Das Biotop
Gelegen in einem einstmals toten Winkel der Stuttgarter Innenstadt, der Steinstraße, befand sich bis Anfang 2014 die Wohngemeinschaft von Thomas Zehnle, Max Rieger und Paul Schwarz (unter anderem Schlagzeuger von Human Abfall und jener Paul im Titel der neuen Wolf Mountains Veröffentlichung „Birthday Songs for Paul“). Eine Gegend, die sich in den letzten Jahren zu einer Ausgehmeile gemausert hat, weswegen man jetzt aber nicht gleich wegen Gentrifizierung und so losblöken muss, da der Bereich aufgrund seiner Nähe zur Stadtautobahn sowieso kaum bewohnt ist.
So sah es aus. An der Ecke eine Ballermannkneipe, untendrin ein vegetarischer Imbiss, in dem der ein oder andere auch mal gejobbt hat, irgendwas kinky Sexmäßiges im Nebenhaus und auf dem Gehweg ein Pipigeruch, der sich wohl Hamburg St. Pauli zum Vorbild genommen hat. Die Punkmusiker-WG, die mit ihrem Ambiente aus minimaler Zweckmöblierung, Musikequipment, einem überdimensionalen Lana Del Rey-Poster und Legionen von Leergut in ihrer Punkerversifftheit etwas militant Asketisches hatte, war so etwas wie ein open flat, eine Anlaufstelle für alle. Außerdem war es kein Problem, in dieser Nachbarschaft das Wohnzimmer als Proberaum zu nutzen. Viel bewegt hat man sich nicht zu dieser Zeit. Wenn man mal an die “frische“ Luft wollte, hat man meistens auf dem oberen Deck im Parkhaus gegenüber rumgehangen.
Stuttgart selbst hat nichts zu bieten: Die City ist bis in die letzte Ecke durchkommerzialisiert. Kneipen oder sonstige öffentliche Räume, die noch ein anderes Leben versprechen würden, sind generell nicht mehr vorhanden. Der Endzeitkapitalismus beißt sich hier selber tot mit Shoppingmalls und Lounges und „Suites“, wie sich die Cafés hier nennen und auch dementsprechend aussehen. Ansonsten ist der Raum eher nach dem Bedürfnissen des Automobils organisiert oder wird gerade im großen Stil mit den Investitionsruinen der nahen Zukunft zugebaut.
In dieser Wohnung also probten auch mal Reinhold und Kevin, anfangs noch als Duo – und da Thomas gerade da war, fing er an, den fehlenden Bass zu spielen, womit sich die endgültige Formation der Wolf Mountains gefunden hatte.
Sind die Wolf Mountains eine Supergroup? Wenn man sich vergegenwärtigt, in wie vielen anderen Bands das Trio noch spielt – Kevin Kuhn bei Die Nerven, Karies, Trombose Quitte und solo als Melvin Raclette; Reinhold Buhr bei Mosquito Ego, (außerdem ist er Betreiber des Tapelabels “Sunny Tapes”); Thomas Zehnle bei All diese Gewalt und Jauche -, könnte man dies durchaus behaupten. Oder ist „Nebenprojekt“ doch die eine hilfreichere Bezeichnung?
Eher nicht: Die Hierarchisierung, die hier mitschwingt, ist lediglich der äußeren Wahrnehmung und Resonanz geschuldet. Vielleicht ist dieser Namedropping-, Querverweis-Irrsinn letztendlich besser erklärt, wenn man sich die Stuttgarter Musikszene vergegenwärtigt. Diese lässt sich schwerlich mit einem Genrebegriffsanhängsel wie Noise-Punk beschreiben, da sich das Spektrum des Milieus von Phänomenen wie der Neo-Krautrockgruppe Metabolismus über Psychpop, Hippiefolk à la Jamhed oder Torben Denver Band und Folk bis hin zu eben den Nerven, Human Abfall und Konsorten erstreckt. Es scheint also richtiger, von einem Kollektiv, einem engen Bekanntenkreis, zu sprechen, in dem bestimmte Freundschaften oder auch mal ein paar schnell ausgedachte Witze eine neues Projekt entstehen lassen.
