Austroschock

“Sie sagten mir, dass sie Vampire sind” – Durch die Nacht mit Nino aus Wien

Nino Mandl, besser bekannt als Der Nino aus Wien, ist erst 29 Jahre alt, dafür macht sich seine Diskographie ziemlich beachtlich aus: Zwei EPs, zwei Kollabo-Alben, ein Best Of-Album sowie sechs Studioalben zeugen von großem Kreativdruck. Mandl stellt dabei nichts weniger dar als den wohl wichtigsten Vorläufer für die Wiener Popwelle um Acts wie Wanda, Grant und Voodoo Jürgens, die seit inzwischen drei Jahren den deutschsprachigen Musikraum aufmischt. Der ursprünglich aus Hirschstetten (22. Wiener Bezirk) stammende Mandl lebt inzwischen in der Leopoldstadt. Mit “Wach” bringt er sein siebtes Album heraus – veröffentlicht wird es erneut bei Problembär Records, eben jenem Wiener Label auf dem ebenfalls das Wanda-Debüt „Amore“ erschien. Was es mit “Wach” auf sich hat, wollte unser Autor Florian Kölsch herausfinden. Man verabredete sich auf ein Gespräch … und das sollte im konventionellsten Ort des ganzen WWW abgehaltenen werden: Dem Facebook-Chat. Der Termin stand, nur die genaue Uhrzeit musste noch geklärt werden…

Nino: Machen wir das heute? Wann?
Ja, können wir machen. Wie lang bist du denn heute wach?
Hoffe nicht zu lange. Muss früh auf morgen. Machen wir es so um Mitternacht?
Ja, klingt eh gut.

Facebook-Chat um Mitternacht? Why not! Schließlich heißt ja die Platte auch „Wach“. Dann ist es irgendwann 00:00 Uhr. Wir werden unsere Augenringe ohnehin nie mehr los. Es folgt: Ein Internetgespräch über die Nacht, abgehalten in der Nacht – über Italien, Vampire und die späte Ankunft der Sitar im Austropop.

Es ist nun Geisterstunde – und wir sind wach. „Wach“ heißt auch dein neues Album – empfindest du es quasi als ein Konzeptalbum über den Wachzustand?
Nino: Also ich habe eher mit dem Titel gerungen. Normalerweise habe ich den Titel bevor ich überhaupt die Lieder geschrieben habe. Der Arbeitstitel von dem Album war „Der Nino aus Wien sucht“, weil ich irgendwie Lieder gesucht habe. Wir hatten auch noch einige andere Vorschläge von „Sandy“ über „Träume 2“ bis hin zu „Nonanino“. Erst im letzten Moment haben wir das Album dann „Wach“ genannt. Es war eine Idee unseres Bassisten pauT [Sein bürgerlicher Name ist Paul Schreier]. Auf jeden Fall kommt das Wort „wach“ in fast allen Liedern vor, deshalb hat es sich dann als Titel angeboten. Und es geht schon ums wach sein am Album.

