Moodymann: Detroit Techno Blues!
“No matter what I do or what I become, I’ll always be J.A.N. in this country … America (this planet’s greatest thief).”
Silent Introduction: 1997 erschien auf dem Detroiter Label Planet E ein Album, das das Genre House in seinen Grundfesten erschütterte. Es war einfach zu langsam, rumpelte und rauschte, knackte und brummte, brach begonnene Bögen unvermittelt ab, um an gänzlich anderer Stelle fortzufahren. Funktional konnte man es nur partiell nennen, in diesen speziellen Momenten aber umso mehr. Es war voller Verweise auf schwarze Geschichte: auf Detroit, Soul, Jazz, Funk und Disco. Und es war deep wie nichts zuvor.
Seit Larry Heards “Washing Mashine” hat es wohl nichts mehr gegeben, das eine derart radikale Intensität, unbeeindruckt von aktuellen Strömungen, aufwies. Moodymann stand auf dem Cover, und dann noch: “To all white suburban kids, sampling black music all the time. Try some rock’n’roll for a change, you make black music sound silly.”
Eine Ohrfeige für die unzähligen Produzenten rund um den Globus, die ohne jede Skrupel reihenweise schwarze Musik in ihren Samplern verquirlen und ihre Eier schaukeln in dem Glauben, sie hätten den Funk. Die Medien stürzten sich auf den Satz wie Geier. “Rassismus”, schrieen die Hyänen und verteidigten ihre schicke, heile Deep-House-Welt.
Der Mythos Moodymann war geboren. Von nun an folgten weitere 12-Inches auf seinem eigenen Label KDJ (der Kürzel seines Namens Kenny Dixon Jr.), vor allem aber auch auf dem Sound-Signature-Label von Theo Parrish, Wahl-Detroiter und Kunststudent, dessen episch-sehnsüchtigen Tracks wie vergessene Mythen aus der Vergangenheit wirken und in noch langsameren Tempo-Ebenen angesiedelt sind. Wo bei Kenny Dixon immer wieder der eindeutige Bezug zu Disco und Funk auftaucht, versenkt sich Theo Parrish scheinbar zunehmend in die Magnetschichten des Tonbands, um hinter dem Rauschen der Komposition als existenziellem Ereignis auf die Spur zu kommen. Und das bedeutet in beiden Fällen eine vehemente Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Herkunft. “Thanks to the drums of Africa” findet sich hin und wieder auf Veröffentlichungen Parrishs.
“I can’t play today’s house because there is no today’s house!”, so Theo Parrish im XLR8R-Interview.
Beide stehen seither für eine Re- und De-Kontextualisierung des Genres House. Kritik an kommerzialisierten Produktionsweisen, die Verweigerung jeglichen Kontakts zu den Medien und die unbedingte Autonomie des Produzenten stehen mit ähnlich konsequenten, wenn auch weniger mythologischen Verschleierungstaktiken wie bei Underground Resistance im Vordergrund des langsamen Arbeitsprozesses. Jegliche Versuche größerer Labels zur Vermarktung dieses Sounds tropfen genauso an ihnen ab wie die Mühen zahlreicher Journalisten, sie zu Interviews zu bewegen. Theo Parrish gab bisher eine Handvoll, Moodymann nicht eines. Fotos sind ebenso rar, und es war lange Zeit nicht ganz einfach, an die Releases der beiden zu gelangen. Dank dem Hamburger Vertrieb Word&Sound sind Platten seit einiger Zeit besser erhältlich, wenn auch nach wie vor recht kontingentiert. Die empfehlenswerten Live-Sets von Theo Parrish kommen als selbst gebrannte CDs über den Teich …
Zu dieser Haltung passt es auch, wenn die beiden seit einiger Zeit ausschließlich hinter einem schützenden Vorhang als DJs in Erscheinung treten. Die Besucher sollen zu Hörern erzogen werden – die Eingeweihten bleiben für sie während des “Unterrichts” durch ein das DJ-Pult umspannendes Tuch unsichtbar. Die Aufmerksamkeit wird von den äußeren Erscheinungen auf die inneren Strukturen, also auf die Musik selbst gelenkt. Die Detroiter arbeiten damit ein weiteres Mal vehement an der Auflösung der Autorenschaft. Um diese damit nur weiter zu verstärken: Mittlerweile sind die beiden zum Mythos gereift. Manch ein Besucher empfindet diese Form der Show natürlich als arrogant, oder fühlt sich schlicht verarscht.
