Record of the Week

Nick Cave „Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace”


Nick Cave
„Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace”
(Bad Seed Ltd./Rough Trade)

Es ist die (Musik zur) Zeit des physischen und damit oft zusammenhängend psychischen Alleinseins. Selbst wenn sich feststellen lässt, dass das viel erwähnte Social Distancing prinzipiell ‚nur‘ ein Physical Distancing ist, bleibt letzteres nicht ohne Wirkung auf unser präsentes, resonantes Zusammensein.

Der „A Lover Alone“ von Stella Sommers hier viel zu knapp besprochenem tollen neuen Album scheint dem einsamen „Idiot Prayer“ bei Nick Cave nicht fremd. Ebenso haben Sommer und Cave in ihren sehr unterschiedlichen Songs im weiten Sinn (also samt Lyrics, Performances, Images etc.) unter aller Schwere einen geradezu entlastenden Witz, ein stets selbstreflexives Augenzwinkern und, nun ja, furztrockenen Humor mit im Gepäck. Dazwischen hängt krude, brüchige und gleichzeitig sehr luzide Grandezza, sanftes Crooning inklusive.

Nick Cave (Photo: Joel Ryan)

„It is a prayer into the void”, beschreibt Cave in den Liner Notes selbst das seltsame Gefühl dieses Londoner Auftritts. Allein am Flügel. Gedacht war das Ganze als Film zu seinen (wie er es ebenfalls in den Liner Notes nennt) dekonstruierten Solo-Versionen eigener Songs, wie er sie bei seinen „Conversations with“-Events praktiziert hatte: „I felt I was rediscovering the songs all over again.” Gespielt hat Cave sie letztlich im Juni, ausgestrahlt dann als Streaming für ein registriertes virtuelles Publikum Ende Juli inmitten der Corona-Pandemie in einer ersten Phase des vorsichtigen Durchatmens. „We created something very strange and very beautiful that spoke into this uncertain time, but was in no way bowed by it.”

So lange ich Cave und sein Umfeld nun auch schon beobachte und goutiere, mit ‚seinen‘ jüngsten Filmen hatte ich meine Probleme. Ich glaube, Cave kommt mir da auf distanzierte Art und Weise manchmal zu nahe. „20.000 Days on Earth“ (2014) ist ein ironisches Spiel à la Cave und Warren Ellis, „One More Time with Feeling“ (2016) abgrundtief niedergeschlagen nach dem Tod seines Sohnes. „Idiot Prayer“ nun ist die bombastische Reduktion eines großen, leeren Raums, gefüllt mit Caves Songs seit Gründung der Bad Seeds inklusive Grinderman und dem neuen Song „Euthanasia“. Schillernde Persönlichkeit trifft ausgemergelt-faszinierende Performance. Seine Stimme klingt angeschlagen zu Beginn der einleitenden kurzen Acapella-Rezitation seines „Spinning Song”, eines der trostlosesten und deswegen so tröstlichen Lieder vom letzten Album „Ghosteen“; es folgen Songs der letzten Alben bis hin zu den für mich genialen „The Boatman’s Call“ (1997) und „Your Funeral, My Trial“ (1986). Nicht nur wegen der einzelnen Stücke, die gnadenvoll einlullen, sondern wegen der isolationistischen Gesamtstimmung, entsteht der Eindruck eines nochmal anderen Caves. Er bleibt einer der großen postmodernen musikalischen Erzähler voller Narben. Am bittersüßen und süßbitteren Ende bleibt nichts als Selbstfindung durch Selbstverlorenheit und Liebe, was auch immer das für eine/n und Nick Cave bedeuten mag. Es kann jetzt 2021 und besser werden.

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