Danielle de Picciotto & Friends in Conversation

Einmalig und unendlich wertvoll: Betty Stürmer

Betty Stürmer (Photo: Pico Risto)

Es ist erstaunlich, dass die Kunstrichtung “Berliner Clubkultur“ der 90er Jahre nach wie vor in der akademischen, historischen Kunstgeschichte nicht angekommen ist. Sie wurde stets entweder ignoriert, oder als Popkultur/ Unterhaltungskunst belächelt. Ob sie jemals als Zeitphänomen, wie zum Beispiel die “Jungen Wilden”, ernst genommen werden wird ist fraglich.

Die Tatsache, dass jene Künstler:innen sich genau zu dem Zeitpunkt des Mauerfalls, der Technologischen Revolution, des Auftauchens des Worldwide Webs und vielem mehr mit diesen neuen Themen auseinandersetzten und experimentierten, war bahnbrechend. Ihre Werke dann in den neuen Techno Clubs oder anderen Underground Veranstaltungsorten auszustellen, anstatt in etablierten Galerien, war natürlich gut überlegt und gewollt. Die Ansicht, dass damalige Galerist:innen den Anschluss verpasst und keine Ahnung von dem hatten, was der neuen Generation wichtig erschien, war allgegenwärtig.

Vielleicht war auch das damals häufig benützte Medium des Projizierens eine zu flüchtige Kunstform. Künstler:innengruppen, die jahrelang damit beschäftigt waren Clubräume von innen und außen in abstrakte, farbenprächtige Phantasiewelten zu verwandeln, verschwanden mit der Gentrifizierung des Undergrounds völlig, anstatt von der Kunstwelt entdeckt und angenommen zu werden. Die Tatsache, dass Musik eine wichtige Rolle in dieser Szene spielte, trug eventuell auch dazu bei, dass diese Kunstform als Zwitterwesen betrachtet wurde. Viele Kunststile wie zum Beispiel der Pop Surrealismus, Graffiti, Illustration oder Comics werden in Deutschland nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Die Künstler:innen dieser Szene, anderswo auf der ganzen Welt, als Superstars gefeiert, bekommen in Deutschland in der strengen Riege der Akademie keine Plattform. Das ist wohl der Grund weswegen die meisten Clubkünstler :innen der 90er sich anderen Kunstformen zugewandt haben.

Es gab allerdings eine Künstlerin, die das akademische Potential dieser Zeit und die Vermischung von Musik und Kunst sofort begriff. Betty Stürmer arbeitete 1988 schon mit etablierten Galerien und stellte dort beeindruckende Objekte aus: Haushaltsartikel und Möbel aus Holz, ausgeführt in riesigen Größen. Sie hatte eine Ausbildung als Großhandelskauffrau absolviert und ein kaufmännisches Abitur, aber ihr feiner Sinn für konzeptionelle Kunst war sehr ausgeprägt und ihre intellektuellen Ausführungen und Erklärungen zu den Objekten beeindruckend.

Photo: Karin Dammers

Umso erstaunlicher war es, wie sie sich 1990 sofort mit der Clubkunst identifizierte. Die mit dieser neuen Kultur assoziierten Gegenstände, faszinierten sie und sie fing sofort an sie unter Einsatz ungewöhnlicher Materialien zu verfremden. Ihre erste Club Kunst Kollektion „Plüschkleider Serie” entstand 1994. Das war eine Reihe von Sportbekleidung aus Holz, inspiriert von der damaligen Mode, beklebt mit dem Plüsch, der im Underground oft zu Dekozwecken herangenommen wurde. Eine Kollektion von kleinen „DJ Ceramicos” entstand 1997, bei der Mischpulte aus Ton plötzlich zu indigen-anmutenden Totemobjekten mutierten. Zur gleichen Zeit entwarf sie lange Wandbilder aus Latex-Planen in, den damals in Technokreisen populären, Phosphorfarben, die im Dunklen leuchteten. Darauf abgebildet war in der Serie „Fashion News“ die neue Techno Mode, in der „Stretching“ Serie, „Positionen des neuen Yogatrends“ und in der Serie „Sleep- a dedication to high speed culture“ unterschiedliche Luxussymbole.

Traditionell definieren Totems die Rollen und Verantwortlichkeiten von Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Genau dies tat Betty mit Ihren Objekten. Sie beobachtete die neuen Trends und Entwicklungen der frühen 90er und verstand deren symbolische Bedeutung im sozialen Kontext des Undergrounds sofort und schaffte es sie, vielschichtig mit unterschiedlichsten Materialien, als lebende Relikte ihrer Zeit, zeitlos umzusetzen.

