“Es ist Technomäßig gestrickt: Viel Bass und viele Höhen und wenig in der Mitte.”
Das Musicboard Berlin ist im Januar 2013 angetreten, die diversen Musiksteuerungs-Organe der Stadt Berlin zu bündeln und so mit einem Etat von aktuell circa 1,7 Millionen Euro im Jahr die Musikinfrastruktur der Stadt und den Standort für Popmusik zu fördern.
Eines der Problemkinder war in den letzten Jahren die Berlin Music Week, die kaum jemand Freunde und sehr vielen Kopfweh bereitet hat. Gemeinsam mit Martin Hossbach treten Katja Lucker und Christian Morin nun mit dem ambitioniert angelegteren Pop-Kultur Festival den Versuch an, auf engerem Parcours mehr Substanz und Nachhaltigkeit zu generieren.
Thomas Venker traf Katja Lucker und Christian Morin im in Wedding gelegenen Büro des Musicboards (zu dessen Nachbarn Morins Booking Agentur Headquarter seit kurzem gehört) zu einem Gespräch über die Kritik am Pop-Kultur-Festival, die intensivere Einbindung von Künstlern in die Festivalprogrammierung, Künstler-Stipendien und den Umgang mit Öffentlichen Geldern.
Christian Morin: Willkommen auf Schloß Wedding. Hier wird Hochherrschaftlich residiert. Ist es nicht wunderschön hier? So grün, so ruhig, man kann hier bestens konzentriert arbeiten.
Nicht mehr wie im alten Headquarter Büro im zuletzt doch sehr übergentrifizierten Berlin Mitte?
Morin: Mein Herz hat schon sehr geblutet, ich war da schon sehr lange Zeit.
Das stimmt, ich erinnere mich an etliche Anlässe wie die Fuck-Parade zum Beispiel, wo man bei euch im Fenster saß. Katja, Christian, was gab den Ausschlag für das Festival? Die Negativstimmung um die Popkomm. und später die Berlin Music Week?
Katja Lucker: Wir finden ja bewusst unter der Woche statt: von Mittwoch bis Freitag. Wir haben mit ganz vielen Menschen geredet und abgefragt, was sie gerne hätten, Christian und Martin vor allem mit den Künstlern, Managements und Agenten. So kam es zu diesem dreitägigen Festival auf dem gesamten Areal des Berghains und mit einem Nachwuchs-Bereich, der uns von den anderen, normalen Festivals unterscheidet, einmal mit dem Talents-Programm, für das man sich bewerben konnte, und die vielen Workshops, die von Leuten wie Anne Haffmanns von Mute/Domino oder dem Produzenten Moses Schneider geleitet werden.
Neben dem konkreten Programm fällt sofort die Verkleinerung auf.
Morin: Wir sprechen von Konzentration. Wir überlegten uns als erstes, was zum Ort und zur Gegebenheit passt. Wenn man sich ein gut funktionierendes Festival wie das Reeperbahn Festival anschaut, dann spielt dort der Ort eine wichtige Rolle: ohne Reeperbahn könnte es das Festival nicht geben, es braucht diese eine Straße mit ein paar benachbarten Orten, wo sich sowieso alles abspielt. Oder das Eurosonic in Groningen, das funktioniert weil es ein kleines Städtchen ist, wo du einmal um den Stadtring laufen kannst und alles gesehen hast. Durch die Stadt laufen und von einem Club zum anderen gehen, das kann man in Berlin immer machen, deswegen ging es uns darum einen Event zu schaffen, der spürbar und fokussiert ist. Das Berghain hat sich als Ort dafür aus mehreren Gründen angeboten, da es diese viele bislang ungenutzte Orte hat, die Halle am Berghain und die Schlackehalle und wir so in Kombination mit den normalen Räumen wie Kantine, Panorama Bar und Berghain viel Platz zur Verfügung haben. Zudem repräsentiert das Berghain Berlin sehr stark international. Für viele Leute aus dem Ausland, die wir eingeladen haben, war es ein reizvoller Ort. Das Berghain ist übrigens Kooperationspartner, wir haben mit ihnen das Konzept und Lineup gemeinsam entwickelt.
Deswegen auch die Entscheidung für Mittwoch, Donnerstag und Freitag?
