers» wurden dank Filesharing und mit Unterstützung des Uni-Radio-Netzwerks zu Hits. Als die Majors dann endlich kapierten, was Sache ist, warst du bereits international bekannt. Und trotzdem, mit «Arular» ging es dann endgültig richtig los: M.I.A. wurde zum Popstar, und du, Mathangi, Maya, wurdest eins mit dieser Person.

Zumindest in den Augen der Öffentlichkeit, aber vielleicht ja auch für dich selbst? Immerhin hast du weiterhin dein Privatleben und dein Alter Ego verschmolzen.

Dein zweites Album hast du dann nach deiner Mutter benannt, «Kala». Ich muss gestehen, es hat mich nicht so gepackt wie «Arular», aber das hatte vielleicht auch nur mit mir zu tun und dem typischen Szenario, wie eine Teenagerin darauf reagiert, wenn ihre Lieblingskünstlerin plötzlich allen gehören soll und zum Massenphänomen wird. Ja, jetzt habe ich es gesagt: du wurdest damals zur Mainstream-Künstlerin. Besonders «Paper Planes», der Song für den du Pistolenschüsse und ein The-Clash-Riff gesampelt hast, wurde ein echter internationaler Hit nachdem er im Trailer zu «Pineapple Express», der «stoner action comedy» mit James Franco und Seth Rogen eingesetzt wurde. Das war echt seltsam, denn dein hypnotischer Song war ja offensichtlich von explizit politischer Natur und handelte von Immigrationsproblemen und Gesellschaftskampf – rückblickend muss man sich schon sehr wundern, dass es nicht die Hymne aller politischer Aktivisten weltweit wurde. MTV sollte ihn jedenfalls zensieren, genauso wie sie auch

«Sunshowers», den Song mit dem die Behörden von Sri Lanka ganz sicher auch nicht sehr glücklich waren, vom ersten Album zensiert haben. Aber was sollte dir das schon noch anhaben: du warst nicht mehr zu stoppen, der Underground und seine Probleme lagen hinter dir, mittlerweile hattest du ja eine Verlobung und Trennung mit einem Millionär durchlebt, warst von einer Journalistin der New York Times verrissen worden, durftest für Versace eine Modelinie entwerfen und bist, im neunten Monat schwanger, mit T.I., Lil Wayne, Jay-Z und Kanye West bei den Grammys aufgetreten – und hast die Jungs dabei wie Rookies aussehen lassen. Ich könnte auch sagen, du bist krasser aufgetreten als es deiner Karriere gutgetan hat, zumal dir nie eine Entschuldigung über die Lippen kam – du hast jedenfalls nach deinen eigenen Regeln gespielt: wer sonst veröffentlicht auf Roc Nation (das du 2013 verlassen hast) und haut gleichzeitig Wikileaks-inspirierte Mixtapes raus. Obwohl im Mainstream angekommen, bist du weiterhin sehr politisch aufgetreten und hast deine Kritik am weltweiten Bankensystem gekonnt in dancy Beats verpackt und wie wenig andere in diesen Sphären Tradition mit Moderne zu einer ganz eigenen Ästhetik vereint.

Du warst dabei ganz sicher nicht immer im Recht, nein, oft bist du auch ganz schön im Abseits unterwegs gewesen und hast die Zeichen nicht richtig verstanden, manchmal dich gar in seltsamen Verschwörungstheorien verloren – aber böse konnte ich dir in all den Jahren trotzdem nie sein, Mathangi.

Zehn Jahre ist es nun her, seitdem du mein Leben verändert hast und auch das all der anderen dunkelhäutigen Kids. Du bist nicht meine Heldin, M.I.A., aber du bist die Großmutter von all uns Außenseiterinnen, ärgerlichen Kids und lauten Mädchen. Wir schulden dir viel, egal ob wir das mögen oder nicht.

Happy Birthday, M.I.A.!

Aida Baghernejad

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!