Talkshow

„Nicer Laden, trotz der ganzen Bücher” – Die Otherland-Buchhandlung

16. Januar 2024,

Die Otherland-Buchhandlung in Berlin-Kreuzberg bildet seit 25 Jahren eine praktisch-utopische Gemeinschaft. Buchladen, das klingt für die meisten unsexy. Cottagecore hin, Dark Academia her, trotz Nischentrends stellt man sich 2023 unter einem popkulturellen Ort etwas Anderes vor. Warum soll eine Abwurfstelle für Druckwerke ein geiler Ort sein? Und wer liest überhaupt noch auf totem Baum? Jasper Nicolaisen hat einem der Betreiber von Otherland drängende Fragen gestellt.

Es ist, wie es ist: Jammert der Boomer-Chor nicht seit Jahren einhellig, die Kids würden nicht mehr zum guten Schnarchbuch greifen, sondern vor den Flimmerkisten und Daddelautomaten verblöden? Doch ganz unwichtig sind aber Geschichten auch für uns hippen jungen Leute unter 50 nicht. Neben heißer Theorie und den neusten Memoiren verdienter Popgötter brauchen wir doch auch Ausgedachtes, Erfundenes und schlichtweg Besseres als die reale Welt. Die Buchhandlung Otherland ist seit Jahrzehnten mehr als eine Lesehalle mit angehängtem Verkaufstresen. Hier entsteht rund um Nerdiges, Abseitiges und Verspultes eine Interessensgemeinschaft aus freundlichen Metalern, Rollenspieler*innen, alteingesessenen Heftromanfreaks und hippen queeren SF-Connaisseuren. Mitbetreiber Wolf stand uns Rede und Antwort.

Liebes Otherland, wie würdet ihr jemandem, der euch nicht kennt, beschreiben, wer oder was das Otherland ist?
Das Otherland ist ein Buchladen, der auf Science Fiction, Horror und Fantasy auf Deutsch und Englisch spezialisiert ist. Dazu passen haben wir auch eine kleine Comic-, RPG- und Wissenschaftsabteilung. Was uns besonders macht ist unsere Beratungsfähigkeit durch die Liebe zum Genre – wir lieben unsere Bücher und jeder aus dem Otherland-Team kennt einen Großteil der Bücher aus unserem Bestand und wir sprechen auch untereinander viel über Neuheiten und Klassiker. Darüber hinaus schaffen wir mit Plauder-Runden, BookClubs und Lesung für ein Gemeinschafts-Otherlandgefühl, in dem sich jeder wohlfühlen soll. Wir machen das Otherland, weil irre Spaß dabei haben und jedes mal traurig sind, wenn Feierabend ist.

Wie viele Menschen seid ihr? Wie seid ihr zum Laden gekommen und wie sieht euer Alltag aus?
Aktuell sind wir neun Otherlanders – davon sind 3 GbR-Inhaber, wir sehen uns aber als Kollektiv mit flachen Hierarchien und unterschiedlichen Spezialgebieten. Der Laden wurde vor 25 Jahren von Hannes Riffel und Birgit Will in Berlin unter dem Namen UFO gegründet – sie kamen vom UFO-Buchladen aus Freiburg. Vor etwa 10 Jahren haben Hannes und Birgit, dann wegen zu vielen anderen Jobs (allein vom Buchladen kann man nicht leben) beschlossen, den inzwischen in Otherland umgetauften Buchladen an die drei Mitarbeiter Wolf, Jakob und Simon zu verkaufen. Unser Alltag ist eigentlich recht unspektakulär und besteht größtenteils aus Bücher aufräumen, sortieren, rumräumen, umräumen, kontrollieren, bestellen, auspacken, einräumen, ausräumen, verschicken, einpacken… und eben aus dem Verkauf und der Beratung im Laden. Die Kundengespräche sind dann immer die Highlights und nicht selten kommen sowohl die Kunden als auch wie mit neuen Tipps aus den Gesprächen raus.

Überall ist von der Print-Krise die Rede, von der Krise des Lesens, des Buchmarkts. Seht ihr die Lage auch so schwierig? Was ist da los?
Die “Print-Krise” ist eine Folge der steigenden Mediendiversivität und der geänderten Freizeitaktivitäten – das gedruckte Buch konkurriert inzwischen in der jeweils individuell vorhandenen Lesezeit mit dem eBook und dem Hörbuch und insgesamt in der vorhandenen Freizeit mit Serien, Social Media und sonstigen Aktivitäten, die es teilweise vor zehn oder zwanzig Jahren noch gar nicht gab. Und in vielen Buchladengesprächen hören wir, dass die Leute zunehmend Schwierigkeiten haben, sich auf lange Texte zu konzentrieren. ABER, wenn auch sicherlich wenige, auch ganz bewusst wieder gedruckte Bücher lesen wollen, um diese Schwierigkeiten zu überwinden und von den flackernden Bildschirmen wegzukommen. Aber ja, insgesamt ist es schon schwierig – die Buchpreise steigen, die kleinen Verlage gehen zunehmend ein, weil sie nicht genug Gewinne machen und die großen Verlage geraden auch unter Druck und veröffentlichen in den Randbereichen wie Science Fiction, Horror und Fantasy weniger. Zusätzlich ziehen die großen Online-Händler immer mehr Leseanteile mit ihren exklusiven Publishing-Plattformen auf sich. Unter Strich wird es damit für kleine, unabhängige Buchläden wie uns immer schwieriger ein diverses, konkurrenzfähiges Angebot aufrecht zu erhalten, das sich unterm Strich noch lohnt und nicht nur aus Selbstausbeutung besteht. Wir machen uns viele Gedanken über ein zukunftsfähiges Buchladenkonzept, das in diesem Spannungsfeld überlebensfähig ist und uns und unseren Kunden trotzdem noch Spaß macht.

