Väter können das auch

“Da lassen sie ihre Frau mit dem Scheiß lieber allein” – Fabian Soethof im Interview über (moderne) Väter

11. März 2022,

Wenn Fabian Soethof in seinem Blog über seine Kinder spricht, heißen sie “Kid A” und “Kid B”. Nicht nur durch diese Referenz an ein Radiohead-Album merkt man die popkulturelle Verwurzelung des Wahl-Berliner Autoren und Musikexpress-Redakteurs, dennoch ist es Fabian Soethof ernst. In seinem Buch “Väter können das auch” nimmt er halbgare Lippenbekenntnisse hinsichtlich des Buzz-Themas “Neue Väter” auseinander, beleuchtet bestehende Zustände, Möglich- und Unmöglichkeiten, mit Witz und beträchtlichem Furor stellt er sich der Verantwortung der Vaterrolle. Ein authentisches, hochspannendes Buch ist das Ergebnis. LINUS VOLKMANN sprach mit ihm über moderne Väter und die, die sich bloß so nennen wollen.

Der Autor mit Kid A und Kid B. Foto: Privat

Ein Buch schreiben parallel zu Job und Kindern, da fängt es ja schon an: Wie hoch ist dein Organisationsgrad im Alltag?
FABIAN SOETHOF Du hast unsere Kleingarten-Dauerbaustelle und die Bingewatchabende vergessen! Mein Organisationsgrad ist auf jeden Fall höher als jede Rechnung, die ich seit Jahren in der Kneipe bezahlt habe. Trinke immer noch gerne Bier, kann mir einen Kater aber kaum noch leisten. In Wahrheit ist mein Problem jedoch ein anderes: Den jeweiligen Tag von morgens bis abends bekomme ich ganz gut organisiert. Leider vergesse ich dabei regelmäßig, an die Woche darauf zu denken, geschweige denn an die Monate und Jahre danach. Fragt mal meine Frau. Für die Frage danke ich trotzdem, weil sie berechtigt ist: Hater könnten glauben, ich hätte heuchlerisch ein Buch über anwesende Väter geschrieben, während ich selbst dafür ein abwesender war.  Nein, ich nahm unter anderem dafür ein paar Monate unbezahlte Elternzeit. Das Buch muss sich deshalb nun wirklich SEHR gut verkaufen, damit wir wenigstens in unserer Kreuzberger Altbauwohnung bleiben können!

Als zweifacher Vater hast du in jedem Fall keine Zeit zu verschenken, deshalb für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben, kannst du ganz kurz zusammenfassen, worum es dir darin vornehmlich geht?
Es geht titelgemäß darum, dass Väter im Grunde alles können, was Mütter können, es aus verschiedenen Gründen aber noch nicht tun. An Beispielen von Eltern versuche ich grundlegendere Probleme unseres Miteinanders zu illustrieren: Es geht um überholt gehörte Rollenbilder. Wo sie und damit wir herkommen, wo wir stehen und wo wir hingehen (sollten). Es geht um Privilegien und um Arbeit. Um fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter – in meinen Beispielen aber vorrangig heteronormative cis-Paare – im Privaten und Politischen. Ich halte ein Plädoyer dafür, dass wir alle davon profitieren würden, wenn Väter beruflich kürzer träten und mehr Care-Arbeit, Mental Load und Co. übernähmen. Ich gebe Männern aber nicht allein die Schuld an dieser Schieflage. Gesellschaft, Wirtschaft, Medien, Tante Uschi, Onkel Gerd, Sozialisation und der Wunsch nach Anstrengungsvermeidung tragen ihren Teil dazu bei. Ein Satz fiel in meinem Manuskript sinngemäß immer wieder: Es gibt kein Wissensdefizit, sondern ein Handlungsdefizit.

