Europäische Werte und musikalische Wiederbelebungsversuche

UNFUCK THE EU (PT. 04): C’est Karma

9. August 2021,

Während die Europäischen Werte am Boden liegen, versuchen immer mehr Musiker*innen laut zu werden und selbst den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Mehr und mehr Hymnen begleiten die Demonstrationen, die Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit fordern – Werte, auf die man sich einst geeinigt hatte. In dieser neuen Serie trifft die Autorin Rosalie Ernst für Kaput europäische Künstler*innen und spricht mit ihnen über Haltung in der Musik, die Europäischen Werte und Aktivismus.

Foto: Promo / Bearbeitung: Rosalie Ernst

Sie ist Teil der politisierten Jugend, nach der die Welt gerade lechzt. In C’est Karma aus Luxemburg steckt neben einem Talent für fantastische Melodien und prima Popmusik auch eine Aktivistin. Wo andere lieber vage bleiben, stürzt sie sich ins Gefecht; wo Andere den Komfort suchen, macht sie es sich und ihren Mitmenschen lieber unbequem, um Teil des Fortschritts zu sein. Ihre Ideale vertritt sie dabei nicht nur bei der Luxemburgischen Fridays-For-Future-Bewegung, sondern auch in ihrer Musik. Und wem das noch nicht genug ist, der kann sich auf ihrem Blog davon überzeugen, dass sie trotz Freitagsstreik ihre Hausaufgaben gemacht hat.

Wie siehst du dich momentan? Würdest du dich eher als Musikerin oder Aktivistin bezeichnen?
C’EST KARMA Das geht beides bei mir Hand in Hand. Mein politischen Engagement ist immer mit meiner Kunst verbunden. Ich möchte meine Plattform nutzen, um über Themen zu sprechen, die mir sowieso auch privat am Herzen liegen. Durch meine Musik kann ich politische Messages auf den Weg bringen. Es ist mir wichtig, dass ich in meiner Kreativität immer etwas vermittle und über sozialkritische Themen rede. Das heißt dann, dass ich Songs auf einer politischen Ebene schreibe und auch das Gesellschaftskritische in den kleinen Dingen suche. In der aktuellen europäischen Lage komme ich nicht wirklich drum herum, einen Song zu liefern, der von diesem gesellschaftlichen Klima beeinflusst ist. Es ist einfach am naheliegendsten auch meine Inspiration daraus zu holen, weil es mein Alltag ist kritisch zu sein. Ich bin privat einfach ein sehr politischer Mensch und versuche mich so viel wie es geht in meinem Alltag zu engagieren.

Da hast du dich ja jetzt schon so ein bisschen abgegrenzt. Wie äußert sich da eine Trennung zwischen diesem privat-politischen und deiner öffentlichen Persona?
Öffentlich bin ich deutlich vorsichtiger mit allen Äußerungen. Das ist für mich auch normal und ich habe auch nicht das Gefühl, dass meine Inhalte dadurch unauthentischer werden. Es ist total wichtig, dass man sich öffentlich anders ausdrückt, weil ich mich nicht mit anderen Leuten anfeinden will. Naja, zumindest zu einem gewissen Grad: Denn natürlich will ich mich mit rechtsradikalen Positionen anfeinden, aber eben nicht mit Gleichgesinnten. Und das kann schnell passieren, wenn man unüberlegt und impulsiv drauf los sprudelt. Im privaten ist man in Diskussionen und im Austausch auch viel flexibler, der Diskurs ist ein anderer.

Besprichst du die Lyrics dann auch nochmal mit anderen, um diese Form von Austausch mit aufzugreifen oder arbeitest du da ganz alleine dran?
Wenn ich über ein Thema schreiben will, dann ist es mir wichtig vorher alles einmal durchzusprechen und in Diskurse und Diskussionen zu gehen. Dadurch gewinnt man eigentlich immer nochmal an Sichtweisen und ich berate mich da gerne in meinen Kreisen. Zum Beispiel bei Themen wie Armut und Privilegien ist es einfach wichtig über die eigenen Erfahrungen hinauszugehen und zu hinterfragen. Gerade hier sollte man total sensibel sein. Auch wenn mich manche Themen sehr beschäftigen, bin ich vielleicht nicht das richtige Sprachrohr, weil meine Perspektive die Debatte nicht weiter bringt. Da stimme ich mich gerne ab, um zu schauen, ob meine Message wirklich klar ist.

Du wirst mit dieser Haltung auch oft als Sprachrohr deiner Generation bezeichnet. Kannst du dich damit identifizieren?
Ja absolut. Ich denke, dass die Fridays-for-Future-Bewegung das Bild meiner Generation in der öffentlichen Wahrnehmung total geprägt haben und dafür stehe ich auch ein. Ich denke meine Generation ist automatisch viel politischer, weil es gerade um Fragen geht, die uns akut betreffen. Mein Jahrgang wird der erste sein, der sich mit den extremen Auswirkungen des Klimawandels auseinandersetzen muss und für viele ist das einfach jetzt schon präsent. Es hängt unmittelbar mit unserer Zukunft zusammen. Und damit kann ich mich absolut identifizieren. Und das endet nicht beim Klimawandel. Ich habe das Gefühl, dass meine Generation auch sehr viel lauter über Themen wie Sexismus und Rassismus spricht und nachdenkt. Wir haben es einfach satt in der Schule über die 500jährige Rassismusgeschichte zu lernen und zu sehen, dass diese Gesellschaft noch immer keine Lösungen gefunden hat. Noch dazu haben wir Social Media. Das hat das Generationsbild ja auch geprägt, aber während von außen nur Oberflächlichkeit gesehen wird, ist es eben auch ein essentielles Tool sich zu organisieren und auch kritisch zu sein.

