Afrika Filmfestival: Nicht „eingespart“, sondern weggekürzt!
Bilder völliger Finsternis in Kinshasa; Dunkelheit im Kinosaal des Filmforums Ludwig. Die Hauptstadt der republikanischen Republik Kongo ist von einem schweren Stromausfall betroffen. Szenen mit religiösen Charakter – das Licht strahlt kurz durch Taschenlampen auf, in nächtlichen Predigten –, zu sehen ist das Alltagsleben einer Familie in einem überfluteten Haus, Versuche von Reparaturen eines defekten Stromkabels – dokumentiert vom Auge der Kamera.
Die Doku „Tongot Saa (Rising Up at Night)“ von Nelson Makengo war eine der vielen sehenswerten Beträge des 21. Afrika Film Festivals Köln. Über 80 Filme wurden vom 19. bis 29.09 unter dem Thema „Legacy“ auf die Leinwand projiziert, 40 Filmemacher:innen waren zu Gast; flankiert wurde das Festival von einem Rahmenprogramm und Schulangeboten. Umfassend, vielseitig und mit einigen Filmen, die zu Unrecht ungesehen und ohne jegliche Aufmerksamkeit des deutschen Publikums geblieben wären und sich eingeordnet hätten in die lange Reihe vieler in Europa unbeachteter Filme. Eine Reihe, die in den nächsten Jahren noch weiter verlängert werden könnte, war es doch wegen gestrichener Gelder möglicherweise das letzte Afrika Film Festival …
“Eat Bitter”: von der anderen Perspektive
Sebastian Fischer, der CEO und Artistic Director, spricht am Telefon über die Intension, die hinter dem Festival steht. Einerseits geht es darum, afrikanische Filmschaffende so zu repräsentieren, wie sie es verdient haben. Andererseits verstehe man sich auch als politisches Festival, das Themen von der anderen Seite beleuchtet und diese somit geraderückt. Damit kann – und das wäre schon ein großer Erfolg – möglicherweise bei einigen Menschen zum Umdenken bewegt werden.
Der zentralafrikanische Eröffnungsfilm „Eat bitter“ der Regisseur:innen Pascale Appora-Gnekindy und Ningyi Sun ist dafür ein besonders gutes Beispiel. In dieser Dokumentation sehen wir den chinesischen Bauingenieur Jianmin Luan, der mit dem Auftrag nach Zentralafrika geht, in dessen Hauptstadt Bangui eine Bank zu bauen. Neben seiner Geschichte, dem voranschreitenden Bau des Gebäudes, seinem Umgang mit den lokalen Arbeitern, dem Verhältnis zu seiner Familie, folgt man aber auch dem Leben des Sandtauchers Thomas Boa. Gerade zum Anfang geht die Dokumentation in der Darstellung der einzelnen Produktionsschritte hochinteressant vor. Für die Bank braucht es Sand, der Sandtransporter muss zum nächstliegenden Ufer fahren, wo es Abmachungen mit örtlichen Sandhändlern gibt. Diese verfügen im Gegensatz zu den Sandtauchern über die Produktionsmittel der Kanus und auf einem dieser kommt es zu beeindruckenden Szenen. Zu sehen ist zunächst die harte Arbeit, welche die Taucher verrichten müssen, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Gleichzeitig dokumentiert die Szene, wie auch die Sandhändler vollständig auf die Gunst der Vertreter Luans angewiesen sind. Wie sie sich bei kleinsten Fragen nach mehr Geld mit der Drohung konfrontiert sehen, man könnte auch einfach zu einem anderen Händler gehen. Aber auch Luan ist nicht nur der klassische kapitalistische Ausbeuter, wie er etwa noch im Western auftritt. An einer Stelle wird nüchtern sein pragmatisch-realistischer Hintergrund offengelegt, wenn er sagt, in China wäre er Arbeiter, hier in Zentralafrika sei er jetzt eben Chef. Die Ökonomische wird in seiner ausbeuterischen Natur nah an der sozialen Realität dargestellt. Es wird klar, dass es nicht bei ihm aufhört, dass die Produktionshierarchien zu Zeiten eines vollständig globalisierten Kapitalismus immer weiter gehen, dass es sich bei ihm nur um ein Rädchen handelt.
Der Film streut dabei erstmal wenig Sand ins Getriebe. So wird in einer Szene, die Haltung einiger Arbeiter:innen zu China und zur Frage, ob sie nun dasselbe machen würden in China wie im westlichen Kapitalismus nur kurz thematisiert. Die Haltung des Films bleibt dazu eher ambivalent. So wird sich gerade in der zweiten Hälfte weniger auf die ökonomisch-politischen Zusammenhänge konzentriert, sondern der Fokus zunehmend ins Private der Figuren verlagert.
