The Notwist „Superheroes, Ghostvillains + Stuff“
The Notwist
„Superheroes, Ghostvillains + Stuff“
(Alien Transistor)
Ich schreibe nun schon seit mir selbst unbegreiflich rasant vergangenen 23 Jahren über Musik, und in all diesen Jahren habe ich bestimmt an die 1000 Alben besprochen, eines habe ich aber noch nie gemacht: eine Besprechung über ein Livealbum zu verfassen. Dem Format Konzertmitschnitt haftet irgendwie etwas nur peripher spannendes an; und selbst wenn ich mich als Fan über einen solchen freue, so sprach keiner von ihnen mit jener künstlerischen Intensivität zu mir, die Schreiben auslöst.
Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn „Alive!“ von Kiss oder „The Name Of The Band Is Talking Heads“ von den Talking Heads während der 23 Jahre erschienen wäre – ist es aber nicht: und damit Ruhe.
The Notwist begleiten mich gefühlt in meiner Autorentätigkeit von Anfang an. Insofern ein passender Zufall, dass sie „Superheroes, Ghostvillains + Stuff“ mit „They Follow Me“ eröffnen. Markus Acher singt hier von Händen, die das Gesicht des Protagonisten berühren, Hände, die so viel für ihn bedeuten, dass selbst die immer präsente Angst in uns, Fehler zu begehen, sich auflöst. Er singt von Liebe. Natürlich.
Lustigerweise war mir aber bei all all den angesprochenen Überlegungen zum Topos Livelalbum bereits beim ersten hören klar, dass ich über „Superheroes, Ghostvillains + Stuff“ schreiben würde, ja müsste. Es ist weit mehr als nur ein Livealbum mit Stücken von diversen Alben von The Notwist. Es ist ein Lehrbeispiel über die Arbeitsweise der Band, ohne dabei auch nur den Hauch von didaktischer Leistungsschau in sich zu tragen. The Notwist zeichnet neben vielen anderen Sachen eben aus, dass sie Emotionalität, ja gerne auch mal Pathos mit Stilistik und Rafinesse zu collagieren vermögen, ihre Musik berührt und stimuliert, zeichnet das Abstrakte natürlich, manchmal gar simpel, und das ist wunderschön.
Das offenbart das Album mit dem an zweiter Stelle positionierten „Close To The Glass“. Plötzlich öffnet sich der eben noch klar gefasste Sound zu einem Cluster aus Afrobeat-, Industrial-, Tribal- und Dancereminiszenzen, ganz so wie man es (teilweise) von den letzten Platten der Band und vor allem ihren Konzerten kennt. The Notwist als mit sich selbst jammender Einheit: Unruhe, Neugierde, Kollektives Bewusstsein, Austausch, Freude, nur einige Worte, die mir kommen – und da jubeln plötzlich die Zuschauer des Konzertes auf, so wie sie es im Verlauf zwischen den meisten Stücken dürfen und so eine aktive Rolle im Ein- und Ausklang der Stücke spielen. Eine Geste, die keineswegs kischig anmutet, wie das jetzt klingen mag, sondern die tiefe soziale Verwurzelung der Band in ihrem Mileu sehr passend illustriert. The Notwist waren schon immer die perfekte Verbildlichung einer Band, die nie den Höhenunterschied zwischen Bühne und Saal spürte, beziehungsweise, wenn er räumlich existierte, alles erdenkliche tat, um ihn gefühlt zu eliminieren.
Ich könnte jetzt noch endlos über jedes Stück des Albums ausufernd schreiben. Ein jedes von ihnen wird kühn mit sich selbst konfrontiert. Und es sind keineswegs nur die ewigen Lieblingslieder des Autoren („Pick Up The Phone“, „Trashing Days“, „Neon Golden“), die besonders intensiv zu sprechen vermögen, sondern auch Songs wie „Into Another Tune“ und „This Room“, die sich während des Konzertes überraschend neu vor uns entfalten.
