Die Sterne „Hallo Euphoria” 


Die Sterne
„Hallo Euphoria” 

(PIAS/Rough Trade)

„Greenwashing oder Disktinktionsgewinn. Und Spilker immer mittendrin…“ 
Nach 32 Jahren und 13 Alben ist Frank Spilker bei sich geblieben und hat die Sterne doch neu justiert. Natürlich nicht alleine. „Spilker immer mittendrin“, scheint geradezu programmatisch im Unübersichtlichen zu wühlen. Bei sich angekommen. Aber nicht egozentrisch oder gar narzisstisch wie so manch ein Autokrat oder Fundamentalist (meist Männer), sondern sozusagen super-selbstreflexiv, immer kurz vor der überkritischen Implosion.

Die Sterne-Welt ist knusprig, um einen weiteren Titel anzuspielen: Sprechgesang, Rap, Sprache, Funk, Soul und Indie im freien Spiel – mal runter, mal rauf. Depression, Melancholie, Euphorie und Liebe sind nur Synapsen-Millimeter und Erfahrungs-Millisekunden auseinander. Die Welt der Sterne ist grau und funkelnd zugleich.

Seit ihrem letzten, selbstbetitelten Album aus 2020 und mit der auch jetzt wieder leicht neuen Ausrichtung mit fast Krautrockigem (der Titelsong ist fast schon frech nah an unter anderen Michael Rothers Harmonia), Früh-Elektronischem (höre eben jenen Titelsong), fast chansoneskem France Pop und 1970er-Flair, dann wieder krachigen, wall-of-sound-stürmischen, immer basslastig-groovy Akzenten (höre „Niemand kommt unschuldig raus“ mit soundtrackhaften Elektro-Pop-Splittern) und dem mehrdeutigen politischen Superfunk von „Die Kinder brauchen Platz“ sind sie eine irgendwie konsequent neue Band geworden, die gleichwohl anschließt an Zeiten zwischen „gleich hinter Bielefeld“ („Gleich hinter Krefeld“ inklusive good old Sonic Youth-hafter Gitarren-Noiserausch-Wolke), Bitterfeld, Hamburg und dem ganzen Rest der eigenen Suche.

Hier brillieren (wieder) neben Spilker Jan Philipp Janzen, Phillip Tielsch (beide Von Spar und Urlaub in Polen), Dyan Valdés (Mexican Radio, The Blood Arm) und der Arrangeur und Gitarrist Max Knoth. Da strahlt im mikropolitischen und zeitgeistdiagnostischen Indie-Gestus eine vollkommen renovierte lakonische Euphorie aus einer vielseitigen Band heraus, die keine Bekümmerung leugnet, aber orchestral verziert. Ohne die Melodie zum Untergang zu spielen oder blödzynisch sein zu müssen. Ich höre und lese hier locker-existenziell so viele der guten popmusikalischen Anti-Traditionen und meine, massenhaft(e) Zitate zu entdecken. Die Songs laufen tanzboden-geölt gleichwohl auch ohne Referenzen. Verstörung und Verschwörung liegen gerne mal nah beieinander.

Spätestens beim finalen „Wir wissen nichts“ rührt es mich gar ganz mächtig wie davor zuletzt in deutschsprachiger Popmusik nur bei Die Heiterkeit/Stella Sommer, Gewalt oder auch Raison. Und lässt mich doch auch schmunzeln. Das Spilker-Sterne-Gefühl ist wieder und weiter da, opulenter und kleinmäulig leuchtender als bei der zu Unrecht etwas übersehenen Frank Spilker Gruppe vor Jahren. Inklusive (Song-)Ausblendung und ganz viel (Selbst-)Erkenntnis, „…die nächste Seuche. Oder wer. Wir wissen nichts…“, seufz. Also jetzt erst Recht weiter sisyphushaft groovy (Nicht-)Wissen versuchen zu schaffen und zumindest das zu wissen.

Die Welt könnte eine bessere sein. Meine ist es gerade, ganz undunkel und strahlend und „Gleich hinter Krefeld“. Die Sterne sind wie dauerhafte Perseiden, die uns vertraulich und beruhigend-aufregend begleiten.

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