“Ich bin nicht der kontrollierteste Mensch” – Stefanie Sargnagel im Gespräch
Die Zeiten, in denen Stefanie Sargnagel eine Art Joker im Literaturbetrieb war – mit ihren Facebook-Status-Miniaturen und ihrer New-Working-Class-Erzählung rund um ihren Callcenter-Job – sind lange vorbei. Die Wienerin ist heute Romanautorin und Bachmann-Preisträgerin. Im Jahre 2021 kommt nun noch etwas hinzu, was wirklich den allerwenigsten zurechnungsfähigen Künstler*innen vorbehalten bleibt: Die eigene Verfilmung. “Sargnagel – der Film” kam in die Kinos. Mrs. Pepstein sprach mit ihr über das Hier und Jetzt.
Am 5. Juli liest Stefanie Sargnagel in der Kaput homebase GREEN ROOM.

Aus: “Sargnagel – der Film”
MRS. PEPSTEIN Hi Steffi, wie geht’s dir?
STEFANIE SARGNAGEL Mir geht’s ganz gut. Ich freu mich auf die Lesung heute Abend, es gab ja nicht viele für eine lange Zeit.
Du hast jetzt wahrscheinlich die meisten Sachen in letzter Zeit draußen gemacht, fühlt sich das gut an, so nach dem Motto “Hauptsache was machen”?
Ja, es fühlt sich schon gut an. Viele Sachen finden jetzt im Hochsommer statt, weil man im Herbst auch nicht weiß, was möglich ist. Ich merke schon, es ist alles ein bisschen dürftiger besucht als sonst, aber ansonsten freue ich mich aufs Auftreten, vor allem mit jemandem zusammen, das ist immer lustig.
Du bist mit Fauna da und wer dich schon länger verfolgt, weiß ja vielleicht, dass dieser “Klitclique”-Song mit “50000 Euro” Klitclique und Fauna für dich gemacht haben. Kennt ihr euch auch schon länger?
Also ich hab’ Fauna – wie viele andere Frauen, die in Wien coole Sachen machen – über die “Burschenschaft Hysteria” kennengelernt. Wir kannten uns vom Sehen, aber wussten eigentlich nicht, wer wir gegenseitig so sind. Über die “Hysteria” hab ich sie dann kennengelernt und dann hab ich gemerkt, bei „Dicht“, weil das eher eine Romanlesung ist, hätte ich gerne Musik dazwischen, damit das Ganze ein bisschen aufgelockert wird und dann ist mir die Fauna eingefallen und das harmoniert wirklich gut. Sie macht als Produzentin eher so elektronische Musik, Club-Musik und legt auf, aber hier spielt sie Lieder, zu denen es auch Texte gibt und ich finde ihre Texte sehr witzig. Wir haben recht spontan eine Dramaturgie zusammengestellt und dann haben wir gemerkt, dass komischerweise viele Lieder von ihr ganz zufällig zu Textpassagen von mir passen. Wir haben auch ein ähnliches Aufwachsen – wir kommen beide aus Wien und aus der Subkultur, wir haben beide die Schule abgebrochen, haben einen ähnlichen Humor, viele gemeinsame Bekannte, uns an denselben Orten herumgetrieben, zum Beispiel beim Flex, das war für jede Jugendliche der Treffpunkt, weil man dort davor sitzen und Dosenbier trinken konnte. Das war ein Freiraum, die für jede Jugend in meiner Zeit eine Rolle gespielt hat – Rana hat da zum Beispiel eine Zeit lang gearbeitet – und da viben wir beide ganz gut.
Dein Buch, das ist ja ein “Coming-of-age”- Ding, wo ihr auch alle zusammen abgehangen habt – hauptsächlich drinnen. Das war jetzt so für Jugendliche in den letzten anderthalb Jahren nicht möglich. Wie ist das so in Wien? Wo siehst du Jugendliche abhängen?
Viele haben natürlich versucht, sich irgendwie zu treffen und es hat sich alles ja auch sehr geändert, es war am Anfang ganz streng. Was ich ganz cool fand – weil natürlich, eine Pandemie ist schrecklich, für viele Leute bedeutet das viel Leid – war, dass viele Partys improvisiert wurden, an diesen freien Orten die es halt so gibt in der Stadt. Bei uns zum Beispiel die Donauinsel, da waren wirklich Tausende von Partys. Und das kennt man schon, dass Leute so illegale Partys machen, aber das sind meistens Leute aus der Punk- oder der Techno-Szene und da haben das plötzlich alle gemacht, also alle Arten von Jugendkulturen haben auf einmal Partys organisiert und das fand ich ganz lustig, wie die so improvisieren und ausrasten im öffentlichen Raum.
