Eigentlich überall

„Ein Vorwärts, das es nicht mehr gibt“ Cave In live

6. Oktober 2025,

„Eigentlich überall“ ist die Live-Kolumne von der mobilen wie niedlichen Indie-Geschmackspolizei Benjamin Moldenhauer und Saskia Timm. Explizit nicht mit gemeint bei ACAB! Nach EA80 schreibt Benjamin heute über eines der ausgewählten Deutschlandkonzerte der amerikanischen Band Cave In. Nachricht aus Bremen.

Cave In live

Bands, die dem, was einst Underground hieß, entstiegen sind, führen ihre Alben heute manchmal auf, als wären es Werke. Sonic Youth machten es 2008, glaube ich, erstmals vor und spielten „Daydream Nation“ 20 Jahre nach dem Erscheinen komplett, vom ersten bis zum letzten Song. Bei Sonic Youth wurden die Stücke live noch ein wenig zerfranst und erweitertet und variiert, aber das werden sie bei dieser Band ja eh immer. Eigentlich geht es bei diesen Wiederaufführungen aber um eine möglichst originalgetreue Wiederaufführung.

Das Publikum wird wie auch die Aufführpraxis nicht nur älter, sondern gleichfalls gediegener. Pop-Hörer*innen, die mit Musik von den Rändern aufgewachsen sind, werden von Familiengründung und Verbürgerlichung ergriffen. Und gehen dann aber weiter auf Konzerte gehen, um der fortlaufenden Musealisierung der Musik ihrer Jugend beizuwohnen.

Im September spielte die US-Band Cave In eins von zwei Deutschlandkonzerten nach Bremen, auf denen sie ihr vor 25 Jahren erschienenes Album „Jupiter“ von A bis Z runterspielte. Mit ihrem zweiten Album hatten Cave In das komplexe Hardcore-Geschrei ihres komplett hysterischen Debüts „Until Your Heart Stops“ hinter sich gelassen und eine Mischung aus Breitwandrock, Post-Hardcore und psychedelischem Shoegaze entwickelt. Das klang damals wie heute: tonnenschwer und zugleich schwebend. Musik, die genauso gut auch 2025 hätte erscheinen können. Was einerseits für ihre Zeitlosigkeit spricht, aber auch zeigt, dass es ein Vorwärts in der Musik, die im Wesentlichen auf Gitarren basiert, schon lange nicht mehr gibt. Die Musik von damals klingt nicht wie von heute, weil sie damals „ihrer Zeit voraus gewesen“ wäre, wie man so sagt. Sondern weil der Gitarrenrock heute nicht grundlegend fortgeschrittener klingt als damals. „Daydream Nation“ hingegen hatte 1988 im Indierock-Universum sozusagen noch eine ganz neue Milchstraße entdeckt.

Das Konzert war dann aber eins zu eins eine originalgetreue Nachbildung des Tonträgers auf der Lagerhaus-Bühne. Nur am Schluss wurde etwas ausgeufert, unter anderem mit einer Coverversion von Led Zeppelins „Dazed and Confused“. Alles eine schöne Wand. Die Gitarren schießen in alle Richtungen, und wenn Cave In auf diesem Weg weitergemacht und nicht versucht hätten, zur Stadionband zu werden, hätten sie zur ersten psychedelischen Emo-Hardcore-Band werden können. Live wurde nochmal klar, warum es damals mit der geplanten Major-Karriere nichts wurde: Für die Alternative-Rock-Leute war das zu verstrahlt und zu emo, für alles, was sich um den Post-Hardcore anlagerte, zu monumental. Live ein Vierteljahrhundert später dann aber vor allem ein strahlend schönes Brett.

Popnischenhistorisch auch interessant: Cave In spielten mit Grund in Bremen, die deutsche Vinyl-Pressung erschien 2000 auf dem Bremer Minilabel Chrome Saint Magnus, neben lokalen Bands wie Systral und Mörser. Der schreibetonte Hardcore war als Bremen Core in Nischen in den entsprechenden Szenen weltweit bekannt, in Europa, Japan und den USA. Der Kontakt zu Cave In kam über das heute noch aktive Hydrahead-Label von Isis-Sänger Aaron Turner zustande.

„Jupiter“ war eine ungewöhnliche Veröffentlichung für Chrome Saint Magnus: Melodien, klare Stimmen. Wenig später gingen Cave In dann zu einem Major und wollten eine große Band werden. Das hat nicht geklappt, und heute veröffentlichen Cave In wieder tonnenschwere Musik auf dem Avantgarde-Metal-Label Relapse. Der Weg zum Erfolg beziehungsweise zur Abbiegung kurz davor führte damals über Bremen, und ausgehend vom ungebrochen wuchtigen „Jupiter“ im Ohr kann man sich noch einmal quer durch die Geschichte des Bremen Core hören. Zu finden sind einige der schönsten Krachmomente der DIY-Kultur der Neunziger. Retromania an der Weser, aber musealisiert wurde bislang an dieser Stelle zum Glück nichts.

Text: Benjamin Moldenhauer

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