Record of the Week

The Fall “The Infotainment Scan”

The Fall
“The Infotainment Scan”
(Permanent Records / Demon Music Group)

Seit Mark E. Smith, der sich The Fall Ende der 1970er ausgedacht hat, im Januar 2018 gestorben ist, erscheinen immer wieder Platten seiner Band. Bei der hier vorliegenden handelt es sich um ein Reissue eines Albums, das The Fall 1993 veröffentlichten. Damals einheitlich als herausragende Konsolidierung der vorangegangenen Errungenschaften gefeiert, zeigt „The Infotainment Scan“ auf beeindruckende Weise, wie es der Band (damals noch mit den alten Mitstreitern Craig Scanlon und Steve Hanley im Line-Up) gelingt, Musik auf der Ebene von Stilkombinatorik zu inszenieren, ohne den Bindestrich, den Raum zwischen den Stilen zu kaschieren, die kombiniert werden. Konsolidierung wird hier paradoxerweise über die Scharfstellung des Prinzips der Lücke etabliert. Das, was groß an der Musik ist, findet in undefinierten Zwischenräumen statt, jenseits musikalisch/sprachlicher Festlegungen. In dieser Hinsicht entspricht das Album einem transzendenten Statement, das über bloße Genrehaftigkeit hinausweist.

Raus aus den Festlegungen – als Ausprägung dieses Vorgehens lässt sich auch die Entscheidung verstehen, zunächst mal die alte Plattenfirma zu verlassen, immerhin Phonogram, die die Sicherheit eines Fünfjahresvertrags garantiert. Aber Sicherheit bedeutet in Mark Smiths Augen Lähmung, Stillstand. Es ist 1993, Madchester ist am Ende, im UK steht Rave/Jungle im Zenit, Britpop treibt frühe Blüten und die USA senden Low-Fi, Alternative Rock / Grunge in die Welt.
„The Infotainment Scan“ greift diese Spielarten zu ungleichen Teilen auf (manchmal kontradiktorisch), arrangiert sie neu bis sie nichts mehr von ihrer Eigentlichkeit haben. The Fall haben immer auf ihre Umgebung reagiert, indem sie das, was sie sahen und hörten, variierten, um so einen Bruch mit dem Gegebenen zu produzieren. „The experimental is now the conventional / the conventional is now the experimental“ (“New Puritan”), stellte Smith 1980 fest.

Dass Begriffe nicht selbstidentisch sind, sondern rekontextualisiert werden können, parallelisiert die Mobilität und ständigen Verschiebungen dessen, wofür The Fall stehen. Wer Smith auf den nordenglischen Patrioten reduziert, wird auf „The Infotainment Scan“ von „I’m Going To Spain“ überrascht, in dem Emigrationspläne und sogar die Hoffnung geäußert werden, Spanisch lernen zu können (tatsächlich übernimmt Smith häufiger Formulierungen oder Begriffe aus anderen Sprachen, vergleiche „Bremen Nacht“ oder „Telephone Thing“). Der typische, einzigartige Vortragsstil Smiths, der einem zynischen Sprechgesangslamento gleichkommt, wird hier ersetzt durch eine Annäherung an Singen im herkömmlichen Sinne. Exemplarisch zeigt sich, dass The Fall der vorherrschenden Erzählung zum Trotz zugänglich klingen können. Zwischen 1985 und 1994 wirken die Platten in einem Maße produziert, das den spröden Sound davor und danach fast vergessen lassen könnte, existierten nicht auch innerhalb der Phase der geebneten Klänge Ausnahmestücke, die Unfertigkeit ausstellen.