Auch wenn sich die Prämisse auf dem Papier so liest, wie eine engagierte Verfilmung des zweiten Teils des berühmten Brechts Zitats von „Die Gründung einer Bank“, geht der Film in eine andere Richtung. Er verbindet intime, familiäre Augenblicke der Protagonist:innen miteinander und zeichnet eine Allianz zwischen den beiden. Was darüber verhandelt wird, ist also zum Ende weniger die Ausbeutungsstruktur des globalisierten Kapitalismus wie noch zu Anfang, sondern die Beziehung zu China als Ausbeuter – oder/und doch wirtschaftlichen Verbündeten? Im Raum steht dabei die Frage, ob eine enge wirtschaftliche und gesellschaftliche Bindung nicht für bestimmte Klasseninteressen lohnend sein könnte? Es ist damit eine Per-spektive auf das Verhältnis zwischen China und dem afrikanischen Kontinent, die von der anderen, außereuropäischen Seite ausgeht. Der Film ist bemüht, Zentralafrika und die Motivation der Akteur:innen vor Ort authentisch zu dokumentieren, ein aktuell filmisch einzigartiges Unterfangen.
This is Ballroom: Aufführung
Das Programm, erzählt Sebastian Fischer, wurde von drei Kurator:innen zusammengestellt, die selbst aus Afrika stammen. Um diese herum gestaltet sich ein großes Netz von Filmschafenden aus verschiedenen Ländern. Der Fokus des Festivals wird vollständig von den Kurator:innen gesetzt. Zusätzlich besteht enge Zusammenarbeit mit vielen Berater:innen aus Black-Communitys, aber auch anderen Netzwerken, was eine sehr positive Entwicklung des Festivals sei.
So wurde die Dokumentation „This is Ballroom“ in Zusammenarbeit mit Black&Queer NRW als Deutschlandpremiere aufgeführt. Die Doku über die Ballroom Szene (deren ‘Ursprung in der Afro- und Latein-amerikanischen LGBTQAI+ Subkultur der USA liegt) in Rio de Janeiro euphorisierte bei der Premiere den Saal – es wurde viel applaudiert, ja gejubelt. Es war schön zu sehen, wie die Tanzrituale marginalisierter und rassifizierter Gruppen weit weg vom Ort ihrer Genese in einem deutschen Kinosaal für Begeisterung sorgten. Obwohl der größte Teil des Publikums wohl im direkten Sinne wenig mit dieser Gruppe in Brasilien zu tun hat, identifiziert man sich mit dem, was sie erzählen – ist hineingerissen von ihren Bewegungen und Spielen mit Ausdruck und Oberfläche, ihrer Ästhetik. Die gesellschaftlich-politisch hervorgebrachte Verschlossenheit und Säkularisierung der Gruppe verkehrt sich damit im Kinosaal durch die Kamera zu einer stark ästhetisierten Offenheit.
Auf die Frage, warum Filmfestival und nicht etwa Literatur, entgegnet Sebastian, dass das Kino zugänglich für ein breiteres Publikum ist. Zudem ist es eine bestimmte Wirkung des Kinosaals, die ihn fasziniert. „Dort sitzen unterschiedliche Menschen, das Licht geht aus, es wird dunkel im Saal und alle schauen gemeinsam einen Film. Wenn ich im Kino sitze, denke ich mir oft: so hätte ich gerne die Gesell-schaft.“
Ousama Sembène, der wohl bekannteste und “größte“ Regisseur und Schriftsteller des subsaharischen afrikanischen Kinos (sein Film „Xala“ wurde auch auf dem Festival gezeigt), stellt sich in einem auf Youtube verfügbaren Clip: „Ousama Sembène on Cinema as Activism“ ebenfalls diesen Aspekt. Er beschreibt, dass er zwar Literatur entgegen Film den Vorzug geben würde, ersteres aber ein Luxus ist. Er denkt Film, als Form, die teuer ist, an der viele Leute beteiligt sind, die also Gesellschaft für die Produktion und zur Rezeption braucht. Film ist in diesem Sinn wichtiger für ein Verständnis von Geschichte über die orale Tradition (des afrikanischen Konti-nents), als Literatur. Zur Produktion gehört Gesellschaft, gehört das Publikum. Ob sich diese Aspekte bei der Aufführung von „This is Ballroom“ so zeigten und immer so zeigen, kann offenbleiben; in diesem Fall schwang es mit.
