Nixe a.k.a. Diana Diamond „Ehrlich gesagt hat mich der Gedanke, ich müsste mich jetzt für irgendwas entscheiden, was ich dann mein Leben lang machen muss, komplett erschreckt“

Nixe a.k.a. Diana Diamond (Photo: Archiv Nixe)
Über Nixe a.k.a. Diana Diamond wird gesagt, dass sie, wenn sie einen Raum beträte, sich die Gewissheit einstelle, dass sie keinen normalen Beruf ausübe, weil alles an ihr speziell und mitnichten profan sei. Das ist richtig. Sie umweht stets eine Aura nüchterner Eleganz; und zwar per se. Wahrscheinlich ist sie so nicht auf die Welt gekommen und doch müssen bereits frühe Bühnenerfahrungen in ihrer Kindheit und das Aufwachsen in einer Künstlerfamilie die Entwicklung dahingehend gelenkt haben, was sie fremd erscheinen lässt, für sie normal ist: Ihr Beruf ist die Bühne.
Ihre Eltern, Schauspielerin und Jazz Schlagzeuger, haben vorgelebt und ihr das Selbstverständnis dazu mitgegeben, was sie mit exzentrischen Love-Punks auskosten konnte. Das echte Leben findet nun mal auf Bühnen statt und im Besonderen da, wo jedes Anderssein von anderen Anderen umarmt wird.
Mit ihren Bands Mobylettes und Kasino Noir, mit Huah!, als Sängerin der Stars, mit Rocko Schamoni, den Goldenen Zitronen oder als stoische Zauber Assistentin scheint sie der Welt der Musikclubs aus einer anderen Dimension zu begegnen, was sich aber auch durchaus mit Punk erklären lassen lässt.
Myriam Brüger hat Nixe exklusiv für „These Girls Forever!“, den dritten Teil der Buch-Reihe „These Girls“ interviewt, der im Mai 2026 beim Mainzer Ventil Verlag erscheinen wird, und auf das wir hiermit schon mal aufmerksam machen wollen.
Nixe, du bist eigentlich Berlinerin, deine Eltern haben lange zwischen Berlin und Hamburg gependelt.
Nixe: Letztendlich sind wir dann in ein Haus in die Nähe von Hamburg gezogen, ins Alster Quellgebiet. Zu dem Zeitpunkt haben meine Eltern dann die Wohnung in Berlin aufgegeben; zeitgleich mit der Festanstellung meines Vaters im NDR. Bis dahin war er immer Freelancer gewesen.
Und deine Mutter, hat die noch weiter gespielt in Berlin oder in Hamburg?
Ja, erstmal schon. In Hamburg hatte sie dann zumindest noch ein Engagement, von dem ich weiß. Dadurch, dass meine Eltern nachts gearbeitet haben, gab es dann immer ein Kindermädchen, die war aber schon so im Oma-Alter. Sie hat auch bei uns übernachtet und dann ist sie morgens mit mir aufgestanden, hat den Tag mit mir verbracht, bis meine Eltern wach wurden. Aber die mussten dann ja auch nachmittags schon wieder ins Theater. Meine Mutter hat darüber hinaus auch einige Filme gedreht und war dann zum Beispiel auch in München oder Köln. Und sie meinte, sie hatte das Gefühl, dass sie so den Kontakt zu mir verliert, also dass ich mehr mit dem Kindermädchen Kontakt habe als mit ihr und dann hat sie den Beruf aufgegeben.
Ich weiß nicht, ob das so wirklich geplant war, dass sie nie wieder arbeitet. Diese Fragen sind mir blöderweise alle erst eingefallen, nachdem ich sie das nicht mehr fragen konnte. Jedenfalls hat sie das so immer erzählt, all die Jahrzehnte, dass das wegen mir gewesen ist. Ich stelle mir vor, dass sie sich wahrscheinlich gesagt hat, so, ich arbeite jetzt mal ein Jahr nicht und angefangen hat, Sachen abzusagen. Dann kommen natürlich auch keine neuen Anfragen mehr und irgendwann war das dann halt so gesetzt.
Es geht mir mit meinem Sohn auch so, der weiß das auch. Deswegen wurde auch mein Leben ein bürgerliches, aber ich bin ganz zufrieden. Deine Mutter war das bestimmt auch.
Auf jeden Fall, denn sie hat das nicht bereut. Sie hat immer das Gefühl gehabt, dass sie ein erfülltes, großartiges Leben hatte und hat. Sie war auch so ein Mensch, der vor allem immer die positiven Sachen gesehen hat. Man könnte sagen, sie hat sich einiges schöngeredet. Aber für sie war das natürlich; ich finde es eine super Einstellung. Sie hat sich immer gut gefühlt, mit dem, was sie gerade gemacht hat. Sehr gut.
Mitte der 70er bist Du dann in diesem Vorort zur Schule gegangen und hattest auch schon Ballettunterricht…
Ja, alles Mögliche, Chor, Tanzschule und auch Theater, und das schon sehr früh, in der Grundschulzeit. Tanz sogar schon vorher. Dadurch habe ich jedenfalls sehr früh auch schon bei Aufführungen mitgemacht. Meine Eltern haben alles Mögliche gefördert, mich auch angehalten, Sachen auszuprobieren, manches hat mir dann gefallen, aber es war auch o.k., wenn ich keine Lust mehr hatte.
Kinder, wenn sie jünger sind, lernen schneller ein Instrument, das wird später ein bisschen schwieriger.
Ich habe jedoch scheinbar nie ein Interesse daran gezeigt, ein Instrument zu lernen. Das hätten meine Eltern zwar sehr, sehr gerne gehabt, aber sie haben es akzeptiert und die Sachen gefördert, die mir Spaß gemacht haben.

(Photo: Myriam Brüger)
Und wie bist du vom Alster Quellgebiet in die Hamburger Punk-Szene reingekommen?
