„Nicht mehr oll und scheiße“ 24/7 Diva Heaven live
„Eigentlich überall“ ist die Live-Kolumne von der mobilen Popjourno-Brigade Benjamin Moldenhauer und Saskia Timm. Hier schreibt Benjamin über ein dicht gedrängtes Konzert der Band 24/7 Diva Heaven – und vom Nachtleben in Bremen erfährt man auch mal wieder so einiges.
In die Bremer Kneipe Eisen passen nur ein paar Dutzend Leute. Wer eins der Konzerte besucht, die der Kneipier Fernando Guerrero hier veranstaltet, steht auf einer titanic-planken-großen Fläche, gestützt vom Tresen (im Rücken), den Leuten (um einen herum), dem Bühnengeschehen (frontal von vorn) und dem Lärm im Raum (überall). Seit 33 Jahren gibt es das Eisen, die Konzerte sind in der letzten Zeit zahlreicher geworden (Fernando: „Mal veranstalten wir mehr DJ-Abende, mal mehr Konzerte, mal ist Werder erfolgreicher und alle in guter Laune, mal ist es eher eine Selbsthilfegruppe“).
Das ist in einer Stadt wie Bremen, die wie alle Mittelstädte hierzulande konzerttechnisch zunehmend unterversorgt ist, weil sich alles auf Berlin, Köln und Hamburg beschränkt, wichtig. Die Jüngeren wissen das gar nicht, aber in den Achtzigern und Neunzigern des letzten Jahrhunderts konnte man sich in Bremen drei bis vier Bands die Woche anschauen, wenn man wollte: im Schlachthof, im Lagerhaus, in der Friese, in der Buchte, im legendären Wehrschloss, auf dessen Gelände heute ein schwachsinniger Paulaner-Biergarten-Unfug steht.
Das Eisen ist einer der Bremer Orte, in denen das zusammenkommt, was man früher gern mal Subkultur genannt hat. Entsprechend lebensälter ist das Publikum. Wobei die Gäste, was das Alter angeht, durchmischter sind, als es das Bild von der alten Punk-Kneipe mit Hüsker-Dü-Plakat an der Wand will. „Heute sitzen teilweise schon Eisenbabys am Tresen – Anfang 20 –, denen man erzählen kann, dass man ihren Eltern damals um vier Uhr morgens gesagt hat: ‚Jetzt küsst euch endlich, ich will Feierabend machen’“, hat Fernando Guerrero dem Weser Report zum Jubiläum mitgeteilt. „Und jetzt sitzen sie selbst an genau derselben Stelle – das ist schon berührend.“ Und es stimmt, sowas kommt vor.
Das war erwartbar prachtvoll: Die ideale Powerhouse-Besetzung, Gitarre, Bass, Schlagzeug, und dann mit allem, was man zur Verfügung hat so lebendig wie möglich nach vorne. Das Trio hat sich durch seine zwei Alben und damit einmal durch die matriarchal gestimmte Rockmusik der Neunziger durchgespielt. Es ist viel Veruca Salt und L7 und manchmal auch etwas Babes in Toyland (und natürlich Nirvana) in diesen Songs. Ist nicht so elegant, dieses Beschreiben einer Musik mit „Kingt wie“, aber es drängt sich hier dann doch sehr auf. Fundamental neu klingt die Musik von 24/7 Diva Heaven nicht, aber „neu“ ist auch nichts, was man von einer Rockband erwarten kann heute.
Interessant aber, wie sehr alte Rockgesten – Zwo-Drei-Vier-Einstiege, breitbeinig vorgetragene Ansagen, Gitarre in die Höhe und andere Posen – auf einmal nicht mehr oll und scheiße wirken, wenn sie von drei jungen Musikerinnen kommen, die von der ersten bis letzten Konzertminute abstrahlen, wie viel Spaß sie an den eigenen Songs haben. Und mit den Menschen, die tapfer eingeklemmt zwischen Bühne und Tresen vor sich hin jubilieren.
Gegen Ende wurde Fernando, vor Kurzem von einer Krebserkrankung genesen, crowdsurfenderweise durch den Raum getragen, ein paar Mal hin und her, viel Platz war ja nicht. Das war auch sehr berührend, und es war wieder einmal ein sehr guter Abend im Eisen.
Text: Benjamin Moldenhauer