Ein eklektizistischer Haufen also, der mit jeglichem Stil, den die Counterculture in den letzten 40 Jahre so erfunden hat, souverän herumspielt. Vor allem verortet in einem halblegalen Club, der einst ein alter Zugwagon war und nun ein verratzter Überseecontainer ist. Dort haben sich die meisten Protagonisten kennengelernt. Sobald ein Bandname gefunden war und man ein bisschen was beisammen hatte, trat man auf und probierte sich öffentlich aus. Moritz Finkbeiner, der Impressario von alledem, zudem Mastermind der Avantgarde Noise-Band Mosquito Ego und Mann hinter dem Sunshine-Pop-Projekt Monsieur Morio, meinte mal: „Der Underground muss schon im Untergrund stattfinden.“
Aber zurück in die Wolf Mountains. Wo sind diese in dieser weitläufigen Genrelandschaft zu verorten? Sie sind auf alle Fälle keine sich zu ernst nehmende Band wie Karies oder die andern deutschsprachigen Krachmacher der Stadt. Während sich diese Gruppen an den tristen Verhältnissen der Umgebung abarbeiten, sind die Wolf Mountains eher eskapistisch. Die DNA der Gruppe sind kalifornischer Pop-Punk, den anno dazumal wohl die Descendents erfunden haben (eigentlich die Buzzcocks, aber das ist für jetzt mal egal) und Surf. Auch textlich orientiert man sich an der südlichen Westküste der USA: Es werden zum Beispiel der Sommer und Girls besungen. Die unterschiedlichen Gesangsstimmen von Buhr und Kuhn ermöglichen einen Facettenreichtum, der durch Ausflüge in Garage-Rock und durch das kenntnisreiche Verständnis von Rock, bevor er das Präfix “Post“ verpasst bekam, gekennzeichnet ist. (Vor allem Kevin Kuhn hat hier eine frühkindliche Musikerziehung genossen; ab dem zarten Alter von circa zwei Jahren hat er mit seinem Vater auf MTV „Headbangers Ball“ geguckt und sich dann mit fünf seine erste Platte gekauft, „Come Out and Play“ von Twisted Sister, bezahlt mit dem Geld, das er beim Staubsaugen des Autos seiner Oma verdient hat. In der Tat hat er auch eine Schwester, aber ob sie „verdreht“ war und ob sie mit Kevin draußen gespielt hat, kann man nur erahnen.) Natürlich muss man auch an den Gun Club denken, wenn man eine „klassische“ indie-Rock-Sozialisation genossen hat oder halt alt ist, oder auch an Dinosaur Jr., wenn ein Song wie „Summer´s Gone“ in melodischem Noise ausufert. Man sollte noch erwähnen, dass für Reinhold Buhr auch neuerer Garagen-Rock-Bands wie Ty Segall oder Thee Oh Sees ein größere Rolle in der Musiksozialisation gespielt haben.
Im Ergebnis klingt das wie der Soundtrack einer gelungenen Highschool-Komödie. Der Hase auf dem Cover könnte insofern, der Ikonografie des christlichen Abendlandes entsprechend, die Wiedergeburt der Rockmusik im Guten symbolisieren. Oder steht er etwa für die Fruchtbarkeit der Bandmitglieder, die etwas weiter unten in der Abbildung zu finden sind? Man muss ja nicht das Schlimmste befürchten. Obwohl meine Wenigkeit sich für die Coverzeichnung verantwortlich zeichnet, kann auch ich das nicht beantworten, da es sich hierbei um einem „Remix“ des Orginalcovers der ursprünglichen Tapeveröffentlichung handelt und somit der Motivkomplex vorgegeben war.
Der Musik-Express hat diesen Sommer mal via seinen Autor und Kaput-Mitherausgeber Linus Volkmann die Frage aufgeworfen, ob Stuttgart das neue Seattle wäre. Wenn man die Wolf Mountains hört, denkt man eher, der treffendere Vergleich sei das Los Angeles der 80er Jahre und die Szene um das Label SST. Hätte man bloß Küstenanbindung, könnte man meinen, alles wäre doch gut hier.
Text: Abel Auer / Photos: Thomas Westner