In diesem vorpubertären Alter, mit etwa 12, habe ich die ersten Punks mitbekommen und fand das irgendwie cool. Als ich dann Teenager war, gab es die ganzen Jugendbewegungen und ich habe mich eigentlich erst mal für Mods interessiert, denn wir hatten einen in der Klasse, der sich auch dafür interessierte. Ich fand die Musik immer toll und Sixties-Sachen anziehen fand ich auch schon damals super. Und dann war ich ein paar Mal auf Mod-Treffen in der Stadt, aber da hat mich dann doch abgestoßen, dass das von den Geschlechterrollen her sehr eingegrenzt war. Die Mädchen saßen immer nur hinten auf dem Roller und so. Da fand ich dann Punks schon cooler.
Das gab es ja auch bei so bei den Teddy-Boys und in der Rockabilly Szene.
Ganz genau. Und das alles wollte ich natürlich nicht. Auf jeden Fall bin ich dann irgendwann mal an diesem Punk-Treff am Brunnen in der Mönckebergstraße vorbeigegangen. Und da war da so ein Mädchen, mit der ich mich dann auch gleich unterhalten habe. Ich muss natürlich sagen, wahrscheinlich ging das von ihr aus. Ich hätte ja niemals jemanden angesprochen. Und dann war da auch immer Laeton, der auf dem Fahrrad vorbeikam und sagte, heute ist übrigens Konzert hier und da. Und dann sind da alle hingefahren.
Das war zu deiner Schulzeit. Anschließend hast Du noch studiert, und zwar Arabistik.
Auch. Irgendwann stellt sich die Frage, was willst du denn mal werden? Ich hatte nie so eine richtige Idee, aber ich dachte mir, wegen meiner Interessen und so weiter, wäre es vielleicht eine gute Idee, Kunst zu studieren. Aber dafür muss man dann auch erstmal eine Mappe zusammenstellen.
Es wurde mir jedenfalls von zu Hause aus vermittelt, dass ich auf jeden Fall studieren sollte und ich hatte auch keine bessere Idee, also wurde mir gesagt, ja, dann schreibst du dich jetzt erstmal für irgendwas anderes ein. Während der Zeit kannst du dann deine Kunstsachen machen und dich bewerben gehen. Schlauer Gedanke. Ja, so haben wir das auch gemacht; ich habe dann angefangen, Anglistik zu studieren, weil das eigentlich schon auch etwas war, was mich interessierte. Was ich dann aber schnell gemerkt habe, ist, dass es mich nicht mehr interessiert, in so einer Lehrsituation irgendwelche Sachen zu lernen. Also dass einer da vorne steht und einem was erzählt. Und gerade Anglistik ist auch noch so ein Fach, wo alle versuchen, superschlau daherzureden und das habe ich ganz schnell nicht mehr ausgehalten und es hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Was allerdings sehr viel Spaß gemacht hat, war, dass ich bei meinem Anglistikstudium Knarf Rellöm kennengelernt habe.
Knarf hat studiert! Ich dachte immer, das Hamburger-Schule Umfeld war gerade eher nicht akademisch.
Tja, erst mal an der Uni rumhängen, das kann man ja schnell mal machen, ohne akademisch zu sein. Wir haben schnell gemerkt, dass das überhaupt nicht unser Ding ist. Gleichzeitig habe ich auch festgestellt, dass das mit der Kunst auch nicht mein Ding ist. Oder jedenfalls nicht in einer Hochschule. Schon die Arbeit an der Mappe! Ich war dazu bei einem Maler, der hatte im Karo-Viertel ein Atelier und da habe ich auch gearbeitet.
Du hattest also jemanden, den du ansprechen konntest.
Genau. Aber schon bei der Arbeit an der Mappe hat es mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe mein Leben lang, schon als kleines Kind, tagelang gemalt und gezeichnet. Es hat mir so viel Spaß gemacht. Und plötzlich war der Spaß komplett weg.
Bei mir war das ähnlich. Ich habe mich noch beworben, während ich zur Schule ging, da war Franz Erhard Walther tonangebend, Konzeptkunst, quadratische Flächen. Ich fand aber die Neuen Wilden gut und habe figurativen Quatsch gemacht. Einmal war ich bei eine öffentlichen Mappen-Besprechung und wurde nach Strich und Faden fertig gemacht.
Das hatte ja jetzt mit der Uni noch gar nichts zu tun, diese Mappe zusammenzustellen. Aber schon da merkte ich, das war nicht mehr freies Entfalten, sondern war zielgerichtet und das hat mir gleich keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe mich dann aber doch an drei Unis beworben, in Hamburg, Bremen und Berlin. Ich weiß gar nicht, ob ich bei so einer Besprechung dabei war. Das kann schon sein, daran erinnere ich mich einfach nicht mehr. Ich erinnere mich an ganz vieles nicht mehr. Aber es kam überhaupt nicht gut an, zu der Zeit musste ja alles abstrakt sein und ich habe gegenständlich gemalt. Schon auch modern, aber eben gegenständlich und das wollte keiner sehen.
Und als ich das bemerkte, okay, wenn ich das jetzt wirklich, wirklich will, dann müsste ich anfangen, mich nach einem Geschmack zu richten und quasi „zu produzieren“. Und da war es vollkommen vorbei, das kam gar nicht in Frage. Nun, unterdessen hatte sich ja auch schon das mit der Musik ein bisschen entwickelt – nicht, dass ich je vorhatte, das beruflich zu machen. Ich hatte keine Vorstellung, was ich beruflich machen will. Ehrlich gesagt hat mich der Gedanke, ich müsste mich jetzt für irgendwas entscheiden, was ich dann mein Leben lang machen muss, komplett erschreckt. Meine Eltern wussten beide schon mit sechzehn, was sie machen wollen. Und dann sind sie losgegangen und haben das gemacht. Voll durchgezogen, studiert, sich das Wissen drauf geschafft und den Beruf ausgeübt. Vielleicht waren die Interessen auch zu sehr gestreut bei mir, so dass ich nie eine Sache hatte, auf die ich mich konzentriert habe.

(Photo: Myriam Brüger)
Und wenn man jemanden kennenlernt an der Uni, wie du zum Beispiel Knarf, dann ist ja was in Bewegung, das trägt dich dann woanders hin.
Als ich ihn kennengelernt habe, das war zu Zeiten vom Krawall, vom Totenschiff, da kannte ich natürlich schon die [Goldenen] Zitronen und Rocko [Schamoni] und alle möglichen Leute, die Musik gemacht haben.
