Der Deutsche Jazzpreis 2025 – prevoted mit einem kaputen Augenzwinkern

22 Kategorien für ein Halleluja

Deutscher Jazzpreis 2024, Moderatoren Hadnet Tesfai & Goetz Buehler (Photo: Niclas Weber)

„Überhaupt: wie die Leute zur Musik gekommen sind. Heutzutage ist das ja bei uns eine furchtbar akademische Angelegenheit geworden. Musikersein in früheren Zeiten bedeutete, dass man irgendwie dazu gekommen ist. (…) dass die Musik wirklich von Innen heraus kommt und nicht von fünf Semestern Musik studieren. Das war mir immer das Wichtigste – und da habe ich die richtigen Leute getroffen, die mir ein bisschen was erzählen konnten. Aber es gibt keinen Moment, von dem ich sagen könnte: jetzt will ich dahin, weil ich den und den gehört habe. Das nicht. Ich wusste von früh an, was ich nicht wollte, wohin die Reise geht, das erfährt man dann später.“

(Peter Brötzmann im Gespräch mit Thomas Venker, 2022)

 

Kunstpreise? Kann man zu stehen wie man will.
 Die einen kritisieren zu Recht: Kunst in Ranglisten pressen, geht das überhaupt? Die anderen feiern: Sichtbarkeit, Anerkennung, ein Hauch von finanzieller Wertschätzung in einer Branche, in der beides viel zu oft fehlt.
 Fakt ist: Kunstproduktion – ob Musik, Literatur, Film oder bildende Kunst – steht mehr denn je unter ökonomischem Druck. Prekäre Lebensrealitäten sind für viele Kunstschaffende der Alltag. Da zählt jeder Anlass, der auf ihre Arbeit hinweist, als ein kleiner Akt der Gerechtigkeit.
Auch wenn die Realitäten dazu oft ganz schön schwer zu verarbeiten sind. Wer schon einmal auf der Seite des Deutsche Jazzpreis war, der weiß, wovon ich spreche.

Wer fühlt sich da nicht sofort in den Musikunterricht in der Schule zurückversetzt, wo man – egal, wie musikbegeistert man war und wie zahlreich die eigene Plattensammlung mit jedem Taschengeld wuchs – aufgeschmissen war, wenn man nicht in der Lage war, ein Cis von einem Dis zu unterscheiden und Primen, Quarten, Quinten und Oktaven sicher herauszuhören. Und wenn man dann auch noch beim Singen keinen Ton traf…

Die Subseite mit den Nominierungen ist jedenfalls zunächst einmal eine Erinnerung daran, was man trotz all dieser Jahre Musikunterricht in der Schule partout nicht voneinander trennen möchte: die einzelnen Instrumente vom Gesamterlebnis.
Ich will das gar nicht abtun – die Musiker:innen haben viel Zeit in das Erlernen ihres Instruments und damit in ihre Professionalisierung gesteckt. Aber liegt die Magie der Musik nicht – und gerade im Jazz – verborgen in einem Mysterium, das nicht nur aus Fachdisziplin im Geiste von Musikschulen besteht, sondern aus all dem, was sich zwischen den klaren Koordinaten ereignet?

Wie sagte es Peter Brötzmann so schön: „Ich wusste von früh an, was ich nicht wollte. Wohin die Reise geht, das erfährt man dann später.“

Anyway. Die ersten sechs Kategorien lauten: „Vokal“, „Holzblasinstrumente“, „Blechblasinstrumente“, „Piano/Tastenininstrumente“, „Saiteninstrumente“ und „Schlagzeug/Perkussion“.

Ich habe mir mal den Spaß gemacht, die sechs Kategorien als Vorlage zu nehmen, um ein kaputes Sextett zusammenzustellen – mit der Freiheit, Instrumente zu negieren und andere doppelt zu besetzen.

Mit dabei sind die Sängerin Enji, die beiden Saxophonistinnen (Holzblasinstrument!) Camila Nebbia und Ingrid Laubrock, die Pianistin Olga Reznichenko sowie die beiden Schlagzeugerinnen Mariá Portugal und Philo Tsoungui. (Die folgenden Links konzentrieren sich dabei nicht spezifisch auf das jeweilige Instrument.)

Weiter geht es im offiziellen Reigen des Deutschen Jazzpreises mit der Auszeichnung Künstler:in des Jahres. Hier kann man für jene Musiker:innen stimmen, die bereits in anderen Kategorien nominiert sind; zusätzlich darf jedes Jurymitglied noch eine weitere Person vorschlagen. Ich mach’s kurz – und kür’ an dieser Stelle Sofia Jernberg zur kaput artist 2025 aus diesem Kreis. Eine Musikerin, die mir in den vergangenen Jahren – künstlerisch wie menschlich – sehr ans Herz gewachsen ist.

