Draußen auf Kaution

“Ein klitzeklein bisschen niedlicher als andere Festivals” – Das Cologne Popfest ist zurück

Der dritte Aufzug des Cologne Popfest blieb 2020 wegen Corona in der Garage. Vorerst! Denn hinter den Kulissen werkelten Susanne Klapper, Christoph Menningen und ihr Team an einer Fortführung ihres liebevollen Indie-Zirkus. Diesen April ging es über die Bühne, bigger than ever, zwei Tage ausverkauft. Und das in Zeiten, in denen sich sorgsam kuratierte Events eher schwer tun mit den Tickets. Linus Volkmann hat sich für uns hinter die Bühne des Erfolgsformat gemogelt.

Was ist der Gründungsmythos des Popfests, wie ging alles los?

SUSANNE 2017 hat das englische Label FortunaPOP!, auf dem Lieblinge wie die Pains Of Being Pure At Heart erschienen sind, seinen Betrieb mit einem Fünftages-Festival in sechs Londoner Clubs eingestellt. Zwischen den Konzerten Sonntagvormittag und denen am Abend saßen wir zum Sunday Roast in einem Pub. Einer aus unserer Gruppe schlug vor, wir sollten FortunaPop! weiterführen, wir hätten alle Jobs und könnten das als Hobby machen…

CHRISTOPH … und Susanne antwortete: „nein, wir machen ein Cologne Popfest!“ Am gleichen Abend hatten wir mit Chorusgirl unsere erste Band gebucht, am nächsten Tag auf der Rückreise schon das Design des ersten Popfests durchgesprochen. Zum Glück hat uns das Blue Shell dann genug vertraut, sodass wir im Frühjahr 2018 da das erste Popfest veranstalten konnten.

Wie groß ist das Team Popfest?

CHRISTOPH Wir sind zu sechst, haben aber vom Team von Susannes Salon „Hairdresser on Fire“ viel Hilfe bekommen.

Und was waren eure persönlichen Highlights der ersten beiden Popfeste?


CHRISTOPH Natürlich ist das schwer zu sagen, weil wir ganz strikt nur Lieblingsbands einladen. Trotzdem eigentlich ganz einfach: die Ankunft der Primitives 2019. Bis ich Tracys goldene Schuhe aus dem Bus aussteigen sah, war ich unsicher, ob ich mich das nicht alles bloß einbilde. Ich liebe die Band, seit ich 16 oder 17 bin. Oh, und dann der Anruf der Bläck Fööss. Wir hatten unseren Bands zur Vorbereitung Infos über Köln geschickt, rheinische Rezepte und Noten und Texte kölscher Musik und so. MJ Hibbett and the Validators haben das 2018 als Aufforderung verstanden, „Drink doch ene mit“ auf Englisch zu covern und daraus eine Weihnachtssingle zu machen. Das bekamen die Bläck Fööss mit und teilten „Have a drink with us“ auf Facebook. Wir haben dann natürlich den Sänger der Bläck Fööss eingeladen, zum Popfest zu kommen und ein Duett mit MJ Hibbett zu singen. Das hat zwar nicht funktioniert. Aber als der Manager der Band bei mir anrief, um im Kalender zu gucken, wie wir das hinbekommen könnten, das war schon toll.

SUSANNE Mein Highlights in den ersten Jahren waren neben der Sache mit den Bläck Fööss, dass die Gründerin meines liebsten Plattenlabels aller Zeiten aus London gekommen ist, um einfach so mein Festival zu besuchen. Claire von Sarah Records. Die 15 jährige Susanne wäre ausgeflippt. Die damals 37 jährige auch. Die 15 jährige Susanne hat in den 90ern auch einen Fanbrief an die Band Ralley geschrieben. Das hab ich dann 2018 nochmal gemacht. Deshalb haben sie für ein Reunion Konzert bei uns auf der Bühne gestanden. Das war für mich extrem emotional.