Wie hast du die Goldenen Zitronen kennengelernt?
Ich habe Ale [Dumbsky] bei einem Konzert in der Fabrik kennengelernt. Das mag so um 83, 84 gewesen sein. Da gab es eine Phase, wo das Totenschiff geschlossen war. Und dann machte das wieder auf; da haben wir Carol, [Ted Gaier] und Moro [Frau Rabe] kennengelernt. Ale hat zu der Zeit in einer anderen Punkband Schlagzeug gespielt.
Die Analbrigade.
Und dann war eben die Rede davon, dass sie eine Band gründen. Ted hat immer erzählt, er kenne einen großartigen Sänger, der sei aber jetzt noch in Timmendorf, aber der komme demnächst in die Stadt.
Schorsch [Kamerun] meinte, du hättest sie angesprochen, als sie gerade einen Kicker zerlegt haben.
Keine Ahnung, das weiß ich nicht mehr. Andauernd passiert mir das, dass mir jemand etwas erzählt und ich mich nicht erinnern kann. Ich muss auch sagen, dass ich einfach eine geringe Aufmerksamkeit für die Außenwelt hatte.
Du hattest zu der Zeit einen Iro, es gibt eine Postkarte von dir und Ale, das machte auf andere wiederum einen großen Eindruck.
So war das auch gedacht. Das wollte ich nämlich vorhin noch dazu sagen, als es darum ging, welche Jugendgruppe sucht man sich jetzt aus, wo man mitmachen will. An Punk hat mich Verschiedenes interessiert, diese ganze Underdog-Geschichte zum Beispiel. Aber es war auch ein großer Beweggrund, dass ich wusste, wenn ich so aussehe, kann ich über die Straße gehen, ohne dass irgendein Depp mich anspricht. Und das war schon auch wichtig. Klar, die haben halt Respekt vor dir gehabt, vielleicht sogar Angst. Eventuell fanden sie es auch abstoßend, das weiß ich nicht, das war mir auch egal, Hauptsache, die lassen mich in Ruhe. Also man konnte als Punkmädchen in Minirock und Netzstrumpfhosen und High Heels rumlaufen und keiner kam dir doof. Wir in Hamburg waren auch bekannt dafür, dass wir uns immer sehr sexy angezogen haben, mehr als die Punkmädchen in Berlin zum Beispiel. Es war schon eine große Freiheit, die mir das gegeben hat.
Daran erinnere ich mich auch: in den 90ern, da ist man total bekloppt rumgelaufen. Also was man jetzt auch wieder sieht: Cowboystiefel plus kurze Sportshorts zum Beispiel. Es ist gerade wieder in so rumzulaufen, Cowboystiefel in Kombination mit eher femininen Sachen. Aber das war ja früher eher so ein sich-aus-Schrott-bedienen. Du wurdest nicht angesprochen. Und wenn, dann gab es richtig, richtig zurück.
Klar, das fand ich natürlich super und das kam meinem frugalen Lebensstil auch sehr entgegen, dieses sich alles einfach selbst machen aus irgendwas, was umsonst war. Das hat mir allgemein zugesagt und finde ich immer noch super.
Was war Kasino Noir?
Das ist meine letzte Band.
Deine letzte Band? Nach den Mobylettes?
Genau.
Ah, okay. Das habe ich nicht mitgekriegt.
Nee, das hat keiner mitgekriegt.
Ich dachte, das wäre auch in der Punkzeit gewesen.
Nee, überhaupt nicht. Das war eine super Band. Das war musikalisch genau das, was ich gerne machen möchte, und hat super viel Spaß gemacht. Wir waren lange im Übungsraum, was auch toll war, nach all den Jahren mit den Mobylettes oder auch anderen Bands, die eher auf ein Projekt ausgerichtet waren. Dann hat man mal für diesen oder jenen Auftritt ganz viel geprobt und dann wieder lange nicht. Ich fand es superschön, einfach einmal in der Woche im Proberaum rumzuhängen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Wir hatten ein paar Auftritte, aber vor allem haben wir auch eine Platte fertig aufgenommen.
Und dann kam Corona. In der Zeit haben sich einige umorientiert, wo sie ihr Geld herkriegen, ich ja auch. Da waren auch Bläser dabei, die wollten in der Corona-Zeit nicht proben. Wir sind dann nicht mehr wieder zusammengekommen, es passte nicht mehr.
Das hört sich gut an, nicht zielgerichtet, erst mal treffen und dann ist das so gewachsen.
Ja, und was für mich auch klasse war: nach so vielen Jahren mal wieder jemand, der auf mich zugekommen ist und gesagt hat, hey, ich habe hier diese Band, wir wollen das und das machen, willst du nicht bei uns singen? Das war mir schon lange nicht mehr passiert, bei den Mobylettes habe ich das ja alles organisiert.
Leider hat man dann Jobs, Verpflichtungen oder man wohnt in anderen Städten, so dass es deswegen einfach nicht funktioniert. Ich dachte bei Kasino Noir, der Name klingt nach Punk.
Wir waren gerade in der Zeit von Analbrigade und der Gründung der Goldenen Zitronen. Hattest du da schon deine Jour Fixe-Abende bei dir zu Hause?
Nein, da noch nicht. Das kam erst in den 90ern.
Auf der Stars Platte ist dein Stück „die Horizontale“ drauf – so wie in dem Song ist es in meiner Vorstellung bei deinen Jour Fixe – Abenden gewesen.

Nixe, Gloria, Köln (Photo: Myriam Brüger)
Ja, das war in den frühen 90ern, da waren inzwischen schon die ganzen Ostwestfalen in unsere Kreise gekommen. Jochen [Diestelmeyer], Frank [Spilker] und Bernadette [Hengst]. Aber die hatten, wenn ich mich recht erinnere, alle ihre Bands noch gar nicht oder die lagen in den Anfängen.
Auf jeden Fall war die Idee von dem Jour Fixe, dass so all diese Musiker, die wir kannten, zusammenkommen. Rocko hat zu der Zeit schon viel geschrieben, also Geschichten, aber das lag alles nur in der Schublade. Und so hat jeder geschrieben und noch irgendwelche anderen Sachen gemacht, die aber eben nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Und dann dachte ich mir, es wäre doch superlustig, wenn wir uns träfen und uns gegenseitig alles vorführten.
