Zucker

„Alle Hände an die Colts, die Pet Shop Boys sind da“

Christin Schalko sieht aus wie ein vorbestrafter HipHop-Kindgangster in einem 90er-Jahre High-School-Film, Pola Schulten trägt Kreolen, rote Lippen und ein schwarzes Kleid. Der Kontrast im Look der Beiden könnte nicht größer sein, aber wie durch einen sensationellen Voodoo-Trick passt es letztlich perfekt zusammen. Das sind Zucker. Elektrisch, hypnotisch, großflächig, detailbesoffen, gefährlich, krass, Hit. Wir treffen uns in einem Laden nahe des Schulterblatts, wir sind hier in Hamburg. von Linus Volkmann

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Bei Kaput machen wir ja immer auch viel über die Armut der Künstler. Um aufzurütteln! Bitte sagt etwas zum Thema, ihr müsst doch sicher sehr hungrig sein?

Pola Demnächst werden wir gemeinsam eine Kreuzfahrt unternehmen. Vier Tage von Frankreich nach England.

Ach, sowas könnt ihr euch leisten?

Pola Wir haben bei diversen Gewinnspielen mitgemacht. Men’s Health und so. Und da habe ich gewonnen. Und nehme Christin plus 500 Euro Taschengeld mit!

Habt ihr da eine besonders schöne Postkarte gemalt?

Pola Nee, nur wahllos im Netz ausgefüllt.

Christin Ich habe letztens eine Reportage gesehen über die Frau, die so aufwändig Postkarten für Preisausschreiben bastelt – die hat eine echt gute Quote.

Pola Sowas habe ich gar nicht nötig. Ich habe Glück!

„Es muss die Zeit gewesen sein, in der alles begann“

Zucker fanden sich Mitte 2012. Ihre ersten gemeinsamen Auftritte bestritten sie im gleichen Jahr. Nach dem Sommer 2015 wird nun ihr Debüt-Album erscheinen. Der Sound flimmert zwischen Sägezahnbeat für die spröde, coole Tanzfläche und sehr touchy Pop-Stücken. Vor Zucker spielte Christin bei dem Greifswalder Duo Les Lumières Claire und Pola ging zur Schule. Heute wohnen beide in Hamburg in exzentrischen WGs.

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Zucker bei einem ihrer ersten Konzerte. Schinken Open in Köln

„Wer sucht nicht sein Leben lang nach Gangs?“

Von meiner neuen Rolle jenseits der Festanstellung hatte ich mir erwartet, jetzt völlig andere Interviews führen zu können – abseits von jeglicher Magazin-Routine. Allerdings fiel mir schon bei dem Gespräch mit Wanda auf, dass es unglaublich schwierig ist, alles auf den Kopf zu stellen und dann trotzdem noch ein lesbares Ergebnis zu erhalten. Wann interessiert euch denn ein Interview?

Christin Mich interessiert schon mal nicht, wie es mit der Platte bei den Leuten läuft. Oder sowas wie „Erzähl doch mal, wie du deine Songs geschrieben hast“ – gähn!

Pola Oft ist halt die Realität so tumb – auch die eigene muss man fairerweise sagen – das muss man anderen unbedingt ersparen.

Ich fiebere schon länger mit eurer Platte mit – und habe mich mittlerweile stockholmsyndrommäßig reingesteigert, warum sie so lange brauchen könnte. Liegt es am Produzenten Tobias Levin [als Musiker aktiv bei Cpt. Kirk &, als Produzent ist er einer der Schlüsselfiguren in Hamburg seit Jahrzehnten unter anderem verantwortlich für das weiße Album von Tocotronic]? Oder ist es einfach als „freie“ Band, also ohne klassisches Outfit wie Gitarre, Bass, Drums, Schlagzeug schwieriger, seinen eigenen Sound zu finden? Weil nichts per se ausgeschlossen ist?

