Neues aus Trondheim

J00 – Norwegische Newcomer in 3D

Ende Januar lud die überschaubare, norwegische Stadt Trondheim ein, die hiesige Musiklandschaft näher kennenzulernen und ein Blick auf die Sprösslinge der skandinavischen Pop-Welt zu werfen. Die populäre Musikindustrie, die zunächst den Rock mit einer sehr landeseigenen Facette prägte und auch den Punk aufmischte, hat sich in den vergangenen Jahren auch im Pop mit Künstler*innen wie Sigrid oder Aurora hervorgetan. So lohnt es durchaus, Norwegen als kulturellen Nährboden für ein neues, mögliches Pop-Feuerwerk im Blick zu behalten. Eines der Highlights des Festivals war die Band J00, gesprochen “You”. Von Rosalie Ernst.

Foto: Oyvind Losnegard

J00 – Hinter dem kryptischen Kürzel stehen vier Musiker*innen. Dass sie sich nicht in ein Genre einordnen lassen, ist kein Alleinstellungsmerkmal, wehrt sich doch mittlerweile jede*r Künstler*in gegen eine Kategorisierung, sei sie noch so zutreffend. J00 jedoch hat sich kurzerhand entschlossen, ein neues Genre für sich zu nutzen: 3D-Pop. Obwohl dieser Begriff zunächst eher nach einem fancy Synonym für die Charts klingt, bekommt man aber unweigerlich eine grobe Vorstellung von Klängen, die darunter zu verstehen sind und eigentlich ist es ganz egal woran man gerade denkt, J00 schafft es wahllos erscheinende, unendliche Ebenen zu opulentem Pop zu vereinen. „Wir gehen eigentlich immer hin und her: Es startet bei einer kleinen Chordprogression und dann fügen wir einfach Sachen hinzu, nehmen sie weg, probieren es live und setzen uns dann nochmal an den Song. Es gibt immer wieder kleine Änderungen, auch nachdem wir etwas veröffentlichen“, beschreibt Sängerin Thea ihre Arbeitsweise. In ihrem Klang verbinden sie sehr dezidierte Autotune-Effekte in einer zweiten Stimme, die die Sängerin stützen oder harmonische Passagen brechen. Mit einem sehr feinen Gespür für ein dramaturgisch wertvolles Songwriting, bauen J00 eigene Konstrukte aus Synthies, die mal eine rhythmische und mal eine harmonische Rolle spielen, einem wabernden Bass, der aus einem Wald auf Effektgeräten ragt und ein Drumset, dass all diese einzelnen Ebenen zu vereinen scheint und vielfältige Patterns liefert, die die Songs durch ihre Phasen leiten.

Thea, Håkon, Andreas und Brage treten wahnsinnig einig und geschlossen auf und das, obwohl ihre Bandgeschichte sehr pragmatisch daher kommt, denn in der kleinen Stadt Trondheim wird man schnell auf musikalische Gleichgesinnte aufmerksam. Nachdem J00 vor einem Jahr zusammen kamen, dauerte es nur einen Monat, bis sie ihren ersten Song aus dem Proberaum veröffentlichten und es im Anschluss gleich zu mehreren Auftritten kam. Seit dem scheinen sie unentwegt an neuen Songs zu arbeiten, um in erster Linie überhaupt einmal eine Setlist füllen zu können. Die Qualität scheint darunter nicht zu leiden, denn mit ihren Liedern übertrumpfen sie sich Mal für Mal und wachsen auch immer stärker zusammen. Dabei arbeiten die Newcomer in keiner Band-Hierarchie und scheinen ganz besonders den Live-Moment auszukosten: „In unseren Live-Shows und auch bei den Aufnahmen versuchen wir besonders expressiv sein“, erklären sie. Jeder hat seinen eigenen Moment, darf für Sekunden des Songs die Hauptrolle spielen, das Publikum vereinnahmen und mit seinem Talent strahlen. Mit einem einstimmigen lachen erklären J00 „Wir mögen einfach die Ideen der anderen und wenn jemand etwas Cooles spielt, wollen wir mehr davon“, dabei nicken sich gegenseitig zu. Genauso treffen die Charaktere mit viel Respekt aufeinander, schichten ihre eigenen Musikvisionen so lange übereinander, bis ein dreidimensionaler Sound entsteht.

Der jüngst veröffentlichte Song „Stay for more“ ist beispielsweise über Monate hinweg optimiert worden und er besteht aus unzähligen kleinen Aufnahmen, die sowohl in Trondheim als auch in Oslo entstanden, aus Momenten aus der WG-Küche, die spontaner Kreativität folgten, Neuanschaffungen und die damit einhergehende Euphorie und Improvisationen aus dem Probenraum. All das ist in dem gewaltigen Sound nicht mehr herauszukristallisieren und „Stay for more“ durchläuft verdichtete Passagen, die mit dem Kontrast zwischen den rhythmusbetonten Strophen und dem offenen, harmonischen Chorus spielen. „Den Song haben wir ziemlich unter Zeitdruck geschrieben, um unser erstes Set zu füllen und klang damals noch gar nicht nach all diesen Ebenen. Aber wir haben ziemlich gutes Feedback von den Leuten zu ‚Stay for more‘ bekommen. Wir hatten allerdings eher ein ambivalentes Gefühl bei dem Song. Wir haben uns am Anfang auch viel stärker an unseren Vorbildern orientiert. Also haben wir es immer wieder überarbeitet bis diese sehr offene Soundlandschaft entstand.“

Die Produktion übernimmt die ungesignte Band bislang selbst und so kommt es schon mal vor, dass J00 lange Zeit damit zubringen, an ihren Songs zu schrauben und sie dann zu einem großen Ganzen zusammen zu fügen. Dabei entsteht ein Sound, der durch den sehr tiefen Autotune in seinen besten Momenten an Bon Iver erinnert, allerdings in einer sehr viel fröhlicheren Version, der mit der klassischen Songstruktur eines Hits liebäugelt. Auf ihren Konzerten haben J00 allerdings auch eine melancholischere Seite offenbart und demonstriert, dass sie keine Scheu vor tiefen Emotionen haben und verknüpfen diese mit einem erschütternden Song. In der Dunkelheit beginnt Thea ganz sanft acapella zu singen, während die Instrumentalisten ihre Melodie langsam unterstützen, bis am Ende alles zum Einstürzen kommt. Man glaubt Stroboskoplicht zu hören, wird überall am Körper gepackt und geschüttelt, bis man durch die anschließende, abrupte Stille in sich zusammen sackt. „Unsere veröffentlichten Songs klingen eigentlich kaum, wie wir sie noch vor einem Jahr gespielt haben. Musik ist ja nicht in Stein gemeißelt.“ Es ist nur einer der Songs, der in diesem Jahr erst veröffentlicht werden soll, so ganz genau können mir J00 aber noch nichts über zukünftige Projekte erzählen.

„Niemand hat uns dazu gedrängt mehr zu tun und an der Band zu arbeiten. Es gab einfach sehr schnell Leute und Freunde, die mitgemacht haben und uns geholfen haben unsere Vision zu verfolgen. Einen wirklichen Plan haben wir nicht, aber das funktioniert gut.“

Text: Rosalie Ernst

 

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