Also ich hätte jetzt gedacht, dass es vielleicht gerade einen Kneipen-Gap gegeben hätte, weil eigentlich ist das ja auch so, dass man da auch Sachen vorstellt und darüber redet.
Ich weiß gar nicht, ob wir sehr viel drüber geredet haben. Also es war jetzt keine Diskussionsrunde, wie im Sorgenbrecher oder so.
Du hast in Pre-Hamburger-Schule-Zeiten Leute zusammengebracht.
Die mussten ja nicht zusammengebracht werden, wir kannten uns schon alle. Ich meine, es hatte jetzt ja nicht wirklich einen intellektuellen Hintergrund. Das war eher wie eine Motto-Party; dieses Boheme-Leben von vor 100 Jahren spielte ein bisschen damit rein, wie beispielsweise der Gertrude-Stein-Zirkel, wo auch diese ganzen erfolglosen Menschen dann mal ihr Bild mitgebracht haben.
Ja, oder wie in „die Horizontale“.
Aber es war tatsächlich so, dass man mal Sachen vorführte, die man sonst nicht machte; hier habe ich tatsächlich auch meine ersten Texte geschrieben und Frank Spilker hat dazu dann Gitarre gespielt.
Aber Huah! gab es da schon.
Huah! gab es schon, und da wurden auch mal Textzeilen von mir mit reingenommen. Das schon, aber dass ich mir jetzt von A bis Z ein Stück überlege mit drei Strophen und Refrain und so, das hatte ich vorher noch nicht gemacht.
Vorher hattest Du gesungen, zum Beispiel auch bei Rocko, du warst bei den Explosions Explonettes.
Genau, das war aber noch in den 80ern. Ja, mit diesen ganzen Bands fing das so an, das ist mir erst vor kurzem wieder eingefallen, das ist auch so etwas, woran ich nie wieder gedacht habe – ich war nämlich zuerst in einer Frauenband! Eine Bassistin und eine Gitarristin, die Musik machen wollten und die mich gefragt haben, ob ich nicht singen will. Ich hatte bis dahin immer nur Chormusik gemacht. Natürlich haben wir auch zu Hause gesungen und so, aber das war das erste Mal im Underground-Umfeld.
Da ging ich noch zur Schule. Die kamen dann zum Proben auch immer zu uns raus. Mein Vater hatte seinen Übungsraum im Keller und da haben wir dann Musik gemacht. Und weil wir keinen Schlagzeuger hatten, hat sich sogar mein Vater manchmal ans Schlagzeug gesetzt. Ich habe das aber überhaupt gar nicht ernst genommen. Es ist mir nie der Gedanke gekommen, dass man das jetzt macht, um irgendwo aufzutreten oder was so eine Band ausmacht, was da alles dahintersteckt, was man damit erreichen will. Ich dachte, wir machen das jetzt so zum Spaß.
Das war für die anderen ein bisschen anders, vermute ich mal, die wollten, oder besonders die Bassistin, wollte schon ernsthaft Musik machen. Das habe ich halt gar nicht gecheckt. Es hat dann auch nicht lange gedauert mit der Band, aber sie macht bis heute ganz großartige Musik. Naja, das war das erste Mal, aber wie gesagt, das kam und ging und wurde von mir auch nicht groß weiterverfolgt. Und dann haben Huah! die erste Single aufgenommen, zu der Zeit war das ja noch die Urbesetzung aus Dithmarschen.
Die Single kam dann bei Buback raus.
Huah! fragten, ob ich mitsingen würde. Ja klar habe ich mitgemacht.
Wie es zu der Zusammenarbeit mit Rocko?
Ich war mit Knarf unterwegs und der sagte, ich muss gleich los, ich muss zur Probe, Rocko hat jetzt eine Band. Und ich so, nee, echt? Ja, komm doch mit. Ja, gut. Und dann probten die da bei Rocko im Wohnzimmer. Hagar [Groeteke] und Claudia [Grabbe] haben Chor gesungen und ich hörte schon, denn ich kannte mich mit mehrstimmigem Gesang nun ganz gut aus, dass die sich nicht so gut auskennen und ich habe dann einfach mal Vorschläge gemacht, ja hier, sing das doch so und so und so. So lange, bis ich gefragt wurde auch mitzusingen. Und das war dann eigentlich das Erste, was ich live mit Bands gemacht habe.
Du hattest auf dem Cover des Rocko-Albums auch schon eine riesige Bienenkorb-Frisur. Ich habe in meinen Recherchen zu diesem Interview mehrmals gelesen, dass du gesagt hast, keine Rolle gespielt zu haben. Aber trotzdem musste es ja von der Punkette zu Nixe zu Diana Diamond gekommen sein; es muss ja irgendwie eine Bewusstwerdung gewesen sein, wie du auf eine Bühne gehst.
Ja, schon. Die Zeit mit Rocko und Huah!, das kam ja noch aus dem Punk-Umfeld. 60ies-Kleider habe ich da auch schon getragen, aber halt im Punk-Kontext. Als wir mit den Mobylettes angefangen haben, war das eigentlich nur für einen Event gedacht. In der Fabrik hat damals Andreas Schnoor Veranstaltungsreihen mit Coverbands gemacht. Und da hatte er Knarf mal gefragt, ob er da auch was machen will. Weil wir uns damals auch für Sixties-Girl-Groups interessiert haben, Shangri-Las und so, hatten wir Lust, die mal zu covern. Und das war der erste Auftritt der Mobylettes und der hatte schon auch irgendwie mit Verkleiden zu tun und damit, nicht Underground-Musiker, sondern 60ies-Glamour-Girls darzustellen. Nach dem ersten Auftritt kam noch einer. Und danach haben wir dann gedacht, das hat so viel Spaß gemacht, das machen wir jetzt weiter. Allerdings hörten wir schnell auf, eine reine Coverband zu sein.