310476_3569619730763_1678942772_nChristin Klar, momentan mit Tobias sind wir auf der Suche. Aber es gilt, Probleme, die sich durch Musik ergeben, werden mit Musik gelöst. Und dass es so lange dauert, liegt auch daran, dass wir uns kaum kannten, als wir angefangen haben. Wir haben ein Konzert zusammen gemacht und dann gleich mit Trümmer dieses Tape rausgebracht. Danach wurde erst deutlich, dass die anderen in relativ normalen Konstellationen spielen und damit schnell auch zu Veröffentlichungen kamen. Während wir mit zusammengefundenem Kram rumwerkelten und hinter einer Burg aus Schrott standen, um nach Beats zu forschen – so fett wie von Missy Elliot. Es mussten mühsam überhaupt erst mal die Geräte für all die vielen Ideen zusammengekratzt werden. Während die anderen schon auf die Bühnen der Republik gefahren sind. Mich hatte dieser Kontrast auch gelähmt.

Pola Aber wir haben uns eben kennengelernt, begonnen, zusammen Musik zu machen und sind damit dann gleich rausgegangen. Also diese Ära, wo andere Bands über Jahre im Proberaum hocken und dann erst ins Licht treten, diese Zeit haben wir komplett übersprungen. Sich überhaupt erstmal nüchtern kennenzulernen. Das hat sich alles gleich im Kontext von Zucker und vor einer gewissen Öffentlichkeit abgespielt. Denn mit eben Trümmer und anderen Bands, die alle auf Deutsch sangen, ergab sich für die Journaille ein Anhaltspunkt: Aufbruch! Alles in einen Topf schmeißen, da regt sich was!

Christin Ist ja auch geil, wenn Leute gleich über dich schreiben.

Pola Klar, aber dabei wurden dann die Unterschiede verwischt. Da waren Bands, die schon lange zusammen Musik machten und eben auch wir, die wir uns gerade kennengelernt hatten. Und wir mussten eben erst lernen, dass wir da jetzt unser eigenes Tempo haben.

Was mir an Zucker sehr früh aufgefallen ist, ist, dass ihr eine echte Gang seid. Was sehr ungewöhnlich ist. Denn dieses Gefühl überkommt einen sonst nur bei Bands mit mehr Leuten, aber ihr könnt das tatsächlich zu zweit verkörpern. Dieses in einen Laden reinkommen und alle merken sofort: Das sind jetzt nicht einfach zwei Leute, sondern da steht eine Ansage im Raum. Also, sowas würde man bei den Pet Shop Boys nicht denken.

Pola [lacht] Die Saloon-Tür knarrt, alle Hände an die Colts, die Pet Shop Boys sind da!

Christin Ich bin gern mit Pola eine Gang. Beste Freunde und Bandpartner – wenn man sich nicht nur musikalisch sexy findet, sondern auch beim Ausgehen dann zusammen so auftritt … Hey, nicht weinen, Pola!

Pola Ich bin echt gerührt! Dabei war es keine bewusste Entscheidung, dass man den Look der Band jetzt genauso gestalten wollte, es ist einfach passiert.

Christin Ich weiß nicht, wie man das ausdrücken kann, damit es nicht so hipstermäßig rüberkommt, aber wir kleiden uns halt schon gern schön.

Pola Jeder sollte halt seinen Shit machen.

Christin Zu moderat, Pola, das interessiert niemand.

Pola Dann bin ich halt manchmal moderat. Und wer sucht nicht sein Leben lang nach Gangs? Spätestens wenn man auf die weiterführende Schule kommt, geht das los. Und die, die einem das Schicksal zuteilt, in der eigene Klasse oder so, da will man sich ja eher von der Brücke stürzen, als da mitmachen. Und dann ist es ein Riesenglück, wenn man auf wen trifft, bei dem es so passt, dass man plötzlich zusammen eigene Gang werden kann. Wir planen das, auch noch bis ins hohe Alter weiterzuführen. Und sehen uns schon mit so schmissigen Rollatoren gemeinsam durchs Heim schlurfen.