Dem Otherland geht es 25 Jahre mehr oder weniger gut. Was funktioniert bei euch? Was hat sich bewährt?
Wir vermuten das ist ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren deren Fundament das begeisterte Engagement und auch die Genre-Empfehlungsfachkenntnis aller Leute ist, die im Otherland arbeiten und gearbeitet haben. Wir hören ständig nach einer Beratung an der Kasse, dass Kund*innen gar nicht so viele Bücher kaufen wollten 🙂 Aber das allein reicht natürlich nicht. Unser Newsletter (abonnierbar über unsere Website otherland-berlin.de) und unsere Arbeit auf social media sowie die Veranstaltungen aus Lesungen und Plaudertreffen sowie BuchClubs tragen erheblich dazu bei und bekannt zu machen. Und letztendlich spielt auch Kund*innentreue eine wichtige Rolle- ich vermute dass jedes Wesen, dass mal im Otherland war und Bücher gekauft hat, es sich in Zukunft doch überlegt, ob es seinen Lesestoff bei einem großen Onlinehändler oder bei dieser genialen kleinen, unabhängigen Buchhandlung in Kreuzberg bestellt. Wir haben Kund*innen, die wirklich seit 25 Jahren bei uns Bücher kaufen.

Welche Rolle spielt Community für euch? Wer gruppiert sich um den Laden und was finden die Leute bei euch?
Community ist neben dem Otherlander-Team-Kern unser Sonnensystem. Es gibt zahllose Satelliten, die mal mehr mal weniger eng um das Otherland kreisen und mit ihrer Arbeit oder einfach nur Anwesenheit dazu beitragen, dass das Otherland das ist, was es heute ist. David, der unsere aktuelle Datenbank für einen für seine Verhältnisse lächerlichen Stundenlohn programmiert hat, Janik, der uns unsere Website schenkte (und betreut) – die Liste ist lang. Bei der 25-Jahrfeier haben wir mal alle Namen, die uns eingefallen sind auf ein Papierband geschrieben und im Otherland aufgehängt – das wurde ein langes Band und ich hoffe alle, die ich hier grade nicht nenne wissen, wie sehr wir ihre Beiträge schätzen. das geht ja bis hin zu den Autoren, die kostenlos bei uns lesen, damit wir die Veranstaltungen kostenlos anbieten können. Was all die Leute dabei verbindet, ist die Liebe zum Genre, den Büchern und zur Idee des Otherlands.

Könnt ihr selbst vom Laden leben? Habt ihr noch andere Jobs? Müsst ihr viel Arbeit drauflegen, um das Leben rund um den Laden lebendig zu halten?
Teils, teils: wir drei “Inhaber” haben Jobs nebenher und könnten allein vom Otherland nicht leben. Zwei unserer Mitarbeiter*innen haben aktuell Festanstellungen (worauf wir schon ziemlich stolz sind) und der Rest Minijobs. Wäre man nur zu zweit, könnte man eventuell vom Otherland leben, aber dann wäre es für jeden der beiden ein 80 Stundenwochenpensum. Es ist schon sauviel Arbeit über den Verkauf im Laden selbst: bestellen, verdaten, Regale ordnen, Archiv/Regale managen, Finanzen in Ordnung halten, social media und und und …

Corona hat im Kulturbereich viel Schaden angerichtet. Wie ist euch während der Pandemie ergangen bzw wie seid ihr damit umgegangen?
Da hatten wir mit Berlin und dem damaligen Kultursenator Lederer Glück: Buchhandlungen in Berlin durften durchgehend aufbleiben. Zitat Lederer: “Buchhandlungen sind geistige Tankstellen” (in Anlehnung daran, dass Tankstellen ja auch aufbleiben durften). Das war, vor allem im ersten Lockdown, ziemlich komisch und natürlich brachte uns das keine Kunden aber wir haben per Rad Bücher ausgefahren und vor Haustüren gelegt und natürlich unsere Überraschungspakete wie irre verschickt. Die Leute haben es geliebt, uns einfach ihre Lieblingsbücher zu nennen und einen Maximalpreis des Pakets/Anzahl der Bücher und irgendwann kam ein Paket vom Otherland. Unsere Trefferzahl war und ist dabei sehr hoch. Mehrere Hundert Ü-Pakete sind seitdem raus und insgesamt mussten wir vielleicht drei Bücher umtauschen. Also ja, das war ‘ne komische Zeit, aber wir sind gut durchgekommen. Auch die Finanzierung durch den Kultur-Neustart hat sehr geholfen.

