Der Judendarsteller
Ein Autor gibt sich über Jahre als Jude aus. Beansprucht und benutzt die Sprecherposition des Juden einer neuen Generation. Nun sieht er sich in einem Artikel für Die Zeit zu einem Outing gezwungen: Er war nie Jude. Sein Bedauern hinsichtlich jahrelanger Täuschung der Öffentlichkeit gilt dabei ausschließlich sich selbst. Auch Linus Volkmann verbindet eine Geschichte mit ihm.
Seine selbst erfundene jüdische Biographie, mit der er seit über zehn Jahren als Journalist unterwegs ist, wird aktuell in vielen Artikeln des Feuilletons verhandelt. Wer davon lesen möchte, findet Kontext unter anderem hier und hier. Ich schreibe an dieser Stelle lediglich meine eigene Geschichte mit ihm auf. Sie scheint mir ein weiteres Puzzleteil. Seht es mir nach, dass ich den Namen des Autoren in meinem Text aussparen werde, er ist mir einfach unangenehm.
Meine erste Begegnung mit ihm ist über zehn Jahre her. Seinerzeit arbeite ich als Redakteur bei dem Popkulturmagazin Intro, der Autor, um den es hier geht, ist noch sehr jung und über eine Kollegin in den Autorenpool des Hefts geraten. Ich betreue die Plattenkritiken und auch hier bietet er an, etwas beizusteuern. In den geschätzt zwei Handvoll Reviews, die ich von ihm über die Zeit bekommen werde, wird unabhängig der verhandelten Musik und Acts keine darauf verzichten, die Identität des Autoren auszustellen. Denn dieser ist (vermeintlich) Jude. In Plattenkritiken soll zwar gemeinhin der Autor nicht der Musik den Platz nehmen, doch da es sich um Popkultur handelt, sind Exkurse und Assoziationen nichts Unübliches. Insofern scheint mir diese Überbetonung seines immer wiederkehrenden Themas gangbar. Doch bei einer dieser Reviews hake ich ein. Wer der Act ist, weiß ich heute leider nicht mehr, dafür aber dass jener Autor in einem Nebensatz unvermittelt auf die Shoah verweist. Da die besprochene Platte das allerdings weder in Texten oder ihrem Kontext hergibt, teile ich ihm mit, diesen Part streichen zu wollen. Mir erscheint es unangemessen, derart bezugslos in einer Plattenkritik das Menschheitsverbrechen anzureißen – um dann genauso unvermittelt wieder zum Sound der Musik zurückzukehren.
Diese redaktionelle Aussage empfindet er offensichtlich als Kränkung. Er lässt keine Zweifel aufkommen, dass es ungebührlich sei, ihn auf eine dem Rahmen nicht gerecht werdende Verwendung der Shoah hinzuweisen.
Denn von Anfang an definiert er fast jeden beruflichen wie privaten Austausch darüber, von welcher Sprecherposition sie ausgeht: Der Autor ist Jude. Er als Jude besetzt jüdische Themen.
Und das will ich ihm natürlich zugestehen, es ist eine wichtige Perspektive, die auch in seinen Texten für unser Magazin Platz findet. Doch hinsichtlich dieses Halbsatzes einer Plattenkritik lasse ich mich nicht umstimmen.
Warum mir diese Begebenheit noch so präsent ist, obwohl es sich doch nur um eine redaktionelle Fußnote handelt und ich als Redakteur mit hunderten, über die Jahre sicher tausenden Plattenkritiken von Autor*innen zu tun hatte? Ganz einfach: Sie wird mir wieder begegnen.
Der Autor, bei dem es mir schwer fällt anbetracht der jetzigen Erkenntnisse, ihn nicht zu pathologisieren, erscheint mir bereits damals irgendwie manisch um seine (vermeintliche) Identität zu kreisen. Auch nach der Beendigung meiner Tätigkeit in besagtem Magazin taucht er immer mal wieder in meinen Social Media Accounts auf. Er kommentiert beispielsweise ein Posting von mir zu dem Comedian Oliver Polak. Meine Kritik an einigen von mir sexistisch empfundenen Äußerungen Polaks würden dessen jüdischen Hintergrund aussparen. Dass es mir um jenen nicht ging, lässt er nicht gelten, immerhin hätte ich ihn selbst hinsichtlich der Shoah einst „belehrt“.