Thomas Venker
Wahrscheinlich gibt es nicht allzu viele Leute, die die Weilheimer Band The Notwist in die Nähe von Punk rücken würden – der unlängst erschienene Ventil-Reader „Damaged Goods“ respektive Autorin Tina Manske tut allerdings genau das: Anhand des 1992er-Albums „Nook“ erschließen sich im Rückblick die Punk-Noise-Wurzeln von The Notwist, die ab 1995 mit dem damaligen Neuzugang Martin Gretschmann alias Console vermehrt computergenerierte Jazz- und Elektroelemente in ihren Sound einbauten. Und wie geil, wie bewusstseinserweiternd war das damals, „Shrink“, oder noch besser, „Neon Golden“ zum ersten Mal zu hören. Punk? Oder doch eher Kraut-Ambient? Tja, alles eine Frage der Auslegung.
Zum ungefähr dreißigjährigen (!) Bestehen von The Notwist schenkt die Band sich und den Fans ein echt fettes, luxuriöses Paket: Mitte Dezember 2015 traten die Acher-Brüder plus Andi Haberl, Max Punktezahl, Karl Ivar Refseth und Cico Beck als aktuelle Notwist-Besetzung gleich dreimal hintereinander im UT Connewitz zu Leipzig auf – aus diesen Konzerten entstand die Doppel-CD/Dreier-Vinyl-Album „Superheroes, Ghostvillains + Stuff“, das schon irgendwie als Best-Of-Album durchgeht (nur Hits: von „Pick up the Phone“ über „Pilot“ bis „Close to the Glass“ sollten wenig Wünsche offenbleiben). Aber es wären nicht die „Tüftler“ aus Weilheim, würden sie nicht vor allem live ihre Songs von innen nach außen wenden. Oder regelrecht in Frage stellen – The Notwist taugen nicht als Supergroup/-heroes, obwohl sie das bei Licht betrachtet natürlich sind. Sie wissen schon, dass sie großartige Musik geschrieben haben, verweigern sich aber der getreuen Wiedergabe. Die Band leistet sich tollkühne Impro-Ausflüge, Prog- und Krautrock galore. Manchmal erkennt man erst an Markus Achers charakteristisch sanft-softem Gesang, um welchen Track es sich handelt. Das ist auch auf der langen Strecke inspirierend und aufwühlend, und ja, fast besser als die bekannten Studioalben. Mit „One Dark Love Poem“ ist mindestens eine klare Reminiszenz an The Notwists frühe, laute, wilde Jahre mit dabei: Der dekonstruktivistische und expressionistische Umgang mit dem eigenen Material macht dann auch klar, warum The Notwist doch eine Punk-Band sind. Irgendwie.
Christina Mohr
Nov. 05 – Weissenhaeuser Strand, DE – Rolling Stone Weekender
Nov. 06 – Berlin, DE – Lido Berlin w/ Protein – SOLD OUT
Dec. 03 – Munich, DE – Kammerspiele Alien Disko
Dec. 12 – Düsseldorf, DE – Zakk Düsseldorf
Dec 13 – Luxembourg, LX – den Atelier
Feb. 02 – Zurich, CH – Rote Fabrik
Feb. 04 – Lyon, FR – Epicerie Moderne
Feb. 05 – Nancy, FR – L´autre Canal
Feb. 12 – Berlin, DE – Astra
Feb. 13 – Leipzig, DE – Conne Island
Feb. 14 – Hamburg, DE – Grosse Freiheit 36
Feb. 15 – Amsterdam, NL – Paradiso Amsterdam
Feb. 16 – Gent, BE – Kunstencentrum Vooruit
Feb. 17 – Ris-Orangis, FR – Le Plan
Feb. 18- Reutlingen, DE – Kulturzentrum franz.K Reutlingen
Feb. 19 – Frankfurt, DE – Batschkapp Frankfurt