Morin: Das Wochenende im Berghain ist heilig. Hinzu kam, dass die Wochenendtage bei den Künstlern, gerade im Sommer, bedingt durch die Festivals, sehr begehrt sind
Lucker: Die Business-Leute fanden das alle super. Cool, da ist das Wochenende frei.
In Abgrenzung zu normalen Festivals und Kongressen habt ihr ja keine Dauerkarten sondern setzt auf Einzelkartenverkauf. Könnt ihr denn schon absehen, ob der Trend zu Einzelbesuchern geht oder die Leute doch gleich mehrere Veranstaltungen besuchen, sich also wie von euch angedacht aus dem Modul-System das Passende heraussuchen und sozusagen ihr individuelles kleines Festival buchen?
Lucker: Ich glaube die Leute kommen sehr gezielt. Du willst Bernhard Sumner sehen, aber eben auch Norbert Bisky, da dich auch eine Bildende Kunst interessiert und du es spannend findest, was er mit einem Neurobiologen zu besprechen hat, und abends will du gerne gucken was Neneh Cherry aktuell macht und dann noch Daniel Miller auflegen sehen. Die Workshops und Vorträge sind ja sowieso nur für die ausgewählten Talente, da kuratieren wir ja das Publikum. Das ist wie bei der Berlinale, das haben wir uns da abgeschaut.
Lasst uns über euren inhaltlicher Spagat aus Konzerten, Lesungen, Diskussionsrunden, Workshops und Gesprächsrunden sprechen. Es gibt Premieren, exklusive Eigenproduktionen, spezielle Gesprächsthemen, und es ist auffällig, dass ihr euch bemüht habt, Künstler gleich mehrfach einzubinden.
Morin: Es hätte wenig Sinn ergeben, das Berliner Nachtleben oder die bereits existierenden Festivals zu doppeln. Das könnte man machen, wenn man in dieses Feld kommerziell rein will und Konkurrenz zu denen sein möchte. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen eigene Dinge entwickeln, Kooperationen anregen, Premieren fördern. Künstler sind bei uns auf ganz andere Art involviert in das Programm, mal als Teil eines Gesprächs, mal in dem sie Wissen an Nachwuchs weitergeben oder auch als begleitende Autoren – Sophie Hunger wird einen Blog zur Pop-Kultur schreiben.
Martin und ich haben im Gespräch mit den Künstlern versucht herauszukitzeln, worauf sie Lust haben, wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Wir haben da eher skeptische Reaktionen erwartet, von wegen Mehrarbeit, stattdessen hieß es aber: “Fantastisch, so etwas fragt uns sonst nie jemand.”
Lucker: Wir wollten nicht das hundertste Panel zum Thema Streaming veranstalten, sondern die Leute etwas anderes erzählen lassen. Ich finde es interessant, was herauskommt, wenn ein Neurobiologe mit Norbert Bisky hinterfragt was es für dessen Kunstschaffensprozess bedeutet, wenn er im Atelier immer Techno hört. Den Ausgang wissen wir nicht…
… das wär ja auch schrecklich, das ist doch der Reiz der Konstellation.
Lucker: Wir bedienen also nicht die alte Popkomm-Industrie, die… obwohl, Dieter Gorny, der Popkomm.-Erfinder, ist ja Teil unseres Talk-Programms und findet das Konzept gut.
Morin: Er müsste es ja am blödesten finden – hat aber im Gegenteil sofort gesagt: “Super, da macht sich endlich mal wieder jemand Gedanken.”
Gorny war ja noch nie unumstritten, da ja doch eher sehr wirtschaftlich in seinem Auftreten und nicht wirklich den Kulturschaffenden nah ausgerichtet. Ihr praktiziert nun eine sehr magazinische Denke, in dem ihr Gesprächsrunden zusammenstellt, bei denen es nicht um die ewig gleichen Fragestellungen geht.
Morin: Der künstlerische Aspekt ist wieder in den Vordergrund gerückt. Wir haben lange genug darüber gesprochen wie man in Zeiten des Internets den Vertrieb neu organisieren kann. Jetzt ist es wieder an der Zeit über künstlerische Aspekte zu reden.
Vorhin fielen ja bereits die Begriffe Konkurrenz und Kommerzialität. Mal ganz naiv gefragt: darf man mit einem Festival wie dem Pop-Kultur denn Gewinn machen?