Ich fing an, für die Band Stücke und meine eigenen Texte zu schreiben und entwickelte mehr und mehr Interesse an dem Genre. Für Bernadette und Knarf war das immer das Nebenprojekt, aber für mich wurde es immer wichtiger. Und in der ersten Zeit haben wir auch Tourneen gemacht mit Huah! und den Mobylettes zusammen. Da wurde sich dann umgezogen, von den Huah! – Klamotten in die Mobylettes – Klamotten. Und das war von mir schon so gedacht, dass da irgendwie auch eine Trennung sein müsste, auch mit einem anderen Pseudonym. Ich habe keine zwei Schallplatten unter demselben Namen aufgenommen.
Ich habe mir keine Rolle überlegt, die ich da verkörpere. Die ersten Live-Auftritte mit Rocko waren für mich nicht meine ersten Auftritte, aber es war das erste Mal, und das ist mir erst klar geworden, als ich da oben auf der Bühne stand, es war das erste Mal, dass ich dastand, ohne dass jemand mir Regieanweisungen gegeben hat. Ich sollte da nur ich sein. Und das war sehr komisch erst. Ich habe mich kurz erschrocken, was mache ich denn jetzt hier eigentlich und im Laufe der Zeit mich auch immer gefragt, warum mache ich das eigentlich? Was passiert hier? Warum stelle ich mich da hin und mache das?
Besonders, das war so ein krasser Gegensatz zu den Ostwestfalen, die ich dann kennenlernte, zu Bernadette oder auch Jochen, die so klipp und klar gesagt haben, ich will ein Popstar werden und die Bühne ist mein Leben. Oder Bernd Begemann, der hat, glaube ich, immer gesagt, er hat Sex mit all seinen Zuschauern. Wo ich dann so dachte, nee, das ist bei mir aber nicht so. Also das Singen schon, das ist mein Leben, das kann ich aber auch genauso gut in der Dusche machen. Also worin liegt der Sinn, sich auf eine Bühne zu stellen und Leute hören sich das an.
Ich habe dich zum ersten Mal bewusst gesehen bei den Stars und als Assistentin bei den Zaubershows von Manuel Muerte.
Noch ein anderes Pseudonym.
Silvana Busoni! Und bei den Stars, das ganze Spektakel um dich herum, das Ausufernde. Die Instrumentalisten wie zum Beispiel Reverend [Christian. Dabeler]; ich dachte als Zuschauerin, das ist die Performance, aber der war so betrunken, es war keine Show. Da war um dich herum das reine Chaos und du stehst in der Mitte und bist da vollkommen souverän.
So war ich einfach immer schon. Das war schon im Krawall dasselbe. Um mich herum waren alle super betrunken die ganze Zeit und sind richtig, richtig ausgeflippt. Und ich bin einfach nicht so ein Typ.
Wie du da auf der Bühne standest, mit Manuel, dem verrückten Splatter Zauberer, und du hattest dabei eine total trockene Rolle.
Na klar, in der Zaubershow war das natürlich schon etwas bewusster eingesetzt. Ich habe am Anfang bei diesen Bandauftritten erstmal gar nicht gewusst, wo ist vorne und wo hinten. Ich habe da einfach nur gestanden und gesungen. Rocko war ja auch immer super betrunken und ist auch richtig durchgedreht. Und je öfter ich das gemacht habe und je mehr ich mir auch dann Gedanken darüber gemacht hatte, habe ich natürlich auch gemerkt, dass das, was ich sowieso schon von Natur aus bin, auf der Bühne nochmal eine richtige Wirkung hat, besonders im Kontrast zu diesem ganzen Exzess um mich herum. Und dann habe ich das natürlich auch ausgespielt oder dahingehend stilisiert. Diejenigen, die mich nicht gut kannten, dachten, ich spiele da von vorn bis hinten Theater. Das war aber gar nicht so.
Auf der Bühne warst du oft umgeben von Chaos, während du als ein ruhender Pol scheinbar unbeeindruckt im Mittelpunkt stehst. Vielleicht ist das Punk. Könnte man jetzt auch sagen, dass das, was du jetzt als dein Stilmittel auf der Bühne beschreibst, das ist eigentlich eine distanzierte Künstlichkeit.
Ja, dass es distanziert ist, schon, aber ich habe es nie als Künstlichkeit empfunden.
Ich meine mit Punk jetzt keine coolen Bands aus London, sondern dieses Bild vom authentischen Punk.
Ich bin halt einfach nicht der Typ, der so ausflippt und sich gehen lässt. Ich wüsste gar nicht, wie das geht. Und ich sag mal, insofern wäre es für mich vielleicht Punk. Ich habe Punk immer da begriffen, wo man sich einfach ausleben kann. Und ich hatte irgendwie auch Glück oder es war schön für mich, in dieser Punk-Szene all diese Leute kennenzulernen, die das cool fanden, dass ich so war, wie ich war. Denn im Grunde genommen habe ich es in meiner Teenager-Zeit auch als Hemmnis empfunden, dass ich einfach nicht so über meinen Schatten springen konnte und mitmachen bei diesem Ausgeflippe und am Rand rumstehe. Es hat sich nicht immer gut angefühlt.
Und es war toll, dass das so goutiert wurde, und dass es auch auf der Bühne gut ankam. Wenn du dann zum Beispiel bei Huah! neben Bernadette am Mikrofon stehst, die da voll eine Rockshow abzieht, dann gibt es ja nur zwei Möglichkeiten als Bühnenfigur, entweder Du machst mit oder du hältst dagegen. Und das haben wir natürlich dann kultiviert, auch diesen Gegensatz zwischen uns auszuspielen, zu stilisieren. Das gehörte zu dieser Background-Situation bei Huah!, dass wir so verschieden waren.

Huch! (Promobild – courtesy of L´age d´or, Huah! und Myriam Brüger)
Dazu fällt mir das geniale Huah! Pressefoto vor diesem Einfamilienhaus ein.
Das war die Zeit, wo ich anfing, mir das alles überhaupt bewusst zu machen. Vorher war es einfach so, weil es so war. Und dann mit Bernadette zusammen Figuren zu entwickeln, oder wie man sich darstellt auf einer Bühne. Wie tritt man da auf? Was gibt man da eigentlich für ein Bild ab? Also mal nicht aus der eigenen Perspektive gedacht, sondern aus der des Zuschauers. Wie sieht denn das eigentlich aus? Was machen wir denn da eigentlich?