Sisterhood: Zum Politischen
Dem Afrika Filmfestival wurden massiv Gelder gestrichen, erzählt Sebastian Fischer. Das Land kürzt unter anderen die Unterstützungen , weil der NRW-Bezug beim Festival fehlen würde. „Kultur, die diesen Bezug eben nicht im direkten Sinn hat: (sprich Projekte, die einen anderen Kontinent in den Fokus stellen) sind das Erste, wo dann Gelder fehlen.“ Das steht in krassem Widerspruch zu einem politischen Betrieb der sich mit Wörtern wie multikulturell schmückt.
Die Folge: der generelle gesellschaftliche Rechtsruck wird somit iauch hier spürbar. In diese, Jahr nahmen bereits weniger Schulklassen am Angebot teil – „es braucht nun mal den Willen der Lehrkraft und der Schüler:innen, irgendjemand muss es indizieren.“ Auch kam es sogar zu einigen Situationen von offener Anfeindung.
Das Afrika Filmfestival steckt, so Fischer, in einer tiefen Krise. So ist, Stand jetzt, nicht klar, ob das Festival überhaupt noch stattfinden kann. Er ist da in Bezug auf sein Herzensprojekt pessimistisch und traurig. Auch die Kurator:innen des Programms zeigen sich entsetzt angesichts der Entwicklungen.
„HLM Pussy (Sisterhood)“ von Nora El Hourch versucht, die Lebensrealitäten und Konfliktlinien einer (post)migrantischen Generation anhand einer Geschichte über ein feministisch-aktivistisches Projekt über seine drei Protagonistinnen zu vereinen. Auch wenn die Form des Films dabei sehr konventionell ist, bietet der engagierte Schluss und im Besonderen die Auflösung des Klassenkonflikts zwischen den Figuren eine spannende Abwechslung zu den politischen Coming of Age Filmen der letzten Jahre. Diese ließen auf eine berechtigte Kritik ihre Figuren meist in einem Zustand von Resignation und mit ihnen auch die Zuschauer:innen.
Auch die Dokumentation „Our Land, our Free-dom“ von Zippy Kimundu und Meena Nanji positioniert sich für einen weiter fortzusetzenden Kampf. In dieser folgen wir der Tochter des Mau-Mau-Führers Dedan Kimathi, der als Teil einer organisierten Widerstandsbewegung von 1952 bis zu den 1960ern gegen die koloniale Herrschaft Großbritanniens in Kenia kämpfte. Die Doku porträtiert dabei die nicht vergessenen Gräueltaten der Kolonialisierung.
Auch der sehr sehenswerte Kurzfilm „La Voix des autres“ von Fatima Kaci widmet sich dem real-politischen Alltag. In diesem versucht eine Übersetzerin, die schrecklichen Geschichten von Migrant:innen, die in Frankreich auf Asyl hoffen, so zu übersetzen, dass sie besser in die bürokratisierten und menschenfeindlichen Aufnahmevorschriften passen – die Geschichten sollen die Gutachter:innen überzeugen, dass sie es vor sich mit einem Menschen zu tun haben, der es “Wert ist“ nicht abgeschoben zu werden. Ein Film, der natürlich auch in Deutschland spielen könnte. Die Übersetzerin sieht sich dabei auch mit ihrer eigenen Flucht-Geschichte konfrontiert. Die Schicksale, geprägt von Flucht und Vertreibung, werden zum Spiegel der grausamen “post-migrantischen“ Gesellschaft.
Alle drei Filme reagieren in gewisser Hinsicht auf die Situation des Festivals; sie halten an, etwas zu tun und dokumentieren zugleich auch die gesamte Dramatik der Gegenwart. Dass Gelder als „eingespart“ deklariert werden, ist gerade in politischer Hinsicht zynisch, weil nichts “gespart“ wird. Die Grundlage von Kultur, die Möglichkeit eines umfassenden Austausches mit und über Film, und damit die Chance auf Kritik an der Gegenwart und dessen Verständnis, wird viel mehr weggekürzt. Wer an Kultur “spart“, verhindert Veränderung und kürzt so weit, bis nichts mehr übrig ist außer der Verschärfung der Konflikte und Kriege, die sich alltäglich immer weiter entfalten.
„Der gesamte deutsche Film und Kulturbetrieb denkt den gesellschaftlichen Wandel nicht mit“, kommentiert Sebastian Fischer. „Ich glaube daran, dass es ein Publikum für diese Filme gibt, dass es sich lohnt, diese zu zeigen. Deswegen ist das Festival so wichtig.“