Es gab in der Geschichte der Band immer wieder Momente, in denen sie von der eigenen Kompromisslosigkeit so gelangweilt war, dass sie den Kompromiss gesucht hat (wie Michael Ruff schon circa 1988 in der Spex anmerkte), wobei das Gesetz der Diskontinuität keine Stabilität zulässt: einer inneren Dekonstruktionslogik folgend, konfrontiert Smith alles Gesetzte mit seinem Gegenteil. Die Tendenz zum Bruch evoziert stetig wechselnde, frische Perspektiven auf vermeintlich Etabliertes. Das lässt sich auch über die faszinierende Adaption von „Lost In Music“ (im Original von Sister Sledge) sagen, die auf unterschiedlichen Ebenen funktioniert. Zum einen manifestiert sich Verlorenheit auf produktions- und musikimmanente Weise: Smiths Stimme scheint sich hier zu vervielfachen und mit sich selbst über Kreuz zu liegen, der Originaltext kollidiert mit fremden Phrasen, was eine forsche Orientierungslosigkeit nach sich zieht. In der Mitte fällt die Dynamik des Stücks in sich zusammen zugunsten großer Unverbundenheit; ein Prozess, der strukturell die Mehrdimensionalität und Räumlichkeit der Musik von The Fall demonstriert.

Verloren in Musik zu sein, bedeutet gleichzeitig, in ökonomischer Hinsicht über keine Alternative zur Musik zu verfügen – The Fall sind der Musik ausgeliefert, die so zu einem auf Dauer gestellten Lebensentwurf wird, der seine Akteure zu potenziellen Objekten macht. In seinem Buch über die Band schreibt der zwischen 1979 und 1998 aktive Fall-Bassist Steve Hanley bezüglich ihrer Version von „Lost In Music“:  „The more we hear it, the less it sounds like a positive thing. It could be about all of us, doing this because we don’t know anything else“(Steve Hanley: The Big Midweek – Life Inside The Fall, S. 352).
Der Art, wie The Fall „Lost In Music“ spielen, wächst eine enorm existenzielle Qualität zu, die den Entfremdungsprozess per Musik aufführt und auf diese Weise wieder Handlungsmacht erzeugt. „We are The Fall / Northern white crap that talks back“, formulierte Smith schon 1979 sein Selbstermächtigungscredo (“Crap Rap 2/ Like To Blow”).

The Fall beweisen mit ihrem 93er Album einmal mehr, dass das, was am Rand zu stehen scheint, gleichsam als Rahmung fungieren kann, die das Abseitige zur Hauptsache erklärt. Die Bezüge auf Populär-Kultur der 70er Jahre in Form der wiederholten Erwähnung von „Spangles“ (einer Süßigkeit, die in England vor allem in den 70ern beliebt war) stilisiert das Profane zu einer Chiffre, in der sich gerade das Beiläufige verdichtet. Im Kontext von „The Infotainment Scan“, das im Zeichen der Auseinandersetzung mit einem 70er-Jahre-Revival steht, wird „Spangles“ so zum symptomatischen Stellvertreterbegriff für die Lächerlichkeit der Retrospektivität. Ähnlich motiviert ist Smiths Gebrauch des Begriffs „Suede“, der sich sowohl auf die zunächst als glamrockaffin geltende Band als auch auf die im Wildlederlook gehaltenen Adidas-Turnschuhe des Typs Gazelle beziehen lässt, die um 1993 ein Revival erlebten (vergleiche etwa Beastie Boys oder Jamiroquai).

Daraus folgt ein Plädoyer für Jetztzeit, das seinen markantesten Niederschlag findet in dem dramatischen, an damals ultra-gegenwärtige Jungle-Merkmale andockenden „A Past Gone Mad“, das sich auch vom Titel her bereits anti-retro gibt. Demgegenüber steht „Glam Racket“, ein Song, der mit seinem an T.-Rex und Gary Glitter gemahnenden stampfenden Shuffle-Beat eine Formensprache der 70er variiert. Die Tatsache, dass unterschiedliche Stile miteinander in Beziehung gesetzt werden, kommt insofern als auf mehreren Zeitebenen gleichzeitig situierter, zusammengesetzter Meta-Kommentar rüber, der historisch und stilistisch multireferentiell angelegt ist.
Jede Musik, die The Fall benutzen, wird dabei immer schon durch ihren spezifischen Sound gefiltert und kann so nur als Fall-Musik in Erscheinung treten. Diese Gabe, zeittypische Phänomene zu konfigurieren und im Zuge dessen etwas auszuspucken, das mit dem Eingangsmaterial nicht mehr viel zu tun hat, bringt mit verlässlicher (schöner) Kontinuität magische Momente hervor, von denen es auf diesem Album sehr viele gibt.

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