Eine gute Band ist eine Gang – und macht dem Hörer einfach Angebote, die über die Musik hinausgehen. Das muss anschlussfähig sein: Inhaltlich, vom Look her, saufmäßig…

Christin Ich glaube, saufmäßig warst du schon vor Zucker gut angeschlossen.
Aber ich finde es schon wichtig, gerade wenn ich selbst Veranstalterin bin [im Golem, Hamburg], zu schauen, was die Bands noch so anbieten. Bei uns selbst ist es live noch nicht an dem Punkt, dass wir das alles gestalten, was uns vorschwebt. Wir haben so viele Instrumente und Kram – und da ist dann halt immer schon das Auto voll, bevor man überhaupt an optische Elemente denken könnte. Aber das wird der next step. Carsten Meyer hat in seinem einen Video als Babyman Keyboardständer, die aus den Unterteilen von Schaufensterpuppen bestehen, das finde ich schon sehr geil.

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Pola Wir haben irre Ideen, aber bis jetzt noch keinen Platz im Auto.

Christin Aber wie heißt diese eine deutsche Band? Laing! Die so Lampenschirme als Mikroständer haben und die, die singt, kriegt dadurch ihr Spotlight. So wie die möchte ich es zum Beispiel nicht.

„Du hast jetzt 5 Minuten, um so zu tun, als ob du gehst. Dann musst du aber wieder hier sein und wir reißen den Mist runter!“

Was wurde aus der bekloppten Schreibweise des Namens? z u c k e r – mit Leerzeichen und alles klein.

Christin Hä? Kann ich mich nicht erinnern.

Pola Doch, das gab’s. Ganz früher. Aber da kommt wieder das durch: Wir kannten uns einen Tag und brauchten sofort einen Namen, der abends gedruckt werden musste auf das Konzertplakat zum ersten Auftritt. Das kann jedem passieren, dass man da bisschen daneben liegt. Glaub nicht, dass David Bowie sich von Anfang an schon David Bowie genannt hatte!

Was macht euch mit Zucker glücklich?

Pola Wenn man im Proberaum was anbietet und die andere genau drauf einsteigt – und dann macht man das eine halbe Stunde einfach weiter.

Christin Und dann sage ich irgendwann „Pola, wir sind Genies!“

Und was ist scheiße?

Christin Wenn wir wieder mal innerhalb einer Woche ein ganz neues Set aus dem Boden stampfen müssen. Wir sagen gern mal was zu, weil es noch Monate hin ist und wenn es dann ansteht, haben wir nicht mal Zeit zu essen oder zu schlafen – oder uns auch nur richtig noch zu streiten. Da heißt es dann: „Du hast jetzt 5 Minuten, um so zu tun, als ob du gehst. Dann musst du aber wieder hier sein und wir reißen den Mist runter!“

Ey, hör doch endlich auf mit dem Scheißgeld!”

Lebt ihr in prekären Verhältnissen wegen der Band oder besitzt das bürgerliche Leben für euch eh keine Anreize?

Pola Als ich Christin kennenlernte, habe mich ganz bewusst für die Band entschieden und mein Lehramtsstudium in Deutsch und Englisch abgebrochen. Ich wäre da komplett safe gewesen, Verbeamtung und alles…

Christin [rollt mit den Augen]

Pola Was denn? Du hast doch gesagt, ich soll mir Dinge ausdenken.

Christin Dann sag doch wenigstens „Keramik“. Deutsch und Englisch, das nimmt dir ja niemand ab. Außerdem lebe ich auch gar nicht so prekär.

Das erste, was ich in der Richtung höre von dir. Freut mich aber.

Christin Ich arbeite am Tresen, wenn ich dann mal selbst ausgehe, hab ich überall freien Schnaps und zahl nicht soviel Geld. Geht eigentlich. Ich finde es auch voll okay, wenn Frank [Spilker] auspackt, dass er prekär lebt. Ich habe aber gerade nicht das Gefühl, dass ich erzählen muss, wie schwer es ist als Künstler. Auch wenn das vielleicht doof ist für euch mit eurem Untertitel „Insolvenz“.