Berlin und auch Kreuzberg, wo ihr beheimatet seid, kämpft seit vielen Jahren mit Verdrängung und Gentrifizierung. Beeinflusst das eure Arbeit?
Puh, jein – wir kriegen das natürlich mit, in 25 Jahren hat sich der Kiez rund um das Otherland schon drastisch verändert. Gewachsene Strukturen wie kleine Läden werden zunehmend durch (teure) Restaurant ersetzt. Auch spielt der Tourismus eine immer größere Rolle – vor allem im Sommer erreichen wir Umsätze wie an Weihnachten. Letztendlich kann das Otherland in dieser Umgebung aber nur existieren, weil unser Vermieter eine unheimlich faire Mietpolitik betreibt – dafür und wir sehr dankbar.

Die Nerd-Kultur erlebt seit Jahren politische Auseinandersetzungen, zum Beispiel um Repräsentation von Minderheiten oder Feminismus. Zeigt sich das bei euch? Ist das Otherland im weitesten Sinn ein politischer Ort?
Ja, natürlich und gleichzeitig nein, gar nicht. Aktuelle politische Diskussionen versuche wir aus dem Laden rauszuhalten – das führt zu keinem Ergebnis, Aber natürlich geht es, vor allem, wenn es um Zukunft und Science Fiction geht um hochpolitische Themen: wie wollen wir in Zukunft leben? Was bringt uns KI, Gen-und Nanotech, welche Gesellschaftsmodelle können wir uns vorstellen? Minderheiten, Feminismus, Rollenverständnis der Geschlechter sind prinzipiell originäre SF-Themen – wo, wenn nicht in Zukunftsentwürfen können und sollen wir uns darüber Gedanken machen. Russ, Tiptree, LeGuin und Atwood, Kim Stanley Robinson, Aiki Mira, Ian Banks oder Theresa Hannig sind Autor*innen, die unseren Blick auf eine mögliche Zukunft beeinflussen können. Sieht man Politik als das verhandeln der Art und Weise, wie Menschen miteinander Leben wollen, dann ist die Science Fiction eine hochpolitische Literaturgattung. Die Fantasy tut sich da noch ein bisschen schwer damit, bietet langsam aber auch alternative Denkräume außerhalb von Eskapismus.

Eure Highlights aus 25 Jahren? Was ist die tollste, lustigste Erinnerung?
Uff, was für eine schwierige Frage – es passiert jeden Tag im Otherland so unfassbar viel, jedes Beratungsgespräch ist eine kleine literarische Explosion, jede Neuerscheinung ein Fest. Lustig war als nach Ladenschluss Patrick Rothfuss aus Amerika anrief, weil ich ein Buch von ihm vor Erscheinungsdatum ausgelegt und auf social media gepostet hatte. Nachdem wir das geklärt haben, plauderten wir noch ein bisschen. Ah, ja und der Typ, der nach Ladenschluss den Stormtrooper-Papaufsteller gekauft hat: klopfte, leicht, angetrunken an die Scheibe und nachdem ich die Tür aufgemacht hab meinte er, ob er den Trooper kaufen könnte… er hätte Stress mit seiner Freundin und wolle nicht Nachhause gehen und ihr allein gegenüber treten. Ist dann mit dem Stormtrooper unter Arm weggewankt. Oder die junge Frau, die mit einer Großfamilie reingespült wurde, die alle außer ihr voll auf Bücher standen und begeistert durch das Otherland trieben, während sie genervt vor der Kasse stand und “ready to go” ausgestrahlt hat. Zitat: “Nicht schon wieder Bücher”. Da hab ich meinen besten House-Mix abgespielt und sie hat langsam ihre Kopfhörer abgenommen und zuerst nur mit den Zehen gewippt, dann recht entspannt gedanced. Nach dem jedes Familienmitglied Bücher gekauft hatte und sich die Schnatterfamilienwolke durch den Ausgang bewegte, hörte ich sie dann zu ihrer Mutter sagen: “Nicer Laden, trotz der ganzen Bücher.” Das steht jetzt auch auf unseren Kassenzetteln unten drauf. Aber ganze ehrlich: jeder Tag im Otherland ist ein toller, lustiger Tag und wenn dann noch eine Kollegin oder ein Kollege dabei ist, bin ich immer fast traurig, wenn der Feierabend da ist.

Interview: Jasper Nicolaisen
Fotos: Otherland

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