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Foto: Pamela Russmann

Also „Der Nino aus Wien sucht“ wäre auch ein sehr schöner Titel gewesen – mit dem Verb „suchen“ und dem Substantiv „Sucht“ hat man da eine schöne Doppeldeutigkeit.
Ja, eh. Aber „wach“ wird ja in Österreich auch als Doppeldeutigkeit interpretiert.
Ach, okay. Das ist mir neu.
Nino: Es gibt hier ein Wort das „waaaaach“ heißt. So viel wie „zua“ oder „eingeraucht“. Auch „high“ oder „betrunken“. Oder so. Aber dieses Wort schreibt man mit ganz vielen „aaaaaaa“.
Fiel dir diese Doppeldeutigkeit im Titel erst später auf?
Also dort, wo ich herkomme, schreibt man „waaaach“ mit wirklichen sehr vielen „aaaaaa“ und wenn ich es so gemeint hätte, dann hätte ich es auch so geschrieben. Das „wach“ in den Liedern ist immer als wach im Sinne von Augen offen und nicht als „eingeraucht“ gemeint. Wiederum haben wir vor den Aufnahmen schon manchmal gesagt: „Nehmen wir ein waaaaches Album auf!“. Aber ich bin insgesamt dafür, dass sich das Wache gegen das „Waaaaache“ durchsetzt. Auch wenn das „Waaaaache“ seine Berechtigung haben soll.
Mir dämmert was du mit dem „Waaaachen“ umschreibst, aber erst noch einmal zum Wachen: Das lange Wachbleiben geht ja stark mit der Nacht einher und das Erleben der Nacht erfreut sich ja einer gewissen Tradition in der österreichischen Popmusik – man denke nur an „Nachtflug“ oder „Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?“. Was meinst du – was fasziniert dich an der Nacht?
Ich bin schon sehr lange ein nachtaktiver Mensch, das war ich schon mit 10. Im Schnitt geh ich wohl um 6 Uhr früh schlagen, wenn es irgendwie möglich ist, wenn ich keine Termine um 7 Uhr früh habe. Ich finde in der Nacht halt die Ruhe, die ich brauche. Ich fühle mich einfach klarer und stärker, auch wenn ich den Tag auch sehr schätze und ich mich ihm annähere, je älter ich werde.
Wie hat sich das auf das Schreiben der Songs zum „Wach“-Album ausgewirkt?
Das „Wach“-Album habe ich ja zur Hälfte am Gardasee geschrieben und da meistens in der Früh. Wenn ich in mediterranen Gegenden bin geh ich immer früh schlafen und wache früh auf. So habe ich die Hälfte der Lieder von „Wach“ geschrieben, kaum aber bin ich in Wien dreht sich das um. „Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehn?“ – ja, das habe ich. Die Lieder vom „Wach-Album, die ich in Wien geschrieben habe, – also die andere Hälfte – die habe ich alle entweder in der Nacht oder erst im Morgengrauen fertig gehabt. Der Opener zum Beispiel: Da suchte ich eine Nacht lang nach dem Text und erst beim Sonnenaufgang („Die rosa Lichter im Blau verwoben“) kamen mir die Worte. Ja, ich liebe die Nacht: Ich arbeite gut in der Nacht, manchmal gehe ich auch lange aus in der Nacht, aber das hält sich in Grenzen. Trotzdem wünsche ich mir mehr Tage. Ich glaube, der Tag ist gesünder als die Nacht.
Ich möchte den Gedanken gerne aufgreifen: Findest du, der Tag ist nicht nur gesünder, sondern auch fröhlicher als die Nacht? Am Album gibt es einen Song namens „Tränen machen wach“ – kann die Nacht auch oft eine Zeit des Traurigseins sein?
Ich geh kurz eine rauchen am Balkon, hab jetzt einen Balkon. Muss über die Frage nachdenken.
Cool, ich mach mir derweil einen Tee. Bis gleich.

[Info: Nino raucht bereits seit Jahren Zigaretten der Marke „John Player Special Black“. Der Autor dieser Zeilen trinkt wiederum aktuell sehr gerne den gewöhnlichen Pfefferminztee eines bekannten deutschen Discounters, so auch in dieser Nacht.]

Nino: Da bin ich wieder. Ich empfinde die Nacht nicht unbedingt als Zeit des Traurigseins. Ich sehe es eher als wichtige Zeit – Arbeitszeit, Zeit der Klarheit. Klar kann die Nacht traurig sein, aber auch lustig. Der Tag auch: Den Tag lerne ich irgendwie erst richtig kennen, wie mir scheint. Wahrscheinlich ist das „Wach“-Album so ein Tag/Nacht-Album und viele Alben davor waren reine Nachtalben. Irgendwann mach ich dann auch mal ein reines Tagalbum. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass zu Wien die Nacht ziemlich gut passt, wenn du im Süden bist ist die Sonne eine ganz andere als hier. Ich mag die Sonne des Südens schon sehr. Ich glaube, im Süden wäre ich mehr Tagmensch als hier im Osten.
Man merkt ja bei „Wach“, wie auch schon bei der „Adria EP“ (2016), eine andere Färbung der Musik. Vielleicht haben dich deine vielen Reisen, vor allem natürlich an den österreichischen Sehnsuchtsort Italien, da sehr geprägt.
Ja, die beiden Alben „Adria“ und „Wach“ entspringen sicher einer Italien-Phase. Bevor wir das „Wach“-Album aufgenommen haben, unternahmen wir einen Bandausflug nach La Spezia in Ligurien: Eine Woche die Lieder üben, eingrooven. Aber ich denke, dass das eher eine Phase ist. Sollte es mehr sein, dann muss ich früher oder später eh im Süden wohnen – wenn das nicht nachlässt mit der Sehnsucht. Aber manchmal bin ich halt vernarrt in irgendwas. Das legt sich dann aber auch wieder. Normalerweise.

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Ein Urlaubsfoto der kompletten Nino aus Wien-Band in La Spezia, Italien. Von links nach rechts: David Wukitsevits, Nino Mandl, Raphael Sas, Paul Schreier (Foto).

