„Alles muss raus“ – Warum Grillmaster Flash aufhört
„Ich halte – allen Widerständen zum Trotz – Rockmusik für das Geilste. Mir fällt absolut nichts ein, was dem nahekommt. Rock hat immer eine ziemliche Kraft.“ Grillmaster Flash im Gespräch mit Claas Reiners über das Ende einer Karriere im Musikbusiness.

Grillmaster in den Anfängen, 2014 (Foto: Fabiane Lange)
Wir treffen uns vor dem Eisen. Der Bremer Kultkneipe, in der die Frauenmannschaft des SV Werder Bremen einst ihren Aufstieg in die 1. Frauenbundesliga feierte. Über diese Nacht hat Christian Wesemann a.k.a. Grillmaster Flash, den in Bremen aber alle Grilli nennen, so wie Bruce Springsteen von jedem Boss genannt wird, egal ob sie für den Musiker arbeiten oder nicht, einen Song geschrieben. Natürlich. „Wo warst du, als die Mädchen durch den Tisch traten?“ Einer der schönsten Fußballsongs der letzten Zeit. Jahrelang konnte Grillmaster Flash gar nicht anders als Songs schreiben. Vier Alben sind es in zehn Jahren geworden. Nun ist damit Schluss. Die Geschichte ist zu Ende erzählt. Grillmaster Flash hört auf. Das hat der Künstler kürzlich auf seinen Social-Media-Kanälen bekannt gegeben. Geplant war dieser Schritt schon länger. Darüber wollen wir heute sprechen. Die meisten Bands verschwinden einfach von der Bildfläche, spielen noch zwei, drei Konzerte und dann war’s das. Manchmal tauchen sie fünf Jahre später wieder auf. Das wird ziemlich sicher bei Grillmaster Flash nicht passieren.
Grilli verabschiedet sich im Eisen von den herumstehenden Bekannten, und wir gehen ein Stück die Straße hoch ins Malenchen. Hier hat Christian Wesemann, also Grilli, mal gearbeitet, um Geld fürs Studio oder die nächste Tour mit seiner Begleitband The Jungs zu verdienen. Jedes zweite Wochenende schaut Grilli hier die Spiele der Herrenmannschaft des SV Werder Bremen. Kneipen sind für Grilli wichtig. Das sind die Orte, in denen Grilli als Grillmaster Flash seine ersten Konzerte gespielt hat — lange bevor sein erstes Album veröffentlicht wurde. „Ich bin schon immer eine Barfly gewesen. Und habe auch vor, das zu bleiben. Ich finde Kneipen super. Das ist für mich der absolute soziale Ort. Nicht Kiosk, nicht Weihnachtsmarkt. Kneipe!“ Einer der ersten Statements des Abends. Grilli ist absolut. Ganz oder gar nicht. Sekt oder Selters. Heute gibt es alkoholfreies Bier und Selbstgedrehtes. Schon auf dem Weg von der einen Kneipe zur anderen erzählt er, nachdem ich erläutert habe, worum sich das Interview mit ihm drehen soll: „Für mich ist Grillmaster Flash kein Hobby oder ein Nebenaspekt, der neben dem Job gemacht wird. Das war für mich alles, was ich gemacht habe. Und ich habe alles und jede*n der Sache untergeordnet. Und ich glaube, sonst hätte ich das nicht so gemacht, wie ich es gemacht habe. Letztes Jahr hatte ich aber zwei Jobs. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, berufstätig zu sein und auf dem Level, wie ich es gemacht habe, Kunst zu betreiben. Das wird nicht funktionieren. Denn dann kommst du irgendwann in so ein Fahrwasser, in dem du nichts mehr machst und zweimal im Jahr auf einem Festival auftauchst und das war’s dann. Das will ich nicht. Entweder durchziehen oder gar nicht machen. Mit der Entscheidung musste ich mich schon einige Zeit auseinandersetzen. Ich musste Klarheit haben und wollte mir keine Hintertüren offenhalten, falls es die überhaupt gibt.“ Grillmaster Flash redet gutgelaunt vor sich hin. Gar nicht so, als ob er über das Ende seiner Karriere spricht. Viel mehr klingt es in seinen Worten und der Stimmlage wie ein Neuanfang — nur ohne in Zukunft professionell Musik zu machen. Er wirkt eher erleichtert als niedergeschlagen.
