Kino

“Poor Things” – Girlboss-Feminismus meets Männerphantasien

Poor Things ist ein Film, der über weibliche Emanzipation nachdenkt und doch nur Misogynie reproduziert. Ein feministischer Einwand von Julia Pustet.

Die bessere Barbie, der beste Film, der je über das Patriarchat gedreht wurde, ach, eigentlich der beste Film der Welt: Große Versprechen trieben mich ins Kino, wo mich die atemberaubende Adoleszenz der Bella Baxter zugegeben gut amüsierte. Den ganz großen feministischen Wurf konnte ich darin nicht erkennen, schon weil das ganze Spektakel zu didaktisch und bombastisch daherkam, um mich wirklich zu berühren oder gar zu empowern. Die Darstellung der verschiedenen Formen des männlichen Versuchs, die Frau und das Weibliche einzuhegen, fand ich überzeugend dargestellt, die Darstellung der Prostitution weder moralisierend noch verklärend, Emma Stone ohnehin großartig, gemeinen Männern beim Scheitern zuzusehen machte mir Spaß, die durchgehend dissonante Musik war fantastisch und das Popcorn schmeckte.

Die Irritation kam erst im Nachhinein. Mir fiel auf, dass die Figur der Bella in mir Unsicherheit und Unzufriedenheit ausgelöst hatte, die andere schöne, starke und kluge Frauenfiguren in mir nicht auslösen. Besonders die Sexszenen erzeugten im Nachhinein Unwohlsein und schienen mir, anders als vielen Fans des Films, nicht viel Glaubhaftes über weibliche Lust zu erzählen. Ich las immer wieder, der Film würde weibliche Emanzipation, Lust und Energie erzählen wie kein anderer, und verstand die Irritation nicht, die durch derartige Erzählungen in mir entstand. Es dauerte eine Weile, bis mir auffiel, dass der Film weibliche Emanzipation im Grunde auf eine konventionell patriarchale Weise erzählt. Dass Poor Things im Grunde misogyne Ideen über das Weibliche reproduziert. Und dass Poor Things ein Film ist, der konsequent – und mit viel Erotik und Klamauk – Missbrauch zeigt, ohne diesen auch als solchen zu erzählen.

Die Kindsfrau: ein Kind, keine Frau

In vielen Rezensionen von Poor Things wurde über Bella geschrieben, als sei sie eine Frau. Sehr lange geht es im Film jedoch eigentlich um ein Kind, das nur im Körper einer Frau lebt. Ein Kind, das in verschiedensten Konstellationen und auf verschiedenste Arten Missbrauch durch Männer erfährt. Das Kind wird brutal geschaffen und dann als Experiment gehalten, als Objekt behandelt und sexuell missbraucht, es befindet sich in durchweg asymmetrischen Machtbeziehungen. Bellas Lust ist keine erwachsene, sondern die eines Kindes. Die kindliche Bella ist nicht zu informiertem Konsens in der Lage, und der Film entscheidet sich dagegen, dieses Problem (jenseits von zwinkernden Denkzetteln für die beteiligten Männer) wirklich als solches zu behandeln. In Bella scheint es keinerlei Spuren oder Verletzungen zu hinterlassen, dass sie ihre Sexualität nicht in einem geschützten Rahmen entdecken kann, sondern ihre Lust von Beginn an von Männern ausgenutzt wird. Das Problem wird gelöst, indem Bella einfach als weitestgehend gefühlloses Wesen gezeichnet wird, das sich nur von der Kunst und der Betrachtung der Welt wirklich berühren lässt. Sie hegt zu Menschen keine wirklichen Gefühle jenseits der Lust, lässt sexuell fast alles über sich ergehen – und dieses Fehlen von Grenzen, ihre Missbrauchbarkeit also, romantisiert der Film auf erotische und klamaukige Weise zum Motor ihrer Befreiung von äußeren Zwängen.

Unreife Emanzipation

Begreift man menschliche Reife auch als Fähigkeit, sich in bedeutungsvolle und solidarische Beziehungen zu setzen, so kann man Bellas Emanzipation nicht als Ausdruck menschlicher Reife bezeichnen. Zwar beginnt sie ab einem gewissen Punkt, philosophische Texte zu lesen, emotional scheint sie sich jedoch nicht im selben Maße weiterzuentwickeln. Komplizinnen- und Freundinnenschaften zu anderen Frauen werden nur angerissen und bleiben oberflächlich. Von den Männern, die sie zähmen und besitzen wollen, wendet sie sich vor allem deshalb ab, weil ihre Aufmerksamkeit sich auf etwas anderes heftet. Aufgrund ihrer rasenden Entwicklung kennt sie relativ lange weder Grenzen noch Konventionen. Sicherlich hat diese Darstellung auch ihre karikierenden, ihre erkenntnisbringenden Momente: So wird durch ihre Unkenntnis aller Konventionen deutlich, was alles in den Bereich der Konvention fällt, darunter etwa die Loyalität zu einem besitzergreifenden Mann. Trotzdem stellt sich die Frage, wie viel Respekt wir einer Selbstbehauptung zollen, deren Motor im Wesentlichen Unwissenheit und Egoismus sind. Bellas Revolte fügt sich weiterhin perfekt in neoliberale Konzeptionen vom freien und starken Individuum ein: In Beziehungen sucht sie vor allem Lustgewinn, ihre Emanzipation besteht wesentlich in der Freiheit von Bindung. Der Fokus des Films liegt entsprechend klar auf den Sexszenen statt auf Szenen der Freundschaft und Annäherung. Auch zu ihrer sozialistischen Freundin baut Bella keine glaubhafte Beziehung auf, der Sozialismus und ihr Mitleid mit den Armen werden eher zum Identitätsattribut denn zum Gegenstand eines Kampfes. Die auch aus marxistischer Sicht haarsträubende Bemerkung, sie sei als Prostituierte ihr eigenes Produktionsmittel, stellt die Tatsache, dass sie im Bordell sexuell aufs Übelste ausgebeutet wird, in ein unangenehm un-utopisches Licht.