Lucker: Keinen Pfennig. Sollten wir welchen machen, müssen wir den abgeben. Das Festival wird hauptsächlich mit öffentlichen Mitteln finanziert – hinzu kommen noch Unterstützungen von Unternehmen und die Eintrittseinnahmen.
Morin: Es ist das frühere Budget der Berlin Music Week.
Lucker: Wir haben 660.000€, hälftig EU-Geld, hälftig Landesgeld aus Berlin. Wir haben trotzdem Druck Tickets zu verkaufen, da sind wir ähnlich wie andere, aber wir dürfen eben keinen Gewinn machen. Sollten wir es noch vor dem Festival bemerken, dass wir Gewinn machen, dann können wir es noch in Kunst / Künstler stecken.
Auf der Basis der von euch erwarteten 10.000 Besucher und allein der 660.000€ kommt man ja auf 66€ Budget pro Besucher – das erscheint mir doch nach einem ganz üppigen Budget, oder ist das schon knapp heutzutage?
Morin: Man soll es nicht glauben, aber es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man an die Grenze kommt. Du darfst nicht übersehen, dass wir teilweise leere Räume bespielen, also eine Infrastruktur schaffen und auch ein Gelände absperren und Genehmigungen einholen müssen…
Lucker: Die Künstler machen ja zum Teil sehr spezielle Sachen, teilweise gar Auftragsarbeiten nur für uns – und genau das ist ja die Idee dahinter, es wäre ja doof mit Steuergeldern dasselbe zu machen wie alle anderen auch.
Man kann sich das bei euch also so vorstellen, wie wenn ein Museum einem Künstler für die Ausstellungsvorbereitung Geld zur Verfügung stellt.
Lucker: Genau. Theoretisch zumindest. Machen Museen das wirklich?
Bedeutet dies, dass Künstler, die ihr mit dem Musicboard schon fördert, hier auch mit eingebunden werden, ihr so also die verschiedenen Felder eurer Aktivitäten vernetzt?
Lucker: Theoretisch ja. Wir unterstützen neben Label- und Festivalförderung ja auch Künstler direkt über Stipendien. Unser Thema ist es, dass Künstler gute Bedingungen vorfinden: gute Clubs und Auftrittsbedingungen, gute Labels… Pantha Du Prince war unser erster Stipendiat in Los Angeles und er zeigt nun beim Pop-Kultur-Festival als Premiere das, was er dort entwickelt hat – das konnte man damals allerdings nicht erahnen, allein schon, da wir noch nicht wussten, dass wir das Festival machen.
So wirkt das alles ja auch erst Sinnstiftend. Eine Kritik, der sich fördernde Institutionen immer – das bezieht sich nicht nur auf euch sondern zum Beispiel auch auf das Goethe Institut – gefallen lassen müssen, ist es, dass sie Leute unterstützen, die sich den Resident-Aufenthalt oder die Auslands-Reise / -Tournee auch so hätten leisten können. Nicht dass ich es einem Künstler wie Pantha Du Prince oder einer Band wie Tocotronic, die im Auftrag von Goethe zuletzt in Japan unterwegs war, gehören sicherlich zu den eher erfolgreichen Künstlern und könnten auch autark reisen – nicht dass ich es ihnen nicht gönnen würde, ihr wisst was ich meine – aber die Nachhaltigkeit macht es dann eben doch rund.
Lucker: Was uns betrifft sind Leute wie Pantha du Prince und Efdemin die Ausnahme bei den Leuten, die wir mit dem Musicboard im ersten Jahr gefördert haben. Aktuell schicken wir Planningtorock nach Los Angeles, die zwar auch künstlerisch etabliert ist, aber eben nicht kommerziell.
Der erste Stipendiat, den es jemals in der Villa Aurora in Los Angeles gab, war Heiner Müller. Die Latte hing also ziemlich hoch. Wir haben einen Deal mit denen gemacht und waren so die ersten, die da einen Popkünstler hinschicken durften – deswegen musste der erste Stipendiat schon einen Namen haben. An einen solchen Ort, der mit der Villa Masimo in Rom vergleichbar ist, schickt man Leute, die schon ein bisschen weiter sind. Ansonsten sind unsere Stipendiaten aber klassischer Nachwuchs wie beispielsweise Isolation Berlin, die auch auf dem Festival spielen werden. Wobei Christian und Martin zuerst die Band ausgewählt haben für das Pop-Kultur-Festival und dann hat die Jury sie zu Stipendiaten gemacht. Es gibt da also nicht so viel Hintersinn wie du vermutest.