Die Musik- und Fanszene war für jemanden wie Grillmaster Flash nie bereit. Das behaupte ich. Nicht der Künstler. Schon irgendwie Indie mit genügend Credibility im Rücken und dann doch zu sehr klassischer Rock. In Deutschland wird Musik – bis auf wenige Ausnahmen – nur ernst genommen, wenn sie ironisch oder melancholisch ist. Die Musik und Texte von Grillmaster Flash sind beides explizit nicht oder nur selten melancholisch und nie ironisch. Im Gegenteil. Meistens ist es ziemlich ernst. Wenn es zusammengefasst werden soll, geht es darum, das Leben zu schaffen – mit Humor. Einfach mal darüber lachen, statt sich Sorgen zu machen. Oder im Bett liegen bleiben, während der Partner oder die Partnerin aufstehen muss. Solche Sachen eben. Die kleinen, manchmal auch fiesen Glücksmomente des Alltags.

Grillmaster heute (Foto: Jan Seebeck)
Grillmaster Flash begegnet seinen Songprotagonistinnen dabei immer mit einer großen Portion Empathie. Und das künstlerische Ich überhöht sich dabei niemals, sondern bleibt in einer beobachtenden und beschreibenden Position. Ein Außenseiter starrt auf andere Außenseiter. Damit ist Grillmaster Flash (oder halt Grilli) fest mit dem amerikanischen Genre des Heartland-Rocks verbunden. Nur mit deutschen Texten. Diese Musik zwischen Classic-Rock mit einem Schuss Punk, Soul oder Country – je nachdem, welcher Teil gerade besser zum Thema passt. Und eben Texte über die einfachen Leute, die versuchen, irgendwie mit Würde durchs Leben zu kommen. So wie Christian Wesemann auch. Wenn er davon singt, „nie Rock’n’Roll gewesen zu sein“, dann ist das eine Ode an die Gelangweilten. So wie die meisten Menschen nun mal sind. Langweilig. Auch wenn auf den sozialen Medien etwas anderes verkauft wird. Die Wenigsten führen ein wirklich glamouröses oder aufregendes Leben. Stattdessen gehen sie zur Arbeit oder zur Uni, sitzen in der Bahn und ärgern sich über das teurer werdende Bier in der Lieblingskneipe. Oder darüber, dass wieder ein Konzert mangels Nachfrage abgesagt werden musste. Oder dass selbst am Samstagabend nur dreißig Zahlende auftauchen. Da sind wir wieder in der Lebenswirklichkeit des Grillmaster Flash angekommen. Seine Lieder „Pleite gehen“ oder „Da geht die Nachbarschaft“ können hingegen als gesellschaftskritisch durchgehen, mit einem ernsten Kern humorvoll verpackt. Knapper und teurer Wohnraum bedroht eben auch das künstlerische Schaffen. Kein Geld haben sowieso.
Ein Album bei der kleinen Bremer Plattenfirma Speck Flag und zwei weitere Alben auf dem renommierten Grand Hotel van Cleef Label aus Hamburg folgten. Doch der Erfolg blieb aus. Vielleicht lag es am Namen – Grillmaster Flash – von dem Christian Wesemann sich nicht lösen konnte oder wollte, obwohl es sicherlich die bessere Entscheidung gewesen wäre. „Das war mit 18 Jahren vielleicht mal lustig, zumindest fand ich das lustig“, sagt er heute dazu. Da schwingt dann doch zu viel (schlechter) Humor mit, der über die im Kern durchaus ernste Musik hinwegtäuscht oder davon ablenkt. Keinesfalls lässt Grilli mein Argument gelten, dass die Menschen hierzulande nicht bereit gewesen wären für seine Art von Musik. Sie seien überfordert und zu faul gewesen, den inneren und wunderschönen Kern seines Schaffens zu sehen. „Grillmaster Flash hat es dem Publikum schwer gemacht, einzusteigen. In der Musikszene habe ich ein total gutes Standing“, führt Grilli aus, „ich habe superviele Leute kennengelernt, die alle gut finden, was