Er setzt seine Sprecherposition stets offensiv ein, ich sehe darin anfangs eine Möglichkeit, mehr über die Betroffenenperspektive zu lernen. Doch irgendwann ist klar, hier geht es nie um einen Austausch, ich kann in seinem Auftauchen bei mir nur noch den Willen einer Diskreditierung erkennen. Mir bleibt nichts, als die Kommunikation abzuschalten. Ich blockiere ihn daher auf meinen Kanälen.
Doch auch das soll mich nicht vor ihm schützen.
2021 heben die Musiker und Israel-Aktivisten Björn Peng und Torsun Burkhardt die Initiative „Artists Against Antisemitism“ aus der Taufe, fragen befreundete Musiker*innen, Medienarbeiter*innen u.ä., ob sie sich dafür öffentlich einsetzen wollen. Natürlich will ich das. Der mediale Aufschlag des gesamten Projekts ist durchaus bemerkenswert. Rechte Seiten und Akteure halten dagegen, das war zu erwarten.
Doch auch der erwähnte Autor indes schreibt gegen diese – davon bin ich bis heute überzeugt – unterstützenswerte und überaus notwendige Initiative an. Mir erscheint so, dass seine Ablehnung vorrangig darin begründet liegt, dass er – als der bekannte jüdische Publizist, für den er sich ausgibt – nicht als Erstunterzeichner angefragt worden ist. Er setzt unter anderem diesen Tweet ab:
Damit findet seine auffällig egozentrische Kritik an diesem Projekt also auch mich.
Sogar meine einstige Elektropunk-Band, die sich in zwei Provo-Texten positiv auf den Linksterrorismus der RAF bezog, bekommt Erwähnung.
Und das obwohl es jene von ihm imaginierte Zeile „Herrhausen tat mir nicht leid“ (wtf?), die er via Anführungsstrichen offensichtlich als Songzitat ausgibt, nie gegeben hat. Herrhausen, der meines Wissen gar kein Jude war, taucht an keiner Stelle in den Texten jener Band auf. Der Autor muss das gewusst haben. Trotzdem bringt er diesen Anwurf öffentlich auf. Und ich bin nicht der einzige, der nach der Solidarisierung mit Artist Against Antisemitism von ihm mit Diffamierungen bedacht wird. Auch andere Acts auf der Liste der Supporter*innen feindet er an.
Diese „Experten“-Tweets von ihm werden in etlichen Medien aufgegriffen und stellvertretend als eine Kritik einer „jüdischen“ Stimme hinsichtlich der Initiative ausgestellt.
Dass er damit ein fraglos gutes Projekt schwächt, scheint ihm nicht nur egal, sondern viel eher intendiert. Schließlich – so meine Einschätzung – beansprucht er bei diesem Thema die Deutungshoheit eben für sich.
So sehe ich dann auch keine Möglichkeit, mich in dem öffentlichen Diskurs gegen jene Person zu verteidigen. Da es mir wegen des bewusst identitätspolitischen Angangs nicht möglich erscheint, auf einer faktischen Ebene (die Textzeile meiner Band hat er wie gesagt erfunden) dagegen zu halten.
Ich beschränke mich also auf die Klarstellung meiner eigenen solidarischen Position innerhalb der Debatte.
Nun liest man in Die Zeit einen Artikel, dass der Autor gar kein Jude ist, niemals einer gewesen sei, sich und anderen diese Identität nur aktiv vorgetäuscht hat.
In seinem überlangen Text übrigens kein Wort des Bedauerns oder gar der Entschuldigung. Für die jahrelange Anmaßung einer Erfahrungsautorität, die er zwar nie besaß, die er aber immer wieder nutzte, um andere öffentlich zu desavouieren, ihre Argumente beiseite zu wischen und sogar ihren Ruf zu schädigen.
Dass er das eigene Outing auf eine so selbstgerechte Weise inszeniert, wundert mich bei dieser Farce am allerwenigsten.
Ich hoffe aber zumindest, mich zukünftig nicht mehr zu seinen Anfeindungen verhalten zu müssen, die genauso herbeihalluziniert waren, wie es seine komplette eigene Identität ist.
Text: Linus Volkmann