Wellen brechen im Musikgeschäft

“Das darf nicht nächste Woche vorbei sein” We Make Waves Festival

Das We Make Waves-Festival für Frauen, Trans- und nicht-binäre Menschen hinterfragt vom 9. – 11. November den Zustand der Musikindustrie. Zwischen Rebellion und Alltag spannt sich ein Konferenz- und Musikprogramm, das gleichermaßen die radikale Performance der amerikanischen queer Künstlerin Vaginal Davis zeigt und die Herausforderungen von Mutterschaft und Musikgeschäft auf einem der vielen Podien thematisiert. Auf der Veranstaltung diskutieren Expert*innen über die Sichtbarkeit unterrepräsentierter Menschen in Medien und Showgeschäft. Gleichzeitig liefert das Festival ein diverses Konzert Line-up.
Kaput-Autorin Nadine Schildhauer hat sich mit der Co-Gründerin Melissa Perales zum Gespräch getroffen.

Perales feiert heute ihren 47. Geburtstag, und so findet das Interview zwischen Anziehen, Frühstück und Kind-zur-Kita-bringen in der Altbauküche in Berlin Mitte statt. Die gebürtige Chicagoerin organisiert unter dem Alias M:Soundtrack Konzerte und Filmscreenings. Als Promoterin veranstaltet sie Konzerte im Schokoladen und berät für Music Pool Berlin Nachwuchsmusiker*innen. 

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Photo: cc-by-sa 3.0 Nora Warmedinger

Melissa, wie seid ihr auf die Idee zu We Make Waves gekommen?
Das Thema „Frauen in der Musikindustrie“ ist verstärkt bei Musikkonferenzen und Events vor zwei Jahren aufgetaucht. Die Mit-Organisatorinnen von We Make Waves Mirca Lotz, Caoimhe McAlister und ich sind damals zu vielen unterschiedlichen Panels gegangen. Trans- und nicht binäre Positionen wurden dabei aber oft nicht mitgedacht, Frauen wurden als Opfer wahrgenommen. Die Künstler*innen sollten zum Beispiel über ihre schlechten Erfahrungen mit Technikern sprechen. Ich dachte dann oft: Was ist mit den Künstler*innen, die positive Veränderungen bewirkt haben? Niemand hat gefragt, wie wir uns als Unterrepräsentierte vorwärtsbewegen können. Ich fand das nicht sehr empowernd.
Ich bin in keiner Arbeitswelt unterwegs, die hierarchisch organisiert ist. Das ist eine andere Position, als die, die auf diesen Konferenzen besprochen wurde. Seit ich Anfang der 90er Jahre nach Berlin gekommen bin, setze ich meine eigenen Ideen um. Mein Mindset war immer: Ich kann alles machen, was ich will.

Wen wollt ihr mit dem Festival erreichen, und welche Ziele verfolgt ihr?
Frauen, Trans- und nicht-binäre Menschen, die in ihrer Karriere den nächsten Schritt machen möchten und vielleicht noch nicht da sind, wo sein wollen. Zudem haben wir einen Teenager-Workshop. Musik ist hier das Vehikel für Empowerment. Die Idee für das Festival kommt auch aus unserer DIY-Perspektive, in Kollektiven zu arbeiten und eine Idee zu pushen und zu leben. Wir wollen zeigen, was es für Vorbilder und Wege gibt. Wir wollen alle einander helfen und zeigen, dass es nicht nur Competition gibt: Weg von der Ellbogenmentalität.

Was muss sich in Zukunft in der Musikindustrie – vom Label über Promotion bis hin zu Booking – ändern, damit mehr Frauen, Trans- und nicht-binäre Menschen Zugang zur Musikindustrie erhalten?
Menschen sollen in Unternehmen, Freundeskreise und Arbeitskontexte zurückgehen und schauen, ob da eine Gender-Balance besteht. Oft ist einfach kein Bewusstsein vorhanden, und so bringen besonders Cis-Männer einfach den nächsten Kumpel rein, statt zu schauen, wer den Job auch gut machen könnte. Uns geht es darum, zu zeigen, dass wir alle diese Jobs auch übernehmen können. Musik ist für alle Menschen. Wenn alles aus einer Männerperspektive gemacht wird, dann verändert das auch das Endprodukt, die Atmosphäre und das Publikum.

