Record of the Week

Die Sterne „Die Sterne“ (PIAS)

Die Sterne
„Die Sterne“
(PIAS)

Vorweg ein Geständnis, nein eigentlich vier Geständnisse und auch nicht nur vorweg, sondern mitten ins Universum dieser Band:
Erstens habe ich im Studium in den Neunzigern tatsächlich ein wenig länger als andere gebraucht, um die wunderbare Groovyness der Sterne zu entdecken, fand so vorhersehbar unverständlicher und deswegen wichtiger, was uns Bands wie Kolossale Jugend oder Blumfeld nicht so nachvollziehbar nahebrachten.

Das soll diese gar nicht schmälern. Alles gut. Danke, „Forum Enger“!
Aber Die Sterne waren, trotz oder gerade wegen ihres Systemficks, so viel tanzbarer, was sie für einen Postpunkigen, Indie-infizierten bleichen jungen Typen im Sinne eines verklemmten „ich kann eh nicht tanzen“ irgendwie so weiblich machten, während die lässigen Freundinnen längst auf dem Dancefloor waren und sehr viel Spaß hatten. Naja, auch wegen jener wurde die Kurve ja gerade nochmal bekommen und nicht nur zum Tellerwäscher, zum Ruinieren (das war dann wieder wichtig, Kaputtsein eben) oder zu Berlin (groß wegen der Liebe) los zu schwingen. Von da an wurden die ostwestfälisch-hanseatischen Sterne immer bedeutender mit meinem dauerhaften Highlight „Räuber und Gedärm“ von 2006.

Frank Spilker (Photo: Brigitta Jahn)

Zweitens traf ich Frank Spilker dann auch persönlich und erfreulicherweise im eher nicht so belasteten Verhältnis von Musiker/Journalist. Und das Gequassel ging los, einfach produktiv, strömend, wenig distanziert.

Drittens habe ich gerade neben Tino Hanekamp die Liner Notes zur feinen Rerelease-Box „Anfang verpasst“ geschrieben („Politik, Coolness und Tanzbarkeit müssen kein Widerspruch sein: Eine Ent-Täuschung zur Bedeutung der Sterne“) und darin eigentlich schon alles gesagt. Zudem könnte ich motivverdächtig sein. Hm.

Und viertens sind die Sterne nun irgendwie nicht mehr ganz Die Sterne. Und eben genau doch. Nach dem Weggang der Urgestirne (sic!) Christoph Leich und Thomas Wenzel ist der erste Reflex, die neuen zwölf Songs als zweites Album der Frank Spilker Gruppe (nach dem rauen, tollen, leider etwas übersehenen „Mit all den Leuten“) zu sehen. Das Album schafft es aber neben den unverkennbaren Sprechgesängen und vielbödigen und gleichzeitig wunderbar sloganhaften Texten Spilkers auch des Groove wegen  ein Album der Die Sterne zu sein, die sich eben verändert und erneuert haben. Nicht (wie auf „24/7“) zu angesagten Genres hin, sondern seltsamerweise zu sich selbst.
Ein bisschen ist es, wie mit Frank zu reden, nur dass ich die Klappe halten muss. Denn hier wird viel gesagt und mitgegeben über unsere so typischen Leben zwischen Demokratieverteidigungen, Prekariat, Burn Out, Integrationsbekundungen, Post-Slackertum, Chaos, Älterwerden und einfach immer wieder Liebessehnsüchten diverser Art – und ‚uns‘ heißt hier schon auch noch ehemaligen bleichen Postpunk- und Indie-Jungs, die Soul, Funk, Disco und HipHop seinerzeit nicht erst mit der Jon Spencer Blues Explosion, sondern ja schon längst mit Public Enemy, den Beastie Boys und den Sternen entdeckt hatten.

Und nun beginnen Sie auch noch fast im glamourös krachig-dahindümpelnden Sinne Velvet Undergrounds oder Bob Dylans („Das Herz schlägt aus“) oder krautrockig („Der Palast ist leer“). Doch Popmusikgeschichte haben Die Sterne ja schon immer eingewoben – nicht zu knapp. So auch in der neuen Version mit den Live-Sternen Dyna Valdes, Max Knoth sowie neu Von Spar, Erobique, Kaiser Quartett und Düsseldorf Düsterboys. Um dann direkt zu Elektronik, Disco, Funk, Italo, Westcoast, vielen kleinen musikalischen Schrägheiten, fast schon Swamp Desert Blues à la Hugo Race oder Howe Gelb auf „Das Elend kommt (nicht)“ und Synthie Pop überzugehen und es doch nicht ganz zu tun.
Das alles passiert mit vielen indirekten Zitaten und Andeutungen. Wer bei „Du musst gar nix“ nicht an das eigene Leben und die Abwehr dagegen, die kreislaufende Suche nach Dürfen, Können, Müssen, Wollen, Verzichten denkt, der versteht gar nix. So geht das über alle zwölf Songs hin. Spilker führt Tocotronics „Sag alles ab“ dreizehn Jahre später in Bartleby’scher Verschrobenheit und als Halbjahrhunderter irgendwie erleichtert neu und ganz anders auf.

Um wen geht’s hier eigentlich?
Um Die Sterne, neue Staffel mit Sternchen, um deren neues sehr buntes Album, um Frank Spilker und auch ein bisschen um mich. Jetzt gerne mich subtrahieren und einfach nur diese feinen neuen Songs hören, schlucken und tanzen – egal, wann geboren, denn Die Sterne klangen lange nicht so angenehm ‚abgehangen‘ und wachsend.

Und dann nochmal für den restlichen bleichen Ex-Jüngling in mir „Räuber und Gedärm“ auflegen. Ich werde sie nicht mehr loslassen. „Bitte nicht so laut, ich studiere Musik und habe ein empfindliches Gehör“, sagte neulich ein Gast beim Auflegen in einer Bar zu uns. Ich könnte kotzen.

 

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