Emmy Ball-Hennings: Der Affe brüllt
Wir schreiben das Jahr 1901, das Cabaret Voltaire ist noch Zukunftsmusik, und unsere Protagonistin, Emmy Ball-Hennings ist gerade mal 16 Jahre alt. Aber da sie hübsch ist, legen ihr soziales Umfeld und der gesellschaftliche Konsens jener Tage eine baldige Heirat nahe. Was Ball-Hennings jedoch ganz anders empfindet. Ihre Erwiderung: “Ich werde Banken ausrauben und darüber Gedichte schreiben.”
Auf dem Softcover der von Zeichner Fernando Gonzáles Viñas und Autor José Lázaro zusammen entworfenen Graphic Novel “Alles ist Dada” ist Emmy Ball-Hennings unschwer als avantgardistische Pionierin zu erkennen: ausdrucksloses Gesicht, hellblondes Haar im kurzen Pagenschnitt, der Pony zu einer Welle nach innen geföhnt, tomboyishe Kleidung. Die als poetische Maskenspielerin geltende Dichterin, Schriftstellerin, Kabarettistin und so vieles mehr hält in der einen Hand eine Handpuppe (einen Affen mit Umhang) und hat die andere nonchalant in die Hose gesteckt.
Fernando Gonzáles Viñas und José Lázaro illustrieren mit “Alles ist Dada” die “Geschichte eines Lebens, das in seiner Radikalität vollkommen aus der Zeit gefallen zu sein schien”. Wobei die beiden chronologisch vorgehen und mit der Geburt und der Jugend in Flensburg als Tochter eines Seefahrers beginnen – was dem Spannungsbogen nicht zwingend gut bekommt. Es folgen: Wilde Nomaden-Jahre auf der Straße, reizende und ätzende Männerbekanntschaften, das Cabaret Voltaire und Dadaismus – alles kommentiert von Ball-Hennings in der Rolle als Ich-Erzählerin ihres eigenen Lebens.
Bedauerlicherweise ordnen die beiden selbst die Novel als eine Hommage an eine “vergessene und nicht ausreichend gewürdigte Künstlerin” ein und preisen Ball-Hennings somit unter Wert an. Für Gonzáles Viñas und Lázaro ist sie eine “Muse der Literaten und Künstler”, eine unangenehme Auslegung, denn vor allem ist Ball-Hennings eine der entscheidende Akteur_innen ihrer Ära. Es gibt kein Cabaret Voltaire und kein Dada ohne Ball-Hennings! Punkt!
Nicht umsonst waren Künstlerkollegen wie Hugo Ball, Tristan Tzara und Hans Arp nachweislich große Bewunderer von Ball-Hennings. Aber leider ist es noch immer zumeist so, dass der Muse primär die Rolle zukommt, den Künstler zu küssen, sie darauf reduziert wird als Objekt des Begehrens zur Inspiration und Stimulation von ihm beizutragen. Wenn sie Glück hat, dann schafft sie es immerhin über diesen Umweg zur respektierten und akzeptierten Künstlerin im eigenen Recht und Schein. Es kann ja auch nicht angehen, dass eine Frau einfach ihre ganz eigene Kreativität zum Ausdruck bringt.
Linda Nochlins hat bereits 1971 in ihren wegweisenden Artikel über die feministische Kunstgeschichte “Warum gab es keine großen Künstlerinnen?” so großartig argumentiert, dass nicht Frauen unfähig seien, große Kunst zu schaffen, sondern dass die Kunstprozesse im Wesentlichen von Männern kontrolliert und beeinflusst werden und diese so entscheiden, wer es als kunstschaffendes Individuum zu etwas bringt. Doch es ist nicht nur der Blick und das Verhalten der Männer, der es Künstlerinnen oft schwer macht, die Geschlechtsgenossinen schlagen oft in die selbe Kerbe.
Im Fall von Emmy Ball-Hennings beispielsweise die eigene Mutter, für die Schauspiel, Gesang und Tanz gleichbedeutend mit Prostitution sind. Die Trotzigkeit, mit der Ball-Hennings als Erzählerin dies kommentiert, zeichnet sie als eigensinnigen und unangepassten Kopf: “Aber wen kümmern solche Nebensächlichkeiten? Mich jedenfalls nicht.” Überhaupt hat Ball-Hennings ein großes Talent für markante Worte. Den Verlust ihres ersten Sohnes Joseph Ferdinand kommentiert sie trocken: “Ein totes Kind mehr oder weniger, wen kümmert‘s? Vielleicht war es ein Zeichen Gottes, um nicht dem Spiessbürgertum zu verfallen.”
Generell fällt der Verzicht auf Eitelkeiten in Performanz und Duktus von Ball-Hennings angenehm auf, gerade da sie trotzdem so mitreißend selbstbewusst wirkt: “Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen: Wenn Sie heute den Dadaismus verehren und sich an das Cabaret Voltaire erinnern, dann ist das mir, Emmy Ball-Hennings, geborene Emma Maria Cordsen, Tochter von Ernst Friedrich Matthias Cordsen und Anna Dorothea, zu verdanken.”
In dem Viñas und Lázaro die geistreichen Gedanken und die bissigen Worte von Ball-Hennings in das Zentrum ihrer Graphic Novel stellen, gelingt es ihnen letztlich doch sie als Künstlerin auf Augenhöhe mit ihren männlichen Zeitgenossen zu präsentieren und würdigen. Der klare und schmucklosen Duktus, die Vehemenz der den Worten anhaftenden Motzigkeit und die enorme Selbstreflektionsfähigkeit der Protagonistin werden von den beiden sehr bewusst hervorgehoben und geachtet – wobei sie trotzdem nicht ganz frei von treudoofen Lesarten sind und leider auch mal Zuschreibenden wie Unbändigkeit und Labilität im Raum schweben.
Viñas erweist der Geschichte um Ball-Hennings mit seinem asketischen und aufs Wesentliche reduzierten Zeichenstil einen großen Dienst. Indem er mit minimalen Verstärkungen Details herausarbeitet, setzt er die Personen subtil in den Fokus und schafft Kontraste jenseits billiger Effekte. Viñas und Lázaro nehmen sich selbst als Künstler zurück und geben so der Persona Emmy Ball-Hennings den notwendigen Raum, um eben nicht als Muse herüber zu kommen, sondern als eigenständige und autonome Frau, und somit als einen der lebendigsten und rebellischsten Künstlerinnen unserer Zeit.
Was war das höchste Credo des Dadaismus? Die Auflehnung gegen Konventionen!
Na, also.
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Fernando Gonzáles Viñas & José Lázaro, “Alles ist Dada”, avant-verlag, 232 Seiten, Softcover, erscheint im Februar, 25 Euro