Es gab doch dann bestimmt auch Stress, oder?
Ja, in Wien auch, ganz massiv mit der Polizei. Ich kann mich noch erinnern, es gab einen Polizeibericht, dass die WEGA – das ist die Sondereinheit – eingerückt ist und alle Leute eingekesselt und verdrängt hat. Das waren echt vor allem 15- und 16 jährige, die nicht einmal besonders politisch waren und dann hab ich mir gedacht, “Da hätte ja auch die Tochter meiner Freundin sein können”, und die hat mir dann wirklich erzählt, dass sie dort war und es noch nie erlebt hat, dass die Polizei so brutal ist.
Dann lass uns doch mal über “Dicht” sprechen, das ist ja ein “Coming-of-age”-Roman, wo du deine Jugend beschreibst. Was würdest du der Steffi aus dem Buch heute sagen? Was soll sie genau so machen und was nicht?
Ich finde das irgendwie schon okay, ich hab’ zwar viel abgebrochen in der Zeit, aber ich war schon ein bisschen sorglos und ich hatte schon so eine Zuversicht, dass ich irgendwas kann, vielleicht würde ich ihr sagen: “Überleg dir das mal, mach mal eine Therapie” oder so, das wäre vielleicht nicht so schlecht gewesen. Aber im Großen und Ganzen bereue ich da nichts. Es waren alles Erfahrungen, die einen irgendwie geprägt haben. Im Buch geht es stark um Michael, das ist ein älterer Mann, der Alkoholiker ist und bei dem wir Jugendlichen uns immer treffen können. Und ich muss schon sagen, dass er mich künstlerisch sehr geprägt hat. Dadurch, dass er so sprachverliebt war und so vor sich hin geschwurbelt hat – irgendwelche Fantasiesachen – habe ich eine Liebe zur Sprache, die ich eh irgendwo schon hatte – gefördert bekommen. Das war natürlich nicht zielgerichtet – er war einfach ein Außenseiter – aber es können auch schräge Figuren sehr fördern.
Und künstlerisch hat er dich auch ermutigt?
Es war auf jeden Fall ein Freiraum, den wir sonst nicht so hatten – in der Schule auf der ich war und so weiter…
Du hast den Michi jetzt schon genannt, der ist ein Stück weit auch wie ein roter Faden im Buch. Beschreibe den Michi mal noch ein bisschen näher.
Ich bin an sich gar nicht so ambitioniert, etwas Langes zu schreiben, ich hatte nie so das Bedürfnis, aber ich habe ganz viele Tagebucheinträge aus meiner Jugend und ich dachte mir, dass ich die schon gerne aufarbeiten möchte. Weil zum Beispiel habe ich meinen Freundeskreis, den ich jetzt habe und der mir immer noch sehr nahe steht, dadurch kennengelernt, dass wir uns immer bei Michi getroffen haben. Und dieser Michi war ein Tagedieb, so ein bisschen ein Assi, der nur geschnorrt, getrunken und nicht gearbeitet, uns aber alle in seine Wohnung eingeladen hat und dort konnten wir uns immer treffen. Er war sehr intelligent und künstlerisch von seinem Wesen, aber eigentlich auch verrückt, depressiv und schwerer Alkoholiker. Dadurch, dass er uns diesen Freiraum in seiner Wohnung gegeben hat, sind dort die verschiedenste Leute hingegangen, eben Jugendliche, die nicht so “mainstreamig” drauf waren und aber auch seine verrückten 50-jährigen Alte-Männer-Freunde, die dort regelmäßig irgendwelche Psychosen hatten. Das war diese schräge Symbiose von dieser Wohnung und von der wollte ich schon immer gerne schreiben, weil meine Freunde und ich immer noch sehr gerne Anekdoten aus der Zeit austauschen und auch anderen Leuten, die uns fragen: ”Woher kennt ihr euch eigentlich?”, sehr gerne von der Wohnung und von Michi erzählen. Deswegen wollte ich das auch in Buchform mal machen.
Gab’s dort keinen Moment wo du gedacht hast, es wäre irgendwie komisch, mit einem älteren Mann mitzugehen? Also das klingt ein bisschen bewahrpädagogisch, weißt du was ich meine?