Also dieses Foto, da seht Ihr auch so aus wie Y.M.C.A., Hauke [Evers] in diesem Poncho – das ist schon so, als wäre das die Idee von verschiedenen Figuren gewesen.
Ich glaube, das war es überhaupt nicht. Das hat sich so ergeben. Also man muss auch sagen, dass das in dieser Szene alles unglaubliche Originale waren, Exzentriker. Es war halt einfach so. Und das Fantastische war eben, dass man das auch sein durfte und dass es sogar goutiert wurde.
Ich habe das letzte Huah!-Konzert im Marquee gesehen. Da bin ich gerade erst nach Hamburg gezogen. Das war umwerfend, da habe ich gedacht, hier bleibe ich jetzt. Ich hatte einfach keinen Plan und wollte ja eigentlich auch Kunst studieren in Hamburg und ich bin nicht angenommen worden. Dann habe ich mich bei Pädagogik eingeschrieben und war Fahrradkurier und hing im Caspars Ballroom ab. Carsten Hellberg hat mich mit zu diesem Huah! Konzert mitgenommen. Da konnte ich es nicht fassen, dass es jetzt … Wie? Das sollte das letzte Konzert gewesen sein?
Naja, war es ja nicht wirklich. Aber als Band haben wir dann nicht mehr weitergearbeitet. Da fing das an, dass ich mir darüber Gedanken gemacht habe, was stelle ich auf dieser Bühne eigentlich dar. Bei den Mobylettes, da war die Vorgabe, retro zu sein und das Ladyhafte, das ich sowieso schon hatte, noch weiter zu betonen. Nur dadurch, dass ich ein schickes Kleid anhatte und einen riesigen Dutt, wirkte das halt für Außenstehende künstlich. Und die fanden das gut und insofern hatte keiner ein Problem und alles war super.
Diese Künstlichkeit im Zusammenhang von Punk oder Post-Punk der Hafenstraßen- oder eher Spritzenplatz Szene kann auch was Provozierendes haben, wenn da auf einmal jemand so auftritt, wie du aufgetreten bist. So möchte ich den Begriff Künstlichkeit einordnen, denn es ging auch um das Bild von Punk, da ging es ja auch ums Authentische, möglichst, dass die Eltern zum Beispiel kein Geld haben.
Ja gut, das war ja nun bei den wenigsten aus der Musikszene der Fall, die meisten kamen aus bürgerlichen Verhältnissen.
Was auch gegen dieses Rollenspielen auf der Bühne spricht, ist auch die Art wie du sprichst. Es ist schon so, als würde man einen Dokumentarfilm aus den 60ern zuhören. Es ist ja nicht nur auf der Bühne so!
Ja, genau. Es ist halt einfach so. Aber es war ja auch gut, dass das so wirkte, wie es wirkte, weil genau das hat ja vielen dran gefallen. Besonders, als es dann zum Beispiel mit Manuel Muerte auch in diese Kleinkunst-Theater-Richtung ging. In diesen Zusammenhängen, der Theater- und Varieté – Szene, kam das natürlich supergut an, weil alle dachten, wow, die spielt aber gut.
Ich hatte dieses Anti- Zurechtmachen gut drauf in einem dafür unpassenden Umfeld. Zum Beispiel während einer Tour in besetzen Häusern oder Bauwagen schlafen müssen, da habe ich mich morgens richtig stark geschminkt und bin auf Stöckelschuhen in die WG – Küche gegangen, wo diese Typen saßen mit diesen Verbotsschildern und Putzplänen. Die haben mich gehasst dafür.
Das kann gut sein, dass irgendwer mich gehasst hat, aber ich habe es schon angedeutet, ich habe ganz vieles gar nicht wahrgenommen. Bis heute wahrscheinlich. Und ich muss auch sagen, mit sowas wie in irgendwelchen Löchern schlafen, auf irgendwelchen Notmatratzen unter der Bühne, damit habe ich nie ein Problem gehabt.
Es gibt die Erzählung von dir, wo du noch komplett verhüllt im Schlafsack als erstes nach den Zigaretten gegriffen hast.
So mach ich das immer noch. Bis auf den Schlafsack. Jedenfalls, die Bands, mit denen ich unterwegs war, da sah ja jetzt keiner aus wie ein klassischer Punk; wer damals Rocko Schamoni gebucht hat, hallo, der wusste auch schon, dass wir jetzt nicht aussehen wie aus der Hafenstraße. Und der wurde gebucht, weil er was anderes war. Ich musste mich da nicht selbst durchkämpfen.
Die von dir ausgestrahlte, distanzierte Künstlichkeit hat mehr Punk-Gestus als das authentische Bild, was so manch einer von Punk hat. Das ist mein vorformulierendes Fazit.
Aber wieso meinst du das?
Weil das Bild, was ich von Punk habe, das ist, dass es authentisch sein muss. Und so wie du wirkst auf der Bühne, ist das was Unterkühltes, was Desinteressiertes. Und ich glaube, die Haltung, die du hast, in diesem Tumult um dich rum, dass das eigentlich mehr Punk ist, so lässig und selbstverständlich sah das aus. Wie beispielsweise dieser Auftritt kürzlich von Knarf und Mense [Reents], die bei dem letzten Zitronenkonzert in Hamburg eine 10-minütige Version von “seitdem der Krieg ist“ gespielt haben. Da ist Knarf ins Publikum rein und hat dich unerwartet dazugeholt, und dann warst du eben dabei. Ich finde das beeindruckend, die Lässigkeit darin.
Tja, das ist immer die Frage, was ist denn jetzt Punk? Also wenn man jetzt mal Sex Pistols anguckt, für die war das ja auch eher ein Theaterstück. Ja, das ist eine Show.
Ich habe mich in diesen Bands sicher gefühlt. Ich komme aus einem Musikerhaushalt und mir war absolut bewusst, dass ich nicht die tollste Sängerin der Welt bin und wir nicht in dem Sinne gut Musik spielen. Das war mir schon immer klar. Und ich war, also ganz ehrlich – manchmal tatsächlich überrascht, dass es Leute gibt, denen das gefällt und die sich das freiwillig anhören. Aber nachdem ich verstanden hatte, dass es eben so ist, habe ich mich da sehr sicher und gut aufgehoben gefühlt. Es ist leicht, lässig zu sein, wenn es nicht darauf ankommt, jeden Ton zu treffen oder jedes Stück perfekt zu spielen. Wenn es mehr um die Atmosphäre und die Show geht, nicht um Perfektion. Dann kann einem ja gar nichts mehr passieren da oben auf der Bühne. Ja, das ist dann natürlich der Punk-Gedanke.