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Es wird ein Panel zum Thema Elternschaft geben. Du bist selbst Mutter und arbeitest seit Jahren als Konzertbookerin, Festivalkuratorin für das Torstraßenfestival und organisierst erstmals We Make Waves. Als Akteurin im Musikbiz: Wie hat sich bei dir mit deiner Mutterschaft deine Perspektive auf feministische Strömungen veränderst?
Sobald das erste Kind da ist, merkt man, ob Beziehungen, Job und Freundschaften sich im Gleichgewicht befinden. Da ich als Mutter viel weniger Zeit habe, ist alles schwieriger, aber ich hatte immer das Glück, bei meinen Jobs da anzuknüpfen, wo ich aufgehört habe. Trotzdem ist es nicht leicht: Die Musikbranche ist sehr schnelllebig, und wenn du ein paar Monate als Promoterin raus bist, bist du schnell von der Bildfläche verschwunden. Als Feministin spreche ich dieses Ungleichgewicht und Herausforderungen direkt an und sage, wenn ich mich unfair behandelt fühle. Ich finde, ich habe ein Recht darauf, meine Konzerte weiterzumachen, wann immer ich das möchte. Das ist meine Entscheidung. Es geht aber auch um Achtsamkeit, lernen, Nein zu sagen. Oder umgekehrt: Ich will etwas unbedingt machen, obwohl ich eigentlich keine Zeit habe, und mir das dann rauszunehmen, weil ich es wichtig finde.
Als Feministin geht es auch darum, andere zu fördern, Künstler*innen reinzubringen und nicht Einzelkämpferin zu sein. Ich denke, wenn ich vor 20 Jahren eine Mentorin gehabt hätte, wären mir viele Fehler nicht passiert. Wir haben heute die Möglichkeit, junge Menschen besser zu unterstützen.

Stell dir vor, Linus Volkmann und Thomas Venker tauchen plötzlich bei We Make Waves aus. Welchen Talk sollten sich die beiden Boys nicht entgehen lassen?
Der erste Tag des Festivals dreht sich besonders beim Konferenzteil um Journalismus: Beispielsweise die Podiumsdiskussion Music Media + Gender Justice. Dort wird die Moderatorin Sonja Eismann mit anderen Medienvertreter*innen diskutieren, was sich strukturell ändern muss, was Medienakteure leisten können, welche Verantwortung sie tragen und wie sie Entscheidungen treffen können, damit sich etwas ändert. Zudem wird die britische The-Wire-Musikjournalistin Frances Morgan in ihrem Talk More Than Just The Music darüber sprechen, wie feministischer Musikjournalismus aussehen kann und später auf dem Panel Obviously Because You Are XYZ über den Einfluss von Stereotypen sprechen. Es geht darum, zu fragen: Wie kann man die Welt spiegeln und wem gebe ich eine Chance? Wie erleichtere ich den Einstieg, wie und wen kann ich fördern? Wie schreibe ich über #metoo, wie adressieren wir Probleme, und besonders, wie gestalte ich den Diskurs nachhaltig? Es kann nicht sein, dass Journalist*innen Diversity als Trend wahrnehmen. Es müssen sich langfristig die Bedingungen ändern, und diese Zukunft wollen wir mit We Make Waves aktiv gestalten. Das darf nicht nächste Woche vorbei sein.

Wird es auch Programmpunkte geben, die sich ausschließlich an Frauen, Trans- und nicht-binäre Personen richten?
Ja, besonders die Workshops am Samstag, der DJing-Workshop vom No-Shade-DJ-Kollektiv sowie der Theremin-Workshop von Dorit Chrysler. Wir haben das Feedback bekommen, dass in so einer Runde Cis-Männer, die ein bisschen mehr Wissen haben oder so tun, sehr dominant sind. Dann experimentieren die anderen weniger und sind weniger offen, und das wollen wir vermeiden. Sorry not sorry.

Bei welchen Talks und Konzerten werden wir dich treffen und warum?
Ich bin sehr gespannt auf unsere Keynote von JD Samson [u.a. Le Tigre, MEN], die viel mit Gender-Diskussionen konfrontiert ist. Es wird auch viele kleine Konzerte geben. Ich will Leuten Gänsehautmomente geben und eine Vielfalt an Künstler*innen präsentieren, weshalb die Konzerte nur 20 bis 40 Minuten dauern. Am ersten Abend spielen unter anderem Julianna Barwick, Stella Chiweshe, Darya Yildirim und Lyra, die alle unterschiedliche Genres repräsentieren.

Ort
Berlin, Elisabethkirche, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin

Zeit
9.-11. November 2017

Alles weitere unter
http://wemakewaves.de/

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