Den Austropop hat die Italien-Sehnsucht ja nie so recht losgelassen.
Haha. Ja, wir Österreicher: Die Möchtegern-Italiener. Ich bringe im Sommer auch noch eine Single raus – die heißt „Coco Bello“. Darin geht es um den Beruf des Kokosnussverkäufers am Strand von Jesolo.
„Coco Bello“ ist ein sehr schöner Titel. Ich denke in letzter Zeit eh viel über Song- bzw. Albumtitel mit C am Anfang nach, weil ich mich frage wie das nächste Wanda-Album heißen wird.
Ja, ich bin auch gespannt. Ich glaube aber „Coco Bello“ wird es nicht heißen!
Denke ich auch. Jetzt aber zurück zu „waaaaach“.
WACH.
Ich meine doch das andere „waaach“. Den Sound der Platte.
Achso.
Das Album wirkt oft sehr 60s-mäßig. Mit der Produktion und dem Einsatz einer Sitar.
Ja, das war irgendwie auch der Plan. Der Produzent Paul Gallister wollte schon immer so ein Album machen, wir auch. Es wurde mit einer Bandmaschine aufgenommen, mit allen Mikrophone – alles was ziemlich alt. Es hat Spaß gemacht.
Wer von euch kann denn eigentlich Sitar spielen?
Der Bassist, der pauT, kann das super. Er hat fünf Minuten gebraucht um herauszufinden, wie man das Ding stimmt und benutzt. Das Meiste am Album spielt er. Paul Gallister, der Produzent, kann es auch gut. Ich kann es nicht so gut, aber es ist meine Sitar. Auf „Zeit zum Werden“ spiele ich aber auch Sitar.
Im Jahr 2017 eine Sitar ins Instrumentenspektrum aufzunehmen, ist ja schon eine sehr direkte Referenz auf George Harrison und die Beatles. Wie bewusst ist das gemeint?
Also ich wollte immer schon eine Sitar kaufen, hab es mich aber jahrelang nicht getraut, weil ich dachte: Ich werde sie eh nie spielen könne, wird dann nur blöd rumstehen und kostet ja auch ein bissel Geld. Aber eines Tages war es mir dann wurscht: Ich bin in den World Music Store [ein Musikfachgeschäft im 7. Wiener Gemeindebezirk] gefahren und habe sie einfach gekauft. Wird schon irgendwann Sinn machen, dachte ich. Im Hinblick auf das Album war es schon im richtigen Moment. Der Kauf war kurz vor den Aufnahmesessions und ich habe so gesagt: „Zeit wird’s, dass sie Sitar im Austropop ankommt!“ woraufhin der Produzent Gallister meinte: „Ja, 40 Jahre zu spät!“. War schon ein guter Kauf, ich spiele das Ding seither nie. Aber es ist ein schönes Ding und ich überlege es an die Wand zu hängen und es jedem zu borgen, der sie mal braucht. Und ja: Der Grund warum ich immer eine Sitar haben wollte, waren schon primär die Beatles.
Die Referenz auf die Beatles hört man ja vor allem in „Zeit zum Werden“ sehr deutlich. Der Song klingt doch sehr nach dem Song „Tomorrow Never Knows“ vom Beatles-Album „Revolver“.
Ja, den Song haben wir im Studio geschrieben. Das ist natürlich voll „Tomorrow Never Knows“. Das war auch der Plan – aber im Dialekt gesungen. Wir fand es lustig. Das Schlagzeug ist schneller aufgenommen und dann langsamer gedreht, ebenso die Sitar. Das Resultat klingt irgendwie nach Vampirmusik.
Die Assoziation mit „Vampirmusik“ passt wieder schön zur Nacht.
Ja, also das kommt aus einem Traum von mir. Ich habe mal, bevor ich so richtig ernsthaft mit der Musik begonnen habe, geträumt, dass eine Vampirmusikkapelle auf meinem Dachboden ein Konzert spielt. Die Musik klang ähnlich wie „Zeit zum Werden“. Im Traum lag dann am nächsten Tag in meinem Postkasten ein Brief, auf dem mit Blut „RAW“ geschrieben stand. Das sah ich immer als Message wo meine Musik hingehen könnte.
Wow okay. Ich glaube, ich verbinde viel zu wenig mit Vampiren, als dass ich irgendwann mal von ihnen träumen könnte.
Sie sahen auch nicht aus, wie man sich Vampire vorstellt. Aber sie sagten mir, dass sie Vampire sind und ich glaubte es ihnen. Sie sangen und spielten wunderschön, die Sprache kannte ich aber nicht. Und „RAW“ würde ich mit roh übersetzen. Ich glaube, dass meine Musik am besten funktioniert, wenn man sie relativ roh lässt.
Das macht ja die Produktion von Paul Gallister auch irgendwo aus. Alles bleibt eher naturbelassen.
Dadurch, dass es diesmal auf Bandmaschine aufgenommen wurde, konnte man im Nachhinein gar nicht mehr viel daran drehen. Da stellt man den Sound vorher ein und bespielt dann die Bänder.
War es für dich eigentlich wieder eine Umstellung nach den Alben mit Ernst Molden [„Unser Österreich“, 2015] und Natalie Ofenböck [„Das Grüne Album“, 2016], wieder ein Album mit deiner Band zu machen?
Nein, gar nicht. Die Band funktioniert für mich einfach immer. Und die ganze Abwechslung finde ich gut. Mehr oder weniger gleichzeitig in ein paar verschiedenen Sachen drin zu sein.

