Record of the Week

Florence & The Machine „How Big How Blue How Beautiful“

­Cover-florenceFlorence & The Machine
„How Big How Blue How Beautiful“
(Universal)

In ihren besten Momenten schenkt uns Popmusik das Gefühl an etwas Aufregendem teilzuhaben, das größer und bedeutender als alles ist, was sich in unseren kleinen Welten sonst so ereignet. Sie lässt uns nicht nur alleine hineingleiten in eine neue Erfahrungszone, sie spricht einen positiven Kollektivismus in uns an, verbindet uns mit anderen, ist der Kuppler in einem sehnsuchtsvollen Austauschprozess.

„How Big How Blue How Beautiful“ löst in mir exakt das gegenteilige Gefühl aus, genährt von meinem Wissen, dass dieses Album schon jetzt, zwei Wochen nach Veröffentlichungen als sehr erfolgreich gilt (es stieg in Amerika und England auf 1 ein)– was viel heißen will für eine Künstlerin, die auch mit den zwei Alben zuvor („Lungs I Between Two Lungs“, „Ceremonials“) schon sehr erfolgreich war, die also in Zeiten rückläufiger Marktentwicklungen vehement gegen den Trend agiert.

Florence Leontine Mary Welsh gelingt es also eine recht große Zahl von Menschen mit ihrer Musik anzusprechen.

Warum aber lässt mich ihre Musik relativ kalt? Warum kann ich nicht auch die Bejahung fühlen, die sie bei so vielen auszulösen vermag? Ja, warum regt sie mich geradezu auf?
Betrachten wir uns hierzu doch mal den Videoclip zu „Ship to Wreck“, dem Song, der das Album auch eröffnet.

Hierin sieht man Florence Welsh aufwachend neben einem Mann, der ihr nicht nur glückliche Gesichtszüge schenkt. Pillen und Alkohol stehen als Verursacher falscher Entscheidungen im Raum und die Protagonistin taumelt durch ihre an Nippes und Klamotten sehr reiche Bude, fällt mal theatralisch in die Badewanne, rauft sich dann intensiv die Haare, hadert so sehr mit sich, dass sie gleich mehrere Ichs bekommt und will… ja, was genau will sie denn verkörpern? Irgendwie schon was verpeilt Hippiemäßig.

Verfolgt man die einschlägige Musikpresse mit Klatschneigungen (vornehmlich in England zu finden, da dort eben Popkultur so einen Stellenwert besitzt , dass sich der Klatsch lohnt), so konnte man lesen wie wichtig Stevie Nicks und Fleetwood Mac für Florence Welsh und The Machine seien (für wen aus ihrer Generation sind sie das denn nicht?) und auch dass es schon Treffen der beiden, Soul Mates – wie das die Amerikaner in ihrer schnellen Neigung zu pathetischen Begriffen nennen – gegeben hat.

Warum auch nicht. Ich kann mir den gemeinsamen Kaffee der altersmilden und sympathisch weltentrückten Stevie Nicks und der sich auf sie beziehenden Florence Welsh gut vorstellen. Doch leider haben sie nicht sonderlich viel miteinander zu tun, wenn man Musik und Persönlichkeit näher betrachtet. Während Stevie Nicks den 70er Traum der absoluten Freiheit bis heute verkörpert und für ein künstlerisches Selbstverständnis der Unangepasstheit steht, wirkt an Florence Welsh und iher Musik alles nur konstruiert und steril und so furchbar angepasst. Dieser Eindruck entsteht nicht nur durch die Produktion von „How Big How Blue How Beautiful“, das deutlich slicker als die Vorgänger klingt, und die Wärme und gewisse psychedelische Note missen lässt, die auf diesen noch eine große Rolle spielte. Empfand man Florence & The Machine damals als poppigere und näher am Song gebaute Version von MGMT, so erinnert jetzt alles nur noch an den Power-Rock/Pop einer Band wie Texas (und absurderweise bei „What Kind of Man“ an die frühen, guten Pixies, nur dass man ihr Blut durch Plastik ersetzt hat), wobei die Interpretin (die ihre Songs auch selbst schreibt) nichts von der toughen Körperlichkeit einer Johnny McElhone ausstrahlt, sondern wie eine um Authentizität bemühte Kunstfigur wirkt, die, dem Zeitgeist der späten Nullerjahre entsprechend, dem Zeitpunkt der Genese von Florence & The Machine, so gerne ein Hippie wäre.