Foto: Hella Wittenberg

Der Titel lautet „Väter können das auch“. Glaubt man sofort hinsichtlich Care-Arbeit und allem anderen – aber möchten sie es denn überhaupt? Wie ist da deine Erfahrung? Du hast auch für deinen Blog mit vielen gesprochen.
In repräsentativen Umfragen (nicht von mir) antworten auffällig viele Väter, dass sie angeblich sehr gerne mehr Zeit für ihre Familie und Kinder haben wollen würden. Gleichzeitig haben sie Angst vor Karriereknicken. Nur knapp 40 Prozent aller Väter in Deutschland nimmt Elternzeit, die meisten davon kaum mehr als die mittlerweile obligatorischen zwei Monate. Dauerhaft Teilzeit nur ein einstelliger Bruchteil davon. Ganz ehrlich: „Wollen“ sieht für mich anders aus. Viele arbeiten nach der Geburt ihres ersten Kindes sogar noch mehr als vorher – vielleicht, weil der animalische Jäger-, Beschützer- und Haupternährertrieb mit ihnen durchbricht. Wahrscheinlicher aber deshalb, weil kein Tag im Büro jemals so stressig und zermürbend ist wie – bei aller Liebe – einer mit Baby oder Kleinkind daheim. Da lassen sie ihre Frau mit dem Scheiß lieber allein und nehmen ihren Karriereknick billigend in Kauf. War im Patriarchat doch schon immer so!

Dazu die Anschlussfrage: Väter, die auch zwei Monate Erziehungs“urlaub“ nehmen, am Spielplatz sich bewundern lassen für ihre bloße Existenz dort und sonntags mit den Kleinen rausgehen zum Brötchen holen, sehen sich mitunter als sehr moderne Väter. Teilst du diese Einschätzung?
Nein. Moderne Väter sind sie nicht. Sie sind Väter. Sie mögen mehr machen als ihre Väter, einfach weil es früher keine Elternzeitmodelle für Väter gab. Jetzt habe ich in drei Sätzen fünfmal Väter gesagt – nicht, dass das Kaput Mag meinem Blog noch den Google-Rang abläuft! Aber selbst diese Elternzeiten, ob zwei, vier oder sechs Monate, sind ja Ausnahmen. Den wirklichen Alltag mit ihren Kindern, die täglichen Freuden und Sorgen, den ganzen Haufen Care-Arbeit und Mental Load, der in der Regel noch immer bei den Frauen liegt, den kriegen sie während einer Wohnmobil-Tour durch Südfrankreich nicht mit. Und danach geben sie wieder die Vollzeitmalocher wie die Generation vor ihnen. Einer Gleichberechtigung nähern wir uns so nicht. So schließt sich kein Gender Care Gap, kein Gender Pay Gap. Auch wenn es ein erster Schritt ist. Don’t get me wrong: Ich will niemanden bashen, ich war viele Jahre lang und bin in einigen Teilen immer noch kaum anders. Wir waren einst sogar auch sechs Wochen an der Cote d’Azur mit Baby! Aber seitdem sehe ich zunehmend, dass da noch mehr geht und gehen muss. Wundert mich, dass ich mit so einer eigentlichen Selbstverständlichkeit noch immer in der Minderheit bin.

Wir erfahren in dem Buch auch etwas über deine Kindheit. Dazu die Frage, was trägst du Positives von deinem Verhältnis zum Vater in dir – und was willst du dagegen unbedingt anders machen als er?
Ich habe gelernt, wie wichtig große Familien bei der Kindererziehung helfen können – und wir sehr wir als Kleinfamiliengroßstädter unsere Life-Work-Balance ändern müssen, um auch ohne zig Tanten in der Nachbarschaft an mangelnder Vereinbarkeit a.k.a. Verkeinbarkeit, Erwerbs- und Carearbeit und dem schäbigen Buzzword Selfcare nicht kaputt gehen. Weil: Mein Vater und meine Mutter waren sehr jung bei meiner Geburt, sie trennten sich (im Guten) kurz danach. Ich sah ihn an den Wochenenden, wir hatten immer ein gutes, aber nie zu nahes Verhältnis. Er war weder streng (warum auch) noch der Megafun-Über-Teilzeit-Dad. Gekümmert haben sich um mich immer auch meine Omas, Tanten, selten Onkel. Seit ich ihn bewusst kenne, arbeitet mein Vater als Co-Geschäftsführer eines Familienhandwerksbetriebs über 70 Stunden pro Woche. Er hat mir und meinem Halbruder vermutlich nie die Windeln gewechselt, sondern im „traditionelleren“ Sinne für uns gesorgt. Das will ich anders machen: Ich will täglich am Leben meiner Kinder teilhaben, bevor sie eh lieber bei ihren Kumpels abhängen. Aber ganz ehrlich: Genug verdienen für sie und meine eigene Rente wäre eigentlich auch ganz geil. Traurig, dass in unserer Gesellschaft offenbar nicht beides geht.