Wie alle bisherigen Moodymann-Alben ist auch “Silence In The Secret Garden” eine zum überwiegenden Teil aus bereits veröffentlichten 12-Inches bestehende Compilation, die für DJs und 12-Inch-Käufer wenig Neues bringt. Allerdings reiht er nicht einfach Track an Track, vielmehr scheint er die bestehenden, teilweise zwei Jahre alten Kompositionen noch einmal neu zu verorten, sie in eine Geschichte einbinden und so ihre Bedeutung umschreiben zu wollen.
Moodymann arbeitet seit jeher mit den Mitteln der Collage und des musikalischen Hörspiels und kommt dabei oftmals in Berührung mit Bereichen der elektroakustischen Soundscapes. Experimentelle Texturen werden überlagert von Dance-Tracks, Deep-House-Parts verschwinden in Kleinkind-Free-Jazz-Improvisationen. Detroit-Techno-Loops lösen sich über einen langen Zeitraum kaum merklich in ein Piano-Pattern auf, das den fortlaufenden Track völlig neu kodiert, in einen HipHop-inspirierten Groove mündet und nach kurzer Zeit wieder hart gebrochen wird, um sich in einer futuristischen Cut-up-House-Passage zu verlieren. Travelling the spaceways …
“Silence In The Secret Garden” zeugt aufgrund der stilistischen Vielfalt wie alle bisherigen Veröffentlichungen von einer geistigen Offenheit Moodymanns, die auch typisch für die gesamte Detroiter Szene ist: Genre-Grenzen, die andernorts kaum überwindbar scheinen, haben hier von Beginn an nicht bestanden. Es herrscht reger Austausch zwischen HipHop-, House-, Techno-, Jazz- und Soul-Protagonisten. Verschiedenste Kollaborationen in den letzten Jahren über alle Zäune hinweg machen das deutlich. Signifikant für die geistige Haltung Detroiter Produzenten ist die Bemerkung des mittlerweile in den HipHop-Olymp aufgestiegenen Produzenten Jay Dee (Ex-Slum-Village) auf seinem Album “Welcome 2 Detroit” (BBE, 2001). Er spricht davon, dass er beinahe Techno-Producer geworden sei, hätte nicht Q-Tip angerufen. Dwele, der gerade sein lang erwartetes Album veröffentlicht, taucht als Sänger bei Bahamadia, Slum Village, Theo Parrish oder Recloose auf.
Dieser Tage treten verstärkt die “Erben” Moodymanns und Theo Parrishs auf den Plan: Amp Fiddler (Sly Stone!), besagter Dwele, Andres und auch Norma Jean Bell, Betreiberin des Pandomonium-Labels und Gerüchten nach die Frau an KDJs Seite. Unverkennbar bleibt dabei aber immer die für Moodymann typische musikalische Sprache, die signifyin’ schleppenden Afterbeats, die seine “electronic soul music” so unverkennbar machen. Wie DJ Pablo aus Toronto in einem Netzforum bemerkte: “not recommend for every dance floor, however very recommended ‘for the minority who listens’.”
Moodymann werden nach wie vor rassistische und misanthropische Eigenschaften nachgesagt – wie es eben immer der Fall ist bei Menschen, die so gut wie nicht in Erscheinung treten. Dass all die Zuschreibungen ohne jeden Rückhalt sind, zeigte sein unerwarteter Auftritt als DJ auf dem ersten Detroit Electronic Music Festival DEMF vor drei Jahren, auf dem er im Morgengrauen eines der bewegendsten Sets des Festivals spielte – übrigens mit kaum einer House-Platte im Koffer. Einigen Besuchern sollen Tränen der Rührung die Wangen heruntergelaufen sein. Er eröffnete das Set mit Gil Scott-Herons Song “We Almost Lost Detroit” und machte damit gleich deutlich, worum es ihm offensichtlich seit Anbeginn geht: um black consciousness.