Shout Out Louds im Gebäude 9, Cologne Popfest 2024

Frühjahr 2020 standet ihr in den Startlöchern mit der dritten Ausgabe, nicht wahr? Bis kurz vor knapp, hattet ihr noch die Hoffnung durchziehen zu können – dann aber hat Corona alle Live-Veranstaltungen einkassiert. Wie habt ihr diese Wochen des Bangens erlebt?

SUSANNE Erst hatten wir noch pragmatisch reagiert und Desinfektionsmittel ins Merch aufgenommen. Anderthalb Wochen vor dem Popfest sagten die beiden ersten Bands ab, Pale Lights aus New York und Even as we Speak aus Australien, die befürchteten, nicht zurück zu kommen. Wir haben dann die Notbremse gezogen, obwohl es noch kein Veranstaltungsverbot gab. Der Frust war riesig, weil wir tolle Bands gebucht hatten, bei denen wir Angst hatten, dass wir sie nicht nochmal würden buchen können.

Die Live-Branche wurde von Corona nachhaltig erschüttert, auch ihr habt bis 2024 gebraucht, um wieder an den Start zu gehen. Stand das Projekt in dieser Zeit für euch auch als Ganzes auf der Kippe oder war immer klar, dass es weitergeht?

CHRISTOPH Wir haben sehr viel Unterstützung unseres Publikums bekommen, moralisch und finanziell. Wir wussten immer, dass wir wieder ein Popfest machen werden, wenn es sich sicher für alle Beteiligten anfühlt. Uns war aber auch schnell klar, dass 2023 zu früh sein würde, weil wir das alles ja auf eigenes Risiko machen und zumindest die Chance haben mussten, viele Tickets zu verkaufen. Als Bands wie Kettcar oder Tocotronic das nicht geschafft haben, wussten wir, dass es für uns noch zu früh ist.

Nun habt ihr in diesem April das dritte Festival gehabt, was waren eure Highlights diesmal gewesen?

CHRISTOPH Dass die Shout Out Louds zugesagt hatten, war schon irre. Dass wir beim Popfest erfahren haben, dass sie die Jubiläumstour zur ersten Platte wegen unserer Anfrage überhaupt erst gemacht haben, macht es alles noch etwas schwieriger zu kapieren. Zu den musikalischen Highlights kann ich zu wenig sagen, weil ich kaum Bands sehen konnte.
Ziemlich verrückt ist auch, dass wir Tickets in zwölf Länder verkauft haben, darunter fünf in die USA.
Und: unserer eigene Vinylsingle! Der Chef des 7“-Labels „Formosa Punk Records“ aus Tokyo hat uns eine eigene Popfest-Single geschenkt, auf der unveröffentlichte Lieder der Sarah-Records-Legende Blueboy, von Andreas Dorau, Ta Toy Boy aus Griechenland und Jetstream Pony aus Brighton sind.

SUSANNE Christoph hat schon vieles zusammengefasst. Die Sache mit der Single ist unfassbar verrückt. Als ich die in den Händen hatte und im größten Stress in der Woche vor dem Popfest mit der Hand durchnummeriert habe, musste ich mich echt ein paar mal kneifen, was ich da mache.
Das emotionalste war dann aber doch ein eigentlich total einfacher Moment des diesjährigen Popfestes. Da war es der Moment am Freitagabend nachdem die Shout Out Louds gespielt haben. Da bin ich durch beide Räume des Gebäudes gelaufen und habe nur glücklich tanzende Menschen gesehen. Alle zu “Emmas House“. Da tanzen sonst immer die selben fünf bei Indiepartys. Das hab ich dann gefilmt. Gucke ich mir jetzt einfach immer an, wenn ich mal nicht so gut drauf bin. Hat mich sehr dankbar gerührt. Die Wochen davor, als Christoph und ich immer telefoniert haben, wenn wir wieder ein Ticket in ein neues Land verkauft haben, waren auch toll. Ach, eigentlich ist das alles toll. So ein Festival mit nur Lieblingsmenschen vor, hinter und auf der Bühne ist schon einfach das schönste. Ich kann das sehr empfehlen, sowas zu machen.

