Kolumne

Ein Herz für Impfgegner

7. Dezember 2021,
Ich wohne über einer Fußgängerzone. Schaue ich aus dem Fenster, ist da ein Brunnen, daneben das sogenannte „Uhrtürmchen“, ein paar Meter weiter findet man das Berger-Programmkino.
Das klingt jetzt alles vermutlich malerischer, als es ist.
In Wirklichkeit zeigt sich diese zentrale Ecke eher hektisch, eng, laut.

Schon letztes Jahr hat es begonnen, dass sich hier regelmäßig Leute versammeln, die Dinge muhten wie „Fake-Pandemie!“, „Impfen ist Mord!“ oder auch „Runter mit der Merkel-Burka!“.
Letzteres bezieht sich auf FFP2-Masken, die waren ja, wenn man sich erinnert, der erste Gegner solcher Gruppierungen, als sie mangels Impfstoff noch nicht gegen einen solchen sein konnten.
Versammeln ist dabei – zum Glück – ein ziemlich großes Wort. Denn nie sind es mehr als fünfundzwanzig Leute. Die Kundgebungen haben sie dabei immer stets angemeldet und sahen sich flankiert von diversen Bullenwagen, deren Besatzung gelangweilt drei Stunden ausharrte, bis der Mist vorüber ist.
Richtig gelesen, zwar interessiert das Geschwurbel hier niemand, das hat allerdings keinen Einfluss auf den endlose Mitteilungs-Auswurf des trostlosen Trottel-Flashmobs.
Drei Stunden!
Drei Stunden Scheiße. Grundgütiger.
In dieser Zeit wird gesungen („Die Liebe siegt!“), aus kaum bekannten Bibelstellen zitiert („Höret auf den Psalm schießmichtot und also sprach der Herr, ihro sollet euch nicht impfen, Ketzer!“) oder es werden enorm nichtschlaue Reden geschwungen.
Am unangenehmsten ist es wenn über die Lautsprecher und Leinwände YouTube-Filmchen von antisemitschen Freizeit-Virologen wie Sucharit Bhakdi abgespielt werden oder tatsächlich gleich Teile von Göbbels-Reden, die belegen sollen, dass wir heute wieder in einer faschistischen Diktatur leben. In der Ungeimpfte verfolgt werden und in der alle Meinungsfreiheit abgeschafft wurde. Typisch BRD GmbH halt!
Manchmal brülle ich aus dem Fenster in die Denkpausen nach einem der sagenhaft verdepperten Beiträge dieser unsolidarischen Narzissten. Ich brülle sowas wie „Ihr seid so lächerlich!“ So schallt es von meinen Burgzinnen und ich möchte nicht verschweigen, dass ich für meine kräftige Stimme und klare Aussage von Leuten in der Straße schon mal Szenenapplaus bekam. Und auch wenn nicht, hoffe ich, es demotiviert die wurstigen Agitatoren draußen.
Die legendären Berger-Kinos übrigens haben letzten Winter dicht machen müssen. Es lief zuletzt einfach nicht mehr, ausgesuchtes Kino hat es einfach schwer. Gern hätte der Betreiber sicher direkt in seiner Straße regelmäßig ein Mini-Filmfestival abgehalten.
So schön mit Leinwand, kleiner Bühne und Lautsprecheranlage. Hätte er ein wenig Aufmerksamkeit für das wankende Kult-Lichtspielhaus erreicht.
Das aber würde das Ordnungsamt mitten in der Stadt natürlich nie genehmigen. Könnte ja jeder kommen.
Der Schwurbler-Aufmarsch hingegen ist abgedeckt vom Demonstrationsrecht des Grundgesetzes. Geschützt von der Polizei können diese Leute drei Stunden jaulen, dass sie im dritten Reich leben, verfolgt werden und dass sie alle die neuen Sophie Scholls sind.
Ich wünsche ihnen auf diesem Wege noch mal alles Schlechte. Dann muss ich es nicht immer aus dem Fenster brüllen.
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PS: Ach so, der Titel dieses Posts? Mit Herz meine ich natürlich Arschtritt.

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