Wenn jemand wie Matthew Herbert gleich dreimal im Programm des Pop-Kultur-Festivals auftaucht – er präsentiert sein neues Album “The Shakes”, nimmt an einer Diskussionsrunde teil und leitet einen Workshop – dann zeugt dies von seinem Willen sich intensiv einzubringen. Ist es eure Hoffnung, dass die Künstler entgegen anderer Festivals bei euch länger verweilen?
Morin: Die Künstler spulen ihr normales Programm jeden Tag ab. Sich auf ein Festival einzulassen und in Gespräche zu kommen, das ist eine Atmosphäre, wo sie sich wohl fühlen.
Auffällig am Programm ist der Spagat mit sehr vielen sehr jungen und sehr vielen sehr alten Künstlern.
Morin: Es ist Technomäßig gestrickt: Viel Bass und viele Höhen und wenig in der Mitte.
Wie oft hast du das schon gesagt, kann ich das noch bringen?
Morin: Das habe ich mir gerade ausgedacht.
Lucker: Das habe ich noch nie von ihm gehört.
Das stimmt, ich habe es in keinem der Beiträge, die ich zur Vorbereitung gelesen habe, so gefunden. Was ich dort aber fand, Katja, war die Aussage von dir, dass dich die Heftigkeit der Debatte um die neue Volksbühnenleitung unter Chris Dercon erstaunt hat. Nun gab es ja nicht nur freudiges Feedback auf die Ankündigung des Pop-Kultur-Festivals sondern auch kritische Töne. Von wegen dass das Musicboard ja eigentlich andere Institutionen fördern solle, sich so aber selbst zum Akteur macht. In diesem Sinne gefragt: Hätte man an keines der bestehenden Festivals herantreten und das dort implementieren können?
Lucker: Ich kann immer wieder nur Mantraartig wiederholen: die Politik hat das Pop-Kultur-Festival über einen Parlamentsentscheid eingefordert, nicht ich als Geschäftsführerin. Es war keine Frage an mich sondern ein Auftrag vom Land Berlin. Wir sind angedockt an die Senatzkanzlei, das Rote Rathaus. Ich weiß, dass eine solche Kritik kursiert, dass wir Firma x,y,z aus der Stadt hätten nehmen sollen und denen das Geld geben, aber das geht gar nicht. Jeder weiß, dass man nicht nur Freunde hat auf der Welt – man hat seine echten und dann gibt es noch das sogenannte Musikbusiness und da gibt es eben auch Menschen, die das anders empfinden.
Morin: Mit Geld ist es in Berlin immer schwierig. Das Reeperbahn-Festival bekommt ein ähnliches Budget wie wir, aber da redet nie jemand darüber. Ich kenne ja beide Seiten, und ich schätze es, dass man in einem solchen Rahmen mehr Freiheiten hat inhaltlich zu denken und auch mal Dinge ausprobieren kann. Wie funktioniert Kultur? Es gibt da ja nicht so viele Modelle: Entweder es gibt öffentliches Geld oder du hast das Geld von privaten Firmen, mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat, oder du orientierst dich so sehr am Massengeschmack, dass du immer genug Geld zur Verfügung hast, oder alle arbeiten umsonst da das Ding so unterfinanziert ist, dass es nicht anders geht.
Lucker: Die Leute wissen nicht, was es bedeutet, öffentliches (vor allem europäische Mittel) Geld zu verwalten. Das ist nicht wie bei einem Festival in der freien Marktwirtschaft. Es ist wahnsinnig anstrengend dieses Geld auszugeben, da du es nicht einfach ausgibst, sondern für jeden Cent mindestens drei Angebote oder eine Ausschreibung brauchst. Das Geld ist an sehr viele Auflagen gebunden. Es kommen regelmäßig Prüfungsgremien zu uns und kontrollieren den ganzen Tag unsere Belege – und zwar jeden: Wer ist das? Warum macht sie das? Sie darf nicht… das ist alles sehr sehr sehr anstrengend.
Katja, Christian, danke für das Gespräch.