Was gibt es denn für Anekdoten von hinter den Kulissen, die ihr zum Popfest 24 teilen könnt?

SUSANNE Ich musste ein Glas finden, was die Größe eines Weißbierglases haben sollte. In Köln. Hab es aber geschafft. Meine Mama hat zum ersten Mal in ihrem Leben vegan und glutenfrei gebacken. Und Backstage wurden 5 Kilo Schokolade gegessen.

CHRISTOPH Unsere Bands sind furchtbar nett, auch hinter den Kulissen. Und da wir dieses Jahr auch keine schottischen C86-Helden da hatten, reichten auch die Backstage-Getränke.

Es scheint mir, das größte eurer Events bisher gewesen zu sein. Corona hat die Live-Branche – gerade bei den kleineren und mittleren Acts – sehr beschädigt. Wie erklärt ihr euch, dass es bei euch dagegen so gut angenommen wurde?

CHRISTOPH Es ist natürlich ein riesiger Vorteil, dass wir mit dem Popfest nichts verdienen möchten und der größte Teil unseres Etats an unsere Bands geht. Sonst wären so Bands wie die Shout Out Louds, My Life Story, die ja immerhin eine der wenigen Bands sind, die mal Oasis als Vorgruppe hatten, oder Andreas Dorau, aber auch amerikanischen oder britische Bands post-Brexit nicht zu bezahlen. Außerdem hilft uns die Stadt Köln mit ihrer Popkulturförderung.
Aber entscheidend ist, dass es auch in Deutschland eine ausreichend große Indiepop-Community gibt, die uns noch dazu vertraut. Viele der Besucher:innen des Cologne Popfest kennen wir seit Jahren von britischen Festivals wie dem Indietracks. Aber dass wir auch das Gebäude 9 zwei Tage in Folge ausverkaufen würden, haben wir natürlich trotz der tollen Community nie erwartet.

SUSANNE Wie Christoph schon sagt: Wir haben ein wahnsinnig treues, Musik liebendes Publikum. Die kommen einfach alle immer wieder und dafür lieben wir sie! Da wir wahnsinnig viel Zeit und Herzblut in die Sache packen, ist es vielleicht ein klitzekleines bisschen niedlicher und anders als auf anderen Festivals. Niemand, der mit sowas Geld verdienen will, muss und natürlich auch soll, kann wochenlang mit der Hand Deko malen oder sowas. Wir aber schon, weil es so wahnsinnig viel Spaß macht. Würde ich mein Geschäft, einen Friseursalon so führen, wäre der schon dicht. An dieser Stelle nochmal Dank an mein Team. Die haben vom Malen über Buttons machen und einkaufen wahnsinnig viel geholfen. Beste Indie Friseur*innen der Welt. Zwei Tage in einem ausverkauften Gebäude 9 kann ich aber noch immer nicht glauben. Ist das wirklich passiert?!

Wie wird es weitergehen bei euch und dem Popfest?

SUSANNE Wie es weitergeht? Wir sind mittendrin. Die ersten Bands wurden schon angefragt und wir spinnen schon mit der weltbesten Steffi, unserer Designerin, welches Tierchen uns nächstes Jahr vertreten wird. Es kann wieder genau so schön werden, wie dieses Jahr. Nur auf die Teichgroße Pfütze vor dem Gebäude und den Hagel verzichten wir gerne.

CHRISTOPH Und es geht weiter am 04. und 05.04. im Gebäude 9. Wir schreiben wie gesagt schon Bookingmails, natürlich größenwahnsinnig wie immer.

Interview: Linus Volkmann
Fotos: Susanne Klapper, Christoph Menningen

Und diese Pfütze war real!

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