ich mache, die selber an ganz anderen Punkten stehen als ich und teilweise sehr erfolgreich oder echte Rockstars sind. Da hatte ich immer den Eindruck, super andocken zu können. Aber leider nicht im gleich Maße beim Publikum. Ich habe vor so vielen Leuten gespielt, hatte Support-Konzerte ohne Ende und habe vor unglaublichen Mengen gespielt. Aber scheinbar konnte ich die nie mitnehmen. Die haben das einmal gesehen, fanden das vielleicht auch gut, sind aber nicht drangeblieben. Wenn nur zehn Prozent der Leute, die mich gesehen haben, zu einem meiner eigenen Konzerte kommen würden, hätte ich keine Probleme.“ Es muss an dieser Stelle eingewendet werden, dass Grillmaster Flash, ob mit seiner Begleitband The Jungs oder solo, ein fantastischer Livekünstler ist, der es versteht, sein Publikum zu unterhalten und zumindest für einen Abend mitzunehmen. Grilli weiß auf der Bühne Geschichten zu erzählen und kann die ganz große Rockstarpose durchziehen. Allerdings ist das charmante Gehabe auf der Bühne so offensichtlich auf die Spitze getrieben und maximal eher Wunsch als Realität. Jedenfalls ist die Überspitzung des Rockstargehabes von jedem deutlich zu erkennen. Und wird in der Regel freundlich und amüsiert honoriert. Doch scheinbar hat Grilli es nie in die Playlists der ein paar Stunden zuvor beim Konzert Zusehenden geschafft. Dazu sagt er: „Ich will drüber aber auch nicht mehr nachdenken. Sonst wird es nur noch traurig. So unverstandener Künstler, das kann doch alles nicht wahr sein, warum will keiner meinen Kram hören – so bin ich nicht drauf. So ist nun mal der Karriereweg der allermeisten Künstlerinnen. Wir kennen nur die Stories von den Erfolgreichen, die sich von unten gegen alle Widerstände nach oben gekämpft haben. Dies Geschichten gibt es. Die meisten Leute schaffen es aber nicht. Das ist die Wahrheit. Und zu diesen Menschen gehöre ich halt auch. Ist nicht so schlimm.“ Sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Schalk im Genick, was seine Glaubwürdigkeit unterstreicht.
Nach zwei Alben war der Vertrag mit Grand Hotel van Cleef erfüllt. Die Tour zum Album lief nicht gut, Konzerte mussten teilweise mangels Nachfrage abgesagt werden und das Publikum wurde trotz aller Bemühungen nicht größer. Bei Grilli wuchs der Wunsch, die Sache zu beenden. Die Kunstfigur Grillmaster Flash zu beerdigen, um wieder Christian Wesemann zu sein. Doch das Label und Grillmaster Flashs Promoagentur überredeten den Musiker, noch ein Album zu machen. Denn eigentlich hatte Grilli sich zu diesem Zeitpunkt schon Gedanken darüber gemacht, wie er seine Musikerkarriere würdevoll zu Ende bringen kann. Die letzte Tour zum Album „Komplett Ready“ lief nicht so erfolgreich wie gehofft und die Luft war bei dem Musiker raus. „Ich saß dann mal mit Benny von meiner Promofirma in einer Kneipe in Köln zusammen und er sagte: Mach doch ein Metalalbum. Das habe ich sofort abgelehnt. Warum sollte ich das tun?“ Damit war das Thema für Grilli erledigt. Doch eines Tages kam eine Mail von seinem Label, die gerade dabei war, Fördergelder zu beantragen, und sie wollten wissen, was mit dem Metal-Album ist und wann es veröffentlicht werden kann. „Irgendwie haben die mich dann überredet. Gemacht habe ich erst mal trotzdem nichts. Erst kurz vor knapp – ich glaube, es gab sogar schon einen Veröffentlichungstermin – habe ich mich hingesetzt und hatte eine gute Idee. Und dann war ich innerhalb von zwei Monaten mit den Songs fertig.