Wenn du umgeben bist von irren, liebevollen Menschen, wie bei den Stars oder den Zitronen zum Beispiel, oder für einen durchgeknallten Zauberer arbeitest.
Ja. Ich meine, dann mit Manuel, da war das natürlich auch sehr durchdacht, da haben wir uns schon richtige Rollen überlegt. Und ja, ich hatte immer Leute um mich herum, die so verrückte Spinner sind, auch auf der Bühne. Ich liebe Spinner, aber ich wollte auch immer ein Konterpart sein. Darin lag für mich der Reiz, natürlich auch für den Zuschauer.
In den 90ern in Hamburg, wenn wir die Hamburger Schule jetzt bemühen wollen, wo Punk oder Post-Punk nicht nur lokal weiterentwickelt wurde, ging es ja auch um die Neuentwicklung der deutschen Gesangssprache und um das Reagieren auf die Welt um einen herum. Es gab einen Außenbezug und dass man im Austausch Sachen voranbringt. Huah! hatten sich ja leider gerade aufgelöst, als ich nach Hamburg gezogen bin. Die Mobylettes waren in meiner Wahrnehmung eher ein Paralleluniversum. In deinen Texten ging es oft um die Banalität von Liebe, mit feinen ironischen Brüchen, voll Sprachwitz. Aber manche Songs sind auch so 1:1, wie die Vorbilder aus den 60ern, wie von den Ronettes oder Shangri-Las und sind, bezogen auf die Geschlechterrollen, konservativ. Wie denkst du im Rückblick darüber?
Ja, ja. Das ist ja auch der Witz, dass man sich, sobald man verliebt ist, wie ein Teenager aufführt und auch so fühlt. Verliebtsein ist einfach per se schon lächerlich, darüber habe ich oft gesungen. Wie wichtig man das alles nimmt. Überhaupt ist der Mensch, der sich einbildet, ein komplett einzigartiges Individuum zu sein, auch per se schon lächerlich, weil wir am Ende nur eine sehr begrenzte Gefühls- und Gedankenwelt haben und alles, was wir meinen, gerade Besonders zu erleben, eben schon millionenfach genauso gefühlt, gedacht und erlebt wurde. Darüber könnte ich mich endlos amüsieren. Es geht mir selbst ja auch so.
Ich würde sagen, ich habe ganz bestimmte Ansprüche an die Texte, die ich gerne schreiben möchte. Und die hatten ganz wenig mit der Hamburger Schule zu tun. Ich sage mal, ich fand zum Beispiel Knarfs Texte immer großartig, oder die von Frank Spilker, aber ich muss oder will das nicht unbedingt auch so machen. Am Deutschpunk oder Underground hat es mich oft wahnsinnig gestört, wenn die Texte, so holperig waren. Zum Beispiel nicht im Sprachrhythmus oder nicht in der Satzmelodie passend, von den Reimen noch ganz abgesehen. Mein Anspruch ist schon, dass das einfach handwerklich gut gemacht ist, so dass es einer Sprache ähnelt. Es ging auch immer darum, die Behauptung, dass man auf Deutsch nicht vernünftig texten kann, zu widerlegen.
Und ich wollte auf jeden Fall Texte machen, die erst mal ganz glatt so durchlaufen. Ohne dass einem da thematisch oder sprachlich irgendwas aufstößt. Ganz smooth, wie Schlagermusik. Es war aber schon auch mein Anspruch, dass darunter eine andere Ebene ist. Und wenn man Lust hatte, sich mit den Texten zu beschäftigen, konnte man einiges darin finden. Ich fand immer die Texte von Cole Porter gut oder Gershwin. Die waren so eher mein Vorbild, auch, was den Witz betrifft. Mein Thema war eigentlich immer, was zwischen Menschen oder in Menschen passiert. Ich habe viel über Sachen geschrieben, die generell zwischenmenschlichen Umgang betreffen.
Ich spreche jetzt mal bewusst von zwischenmenschlich, weil das erstmal mit Liebe gar nichts zu tun hat, es kann auch mit Freunden zu solchen Dynamiken kommen oder mit sonst wem. Dann habe ich die Thematik– egal, wo das herkam oder was es war, was ich beschreibe – immer zum Zwecke dieser seichten Anmutung in die Liebesbeziehung verfrachtet. Das sind aber Dinge, die auch in jeder anderen Beziehung passieren können.
Die Banalität, die ich meine, liegt darin, dass es knallhart ist, was du da geschrieben hast. Deine Texte sind auch ironisch, es ist ja nicht so, dass du einen Schlagertext darüber schreibst, wie prima die Ehe ist. Aber es sind in deinen früheren Songs für mich weniger Brüche drin bezogen auf die auf die Geschlechterrollen. Wir leben in anderen Zeiten, würdest du das jetzt anders machen, wenn du jetzt Songs schreibst?
Ich glaube nicht, dass ich das anders machen würde. Ich bin eine heterosexuelle Frau und ich spreche über das, was ich erlebe. Mein Thema ist aber eigentlich, dass wir das alle so erleben, egal wer und mit wem. Wenn da irgendwo kein Bruch zu erkennen ist, habe ich den Song schlecht geschrieben und es anscheinend nicht geschafft, meine Message rüberzubringen. Das ist immer eine Gefahr, wenn man zu viel mit Ironie arbeitet. Ironie und Witz sind schon ein ganz großer Bestandteil meiner Texte. Also ich habe es wohl zwei, dreimal versucht, einen richtig ernsten Text zu schreiben, aber mir haben diese Texte nie gefallen und ich habe die weggeschmissen. Ich kann das einfach nicht.