Für mich ist jedes Interview halt auch Therapie.

Pola Der Trick ist, man darf sich nur an keinen Luxus gewöhnen.

Du trägst aber trotzdem goldenen Schmuck.

Pola Na, das muss natürlich sein!

20150306_012916-1Screenshot_2015-03-23-13-00-05Christin Die Barszene, in der ich da drinnen bin, das ist ja auch eine echte Gang. Die haben zum Beispiel alle umsonst gearbeitet bei unserem Zucker-Benefiz. Das empfinde ich als gutes Beispiel, diese ökonomischen Zwänge, denen man auch als plattenproduzierende Band unterliegt, auszuhebeln. Also dass das eigene Kumpelbusiness zum Sponsor wird. Und man eben nicht auf startnext eine bunte Kampagne für die übersättigte Zielgruppe aufstellt. Sondern dass einen das eigene Netzwerk einfach bei einer großen Party unterstützt.

Pola Das hat echt gut funktioniert und uns war es wichtig, dass alle, die Bock haben, auch kommen können. Deshalb war der Eintritt mit 5 Euro echt gering, aber die Leute konnten was spenden und das wurde auch gemacht.

Und das Geld hat für eure Produktion gereicht oder müsstet ihr die Party eigentlich noch mal wiederholen?

Christin Ey, hör doch endlich auf mit dem Scheißgeld. Es war vor allen Dingen total rührend, was wir da erlebt haben.

Pola Als an dem Morgen das erste Licht hineinschien in den Golem und da noch paar Luftballons und vergessene Gestalten herumwehten, da habe ich gedacht, ich muss jetzt wirklich weinen.

Christin Wir haben den Golem einfach so bekommen, überall noch Spirituosen zugesteckt gekriegt und das erste Zugpferd, das zugesagt hatte, war eben Carsten Meyer. Alles hat sich einfach zusammengemorpht, es gab ein Deko-Team, Personen, die nur dafür zuständig waren, Sachen von A nach B zu bringen … alle haben für uns gebrannt. Das war rührend.

Pola Carsten war sehr lustig, als es darum ging, dass es noch einen Spezialkühlschrank für die Künstler brauchte: „Quatsch, Billig-Schampus reicht, wir brauchen hier nix Besonderes!“ Jens Friebe reiste trotz schweren Erkältung an und performte erstmalig Playback, Frank Spilker und Frau Kraushaar haben abgeliefert und und und. Einer der ersten Gäste war übrigens meine Mutter – die nach circa einer halben Stunde schon betrunken war, zu später Stunde soll sie sogar getanzt haben! Diese ganze Form hat uns so sehr entsprochen, tanzen, trinken – und am Ende ist das Geld für ein ganzes Album da.

Dieses Interview vor dem Durchbruch der Debüt-Platte soll meinem Wunsch nach eine Art Archetyp sein. Also von hier schreiben jetzt alle ab. Daher: Muss noch was erwähnt werden, was in Bezug auf Zucker nicht fehlen darf?

Pola Ja, wir haben eine Patenschaft für eine junge, aufstrebende männlich besetzte Band. Wir unterstützen die Kampagne „Boys Rock“, da geben wir Veranstaltungen für Jungs, damit die sich endlich auch mal auf die Bühne trauen und wissen, sie können das schaffen und haben dieselben Möglichkeiten wie Frauen in der Musik.

Okay, und letzte Frage, Pola, warum ist dein Vater denn so wahnsinnig schön?

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Pola
 Ey, hallo, hast du mich mal angeschaut? Ich kann jedenfalls nur sagen, meine Mutter ist sogar noch schöner.

Wisst ihr denn schon, wie euer Debüt-Album heißen wird?

Christin Ja.

Sagt ihr es bitte mal?

Pola Keine Chance.

www.soundcloud.com/z-u-c-k-e-r
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