Buchbesprechung Fabian Ebeling

MF DOOM – Do you! Die Geschichte des Rap-Supvervillain

„The Chronicles of DOOM“ (Copyright: Faber & Faber)

Mit „The Chronicles of DOOM“ legt S.H. Fernando Jr. die erste Biographie des Rap-Enigmas MF DOOM (bürgerlich Daniel Dumile Jr.) vor. Fans werden sich nach der Lektüre nicht schmuddelig oder desillusioniert fühlen. Vielmehr bekommen sie einen umfangreichen Einblick in die inner workings des Künstlers, der den Indie-Rap der 2000er-Jahre dominierte.

 

Am 07.03.2010 lupft DOOM auf der Bühne des Zürcher Clubs X-tra seine Maske, um den Anwesenden zu zeigen: „It’s really me!“. In den Jahren zuvor wurden Fans bei Konzerten in den USA immer wieder enttäuscht, weil der selbsternannte Supervillain sogenannte Doombots auf die Bühne schickte, Fake-DOOMs, die zu den Beats auf der Bühne herumhampelten. Er verkaufte diese Aktionen als Teil seiner Persona, die er sich seit den späten 1990er-Jahren aufgebaut hatte. In dieser Erzählung ist die Maske ein Schutz gegen die Mechanismen des Musikgeschäfts, gegen einen Personenkult überexponierter Figuren, die damit gerade im Mainstream-Rap der 1990er- und 2000er-Jahre zu großem vermeintlichem Ruhm gelangen. Leute wie Diddy.

In dieser Erzählung ist es okay, Fans zu verprellen, weil es ja um die Musik geht und nicht um die Person hinter der Maske. „The Chronicles of DOOM“ zeigt aber auch, dass dieser mischievous character manchmal auch einfach nur abkassieren wollte, ohne sich dafür die Finger schmutzig zu machen. Das macht die Geschichte nicht weniger originell. Geschadet hat es Dumile auch nie, vielmehr trug es zur Legendenbildung bei. Allerdings bekommt diese Erzählung im Buch auch einen etwas traurigeren Anstrich. Hier und da klingt durch, dass es durchaus auch schon gesundheitliche Probleme waren, die Auftritte Dumiles verhinderten. So überraschend sein Tod im Oktober 2020 kam, die Vorerkrankungen läpperten sich.

Was die Biographie deutlich macht: Dumile rappte um sein Leben – als Familienvater und provider, der trotz aller Liebe für seine Frau (und Managerin) und seine Kinder immer wieder von ihnen wegdriftete, als Musiker, der einfach auch nichts anderes gelernt hatte und nie etwas anderes machen wollte und als Charakter, der auf einer Mission war, dem Musikbusiness so gut es ging den Mittelfinger entgegenzustrecken und dabei trotzdem gut zu verdienen. Dabei schreckte er auch nicht vor dubiosen Deals zurück, indem er beispielsweise Beats aus der „Special Herbs“-Serie mehrfach und damit wenig exklusiv verkaufte. Weggefährt*innen beschreiben ihn im Buch trotzdem immer wieder als angenehmen Typen, der aber immer auch sehr auf das Business und strengstens auf seine Privatspähre bedacht war. So auch Will Skeaping, der in den späten 2000er-Jahren beim Londoner Label Lex Records arbeitete, wo Dumile unter dem Projektnamen DOOM 2009 sein letztes Soloalbum „Born Like This“ veröffentlichte.

London ist generell ein wichtiger Ort in der Biographie Dumiles. Dort wurde er 1971 geboren, auf einem Heimatbesuch seiner Mutter beim englischen Teil ihrer Familie. Heimisch war sie mit ihrem Mann in Long Beach, New York, doch Daniel Dumile bekam nach der Geburt einen britischen Pass ausgestellt und wurde nie zum US-Bürger. Er wuchs in Long Beach auf und wirbelte dort mit einem seiner Brüder, Dingilizwe, später bekannt als Subroc, durch die Nachbarschaft. Beide interessierten sich spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre für HipHop und wurden selbst als MCs und Produzenten aktiv. Noch bevor sie als KMD ihr erstes Album „Mr. Hood“ (1991, Elektra) veröffentlichten, war Daniel Dumile auf dem Song „The Gas Face“ (1989, Def Jam), von 3rd Bass zu hören, die die beiden Dumiles früh unter ihre Fittiche nahmen.