Er hat uns ja nie angemacht oder auf eine ungute Art behandelt. Er war einmal verliebt in einen von uns, in den Koxi, aber er hat den nie bedrängt. Er hatte etwas sehr Verspieltes und hat einfach überhaupt nicht etwas Gefährliches ausgestrahlt. Und wir waren auch super offen und haben alles aufgesaugt. Außenseiter waren uns prinzipiell sympathisch, aber wir hatten schon auch ein Gespür dafür, wer es gut mit uns meint und wer ein bisschen sleezy ist und komisch, wem wir nicht so ganz trauen können. Ich hab´ zum Beispiel auch Michis Bruder getroffen – Michi hatte einen Zwillingsbruder – und der stand fester im Leben als er, um auch eine Bestätigung zu bekommen, “verkläre ich ihn jetzt total, war er wirklich so?”. Und er hat ihn dann auch so ein bisschen beschrieben und eigentlich dieselben Worte verwendet wie ich: “sehr poetisch, sehr spielerisch, sehr beschwingt und auf eine eigentlich schon ungesunde Art angstfrei”. Er war dann auch teilweise zu angstfrei und hat sich in Gefahrensituationen begeben.
Was ich an dem Buch spannend finde ist – da ist ja ganz viel Liebe drin, für alle die du da beschreibst, egal ob das deine gleichaltrigen Freund*innen sind oder die Männer dort in der Wohnung – das kommt ja eigentlich fast nicht vor. Wenn man jetzt so unterwegs ist und man sieht einen Alkoholiker auf der Straße, dann käme man nicht auf die Idee, den zu fragen, “Hast du ein Faible für Poesie” oder so. Ist man als Erwachsene*r auch noch so offen oder lag das daran, dass ihr so jung wart?
Ja, auf jeden Fall ist man viel offener in der Phase und auch so viel angewiesener, als Jugendlicher hat man zum Beispiel nicht so wirklich Orte zum Experimentieren. In manchen Städten gibt es gute Jugendzentren, aber es gab jetzt nicht den Ort, der für uns gemacht gewesen wäre, wo wir auch trotzdem unsere Freiheiten gehabt hätten und dadurch ergibt es sich voll oft – ich beobachte das selber auch noch – dass Jugendcliquen in Parks, gerade linkere Gruppen – sehr aufgeschlossen gegenüber schrulligen, verrückten Freaks sind, die in der Gesellschaft nicht mehr Platz finden. Oder zum Beispiel der Club “Flex”, da haben sich einfach ganz viele Jugendliche getroffen, aber es waren auch ganz viele Verrückte dort, weil sie da natürlich besser behandelt wurden, als wenn sie vor irgendein Snob-Lokal gegangen wären, da wären sie eher verjagt worden. Dass man ein Herz hat für Leute, die nicht so funktionieren und dass man denen gegenüber offen ist, die nicht der Norm entsprechen, ist für mich auch sehr wichtig in einer linken Szene.
Du widmest das Buch ja auch dem Michi, was hast du von ihm gelernt?
Schwer zu sagen, weil ich will das auch nicht verklären. Er hat zu vielen Dingen, wie Substanzen, eine ungesunde Einstellung gehabt und war an sich auch nicht psychisch gesund. Er war halt alkoholabhängig, ist ganz früh gestorben, hatte HIV, weil er nicht acht gegeben hat – also ein Vorbild war er nicht. Aber in dieser Angstfreiheit, die er uns vorgelebt hat, da finde ich mich wieder, Dinge nicht so ernst nehmen, Autoritäten nicht so ernst nehmen, alles so ein bisschen lächerlich sehen – auch Ambitionen oder Karrieren und sich davon nicht so beeindrucken lassen. Er hat uns schon ziemlich geprägt. Die Jugendlichen, die zu ihm hingegangen sind, fanden ihn ja alle cool. Und deswegen hat man über Karrieren auch immer nur gelacht. “Ach, sie wollen mal das studieren und das. Das ist doch alles egal! Wir können doch lesen, was wir wollen”. In dieser Richtung hat Michi uns ziemlich geprägt. Ein paar haben es trotzdem zu klassisch akademischen Erfolg gebracht, aber alles war ziemlich antikarrieristisch zu der Zeit.
Ist das Buch eigentlich eine Biographie oder nicht? Zumindest weiß ich das nicht so genau, aber wenn jetzt Tagebucheinträge die Inspiration waren, in wie weit ist es das wirklich und was hat dir am meisten Spaß gemacht am Buch?
