Depeche Mode im Bann des Buchstabens M

Photo: Toni Francois, courtesy Sony Music
M wie Mode; M wie Mexiko-Stadt; M wie Movie; M wie „Music till we die“
Fast drei Jahre ist es her, dass Depeche Mode ihr bisher letztes Album veröffentlicht haben: „Memento Mori“ – ein Werk, das vom schmerzhaften Verlust des überraschend verstorbenen Andy Fletcher ebenso erzählt wie von der Vergänglichkeit des Lebens an sich. Seitdem stehen die Band und ihre Fangemeinde im Bann des Buchstabens M. Und das mit gutem Grund: Das auf zwei Gründungsmitglieder geschrumpfte Duo hat sein bestes Album der letzten zwanzig Jahre vorgelegt, samt ikonischem Skull-Motiv.
Trotz des düsteren, nachdenklichen Titels geriet die Tour jedoch keineswegs zu einem wandernden Requiem. Fletcher wurde geehrt, ja, doch „Memento Mori“ zeigte vor allem, dass Depeche Mode als Band, geschrumpft, aber ungebrochen, lebt und das Leben feiert. Der Tod wirft seinen Schatten, wie bespielsweise das riesige M auf der Bühne, doch das Feuer brennt weiter. „The fire still burns“, um aus dem Song „Insight“ zu zitieren.
Nun bekommen wir all das in Bild und Ton serviert. Für die Bilder zeichnet der 46-jährige mexikanische Regisseur Fernando Frias verantwortlich, bekannt durch seinen Film „I’m No Longer Here“ . Für den Ton sorgt Marta Salogni, die auch das Album mischte.
Der Titel „Memento Mori“ legte nahezu fest, dass ein möglicher Konzertfilm dort entstehen müsse, wo die Ehrung der Toten und die Feier der Sterblichkeit jahrtausendealte Tradition haben – und wo Depeche Mode selbst Kultstatus genießen. Zuckerschädel, mit Knochen verzierte Brote, Posadas Skelette, die literarische Calavera-Tradition, sie alle verkörpern jene gelassene, fast fröhliche Konfrontation mit dem Unausweichlichen, die auch in der Musik der Band seit jehermitschwingt.

