Seefeel „Everything Squared”
Seefeel
„Everything Squared”
(Warp/Rough Trade)
Die Hochzeit dessen, was dann später Intelligent Dance Music genannt wurde, was für mich als Label aber nie wirklich passen sollte, war die Jahrtausendwende. Glück des pünktlich Geborenen, in Clubs wie Tresor, Maria, WMF zwischen Drum’n’Bass, Minimal Dub, Techno und Postrock Euphorisches zu erleben. Und unweigerlich ganz klar das britische Label „Warp“, welches neben späteren Öffnungen zu Gitarren wie bei Gravenhurst, Maximo Park, Battles, Squid oder Bibio immer besonders schöne und hässliche Musik publik machte. Design in jeder Hinsicht wurde großgeschrieben, Sounds, Produktionen, Tracks, Cover, Künstler*innen (oder auch deren anonyme Erscheinungen), proletische Zuckungen neben akademischen Komplexitäten. Und am Ende einfach nur der flackernde Tanzboden und eine gehörige Portion verwinkelter, angekränkelter, oftmals versponnener Coolness zwischen Off und Beat. Das waren für lange Jahre Squarepusher, Aphex Twin, Plaid, Clark, Mira Calix und vor allem Autechre. Label und die meisten der genannten Musiker*innen gibt es noch. R.I.P. hingegen Mira Calix und Nick Talbot.
IDM und EDM passen nicht, eher Ill Dance Music oder verkopfter Frickelbumms (Thomas Bücker), aber im gesunden Sinn. Eben wie einer der erfolgreichsten Warp-Artisten der letzten Jahre: Yves Tumor.
Neben Nightmares on Wax und LFO, die beide auch noch heute große Namen sind, waren Seefeel unter den ganz frühen Warp-Releases schon Mitte der Neunziger zu finden, vorher auf dem anderen Grenzen sprengenden Label Too Pure (P.J. Harvey, Pram, Long Fin Killie, Stereolab). Dann immer wieder abgetaucht. Zuletzt schienen Seefeel 2008 neuformiert auf, verschwanden nach dem selbstbetitelten Album 2011 und fielen am ehesten durch Rereleases ihrer frühen Veröffentlichungen und die phantastische, dubbig-technoide, erst 2019 auf E.P. publizierte „Peel Session“ auf – für Fans, Zuspätgekommene und Nachgeborene.
Nun das erste längere neue Lebenszeichen seither, ein Minialbum von Mark Clifford, Sarah Peacock und per Bass auf zwei Tracks Shigeru Ishihara. Die klang- und bildgestalterischen Kreise schließen sich darauf ganz wunderbar durch die Arbeiten von Stefan Betke aka Pole (Scape Mastering) und Ian Anderson (The Designers Republic). Ihre ehemalige Nähe zu den Cocteau Twins (die Clifford auch schon remixte) und dem, was heute Shoegaze genannt wird, zieht sich bis in die neuen Tracks und macht Seefeel weiterhin angenehm uneinsortier- und -berechenbar. 26 Minuten instrumentales sanftes, aber nie harmloses Geblubber, Gehalle, Gestampfe, Gebreche und gleichzeitig Schweben, Rauschen, Knirschen, Verhuschtsein, Hauntology und funky Funkeln der sechs neuen Tracks ziehen mich vollkommen in ihren Electronica-Bann.
Zeitlos weit draußen im All und gleichzeitig tief drinnen in Ohren und Hirn wie auf dem Anti-Hit „Multifolds“ oder den Singles „Hooked Paw“ und „Sky Hooks“. Kleine, niedliche und gleichzeitig böse Dinger wie „Lose The Minus“ oder „Antiskeptic“ zeigen sehr deutlich die musikalischen Verquickungen mit den Boards of Canada; es ist nicht von Zufall dass Leute, die auch Spacemen 3, Brian Eno, Slowdive oder Lush mochten, Seefeel sehr schnell ins Herz schlossen. Ich mag alle diese Acts, ihre Geister, Nachkommen und Überlebenden weiterhin sehr. Und höre dazu „End of Here“.
Ende heißt bekanntlich immer Anfang. Erst wenn etwas wirklich beendet ist, kann Neues beginnen. Aufbruch überall. Ohne Geschichte zu vergessen. Seefeel machen es vor. Und haben dabei stets neben Stirnrunzeln und Tanzbewegungen ein breites, großes Grinsen im abstrakten Gesicht. Ganz schön kariert. Ein bisschen Sicherheit in all der Transformation. Festhalten. Gehaltenwerden.
Achtung, live ganz stilsicher in London (28.8., ausverkauft), Bristol (20.9.) und Manchester (21.9.) zu bestaunen.