Naja, ich fand es schon ultra anstrengend zu schreiben, weil ich nicht wie andere Autoren bin, die sich fokussieren, vertiefen und zurückziehen und lange an etwas arbeiten. Das ist überhaupt nicht mein Ding, das ist etwas, was mir schwerfällt, also ich hab’ schon sehr gelitten. Ich war dann einfach froh, als es fertig war. Das Buch baut sehr viel auf echten Erlebnissen auf, aber man muss an einer Erzählung auch ein bisschen etwas verändern, damit sie nachvollziehbarer wird. Zum Beispiel hatte ich noch viel mehr Figuren im Buch und die Lektorin hat dann gesagt: “ Das geht so nicht, man kennt sich einfach nicht aus.” Es sind ja jetzt schon viele Figuren, wo man immer nicht so genau weiß, “wer ist das denn jetzt schon wieder?”. Und die Figuren müssen dann ja auch immer irgendwie eingeführt werden – teilweise habe ich ganz viele Figuren dann weggelassen oder mehrere Menschen zu einer Person gemacht, mit der ich etwas erzählen wollte. Manche Erlebnisse sind nicht meine eigenen, gerade Erlebnisse mit Michi. Da hat mir dann jemand erzählt, was er mit Michi erlebt hat und dann hab ich das aus meiner Perspektive aufgeschrieben, weil es erzählerisch mehr Sinn macht. Im Großen und Ganzen ist schon alles, was im Buch steht, auf die eine oder andere Art passiert.

Aus: “Sargnagel – der Film”
Ich mag diese Szenen, wo du die Rauschzustände beschreibst, egal ob das jetzt vom Verliebt-Sein ist und du kleine Zebras auf grünen Wiesen siehst oder wie du die Wirkung von LSD beschreibst, das finde ich auch sehr lustig. Was ist denn deine Lieblingsdroge?
Schwer zu sagen, jetzt wo ich älter bin. Eigentlich fand ich psychoaktive und psychedelische Drogen sehr interessant und empfinde sie auch als die reizvollsten Drogen, weil man beim Nehmen tatsächlich etwas lernen kann und dabei auf Gedanken kommt, die man sonst nicht haben würde. Andererseits machen sie mir auch am meisten Angst, weil ich es sehr gruselig finde, wenn man den Wirklichkeitsbezug total verliert. Es ist auch ein bisschen so wie mit einer Psychose, man hört und sieht Dinge, die gar nicht da sind und das Bewusstsein funktioniert nicht mehr in diesen Bahnen, in denen man es eigentlich gelernt hat. Das traue ich mir nicht mehr seit meiner Erfahrung mit Horrortrips. Horrortrips haben immer lustiges Potential zum erzählen, aber angenehm waren sie nicht und deswegen lasse ich die Finger davon. Ich bin eigentlich nicht mehr sehr drogenaffin. Alkohol mag ich auch nicht zu gerne, aber der ist halt meistens da und praktisch als Treibstoff für Socializing. Im Großen und Ganzen bin ich auch gerne nüchtern.
Wenn man dir auf Facebook usw. folgt, sieht man, dass du auch eine Weile versucht hast, total abstinent zu leben. Was ist generell dein Verhältnis zu Rausch?
Ich bin nicht der kontrollierteste Mensch. Deswegen versuche ich dann auch immer wieder mal, mich zusammenzureißen. Prinzipiell werte ich Rausch nicht ab, das ist immer eine Frage des Umgangs und hat natürlich auch ganz viele problematische Ebenen, gerade mit Alkohol und Männergewalt zb. Wenn ich abstinent war, war das wirklich schwierig, weil mich immer jemand zum Trinken überreden wollte: Nach Lesungen, auf Kulturveranstaltungen, ständig wurden mir Alkoholflaschen geschenkt und das findet man dann (erst) richtig absurd. Aber natürlich hat Rausch auch seinen Sinn. Ich finde zum Beispiel an Alkoholräuschen auch lustig, dass die Menschen auf eine Art Reise miteinander gehen. Man braucht eigentlich ziemlich lange, um jemanden kennenzulernen, vor allem in einem gewissen Alter, wenn man nicht mehr so viele Erlebnisse teilt – auch aus Zeitgründen und weil alles nicht mehr so neu ist – aber wenn man sich mal so richtig angesoffen hat mit einer Person zu zweit, dann verbindet das einen gleich. Da wird das Soziale auf eine gewisse Art beschleunigt, man ist enthemmt und erzählt sich vielleicht peinliche Sachen und das bindet einen schon aneinander, das finde ich schon wieder ganz praktisch.