Das „Grüne Album“ war schon echt etwas sehr Spezielles. Auf „Wach“ scheint sich einiges davon übertragen zu haben – vor allem die schöne Instrumentierung – allen voran auf „Deine Bohème“, übrigens mein Lieblingslied der Platte.
Das „Grüne Album“ ist wirklich etwas Besonderes. Ein Konzeptalbum über die Steiermark. Manche fürchteten sich vor den traditionellen steirischen Instrumenten, die ich sehr schön finde – so aus „Künstlersicht“. Also aus meiner Sicht ist das „Grüne Album“ eines der originellsten Dinge, an denen ich je mitgewirkt habe. Natalie hat viel darauf geschrieben. Die Steiermark ist aber ein schwieriges Thema und man muss wohl drei Mal um die Ecke denken bei dem Album, um wirklich zu checken, was wir meinen. Aber ich finde, das war eine tolle Sachen. Und „Deine Bohème“ finde ich auch schön. Das ist ein Lied über die Kaffeehausdichterkultur in Wien.
Auf „Wach“ gibt es auch ein Wiedersehen mit Sandy Simmons, die wir ja schon vom „Träume“-Album (2014) kennen. Ein fiktiver Charakter – richtig?
Ja, eine Fantasie. Die gibt es schon ewig. Ich glaube, ich habe schon mit 17 Jahren Lieder namens „Sandy Simmons“ geschrieben. Und „Sandy Simmons on my mind“ [das zweite Lied auf „Wach“], ist auch Lied, das für mich ziemlich gut trifft, wie es so war mit 17. Too much on my mind.
Ich habe vorhin mal gegooglet und es gibt tatsächlich eine mehr oder weniger „berühmte“ Sandy Simmons. Eine amerikanischen B-Movie Schauspielerin. Sie hatte beispielsweise einen Mini-Auftritt als Model im fünften Teil von „Scary Movie“.
Cool, das wusste ich nicht. Ist auch echt ein witziger Name.
Er klingt wie der eines Rockstar-Groupies aus den frühen 70ern.
Ja eh, das ist wohl was man sich so mit 17 denkt. Man wird ein Rockstar aus den frühen 70ern und lernt Sandy Simmons kennen.
Kommt die Sitar eigentlich mit auf Tour? Und ist eine Tour vorgesehen?
Nein, Sitar live wäre zu anstrengend. Zumindest diese – ohne Tonabnehmer. Ja, die Tour beginnt so langsam, aber vor allem in Österreich. Wir spielen am 4.5. im Milla in München. Das ist schon ausverkauft und wir kriegen einen Zusatztermin. Mainz steht auch im Kalender, am 6.5. Eine Privatfeier.
Ich frage ja immer gerne nach Rapid Wien, aber das wäre in der momentanen Situation wohl etwas viel verlangt.
So schlimm wie jetzt war es schon lange nicht mehr.
Ohje. Ja, schaut bei der aktuellen Bilanz eher nach baldigem Trainerwechsel aus.
Es waren in den letzten 12 Monaten schon zwei Trainerwechsel. Untypisch für Rapid. Letzte Hoffnung dieses Jahr: Cupsieg.
Kann es eh nachvollziehen. Mein FCK ist aktuell auch 13ter in der zweiten Liga. So, es ist jetzt 01:38 am Morgen. Pack mas, oder? War ein schönes Gespräch, Nino! Danke.
Viel Glück auch euch. Ja, danke fürs Interview. Ich geh jetzt mal eine rauchen und versuche dann zu schlafen. Morgen früh habe ich einen Radiotermin.
Mit wem denn? FM4?
Nein, 88.6. Das war früher mein Lieblingssender als Kind. Wundert mich selbst, dass die mich einladen.
Dann eine gute Nacht.
Gute Nacht!

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