Wenn dann endlich das elfte, das letzte Stück „Mother“ läuft, eine kraftvolle (ja, das ist zynisch gemeint) Power-Rock-Ballade, dann sehnt man sich sehr nach einer anderen Platte. Ich lege mal was von Will Oldham auf.
Thomas Venker

Mein Problem mit Florence Leontine Mary Welch und The Machine, also kurz Florence + The Machine ist ja, dass ich sie gut finden will. Wirklich, schon seit 2009, als „Lungs“ herauskam, war ich total offen und motiviert; und auch zwei Jahre später bei „Ceremonials“ habe ich alles versucht, um ihre Musik zu mögen. Denn diese tolle Frau mit ihren feuerroten Haaren, den kantigen Charlotte-Gainsbourg-artigen, überhaupt nicht niedlichen Gesichtszügen und vor allem DIESER STIMME, die wie ein Megaphon alles wegblasen kann (Lungs!!) fand und finde ich total faszinierend.

Aber, ach aber: Länger als zehn Minuten halte ich es mit ihren überproduzierten „baroque pop“-Platten nicht aus, egal wie sehr ich mich auch bemühe, zwischendurch mal rausgehe, frische Luft schnappe oder ein bisschen in der Zeitung blättere. Als treudoofe Beinah-Fanin hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es mir mit „How Big, How Blue, How Beautiful“ anders ergehen könnte – vielleicht war mir die Abkehr vom Einwort-Titel zur leicht rätselhaften Aufzählung Grund genug dafür, ich weiß es nicht. Nun bin ich eines Besseren beziehungsweise erwartbar Unguten belehrt: Auch HBHBHB kann ich nicht ertragen, jedenfalls nicht am Stück. Es ist sogar noch ärger gekommen, denn weil Florence in den vergangenen sechs Jahren zum echten Star avanciert ist, wurde bei diesem Album noch mehr geklotzt: Bombastische Arrangements, donnernde Choräle (Chorusse erscheint mir in Bezug auf Florence zu schmalspurig), Bläser ohne Ende, Drama und Atmosphäre allüberall. Leider geht diese Materialschlacht auf Kosten der Kompositionen, sprich Songs, die bis auf den Titeltrack „Ship to Wreck“ und höchstens noch „St. Jude“ nicht hängenbleiben – womöglich werden zarte Melodieansätze von pompösen Orchesterfanfaren schlichtweg übertönt, das kriegt man nicht so richtig mit. Bei den Balladen „Queen of Peace“, „Delilah“, „Caught“ und „Various Storms and Saints“ wird Florences Stimme in vielen Lagen geschichtet, man fühlt sich geradezu bedrängt – was wirklich schade ist, siehe oben. Dabei würde ich ihr so gern zuhören, der ewig liebesunglücklichen Tochter eines englischen Geschichtsprofessors (ist das nicht toller Tobak?), mit ihr schmachten und von mir aus auch leiden – und höre doch nur Fragmente, „I’m gonna be free, I’m gonna be fine“, oder „you deserve what you are given, oh oh oh“. Oh oh.

„What Kind of Man“ erinnert stark an Fleetwood Mac zu „Rumours“-Zeiten und ich schätze, dass Florence genau dort hin will oder soll: In die ganz leicht freakige, aber dennoch total mainstreamige AOR-Ecke. Für mich heißt es jetzt: Endgültig Abschied nehmen von der romantischen Vorstellung, dass es mit mir und Florence noch mal was werden könnte. Und den Titelsong zum „50 Shades of Grey“-Sequel singt bestimmt nicht mehr Ellie Goulding, sondern Florence Welch.
Christina Mohr

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