Bis zu ihren ersten Touren entsagten die Dumile-Brüder – gläubige Muslime – jeglichen Drogen. Doch unterwegs wurde viel gekifft, getrunken und alle möglichen Dinge ausprobiert. Nicht nur wurde hier MF DOOMs Vorliebe für Bier und Grey Goose Vodka gefestigt, es munkelt in der Biographie auch, dass Drogenkonsum etwas mit dem frühen tragischen Tod Subrocs zu tun hatte. Mit 19 Jahren verunglückte der DJ und Produzent auf einer Brooklyner Schnellstraße. Er erlebte nicht mehr, dass KMDs zweites Album von Elektra wegen einer Kontroverse über das Coverartwork abgesägt wurde. In diesem Jahr, 1993, beginnt auch die Backstory des Supvervillain.

Die Biographie beleuchtet diesen dunkleren Jahre in Dumiles Geschichte so gut es geht. Freund*innen und Bekannte, die ihm eine Unterkunft boten, berichten. Er pendelte in dieser Zeit zwischen New York und Washington D.C. und vertickte Drogen; 1998 landete er sogar kurz im Gefängnis, wo die Geschichte des Supervillain hätte enden können bevor sie überhaupt richtig los ging, wenn man nicht festgestellt hätte, dass das Kilo Crack, das man in einer Tasche im Bus gefunden hatte, nicht ihm gehörte.

Wir halten die Backstory fest: wir haben es mit einem aufstrebenden Rapper zu tun, der seinen Bruder verlor, von seinem Label rausgeworfen wurde und durch die Gegend driftete. Sie beschreibt aber auch, wie Weggefährt*innen ihm aus der Patsche halfen. Schließlich war Dumile kein Unbekannter in der New Yorker Indie-Rapszene.

Adrian Bartos, eine Hälfte der Radiosendung „The Stretch Armstrong and Bobbito Show“ gewährte Dumile Unterschlupf in seinem New Yorker Apartment – und Zugang zu seiner Plattensammlung. Hier sampelte Dumile einige Parts für Tracks, die später auf dem ersten MF DOOM Album „Operation: Doomsday“ (1999, Fondle ‚Em) erschienen. Robert „Bobbito“ Garcia, Gründer von Fondle ‚Em Records, sah in Dumile ein rares Talent, das mit den gängigen Regeln des 90er-Rap brach: Die Produktion der Tracks war sloppy und lo-fi, die Samples kamen aus schmierigen 80er-Soul-Pop-Songs, aus Fernsehserien, aus Cartoons und aus anderen Rap-Songs. Die Persona, die Dumile, angelehnt an den Comic-Villain Dr. Doom entwickelte, widersprach der gängigen öffentlichkeitswirksamen Inszenierung all der anderen shiny rappers. Zudem fiel dieser erzählerische Zugang auch auf fruchtbaren Boden, den spätestens der Wu-Tang Clan mit seinen unterschiedlichen Identitäten und der Shaolin-Saga in den 90ern als alternativen Weg zum durch kommerzialisierten Mainstream-Rap bereiteten.

Fernandos Buch gelingt hier eine panoramahafte und kontextualisierende Einbettung von Dumiles Arbeit in die jeweiligen musikalischen und inhaltlichen Strömungen des Genres. Der Autor zeigt sehr überzeugend auf, wie Dumile eigentlich gegen jede Regel verstieß, die im Rap vermeintlich erfolgversprechend waren. In unzähligen Gesprächen schält er Facetten Dumiles heraus und fügt Puzzleteile zusammen, die ein irgendwo plausibles Bild des Menschen hinter der Maske entstehen lassen. Dabei überschreitet der Autor aber keineswegs die mystischen Linien der verborgenen Informationen. Das würde vermutlich auch dem Image widersprechen, das Dumile sich über die Jahre auch als talentierter Selbstvermarkter aufgebaut hat. Vor allem feiert das Buch Dumile als ziemlich genialen Reimer, als your favorite MC’s favorite MC und als autodidaktischen, nerdigen und detailverliebten Bastler.