Scott-Heron, der Polit-Aktivist, Musiker und Autor, wird seit der “America”-12-Inch immer wieder in Moodymanns Werk zitiert, musikalisch wie verbal. Und in der Art und Weise, wie KDJ das tut, könnte er sich nicht weiter weg bewegen von allen Bob Sinclairs, deren “Getto Funk” seine Coolness aus der schwarzen Musik generiert, ohne dabei ernsthaft auf schwarze Geschichte einzugehen. Dass er später den heiseren Omar Ben Hasan von den Last Poets auf die Bühne holte und ihn den Song “Niggers Are Scared Of Revolution” über die Beats chanten ließ, schließt den Kreis zwischen Heute und Gestern. House ist hier nicht mehr der korrumpierte Soundtrack für Kokain-verseuchte, laszive Snobs. House heißt in Detroit die Fortführung der Tradition von Soul mit anderen Mitteln, mit all seinen sozialen, politischen und historischen Implikationen.
So bedeutet Moodymann-Zuhören ein permanentes Eingetaucht-Werden in Geschichte. Jeder Track verweist darauf, dass diese Musik im sozialen Ghetto der marginalisierten schwarzen Amerikaner entstanden ist. Gerade Detroit Techno mit seinen futuristischen Blüten hat in der Erfahrung der Diaspora eine starke Triebfeder. Programmatisch auch ein weiteres Pseudonym Kenny Dixons: J.A.N. – also: Just Another Nigga. So ist am Ende auch kein Unterschied zu machen zwischen einem Marvin-Gaye-Song und einem knallharten Detroit-Techno-Track, wie Moodymann ihn beispielsweise mit “Dem Young Scoonies” (Planet E) veröffentlichte. Die Erzählungen haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt.
Ob das Wirken KDJs als Produzent und DJ auf eine Überwindung des gegenwärtigen Zustandes gesellschaftlicher Verhältnisse abzielt, also revolutionäre Utopien in sich trägt, lässt sich wohl bezweifeln, allerdings weist es offensichtlich auf eine Kontinuität der Verhältnisse hin und wendet sich gegen totalen Ausverkauf und Entpolitisierung, denen HipHop und R’n’B dieser Tage unterliegen.
Theo Parrish bringt die Haltung im Interview mit dem deutschen Fanzine Oukmag auf den Punkt: “Jede Art von Musik, die von einem Schwarzen gespielt wird, enthält eine ‘schwarze’ Botschaft. Das ist unsere Sprache. Allein die Tatsache, dass du eine Stimme hast, fordert kritische Aussagen. Aber wie viele Stimmen gibt es, die davon berichten, wie es sich anfühlt, in diesem Jahrhundert zu leben? Wer spricht darüber, ohne von irgendeiner Firma gekauft zu sein? Denkt darüber nach, wie es wäre, wenn Kenny [Dixon] nicht gesagt hätte, was auf seinem Album stand. Die Medien sagten einhellig, dass es falsch war, so etwas zu sagen. Sie vergaßen, dass er ein Künstler ist und das Recht hat, zu sagen, was immer er will. Wenn du dich dadurch angegriffen gefühlt hast, war es ein Fehler, deshalb nicht seine Musik anzuhören. Im Gegenteil, gerade dann musst du noch vieles hören und lernen.”
Labels, auf denen Moodymann veröffentlicht: KJD, Moods&Grooves, Planet E, Peacefrog, Music Is, After Midnight, Apricot Records, Pandomonium, Track Mode
Phillip Sollmann
Der Text wurde ursprünglich 2003 im Intro Magazin abgedruckt.