Photo: Myriam Brüger
Die Texte von den Girlgroups der 60er a la „I was born too late to say i love you“, dass die Mädchen den Typen, den Leader of the Pack, anhimmeln, das mag ich sehr, weil sie die Gegenwart nicht betreffen, so kann ich sie gut finden. Aber wenn aktuelle Bands solche Songs veröffentlichen…
Ich finde ja, dass solche Teenager-Gefühle in jedem Alter vorkommen, so albern es auch ist, und leider ist es auch zeitlos (lacht). Ich habe mich immer gerne dabei ertappt!
Viele Girl-Group-Songs waren schon im Original meiner Meinung nach sehr originell oder manche auch einfach wunderschön echt und traurig, sie haben Geschichten erzählt – im Gegensatz zu den meisten deutschen Schlagern. Das hat uns so daran gefallen,
und es war uns ein Anliegen, das zu zeigen.
Die Mobylettes gab es bis 2011, da kam noch mal „immer schlimmer“ raus. Die ersten Alben erschienen bei Elbtonal und das war dann auf Tapete. Gibt es die Mobylettes noch?
Wir leben alle noch, und es macht uns auch Spaß, zu spielen, wenn uns jemand fragt. Mit der Band weiterarbeiten, also neue Aufnahmen, Tourneen und all das – nein. Um eine Band am Laufen zu halten, muss man ja kontinuierlich am Ball bleiben. Das wurde ja immer krasser, man muss eigentlich jedes Jahr eine Platte rausbringen und auf Tour gehen, um irgendwie im Gespräch zu bleiben. Und das war etwas, was wir uns mit den Mobylettes nicht vorstellen konnten. Wir hatten auch noch andere Sachen zu tun. Ich war immer monatelang in Varieté-Engagements – da habe ich ja auch Songs dafür geschrieben, das war auch eine Zeit lang sehr interessant. Ich kann aber auch gar nicht jedes Jahr zwölf Texte schreiben, mit denen ich selbst zufrieden bin. Also so purzeln die Ideen hier auch nicht heraus.
Es gibt diese wunderschöne Mobylettes Zeile „ich schreibe nie wieder einen Song, es wird ja doch kein Hit“ das war Mitte der 90er. Kannst du dich noch an den Easy-Listening-Hype erinnern?
Na, klar.
Da müsstet ihr doch eigentlich auch von partizipiert haben, dieses Indie-Rock-Ding war aufgeweicht, die Leute hörten mehr Beat- oder Instrumentalmusik …
…das wollte ich gerade sagen, Easy-Listening ist ja nun eigentlich Instrumentalmusik.
Die Subkultur-Blase war durchlässiger für diesen Sound.
Auf jeden Fall gab es Interesse an Retromusik. Davon haben wir bestimmt profitiert, weiß ich nicht. Vorher wurden wir immer zu den Partys des schlechten Geschmacks eingeladen, und dann plötzlich hieß es Easy Listening. Das war alles das Gleiche.
Ich wollte nochmal auf dein Arabistik Studium zu sprechen kommen. Es gibt eine Ähnlichkeit zwischen dir und Nofretete! Könnte das eine frühe Idee von „Figur“ gewesen sein?
Das war, glaube ich, eher zufällig. Dieser geografische Raum, die Wüste oder auch die Kultur, das hat mich schon interessiert. Ich war dann ein paar Mal in der Sahara und ja, ich hatte da ein Interesse oder eine innere Verbindung zu dieser landschaftlichen Leere. Vor dem Golfkrieg. hörte man hier eigentlich nie etwas über den arabischen Raum in den Nachrichten oder in den Feuilletons, man wusste nichts darüber.
Und für die Mobylettes ist ein wahnsinniger, toller Hit abgefallen, der so Garage-mäßig ist, „Cleopatra“.
Ja, das ist ein Cover.
Von wem ist das? Es fällt soundlich raus, weil es ein bisschen Garage-punkiger ist.
Genau, das ist auch von einem Garage-Sampler. Welche Band das ist, habe ich vergessen.
Wann hast Du aufgehört zu studieren?
Als ich den Job bei Manuel bekommen habe. Davon konnte ich dann ganz gut leben.
Ah, okay, die Zaubershows waren gut bezahlt.
Ja, es ist natürlich viel einfacher, wenn du eine Gage nur durch zwei teilen musst. Wir haben meistens am Varieté gearbeitet und da kriegst du einfach mehr als in einem Musikclub. Beziehungsweise dadurch, dass es monatelang jeden Tag stattfand, summierte sich das anders.
Ich war noch lange eingeschrieben, wegen der Krankenversicherung, und ich habe nicht viel Geld gebraucht. Das Unterwegssein wurde immer bezahlt, man ist wahnsinnig viel gereist, aber das hat irgendjemand anders bezahlt, meine WG-Miete in St Pauli lag bei 400 Mark.
Na klar, eine Zeit lang ging das auch mit den Bandgagen ganz gut, es kam Straßenmusik dazu und dieses und jenes. Meine Miete lag bei 250 Mark und ich hatte noch einen Untermieter, damit war halt leicht durchzukommen. Ich lebte auch gerne genügsam. Es war nie ein Verzicht, der mir irgendwas ausmachte.
Letztes Jahr im Januar war ich zum ersten Mal im Cuneo in der Davidstraße. Ein ganznormaler Italiener. Aber für mich war das früher so, ey, da geht ihr hin, das kann ich mir gar nicht leisten. Aber es ist gar nicht teuer.
Naja, schon halt teurer. Am Anfang in meiner ersten Wohnung habe ich mit meiner Freundin zusammengewohnt, da haben wir hauptsächlich Bratkartoffeln und Quark gegessen.
Bei uns gabs Reis mit Thunfisch, ein Päckchen Drum und für die Katze halt Brekkies.
Genau, Geldsorgen habe ich mir nie gemacht. Es hat mich nie bedrückt und es war halt einfach mal nicht so viel Geld da. Aber ich bin jetzt zum ersten Mal in der Situation, dass ich mir alles leisten könnte, was ich haben will. Das fühlt sich total absurd an.
Aktuelles Album:
Huah! „Ich möchte auf deinem Plattenteller liegen (1988-1992)“ (Tapete Records)
Huah! Konzerte
18.4.26 Hanse Song Festival in Stade
5.6.26 Lado Jubel Festival im Knust, Hamburg








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