Make feminism fuckable again

Filmisch unterliegen Bellas Lust und Sexualität klar dem Male Gaze, ihr Verhalten in den Sexszenen unterscheidet sich stellenweise kaum von dem von Frauen in Pornos. Sie erlebt sexuelle Extase bei Praktiken, von denen vor allem Männer denken, sie seien für Frauen erregend, ihr Körper ist dabei erotisch in Szene gesetzt. Bella benimmt sich beim Sex, anders als in den anderen Szenen, nicht komplett, sondern nur geringfügig merkwürdig, zeigt keine Ambivalenzen, keine Unlust, keine wirkliche Experimentierfreude. Der Film zeigt weibliche Lust und Sex, wie Männer sie sich erträumen, Themen wie Menstruation oder Schwangerschaft werden großzügig ausgelassen. Und obwohl das, was auf der Leinwand der Handlung nach passiert – Objektifizierung, Missbrauch, Armutsprostitution – eigentlich so verstörend ist, löst der Film im Ganzen wenig echte Irritation aus, ist jede Szene irgendwie ganz gut verträglich. Die Inszenierung bleibt in jedem Moment im Rahmen des Verdaulichen. Würde sie sich Bella in den Sexszenen so kindlich und verschroben verhalten wie in den anderen Szenen (oder gar echte Gefühle zeigen), würde der Film schließlich massives Unwohlsein auslösen und müsste sich in der Folge mit dem Thema des Missbrauchs auseinandersetzen. Letzteres würde dessen auf Konsumierbarkeit angelegten Steampunkglam-Konzept jedoch zuwiderlaufen.

Girlboss Bella

Verschiedene Spielarten patriarchaler Unterwerfung werden in Poor Things durch verschiedene Charakteren dargestellt: Da gibt es den mächtigen Mann, der sich eine Kindsfrau schafft, das wie ein Haustier bei ihm lebt. Es gibt den eigentlich moralisch integren Softboy, der sich in die Frau mit dem Gehirn eines Kindes verliebt – die also die perfekte Projektionsfläche für seine regressiven Weiblichkeitsvorstellungen abgibt –, dessen moralische Prinzipien jedoch bei einer Frau, die er nicht begehrt, recht schnell aufzuweichen scheinen. Es gibt den egozentrischen Mann, der sie nur als Sexobjekt betrachtet und die narzisstische Kränkung über ihre Zurückweisung nicht erträgt. Es gibt den kriegerischen Mann, der sie einsperrt und genital verstümmeln will, um ihre „Hysterie” genannte Lust einzuhegen. Es gibt den Zyniker, der ihr die Welt erklären will. Die Frauen im Film indes haben wenig Einfluss auf die Handlung, sie sind eher Stichwortgeberinnen, die Frau mit dem größten Einfluss auf die Handlung ist die Zuhälterin. Und anders als die Männer, denen der Film alle möglichen Arten des moralischen Verottetseins zugesteht, handelt diese nicht aus genuin bösen Motiven, sondern nur aus einer eigenen Not: sie muss mit ihren Einnahmen ein Kind versorgen. Die meisten Frauen im Film haben also viele noble Eigenschaften, sind belesen, lustvoll, stark und klug. Komplex sind sie aber nicht. Poor Things erscheint mir deshalb nicht als Film über Frauen, sondern vielmehr als ein Film darüber, wie Männer sich Frauen vorstellen. Bella bewegt sich bis zum Ende in einem Rahmen, den Männer abgesteckt haben. Sie schlägt schließlich die Laufbahn ihres Schöpfers ein, hat eine glänzende Karriere vor sich, solidarisiert sich nicht mit der geknechteten Frau, die dasselbe Schicksal erleidet wie sie. Ihre Emanzipation ist am Ende die einer Potenzfeministin. Bella ist ein Girlboss.

Die Sehnsucht, ein feministischer Film möge uns erlösen

Die Rezeption von Poor Things verhakt sich an mehreren Fragen: Wann ist es als fortschrittlich oder feministisch zu werten, wenn in einem Film etwas gut dargestellt ist, wie im Falle von Poor Things das Patriarchat? Und wann ist diese Darstellung einfach nur affirmativ? Und kann der Film durch seine sehr männergerechte Darstellung von Sexualität auch die falschen Menschen „empowern”, nämlich Männer?

Ja, Poor Things hat ein paar patriarchale Charaktertypen gut eingefangen. Dabei bestätigt er aber vor allem ganz viele Dinge, die wir eh schon wussten und bedient sich dabei des weiblichen Körpers auf dieselbe Art wie jeder andere Blockbuster auch. Die Figur der Bella Baxter eignet sich kaum als Vorbild oder Inspiration und reproduziert in manchen Aspekten genau die misogynen Weiblichkeitsvorstellungen, die die Figur eigentlich dekonstruieren soll. Alle bösen Männerfiguren sind indes so abgründig konstruiert, dass kein Mann, der sich selbst für einen von den guten hält, davon wirklich unangenehm berührt sein wird. Bei vielen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hat der Film ein unangenehmes Gefühl hinterlassen. Und jeder Mann kann den Film mit dem guten Gefühl verlassen, dass er es mit Bella anders gemacht hätte. Dass er er sie trotzdem begehrenswert findet, dafür sorgt der Film jedoch zur Genüge. Und zuletzt waren auch von Produktionsseiten vor allem Männer an Poor Things beteiligt – auch da erfindet der Film das Rad nicht neu.

Julia Pustet

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