Betty Stürmer (Foto: Danielle de Picciotto)

Fotos: Karin Dammers

„DJ EVERYBODY- the democratic happening“

1996 entwickelte sie eine Performance, die ihre weitere Laufbahn maßgeblich beeinflussen würde. Sie erfand „DJ EVERYBODY- the democratic happening“ . Die Vorgeschichte davon war, dass ich von meinem damaligen Freund, DJ Motte (heute Dr. Motte) eine riesige Sammlung Platten geschenkt bekommen hatte. Ihm wurden von Plattenfirmen so viele Freiexemplare zugeschickt, dass er eine Auswahl getroffen hatte und den Rest loswerden wollte. Er schlug vor, dass ich sie verkaufen und damit Geld verdienen könne. Alle brauchten damals Geld. Betty hatte zu dem Zeitpunkt mit dem Auflegen begonnen und ich entschloss mich kurzerhand sie zu unterstützen und ihr die vollen Kisten zu schenken.

So war Berlin damals – alle unterstützten alle, man sass im selben Boot. Hocherfreut überlegte Betty wie sie aus diesem neuen Schatz eine Kunstperformance generieren könne und kam auf den Warhol´schen Gedanken, jedem seinen Celebrity Moment zu schenken. Im Gegensatz zum unsichtbaren Unterhaltungs-Discjockey der 80er entwickelten sich DJs zu der Zeit gerade zu Superstars. Betty entschied also ein Happening zu generieren, in dem jeder aus ihrer riesigen Plattensammlung Musik auflegen – und für 15 Minuten ein DJ sein konnte. Die ersten Happenings waren extrem erfolgreich und zogen ein großes Publikum an. Alle hatten Spaß und Betty genoss es Impresaria zu sein. Sie versank in die Welt der Musik. Vor allem von Funk, Hiphop und Reggae fühlte sie sich angesprochen, Musikrichtungen, die sich allerdings vom Techno stark unterscheiden.

Foto: Karin Dammers

1998 entstand ihre letzte große Club Art Serie „Objects Betty Party Lyrics”. Im Rahmen derer bestickte sie unterschiedliche genähte Objekte (grosse Kissen, wie sie es in Clubs, zum Rumlungern, bei Afterhour Partys gab) mit ihren Party-Texten, dem „Toasting“ Stil der jamaikanischen Reggae DJs nachempfunden.
Ende der 90er wendete sich Betty dann der klassischen Kunst zu und began sie zu “remixen”. So wie es in der Musik üblich ist, nahm sie ein schon vorhandenes, klassischs Bild, zerlegte es in einzelne Teile und mischte sie neu zusammen. So kopierte sie zum Beispel Matisse, Cezanne, Picasso oder William Turner, malte einzelne Teile Ihrer Bilder auf Pappe lebensgroß nach und stellte sie, frei kombiniert, als Installation auf. An diesen Installationen arbeitete sie unentwegt bis 2010.

Foto: Betty Stürmer

Betty operierte immer völlig unbeirrt. Ich kenne kaum eine Künstlerin, die so lange, so hingebungsvoll an ihrer Kunst arbeitete wie Betty Stürmer. Über Dekaden konnte man sie nachts mit ihren Plattenkisten antreffen, auf dem Weg zu einer „DJ Everybody“ Veranstaltung oder einer Reggaeparty. Sie stellte ständig überregional aus und wurde dazu Mutter von zwei Kindern. Ihre Objekte verwandelten sich, wohl aus Platzgründen, in Aquarelle, sie gab Malkurse, schrieb eine Memoir “Szenegirl” und organisierte Workshops über Kunst. Sie gab nie auf, obwohl das Leben als Künstlerin wahrlich nicht einfach ist und der Erfolg Ihrem Einsatz nicht gerecht kam. Ihr künstlerischer Beitrag, eine faszinierende, einmalige, geschichtsträchtige Zeit symbolisch und künstlerisch festzuhalten, ist aber einmalig und unendlich wertvoll.

Ich kann nur hoffen, dass ihre Kunst nicht vergessen, sondern endlich von der akademischen Welt entdeckt und wiederum gefeiert wird. In der Musikwelt werden Underground Musiker wie Lydia Lunch, Throbbing Gristle oder Einstürzende Neubauten gerade wegen ihrem trotzigen Widerstand gegenüber der Hochkultur bewundert und zelebriert. In der Kunst muss das noch gelernt werden.

Betty Stürmer starb am 5.11.2024 nach einer kurzen, heftigen Krankheit und wird von ihrer Familie und der Berliner Kunstszene schmerzlich vermisst.

Dank an Karin Pott/ Haus am Lützowplatz zur Verfügungsgellung der Fotos

Foto: Betty Stürmer

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!