Record of the Week

U.S. Girls: Heavy Light (4AD)

U.S. Girls
“Heavy Light”
(4AD)

Das kann nur Meg Remy alias U.S. Girls: Die schlimmsten Traumata thematisieren und experimentelle, exquisite, lebendige Popsongs daraus machen. Remy, die immer klingt, als würde sie beim Singen lächeln, schlüpft – wie Cindy Sherman in ihren Fotoinszenierungen – seit ihren ersten Platten in die unterschiedlichsten Frauenrollen, die die dunklen Seiten des „All-American-Girls“ zeigen. Überarbeitet, überfordert, gewalttätig, suizidal, verrückt wie die Hölle.

„Heavy Light“ setzt vor und nach der zentralen adulten Zeit an: in der Kindheit, beziehungsweise noch davor („IOU“ handelt davon, dass ja niemand geboren werden will), und auch ganz am Ende, wenn die Tochter das Handeln der Mutter erst am Grab versteht („Overtime“). Die zehn Songs werden von drei emotionalen Spoken-Word-Collagen je nach Sichtweise unterbrochen oder ergänzt; überlappende Stimmen geben ihrem „teenage self“ Ratschläge („don’t worry!“), sollen sich an die Farbe ihres Kinderzimmers erinnern („light blue“ / „yellow“) oder familiäre Demütigungen schildern („you are not good enough“): Girl, interrupted. Durch diese gleichzeitig artifiziellen wie realen Intermezzi arbeitet Remy wie eine Therapeutin heraus, dass wir mit unseren Beschädigungen leben, aber auch damit klarkommen müssen, dass wir diese Verletzungen immer weitergeben. Die Gesellschaft, die Welt entwickelt sich so, wie wir es als Kinder erfahren/beigebracht/eingeprügelt bekommen haben.

U.S. Girls’ große Kunst besteht nun darin, das unerträglich Schwere leicht zu machen, “Heavy Light”, you got it! Und scheinbar schwerelos schwebt Remy auch durch die Pophistorie: Das beschwingt-geschmeidige „4 American Dollars“ schwelgt in elegantem Siebzigerjahre-Discofox, „State House (It’s a Man’s World)“ zitiert zu Beginn die Spector’sche Wall of Sound vom Ronettes-Hit „Be My Baby“, um dann in hektische Beats und dissonanten Noise zu eskalieren. Auch „Born to Lose“ lebt von der Dissonanz, Remys Tremolo-Vocals (ganz großartig), Conga-Trommeln und unheilvoller Background-Gesang schwellen zur dunklen Gospelmesse an, zerteilt von einem irrlichternden Vibraphon. Mit „The Quiver to the Bomb“ platziert Remy den Höhepunkt des Albums (fast) an den Schluss, eine mit Sparks-Piano und Disco-Violinen ausgestattete Minioper, die in dreieinhalb Minuten das ganze Elend menschlichen Raubbaus an der Natur, doch schlussendlich triumphalen Optimismus präsentiert:

Four billion years ago
A girl was just starting to grow
Gathering pieces of this and that
Quilting herself up for a show
She could have never, ever known
We’d over-reap what she’d sown
Now she’s taking it back
She’s kicking us off her land

… und Meg Remy leuchtet uns den Weg nach draußen.

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