Photo: Toni Francois, courtesy Sony Music
Vielleicht überrascht es Europäer, wie sehr die Mexikaner genau diesen Ton in der Depche Mode-Welt wiedererkennen, verbindet man ihre Kultur doch eher mit Mariachi oder Ranchera als mit melancholischem Electro-Pop. Doch Depeche-Konzerte waren schon immer kollektive Rituale, in denen selbst die düstersten Songs erhebende Wirkung in sich tragen. Wenn Zehntausende mit Dave und Martin ihre Traurigkeiten hinaussingen, ist das etwas völlig anderes, als allein im Zimmer zu lauschen. Wer einmal von diesem Vibe berührt wird, ist ihm verfallen.
Mexiko empfängt die Band seit 1993 – damals füllten sie erstmals die Sporthalle der Hauptstadt mit zwei Konzerten – mit offenen Armen. Seit „Touring The Angel“ sind sie regelmäßige Gäste im Foro Sol. Diese Hingabe musste irgendwann dokumentiert werden. Und so erzählt der schlicht „M“ betitelte Film sowohl von Mexiko, vom Mode-Kosmos und von „Memento Mori“ als auch von der Bühne, die all dies visuell verbindet.
Viele sind sich einig, dass die legendären Konzertfilme der Band – „The World We Live In…“, „101“, „Devotional“– nie wirklich würdige Nachfolger gefunden haben. Corbijns „One Night In Paris“ kam nah heran; den übrigen Werken fehlte stets dieses schwer greifbare Etwas. Frias’ Film scheint nun in diese Linie zu treten – zumindest, was die filmische Erinnerung an drei ausverkaufte Abende in Mexiko betrifft.
Die Kameraarbeit ist beeindruckend: intime Nahaufnahmen, die jede Falte und jedes graue Haar zeigen – Erinnerungen daran, dass auch an Ikonen die Zeit nicht spurlos vorübergeht, sowie kunstvolle Montagen und Collagen. Was die Darstellung Mexikos, seiner Totenkultur und der Leidenschaft der Fans betrifft, wäre jedoch mehr Tiefe wünschenswert gewesen. Man sieht zwar Fans (manche wirken jedoch als gingen sie eher zu Marilyn Manson oder einem Death-Metal-Gig), aber man hört zu wenig darüber, warum gerade diese Menschen sich in eine europäische Synth-Band verliebt haben.
Die Fans aus „101“ – teils nervig, aber authentisch – zeigten ihren amerikanischen Kontext, ihre Rebellion und ihre Pilgerreise ins berühmte Baseballstadion von Los Angeles. Eine ähnlich tiefgehende Analyse des mexikanischen Fan-Kosmos wäre hochspannend gewesen. Stattdessen erfahren wir nur, dass sich die Botschaft einst per VHS verbreitete – etwas, das jeder osteuropäische Fan im Kinosaal mit wissendem Nicken quittiert. Ein kulturelles Déjà-vu über tausende Kilometer hinweg.
Die Leidenschaft der latein- und südamerikanischen Fans hätte problemlos eine intensivere Betrachtung verdient, zumal auch andere Synth- und Dark-Pop-Ikonen ähnliche Hingabe erleben, von Erasure über die Pet Shop Boys bis hin zu The Cure. Es wäre großartig gewesen, Martin Gore und Mr. Dave Gahan zu diesem Abschnitt der Tour sprechen zu hören: wie sie das mexikanische Publikum sehen, was diese Intensität für sie bedeutet – idealerweise ergänzt durch ein paar Backstage- oder Reiseszenen. Stattdessen – abgesehen von einer stilisierten Schlussszene, in der das „M“ mit dem Madrider Bahnhof verschmilzt, sehen wir ausschließlich ihre Bühnenpräsenz.

Photo: Toni Francois, courtesy Sony Music
All dies schmälert jedoch nicht die Wirkung des Films. Die Gänsehautmomente sind trotzdem da: die berührende Hommage an Andy Fletcher während „World In My Eyes“; Dave Gahan, der wie eine Energiebombe pirouettiert und posiert, als würde selbst sein Pilates-Trainer applaudieren; und Martin Gore, der mit schelmischem Halbgrinsen das Leitmotiv von „Everything Counts“ einfingerig eintippt, wohlwissend, dass diese einfache Melodie das Publikum seit vierzig Jahren elektrisiert. „Speak To Me“ trifft weiterhin mitten ins Herz, „Wrong“ ballt vor ohnmächtiger Wut die Fäuste, und während „Stripped“ beobachten wir mit blasierter Miene den Wald aus Mobiltelefonen, während Dave singt: „Let me hear you make decisions / Without your television…“ – und das Publikum den Hinweis natürlich überhört. Dafür umso mehr beim Armschwenken zu „Never Let Me Down Again“, seit über fünfunddreißig Jahren Pflichtprogramm.
Auch Christian Eigner und Peter Gordeno lässt die Kamera nicht außer Acht: Der Regisseur macht subtil deutlich, dass auch sie wichtige Bestandteile dieser musikalischen Maschine sind, auch wenn der Kern von Depeche Mode weiterhin Dave und Martin bleiben.
Kurz gesagt: „M“ ist gelungen. Und da „Ghosts Again“, bisher nur im Abspann zu hören, nun offiziell als Vorgeschmack auf die am 5. Dezember erscheinende Veröffentlichung „Depeche Mode M / Memento Mori Mexico City“ erschienen ist, fiebern Fans – wie ich – dem Moment umso mehr entgegen, dieses Ritual erneut zu erleben: in Bild und Ton und in voller Konzertlänge. Im Gedenken an die Vergänglichkeit – und im Vertrauen darauf, dass Depeche Mode noch immer derselbe Antrieb bewegt: music till we die.