Es beschriebt ihn auch als jemanden, der immer ein Drifter blieb – einerseits gezwungenermaßen, andererseits aus freien Stücken. Allerdings war es der Zwang, der Dumile 2010 zu einem recht entscheidenden Schritt führte. Nach seiner Tour, nach dem Maskenlupfer in Zürich und wenigen anderen Konzerten in der EU strandete Dumile in London. Auf der Rückreise und bei der Ankunft in den USA wurde ihm die Einreise verweigert (Cash und die Maske in der Tasche haben sicher nicht geholfen), war er doch als britischer Staatsbürger immer nur mit einem Touristenvisum in die USA zurückgekehrt. Somit kehrte er nach London zurück und baute sich dort eine neue Existenz auf. Will Skeaping half Dumile dabei. Mit der Zeit gelang es Dumile, seine Familie nachzuholen und letztlich wurden sie bei Leeds wohnhaft, weg von der großen Metropole, in der man sich vielleicht nicht ganz unbehelligt bewegen konnte, als Mensch im Musikgeschäft.

Wer diese Buchbesprechung liest, mag vermutlich MF DOOM oder ist zumindest neugierig auf diesen character. In „The Chroicles of DOOM“ kann man viel lernen über die vielen Kollaborationen Dumiles, über sein manchmal shady Geschäftsgebaren, über seine Kreativität, über den Erfolgsbogen, der vom ersten Album über „MM…FOOD“ (2004, Rhymesayers), über das absolut legendäre „Madvillainy“ (2004, Stones Throw) bis hin zu „Born Like This“ und die Veröffentlichungen seiner Alter Egos Victor Vaughn oder King Geedorah verlief und womit diesem Künstler nicht weniger gelang, als über ein Jahrzehnt lang einem Genre seinen Stempel aufzudrücken. Das schafft Dumile auch aus einem konsequenten Independent-Ethos heraus, der die größtmögliche Kontrolle über die eigene Arbeit beansprucht. All dies zu beobachten macht eine sehr spannende Lektüre aus. Auch unrühmliche Episoden werden hier nicht ausgespart.

Dann sind da aber auch diese Momente der Traurigkeit: der Verlust seines Bruders, der frühe Tod seines Sohnes, sein eigenes plötzliches Ableben. Diese Traurigkeit hört man teilweise schon auf „Doomsday“: „On Doomsday, ever since the womb / ‚Til I’m back where my brother went, that’s what my tomb will say / Right above my government; Dumile / Either unmarked or engraved; hey, who’s to say?“ Gerast mit der unverwechselbaren texturalen Gewieftheit Dumiles.

Am 31. Oktober starb Daniel Dumile Jr. in einem Krankenhaus in Leeds an den Folgen einer seltenen Nebenwirkung eines Blutdruckmedikaments. Erst zu Neujahr 2021 postete seine Frau Jasmine auf Instagram die Nachricht. Kurz, ganz kurz dachten sich Fans vielleicht, es sei ein neuer Plot des Villain. Allerletzte Gewissheit brachte unter anderem eine Klage, die seine Frau gegen das Krankenhaus stellte, wegen negligence. Was diese Biographie bringt, ist eine gewisse Form der closure. Ja, Daniel Dumile Jr. hat viel schlechtes erlebt. Aber er hat auch viel gutes geschaffen. Und man kann wahrscheinlich sagen er hat das Leben trotz der bleibenden Verluste in vollen Zügen gelebt. In einem Interview für Ediction UK sagte DOOM zu einer Sache, die niemand über ihn wisse: „I love life.“

Lasst uns also dieses Buch lesen, etwas zur Ruhe kommen und die Erinnerung an diesen Typen wachhalten. „Do you!“ habe ihm ein weiser Mensch einmal gesagt, so lernen wir es im Buch. „Do you!“ als ernst gemeintes Lebensmotto, wonach man sich nicht verbiegen soll. Ob Dumile das immer konsequent geschafft hat, werden wir niemals genau wissen können und das ist auch gut so. Eine Abwandlung davon, dieses „It’s really me!“ jedenfalls, 2010 in Zürich, ist eine Erinnerung, die dem Autoren dieses Textes immer nah am Herzen bleiben wird.

„The Chronicles of DOOM: Unravelling Rap’s Masked Iconoclast“ von S. H. Fernando Jr. ist bei Faber&Faber erschienen (2024, 352 Seiten, Hardcover, Preis €32,50, ISBN 978-0-571-39212-4). Die deutsche Übersetzung erscheint am 01.03.2025 bei Halvmall.

 

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