Viele der Punkte, die dich gerade umtreiben werden auch oft als Generationenkonflikt bezeichnet. Würdest du dem zustimmen?
Schwierig, bei solchen Aussagen fühlt man sich nicht sonderlich ernst genommen. Es ist etwas zu leicht, diese riesigen Themen wie den Klimawandel mit dem Wort „Generationenkonflikt“ wegzuwischen. Ich glaube aber trotzdem, dass ein Generationenkonflikt stattfindet. Viele ältere Menschen sind in sehr bequemen Positionen und es ist ziemlich schwierig als junge Frau, da überhaupt auf Augenhöhe zu kommunizieren. Ich erinnere mich an eine Situation: Eine Kerngruppe von Fridays for Future hatte ein Treffen mit dem Premierminister von Luxemburg und er meinte er würde sich sehr für das Klima einsetzen: Er hätte sich zum Beispiel eine Joghurtmaschine gekauft. Da ist mir diese klaffende Lücke zwischen unserem Bewusstsein für Klimapolitik so richtig klar geworden. Es ist doch absurd, dass ein Minister mit so viel Macht, mit so einem privaten Argument kommt und denkt, dass er mit einer Joghurtmaschine die Welt retten kann.

Klingt auch, als hätte er sich nie damit auseinandergesetzt, wie klar die politischen Forderungen von Fridays for Future wirklich sind… Gibt es da auch so ein klassisches Argument, das du schon richtig satt hast?
Dass man doch schon weit gekommen sei und alles schon besser wäre. Diese Aussage sagt einfach wenig über Fortschritt aus und sie respektiert auch nicht, was für den aktuellen Status Quo getan wurde. Gleichberechtigung war ein Kampf, kein Zufall und deshalb muss man weiter kämpfen. Ich finde Fortschritt immer wichtig, nur weil es schon einen gab, heißt das nicht, dass man irgendwo angelangt ist. In Luxemburg gibt es sogar ein Sprichwort, das sagt ‚Wir wollen bleiben was wir sind‘ und das kommt im politischen Kontext auch immer wieder auf und appelliert auch an so eine brave, bequeme Nationalkultur

Hast du Angst, dass du in einem Format von ca 3 Minuten auch manchmal in Floskeln oder Parolen verfällst?
Nicht wirklich. Ich glaube jedes künstlerische Medium kann komplexe Dinge komprimieren und zusammenfassen. Es ist natürlich immer nur eine Essenz in dieser Drei-Minuten Dauer, aber das kann als Anstoß zum Überdenken von Positionen reichen. Ich lege da sehr viel Wert auf die Worte, die ich nutze. Manchmal ist es auch gerade ein sprachliches Bild, das eine Situation viel aussagekräftiger beschreibt, als ein langes Essay. Ich habe gar nicht den Anspruch, in nur einem Song alles zu dem Thema zu sagen.

Auf deinem Blog hast du nach „Poolparty“ aber zum Beispiel nochmal die politische Relevanz des Songs genauer erklärt. Kannst du deine Songs gerade wenn sie so leichte, tänzelnde Melodien haben, so unkommentiert stehen lassen?
Ich würde nicht sagen, dass es mir schwer fällt, aber mir ist es manchmal eben doch wichtig nochmal Informationen dazu zu geben. Ab und an macht es für mich total Sinn nochmal die Hintergrundgedanken zu erklären oder Menschen, die den Song gehört haben noch etwas mehr in meine Welt zu holen. Ich finde es auch total cool wenn jemand meine Lieder auf einer Party hört und nur tanzen will. Aber wenn es im Radio läuft, bin ich natürlich umso glücklicher, wenn die Moderator*innen dann auch klar sagen: Das ist ein Song über Male Gaze oder zum Klimawandel.

Bei vielen Musiker*innen gibt es schon einen klaren Fokus auf die Musik und politische Messages tauchen dann nur ab und an auf. Aber ich habe jetzt schon den Eindruck, dass bei dir Kunst und Politik wirklich immer Hand in Hand gehen.
Ja, schon. Kunst ist ein sehr wichtiger Teil des politischen Fortschritts und des Diskurses und da will ich ein Teil von sein. Mein Motor ist der Gedanken oder das Wissen, dass ich selbst durch Kunst politisiert worden bin. Kultur ist einfach zugänglicher und inklusiver als soziologische Theorien. Und wenn man als popkulturelle Künstlerin politisch wird, dann schafft man es glaube ich besser in die Mitte der Gesellschaft. Ich hoffe, dass ich irgendwann bei einem jüngeren Publikum genau solche politische Anreize erzeugen kann, wie meine Held*innen bei mir.

Das Interview führte Rosalie Ernst

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