Deutscher Jazzpreis 2024, Artist of the Year: Bendik Giske (Photo: Niclas Weber)

Beim Ensemble des Jahres National enthalte ich mich – ebenso wie beim Großen Ensemble International. Simpel aus Unkenntnis der nominierten Künstler:innen – was gar nichts über deren Qualität aussagen soll. Aber selbst als jemand, der das ganze Jahr (fast) nur Musik hört, stößt man hier an die Grenzen des eigenen Wissenshorizonts.

In der Kategorie Künstlerin des Jahres International kann man wieder aus dem Pool der bereits Nominierten sowie aus den von der Jury ergänzten Musiker:innen (die mir naturgemäß nicht bekannt sind) wählen. Im bestehenden Spektrum findet sich mit Meshell Ndegeocello allerdings eine mehr als würdige Preisträgerin: Ihr Album „No More Water: The Gospel of James Baldwin“ – samt zugehöriger Tournee – gehörte definitiv zu meinen Highlights der Saison 2024/2025.
 Das Konzert im Stadtgarten im vergangenen November war sensationell; ihr Auftritt mit King Britt, Melz und Tyshawn Sorey beim diesjährigen Big Ears Festival ebenso.

Meine Newcomerin des Jahres ist Emily Wittbrodt – auch wenn sie vielleicht in den Vorjahren schon einmal nominiert war. Man verliert da ja leicht den Überblick. Die nominierten Musiker:innen jedenfalls sind es allesamt wert, ausführlich gehört zu werden.

Bei der Rundfunkproduktion des Jahres passe ich. Für Radio fehlt mir einfach die Zeit – und das ist nicht böse gemeint.

Weiter geht es mit den Alben des Jahres National und International (eine Unterteilung, die auf Ländergrenzen basiert und mir etwas fremd ist; gilt so natürlich auch für die Kategorie der Künstler:innen). Es gibt jeweils vier Nominierungen, von denen – bis auf eine – keine sich in meiner (unhierarchisch geordnete) Liste der 10 besten Jazz-Alben 2024 findet, die ich an dieser Stelle mal teilen möchte:

د [Ahmed] „Giant Beauty“

Meshell Ndegeocello „No More Water: The Gospel of James Baldwin“

Beings „There Is A Garden“

Shabaka Hutchings „Perceive Its Beauty, Acknowledge Its Grace“

Jennifer Walshe & Tony Conrad „In the Merry Month of May“

Darius Jones „Legend of e’Boi (The Hypervigilant Eye)“

Charles Gayle, Milford Graves & William Parker „Webo“

Moor Mother „The Great Bailout“

TYSHAWN SOREY „The Susceptible Now“

Eiko Ishibashi / Jim O’Rourke / Tatsuhisa Yamamoto / Kei Matsumaru / Giovanni Di Domenico „Sakuraza“

Das Festival des Jahres?
 Als jemand, der selbst bei einem Festival mitarbeitet (Monheim Triennale), fällt es mir schwer, eines besonders hervorzuheben – gerade weil ich weiß, wie viel Arbeit vom gesamten Team in ein solches Event fließt. Aber wenn ich (auf Basis der dreizehn Festivals, die ich 2024 besucht habe) eines auswählen müsste, dann Making Time in Philadelphia.
Für die meisten kein Jazz-Festival, aber wenn ich das, was Jazz für mich bedeutet – Neugierde auf unerhörte, transzendente Musik – als Maßstab nehme, dann doch.

Die Live Acts des Jahres? 
Das hybrid-noise-jazz-set von Eye (Boredoms) beim Primavera Sound, das elektro-akustische Set von Terre Thaemlitz bei der Monheim Triennale 2024, Beth Gibbons beim Primavera Festival, Meshell Ndegeocello im Stadtgarten, Amor Muere (Mabe Fratti, Camille Mandoki, Gibrana Cervantes, Concepción Huerta) beim Rewire Festival. Ich könnte die Liste lange fortsetzen und sie fällt bestimmt jeden Tag anders aus.

Komposition und Arrangement? Das sollen mal die Musikwissenschaftler:innen beantworten. Lebenswerk sowie Musikvermittlung / Teilhabe überlasse ich ebenfalls anderen, die sich da mehr hineinversetzen können.

Bei den Musikjournalist:innen wäre meine Liste merklich printlastiger ausgefallen – wen wundert’s? Aber da Sophie Emilie Beha auf der offiziellen Liste steht, mache ich es kurz und vergebe hier ohne Zögern das #prädikatkaput.

Und damit ist mein sehr persönlicher, augenzwinkernder Ausblick auf den Deutschen Jazzpreis 2025 auch schon zu Ende.

Ich bin sehr gespannt, welche Preisträger:innen am 13. Juni die realen Deutschen Jazzpreise 2025 im Kölner E-Werk überreicht bekommen.

Deutscher Jazzpreis 2024, The Class of 2024 (Photo: Niclas Weber)

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