Um auf deinen Dialekt sprechen zu kommen – als Wienerin ist es ja irgendwie klar, dass du Dialekt sprichst und du wendest den im Buch auch öfter mal an – hauptsächlich eigentlich, wenn ältere Personen reden. Was magst du an dem Wiener Dialekt?
Ich würde sagen, ich als Wienerin spreche ja nicht Dialekt – ich spreche Hochdeutsch und habe einen Wiener Slang. einen gewissen Sprachklang/ eine gewisse Sprachmelodie. Aber Dialekt ist es ja erst, wenn eine Lautverschiebung stattfindet und Dialekt reden in Wien eigentlich auch nur ältere Leute. Meine Eltern haben immer Dialekt geredet mit mir, aber eigentlich auch, weil die aus Niederösterreich sind, also vom Land und ich war eins der wenigen Kinder überhaupt, die zuhause Dialekt geredet haben. An Wien mag ich eigentlich eher so den Slang und die Sprüche, so alte Sprüche, die eigentlich wirklich aus dem Rotwelsch kommen, aus der Gaunersprache oder aus dem Hebräischen, das gehört irgendwie alles ein bisschen zusammen. Da gibt’s halt ziemlich lustige Sprüche, ganz viele Worte für Sterben und so weiter.
Das habe ich in einem Interview mit dir gehört, diese Straßenbahn-Analogie, du fährst im 21er oder so.
Ah ja, in den 71er einsteigen oder so. Da habe ich als Jugendliche mal alle gesammelt und da gab’s so Sprüche wie “Die Patsche strecken” , “sich ins Pendel hauen”, das ist wenn man Selbstmord durch den Strick begeht. Es ist immer sehr makaber, Dinge werden auch oft verniedlicht, zum Beispiel dass man statt Schlaganfall “der hat einen Schlagerl gehabt” sagt. Da werden schlimme Dinge verniedlicht und so eine gewisse Schwärze ist da schon auch in der Sprache drin.
Die Mutter in dem Buch ist ja noch relativ gechillt, was die Aktivitäten ihrer Tochter angeht, das finde ich irgendwie bewundernswert. Und ich hab’ mir überlegt, liegt das daran, dass sie so viel gearbeitet hat und genug Stress auf Arbeit hatte. Warum konnte sie so entspannt sein?
Ich glaube, sie war gar nicht so entspannt, da gab’s natürlich auch irgendwelche Streitigkeiten, also natürlich muss man auch dazu sagen – das sage ich auch immer bei der Lesung – sie wusste auch einfach ganz wenig, was wir wirklich machen. Ich hab´ sie einfach angelogen. Sie dachte halt, ich wäre bei einer Freundin und nicht beim alten Alkoholiker mit lauter psychisch Kranken und Drogensüchtigen. Ich meine, ich bin dann manchmal auch offener geworden und dann hat sie einfach resigniert. Ich hatte das Gefühl, sie war eben recht pragmatisch und dachte, auch wenn sie jetzt die Ur-Szene macht, wird mich das nicht hindern, sowieso alles machen. Dann reiße ich halt aus.. und damit hatte sie eigentlich auch Recht. Es war dann eher so, dass sie da war und ich immer kommen konnte, verbieten hätte nichts gebracht. Ich muss auch dazu sagen, sie hatte eine harte Kindheit, ist mit viel schwerer Arbeit aufgewachsen und wollte wahrscheinlich bei mir auch ein bisschen was anders machen, mit einem lockeren, liebevollem Umgang. Irgendwann hat sie dann wahrscheinlich aufgegeben, sie ist auch ein viel ruhigerer Mensch als ich.
Hat sie das Buch denn gelesen?
Ja, und sie hat gemeint, es war schon ziemlich hart. Also ich dachte mir, jetzt geht’s ja, weil jetzt ist ja alles gut. Ich verdiene schon mein Geld und lebe mein Leben.. aber es war schon sehr hart.
Ich kann mir auch vorstellen, weil sie vielleicht auch so im Nachhinein denkt, “Vielleicht hätte ich irgendetwas machen sollen”.
Aber es ist ja alles gut ausgegangen. Wenn ich jetzt vielleicht in der Entzugsklinik oder im Gefängnis wäre, hätte ich das Buch vielleicht nicht geschrieben..