Anschließend sind wir ins Studio gegangen und das Album wurde veröffentlicht. Aber eigentlich wollte ich es nicht. Auch wenn es viel Gutes hatte. „Flashmetal“ – so der Titel des vierten Grillmaster-Flash-Albums – sollte kein JBO-Ding, sondern eine solide Metalplatte mit Grillmaster-Flash-Humor werden. Sicherlich ein Spagat, der nicht einfach war. Der Schritt vom Heartland-Rock-infizierten Indie zu Heavy Metal und Hard Rock war zwar in Grilli‑Welt gar nicht so weit. Bereits sein zweites Studioalbum „Stadion“ spielte mit einer gewissen 1980er-Jahre-Rock-Soundästhetik. So wie Heartland seinen Höhepunkt vielleicht in den 1980er Jahren hatte, so ist es bei Heavy Metal ganz sicher so. Und so kam es, dass „Flashmetal“ doch noch veröffentlicht wurde. „Eigentlich ist es eine gute Platte geworden“, stellt Grilli nun zufrieden fest. Warum also hört er mit der Musik auf? „Ich wollte mit Grillmaster Flash nie so weit kommen, wie ich es war. Das war nie geplant. Ich will jetzt aber auch nicht gerne wieder auf den alten Status zurück. Das Problem ist, so ist es, wie es ist, ist es nicht realisierbar. Weder lifestyle-technisch noch finanziell ist das auf Dauer machbar. Die Einsicht, es jahrelang probiert und nur so wenig Resonanz dafür bekommen zu haben, ist schade. Ich finde ja gut, was ich mache. Das spielt aber keine Rolle, wenn es nicht angenommen wird. Für mich ist es kein Antrieb, mich selbst zu bespaßen. Das ist zwar die Basis, aber ich möchte, dass die Leute das gut finden. Und ich möchte damit Leute unterhalten. Und ich möchte, dass Leute die Musik hören und zu meinen Konzerten kommen. Und wenn sie es nicht tun und es keine Aufmerksamkeit gibt, dann gibt es für mich keine Berechtigung, das zu tun. Musik machen kann ich immer, aber nicht so, wie es läuft. Dann lasse ich es besser sein. Das ist mir viel zu anstrengend und kostenintensiv und psychisch zu gesundheitsschädlich, als es weiterhin durchzuziehen. Was ich nach dem dritten Album trotzdem noch mal gemacht habe, was mir komplett den Rest gegeben hat. Darum kann ich das nun mit einem guten Gefühl und Gewissen beenden.“ Ich frage mich, ob das wirklich so einfach ist. Seit über zehn Jahren macht Christian als Grillmaster Flash Musik. Davor hat er in diversen anderen Bands gespielt. Ich bezweifle, dass die Passion einfach an den Nagel gehängt und ein geregeltes Leben geführt werden kann, ohne Musik, ohne Bühne, ohne Applaus. Denn so klein das Publikum von Grillmaster-Flash auch gewesen sein mag, Applaus gab es immer für ihn und die Band. Auch an der Kreativität liegt es nicht, behauptet Grilli. „Ich habe immer noch etwas zu sagen und könnte bestimmt weiter Songs schreiben.“
Und tatsächlich, so ganz ohne einen musikalischen Output scheint es dann bei Grilli (oder zukünftig Christian) doch nicht zu gehen: „Um dem Klischee gerecht zu werden, muss ich wohl in einer kleinen Punkband Bass spielen oder so, und dann zweimal im Monat proben und abhängen und so was eben. Und einmal im Jahr einen Gig spielen. So etwas muss ich, glaube ich, machen.“ Und irgendwie schlägt das Gespräch dann am Ende doch noch eine etwas melancholische Richtung ein. „Ich bin tatsächlich von dem Tun und Machen erschöpft. Ich bin von dem immer Weitertun und immer wieder etwas anbieten und immer wieder nicht gesehen werden erschöpft. Und von den Fragen, was ich noch tun könnte, damit sich das ändert. Einfach die nächste Tour spielen, zu der niemand kommt, kann das dann ja auch nicht sein. Das macht mich kaputt. Abgesehen davon könnte ich mir eh kein Studio mehr leisten, selbst wenn ich wollte, denn ich bin pleite. Insolvent.“ Noch gibt es Grillmaster Flash und The Jungs allerdings. Noch bis zum 15. November 2025 – dann wird in Vegesack in Bremen-Nord das letzte Konzert stattfinden.
Ein Pärchen betritt die Kneipe, entdeckt Grilli und kommt auf ihn zu. „Mensch, du hörst auf, das ist echt schade.“ Das sind Dinge, die in der Stadt öfter gehört werden. Seltsamerweise ist es so, dass die Ankündigung auf den Social-Media-Seiten von Grillmaster Flash mehr Resonanz erhielt als alle Album- und Tourankündigungen zusammen. Es scheint in der Gesellschaft einen destruktiven Hang zu geben, der die Menschen nicht reagieren lässt, wenn neue Musik angekündigt wird, sondern wenn es damit vorbei ist. Was das über unseren Umgang mit Musik aussagt, kann und wird an dieser Stelle nicht geklärt werden. Schade und traurig ist es allemal. „Vielleicht sollten Bands sich einfach dauernd auflösen und dann eine Reunion starten“, wirft Grilli zum Schluss noch ein, „das werde ich aber ganz sicher nicht machen. Warum sollte ich als 50-Jähriger noch mal Grillmaster Flash machen, da sehe ich keinen Sinn drin. Das ist jetzt ja schon völlig bedeutungslos, warum sollte es in zehn Jahren anders sein?“, lacht er, trinkt aus und dreht sich noch eine Zigarette.
Text und Interview: Claas Reiners


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