Neue Rollenbilder sind ebenfalls Thema des Buchs, ziehen da die Medien, die Gesellschaft heutzutage mit – oder steckt man mit Kindern ganz schnell in der hellblau/pink-Fall? Also „Unsere kleine Prinzessin“ vs. „Jungs sind eben Jungs“?
Natürlich gibt es positive Beispiele, aber die sind noch immer die Ausnahme. Ein Blick auf die größten Kassenschlager einer Kleinkindkarriere, von „Peppa Wutz“ über „Conni“, „Feuerwehrmann Sam“ und „Paw Patrol“ bis hin zu „Ninjago“ genügt, um zahllose Klischees bestätigt zu sehen. Ich fange gar nicht erst an, sie aufzuzählen. Oder denk mal an Disney-Klassiker wie „Arielle“: Eine (Meerjung-)Frau gibt ihr bisheriges Leben und ihre Stimme auf, um einen Prinzen für sich zu gewinnen, den sie nicht mal kennt? Come on! Die neuen Disney-Pixar-Filme sind übrigens fast alle super. Wie angetan ich neulich war, als ich in einem Buchklassiker von Kid A (8) las, dass das Sams sich wundert, warum der Weihnachtsengel im Kaufhaus DER Engel heißt, obwohl ER ein Mädchen ist. Es müsse doch die Engel oder Engelin heißen! Darüber hinaus würde ich sogar noch weitergehen, vielleicht reagieren meine Frau und ich da überempfindlich: Man kann sich auch ohne Kinder kaum noch Komödien oder Actionfilme angucken, die vor 2016 gedreht wurden. Sexismus, wohin man sah. Ist doch schön seitdem zu sehen, dass Humor und Unterhaltung auch ohne Ausgrenzung oder Nach-Unten-Treten ganz hervorragend funktionieren kann! Das Gute am Medienkonsum der Kinder: Den können wir (noch) maßgeblich mitbestimmen, kommentieren, einschreiten. Die Gesellschaft können wir nicht einfach abschalten. So kommt es, dass wir unseren Söhnen zuhause noch so oft erklären können, dass Männer nicht „so“ und Frauen nicht „so“ sind oder zu sein haben. In Schule und Kinderladen spielen sie trotzdem Mädchen gegen Jungs. Im Kleingarten wundert die Nachbarin sich über die langen blonden Haare von Kid B (5). Im Spielwarenladen gibt es noch immer Regale mit blauen Autos und andere mit rosa Puppen. Und beim Familienfest knallt der Onkel dem gefallenen Kind den doppelt unmöglichen, aber natürlich ach so gut gemeinten Satz „Indianer kennt keinen Schmerz!“ vor den Latz. Es ist noch viel zu tun.

Du stellst das Buch auch live in Berlin vor, was hast du dir für den Abend ausgedacht?
Nichts. Ich lasse die Arbeit, typisch Mann, mal wieder eine Frau erledigen. In dem Falle kriegt sie aber, so hoffe ich, auch Geld dafür. Zwinkersmiley! Die ZEIT-Redakteurin Caroline Rosales moderiert den Abend, stellt mir Fragen, lässt mich lesen und ich bin zwar aufgeregt, weil normalerweise ich derjenige bin, der Fragen stellt oder im Publikum sitzt. Aber gleichzeitig bin ich entspannt. Weil ich als Mann bisher ohne allzu großen Aufwand überall durchkam, weil ich für meine „Karriere“ nie derart kämpfen musste, wie viele Frauen es müssen, und weil ich, wenn ich nicht in die größten Fettnäpfchen stolpere, an jenem Abend Applaus für Sätze kriegen werde, die Frauen schon seit Jahren sagen. Kritik ist aber ebenso gern gehört. Dafür müssen nur genug Zuschauer*innen kommen. Linus, mobilisiere Deine Berlin-Crowd!

Das Interview führte Linus Volkmann 

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Das Buch: “Väter können das auch” (Kösel) // 240 Seiten, 18 Euro // VÖ 21.03.2022
Die Live-Premiere: 21.03.022 // Pfefferberg Theater Berlin // Moderation Caroline Rosales (Zeit online)
Fabian Soethof: www.instagram.com/newkidandtheblog/

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