Das Buch handelt auch viel von Solidarität, also Kippen besorgen, gemeinsam Drogen nehmen, aufeinander aufpassen und so weiter. Wie wichtig war das für dich in der Zeit? Und ist es das auch heute noch?
Das war damals wichtig und ist für mich auch heute noch sehr wichtig. Diese Loyalität, das auf einander schauen und den anderen irgendwie mitzunehmen. Ich bin ein sehr gemeinschaftlich-orientierter Mensch und es war für uns auch so selbstverständlich – ich finde das total schrecklich, wenn ich Jugendliche sehe, da ist jemand ganz betrunken und die lassen den sitzen. So etwas hätten wir nie gemacht. Es war auch schon ein bisschen geprägt von dieser Freundin, die eine sehr idealistische Strenge hatte bei Dingen, weil sie so viele Geschwister hatte: “Nein, das macht man nicht” und “Nein, das teilt man jetzt aber!”, aber das fand ich auch wichtig und finde ich immer noch wichtig.
Und auch dieses “Safer drug use”, wo du sagst, ich würde das gerne mal ausprobieren, aber welche Freundin ist bei mir in der Nähe und passt auf und du beschreibst ja auch, wie dann ein Typ dazu kommt, der total besoffen ist und euren Rausch gar nicht versteht. Das fand ich echt auch schön an dem Buch. Apropos Solidarität, du hast auch zu Beginn des Gesprächs schon die Hysteria erwähnt, das Matriarchat und so weiter, wie ist der aktuelle Stand?
Durch Covid ist die Hysteria natürlich auch so ein bisschen aus der Öffentlichkeit verschwunden, wie so alles, aber das Netzwerk ist immer noch sehr aktiv. Da ergeben sich immer wieder neue Kooperationen.
Was sind denn generell gerade die Themen in Österreich, die das Matriarchat auf dem Schirm haben muss?
Es ist schwierig, die FPÖ ist jetzt halt weg. Die waren natürlich ein wesentlich einfacheres Angriffsziel. Leute wie Kurz, die sich halt winden und irgendwie so harmlos geben, in Wirklichkeit aber eine rechtere Politik machen als die AfD teilweise – die sind schwieriger und irgendwie schlüpfrig. Die muss man auf jeden Fall auch wegbekommen.
“Stefanie Sargnagel – der Film”, du spielst da in einer Mockumentary über dich dich selbst, wie war das so, sich selbst oder sich selbst nicht zu spielen?
Es war schon eine Herausforderung, weil das Skript habe nicht ich geschrieben, sondern ein Regieduo und ich habe mich da eingelassen in das Projekt – das heißt jetzt natürlich, “Sargnagel – der Film”, ist aber nicht von mir geschrieben, aber es war eine interessante Arbeit. Es war ganz angenehm, auf einem Filmset zu arbeiten – als Abwechslung zu diesem Buchschreibeprozess, wo man sehr auf sich selbst zurückgeworfen ist. Auf einem Filmset wird man sehr angeleitet, einem wird ständig gesagt, was man als nächstes zu tun hat und das war ein bisschen eine Erholung vom Schreiben. Ich bekomme zum Film sehr unterschiedliche Reaktionen – ich weiß selbst nicht genau, was ich darüber denke, aber jetzt wo er draußen ist, kann man’s nicht mehr ändern.
Und du hast dort immer noch die rote Kappe auf, was mich so irritiert, weil du hast die ja eigentlich schon lange so abgelegt, oder?
Das wollte die Regie so und ich dachte mir, das schafft vielleicht auch ein bisschen Distanz von meinem echten Ich.
Was steht jetzt noch an bei dir im Herbst? Gibt’s noch eine Nachfolge von “Dicht”? Was ist dein neues Schreibprojekt?
Ein neues Schreibprojekt habe ich jetzt gar nicht so in petto. Es gibts auch gar kein neues Thema, das war immer der Langtext, den ich erzählen wollte. Natürlich machen die Verlage ein bisschen Druck, weil wenn etwas gut funktioniert – und das Buch läuft ganz gut – wollen sie natürlich bald nachschießen. Ich habe aber auch den Lockdown sehr genossen und fand das Nichts-tun sehr angenehm. Jetzt mache ich einmal die Lesungen, die ich eineinhalb Jahre nicht machen konnte und auch mit den Legends of Entertainment, mit Christiane Rösinger und Denise Bourbon, werde ich wieder auf Tour gehen. Dann schauen wir mal. Vielleicht fange ich am zu töpfern.
Das Interview führte Mrs. Pepstein / Transkript: Martha Röckel